Ernst Moritz Arndt
Gedichte
Ernst Moritz Arndt

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Lebenstraum

der Künftigen gemalt in Reichenbach im Sommer 1813.

        Still hält der Wagen, es stehn die Gedanken im rollenden Leben
    Mit ihm still und erbaun flugs sich ein freundliches Nest,
Sich und der Liebe ein Nest, von längst verschienenen Jahren
    Einen anmutigen Traum, welcher noch immer sich träumt.
So ist das Herz, im Getümmel begehrt es der friedlichen Stille,
    Und aus der Stille sogleich will es ins Wilde hinaus.
Wohl erkenn' ich hierin das wechselnde Schicksal der Menschen,
    Wohl erkenn' ich hierin, wie es mir selber ergeht.
Schon ist der Mittag des Lebens im Wirbel von Freuden und Leiden
    Näher dem Untergang mir über die Scheitel gerollt,
Und von dem eignen Gemüt, von dem was Gott in der Höh schickt,
    Ward über Land, über Meer vielfach getrieben mein Lauf.
Doch der Wagen hält still, flugs kommt mir Sehnsucht und Liebe
    Und noch mit ihnen ein Bild, welches mich nimmer verläßt.
Haltet, Gedanken, denn still und lasset ein Hüttchen uns bauen,
    Reinlich und dicht und bequem, sicher wie niedriges Glück.

Wohin ziehn wir, mein Liebling? wohin? zur Insel der Heimat?
    Oder zum heiligen Rhein? Rede: was liebest du meist?
Liebster, antwortest du mir, wie kann ich Unkundige wählen?
    Schildre die Orte und dann frage dein Liebchen zuletzt;
Oder erwähle du selbst, denn baust du das Häuschen in Wüsten,
    Wird es mir wahrlich mit dir doch der holdseligste Ort.

Also zur Insel der Heimat zuerst. Du liebliches Rügen,
    Was meine Seele nur spinnt, knüpfet sie immer an dich,
Freundliches Eiland im Meer voll frommer und gastlicher Menschen,
    Voll auch der Schönheit, die Gott über die Fluren gestreut,

Hier an dem fernsten Gebirg der östlichen Marken von Deutschland,
    Grüß' ich die glückliche Zeit, die schon Vergangenheit heißt,
Jedes anmutige Thal und jedes umbrauste Gestade,
    Jeglichen Hügel und Busch, wo ich als Knabe gespielt.
Über mir hebt aus dem Dunst der blauen Dämmrung der Riese,
    Welcher die Berge benennt, glänzend den Gipfel von Schnee,
Aber ihn sehe ich nur, euch fühl' ich mit Herzen und Seele,
    Ferne Gestade, wohin ewig die Sehnsucht entfliegt.

Jetzt sind wir angekommen, es steiget inmitten der größern
    Insel ein Inselchen auf, stiller von Fluten umspielt;
Pulitz heißt es, es war die Liebe des sehnenden Jünglings
    Und wie ein seliger Traum schwebt es dem Manne noch vor.
Süß ist das Eiland, geschirmt durch Höhen und Wälder vor Stürmen,
    Schauet es über das Land, über die Küsten hinaus
Fern auf das wogende Meer, wo Schiffe wie redende Vögel
    Glänzender Fittiche Flug spreiten dem hauchenden Wind.
Aus dem Eden hinaus wie traulich schaut sich's ins Wilde!
    Aus der beschirmeten Hut in die umbrauste Gefahr!
Siehe ein grünes Juwel, vom Silber der Fluten umfasset,
    Funkelt es hell wie das Licht, bräutlich und jugendlich schön.
Und wir bauen das Häuschen uns hin, das Nestchen der Liebe,
    Reinlich und dicht und bequem, sicher wie niedriges Glück,
Hart am Haine der Eichen, der heiligen Bäume der Freiheit,
    Wo sich zum Süden hinab sanfter das Inselchen neigt.
Da erfasset uns nie der Samum des Landes, der Ostwind,
    Beißet der Nord uns nicht scharf, wann er mit Flocken erbraust.
Bald ergrünet daran ein Gärtchen voll lustiger Bäume;
    Wenige Jahre, so schwillt schon an den Zweigen die Frucht;
Früher umzieht deine Hand das freundliche Häuschen mit Blumen,
    Unter den bunten erblühst, Blume der Blumen du selbst.

Dies ist gemacht für die Lust, die, spielend auf kindlichen Schwingen,
    Gleich einem Vögelchen gern tändelt dem Neste zunächst.
Treibet uns höherer Ernst und tiefere Wehmut und Liebe,
    Rauschen die Eichen nicht fern und der beschattete Hain,
Welche zum Himmel empor mit ahnenden Seelen entwehen,
    Welche wie Geistergespräch lispeln in Stille der Nacht,
Welche das süße Geheimnis bedecken errötender Küsse
    Und das Geflüster, das hold säuselt wie Taubengegirr.
Oder es locken die spielenden Wellen die spielenden Seelen
    Oft ans Gestade hinaus, und auf der rollenden Flut
Wiegen die Geister sich fort, sehnsüchtige Geister der Liebe,
    Und an das klopfende Herz sinkt mir mein liebendes Weib.
Öfter noch lockt uns die Nacht zur seligen Feier der Sterne
    Und in den himmlischen Glanz müssen wir brünstig hinaus;
Daß uns der Wonnen so viel der Geber des Guten beschieden,
    Knieen in Demut wir hin, Schweigen ist höchstes Gebet.

Willst du das Nützliche sehen, des gern der Mensch sich erfreuet
    Und gespeiset von Gott dankende Hände erhebt,
Wandeln wir hin durch die Felder, die mäßigen Umfangs der Ähren
    Uns und den Kindlein genug tragen und kleinem Gesind;
Oder auch lustiger noch durchstreifen wir blumige Wiesen,
    Wo uns die Herde der Hirt treibet entgegen dem Pfad;
Öfter noch, wenn es dem Liebchen gefällt und linde die Luft geht,
    Stoßen den Nachen wir ab hoch auf die wallende Flut,
Werfen das Netz nach dem Barsch und stellen dem Aale die Reusen,
    Ködern die Angel dem Hecht, spießen bei Fackeln ihn auf.
Herbstlich auch bahnen wir uns mit schneidenden Messern die Steige
    Labyrinthischen Laufs rings durch den sausenden Hain,
Stellen die Schlingen mit Beeren drin aus den wandernden Vögeln:
    So wird der Köchin in Not öfter ein Braten beschert.

Nun, was meinest du? ist dies Leben nicht Freude und Liebe?
    Sind nicht der Gaben von Gott, sind nicht der Wonnen so viel?
Nimmer welket noch altet das Herz, das Gott und Natur liebt,
    Aber das Herz nur, das liebt, weiß auch von Gott und Natur.
Liebliches Pulitz, du hast im Frühling Lieder der Schwäne,
    Die sich in lenziger Luft sammeln ringsum aus der Flut,
Liebliches Pulitz, du hast der Nachtigall Wundergesänge,
    Hast den erhabnen Gesang immer, der brauset vom Meer;
Wohl ein Nestchen der Liebe, die einsam gerne und still wohnt,
    Wohl für die Unschuld ein Sitz, welcher der Lärm nicht gefällt.
Doch bedarf der gesellige Mensch zuweilen des Menschen,
    Doch bedarf er zu gehn aus ihm selber heraus.
Siehe wir schirren den Wagen uns an und suchen uns Menschen,
    Suchen auf anderer Flur andres Gesicht und Gefühl.

Herrlich raget nicht fern der Rugard, das Auge des Landes,
    Wo in verdämmerter Zeit weiland die Herrscher gethront,
Bergen, das Städtchen daran, bewohnt von gastlichen Menschen,
    Wo uns mein redlichster Freund, wo uns mein Bruder begrüßt;
Putbus im grünenden Schmuck der prangenden Hügel und Haine,
    Und der anmutige Vilm sind nur drei Stunden von uns:
O der Vilm, das liebe und süße Gedächtnis der Kindheit!
    Wenn die Mutter mit uns abendlich trat an das Meer,
Wo ich geboren bin, zu Schoritz, der freundlichen Stelle,
    Wies sie uns fern in der Flut seinen hochschimmernden Hain.
Wollen wir weitere Fahrt, so winken uns Gräber der Helden,
    Gräber der Väter, die ernst mahnen an frühere Zeit,
Mahnen an tapfere Männer, die Freiheit mit Eisen beschirmten.
    Die in dem Handschlag die Treu trugen, im Schwerte die Macht.
Siehe du findest sie rings auf der Insel, die Mäler der Vorzeit,
    Jenes Gigantengeschlechts, welches die Zwerge erstaunt,
Magst du in Cracows Hain im Schauer der Gräber wandeln,
    Oder beim heitern Rambin sehen die Hügel getürmt,
Mag dich auf Pazigs Höhn, auf Ossians Campischen Haiden
    Wehmut der nichtigen Zeit, worin du atmest, umwehn.
Locket dich weiter der Trieb, wir schaun das reizende Mönchgut,
    Paradiesischen Sitz mitten in brausender Flut,
Schauen das fruchtbare Land, wo ragt die alte Arkone,
    Wo den Fürsten der See türmten Genossen das Grab,
Segeln nach Hiddensee, der Heimat friedlicher Menschen,
    Welche auf stürmischem Meer stellen den Fischen den Tod.
Weiterhin lockt uns der Hain, der schauerlich düster den See schwärzt,
    Den mit dem KühegespannWo Hertha fuhr, soll die Geschichte wohl schweigen; die Fabel hat sie auch in diesen prächtigen Buchenhain hineingespielt. Hertha, die Göttin, befuhr,
Wo von der Stubbenkammer herab der Blick auf dem Meere
    Zahllose Segel erspäht, weißes Geflügel der See,
Wo sich die hohe Natur ein ewiges Denkmal gegründet,
    Königstuhl nennt es das Volk, weil sich der König der Welt,
Weil sich der Mensch, im Graun von Himmel und Erde versinkend,
    Aus der Anbetungen Staub fliegend zu Sternen erhebt.
So hat der himmlische Vater uns gnug des Glücks und der Schönheit
    Hier mit dem lustigen Saum rauschender Wogen umfaßt;
So verrollt sich im wechselnden Tanz der blühenden Horen
    Fröhlich das Leben, doch rollt nimmer die Liebe sich ab.

Wählst du das Eiland? sprich! das Stillen geziemt und Zufriednen?
    Oder gefällt es dir mehr, wo es lebendiger ist?
Dann komm mit mir zum Rhein, zum heiligen Strom der Germanen,
    Wo an den Ufern der Glanz blühender Reben sich hebt,
Wo sich mit lichterem Blau ein milderer Himmel erwölbet,
    Wo sich ein reges Geschlecht fröhlicher Menschen bewegt.
Dort ein Hüttchen gebaut, von grünenden Ranken umwunden,
    Wovon der Weinstock oft Trauben ins Fensterchen senkt;
Dort uns Bäume gepflanzt und duftige Blumen gepfleget,
    Dunklere Lauben gewölbt, welche der Mond nur durchscheint,
Welche die Nachtigall sucht für einsame Klagen des Abends:
    Mond und Nachtigall sind liebenden Seelen vertraut.

O der zu glückliche Traum! schon hör' ich's trommeln und blasen:
    Das klingt Reise und Krieg, selige Stille fahr wohl!
Her rollt der Wagen, es fliegen dahin die frommen Gedanken,
    Alles wird wild um mich her, alles wird wilder in mir;
Sausender rollt auch das Rad des Glückes heute denn jemals
    Hin auf dem schlüpfrigen Pfad, ewig begossen mit Blut.
O der zu glückliche Traum! wo fänden wir trauliche Stätte,
    Welche nicht schreckliche Wut mordischer Waffen umtost?
Dienstbar trauret der Rhein, der heilige Strom der Germanen,
    Und auch mein heimatlich Land heißet noch heute nicht frei;
Rings tobt Trug und Gewalt, ein grimmer Tyrann schwingt die Geißel,
    Könige stehen gebückt, staunend gehorchet das Volk.
Hat wohl dein liebender Freund, wohin er das Haupt mag legen,
    Flüchtig, geächtet, weil Recht besser als Lug ihm gefiel?
Findet er jemals die Ruh? die Ruh des engeren Lebens?
    Findet er jemals die Ruh träumender Sehnsucht mit dir?
Sicher ist nichts, kein Thron, kein Palast, kein Berg und kein Eiland,
    Sicher ist nichts als allein, was nicht Besitzes bedarf.
Dies laß uns halten, was tief im innersten Busen uns brennet,
    Dies, was mit heißer Gewalt ferneste Fernen verknüpft.
Siehe! das Häuschen, es steht, die Laube grünt und der Garten,
    Mondstrahl schimmert darauf, Nachtigall klinget darin –
Erde vergeht und Irdisches flieht, o laß uns den Busen
    Dehnen zum himmlischen Raum, welcher es alles umfaßt.

 


 


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