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IV

Abermals vergingen drei Tage mit vergeblichem Suchen nach goldführendem Sand. Am Abend des letzten Tages, es war ein Mittwoch, sprach Franz Henne von seiner Rückkehr nach der Küste.

»Verlaß dich drauf, es ist in dieser Gegend nichts mehr zu holen«, sagte er mutlos. »Wir werfen die paar Dollars, die wir mühsam genug zusammengebracht haben, nutzlos zum Fenster hinaus, wenn wir hierbleiben, und dann kommt ein Winter nach, in dem wir verhungern können. Bis jetzt hat jeder von uns mindestens schon zweihundert Dollar zugesetzt.«

»Recht hast du schon, Franz, aber – ich mag das Rennen noch nicht aufgeben«, antwortete Korbin, und er mußte sich gestehen, er fühlte sich bei dieser Antwort nicht ganz wohl. War sein Entschluß, am Cooper-River zu bleiben, nicht doch beeinflußt durch die beiläufige Bemerkung Tonios? Gerade deshalb versteifte er die Bemühung, sein Bleiben zu rechtfertigen, auf Gründe, die ganz anderswo zu suchen sein sollten. »Es muß Gold in dieser Gegend geben. Habe doch mit vielen Prospectors darüber gesprochen. Alle behaupten sie, in der Umgebung der Cooper-River-Gabelung habe es immer welches gegeben. Das berühmte Murman-Claim ist doch ganz in der Nähe unseres ersten Camps gewesen.«

»Dann bleibst du eben allein in dieser Einöde!« knurrte Franz. »Ich haue ab! Morgen früh haue ich ab! Wenn ich schon den Kegel im Flusse sehe, ist mir zum Kotzen!«

Er stierte mit finsterm Gesicht ins Feuer und fügte hinzu:

»Finde es gar nicht nett von dir, daß du mich allein zurückgehen läßt!«

»Aber wir waren uns doch darüber klar, daß wir den ganzen Sommer über im Distrikt bleiben wollten«, sagte Korbin gereizt. »Viel eher könnte ich dir einen Vorwurf daraus machen, daß du mich allein in den Bergen zurückläßt!«

Franz mochte einsehen, daß sein Partner recht hatte. Aber gerade diese Einsicht macht den Menschen häufig noch ungenießbarer.

»Du bleibst gar nicht des Goldes wegen hier!« rief er heftig und stieß dazu mit unbeherrschter Bewegung ein glühendes Scheit ins Feuer zurück, das vom Harz herausgesprengt worden war.

»So? Und weshalb denn? Sage mir das!« gab Korbin mehr erstaunt als entrüstet zurück.

»Du hast einen Narren an dem Jungen gefressen, wenn du's durchaus wissen willst!«

Korbin Holzer war damals eben dreiundzwanzig Jahre alt geworden, und obwohl er mancherlei in diesem rauhen Lande gelernt hatte, was nicht auf dem Gymnasium zu Brixen gelehrt wurde, gelang es ihm doch nicht gleich, den geheimen Sinn dieser Worte zu fassen. War Franz am Ende gar auf den Jungen eifersüchtig? Die Sache wurde ihm durch diesen plötzlichen Einfall jedenfalls nicht begreiflicher!

»Du bist verrückt, Franz!« entgegnete er mit verlegenem Lächeln, um die freche Bemerkung wenigstens nicht unerwidert zu lassen.

Franz seufzte trübselig.

»Hab's ja auch gar nicht ernst gemeint«, lenkte er ein. »Die Geräte lasse ich zurück, wenn ich morgen früh abrücke. Wir können ja in Cerdova darüber abrechnen, wenn's überhaupt etwas abzurechnen gibt, das heißt, wenn du noch was finden solltest. Ich nehme nur ein Muli mit Packsattel und etwas Wegzehrung mit. Wir könnten heute abend noch ein großes Stück Bärenfleisch braten. Das hält sich dann ein paar Tage. Ich gehe den Cooper-River lang. Bin ja leicht; kann reiten, brauche nicht zu treiben. In vier Tagen, denke ich, schaffe ich's bis zur Schlucht, wo dem Jim Kracker seine Blockhütte steht. Das ist ein guter Bekannter von mir; hilft mir gern aus, wenn's an Verpflegung fehlen sollte.«

Korbin stellte die Bratpfanne auf und teilte redlich, was an Konserven noch vorhanden war; machte ein paar Angelschnüre zurecht und packte den einen Sattel. Sosehr er lange Zeit gefürchtet hatte, Franz möchte den Mut verlieren und umkehren – jetzt empfand er eine geheime Freude darüber, daß er von nun an allein sein würde. Eigentlich lag ihm gar nichts mehr am Golde. Wenn man welches fände, natürlich, das wäre schön. Aber schon dieses Wandern in den Morgen hinein, über die blauschimmernden Grate der Höhen, die den Fluß säumten, dieses sorglose Dasein bei gebratenem Fisch und getrockneten Äpfelschnitten schien ihm wert, den Juli und August noch in dieser Einsamkeit zu verbringen. Nach Seattle würde er schon noch rechtzeitig zurückkommen, und die Geldkrise war inzwischen wohl auch überwunden. Dann gab es dort gewiß eine passende Beschäftigung für ihn.

Am Donnerstag brach Franz Henne bereits in aller Herrgottsfrühe auf, um am ersten Tage möglichst gleich bis zu ihrem letzten Lagerplatz zu kommen, nach dem ein stark abkürzender Richtweg über das Plateau führte. Er zog den Kalender noch einmal aus der Tasche und machte einen Strich durch den angebrochenen Tag. Es war der dreizehnte Juni.

Der Abschied war kurz. Franz wünschte dem Freunde alles Gute – und dieser Wunsch kam ihm sicherlich von Herzen –, drückte ihm ein wenig gerührt die Hand und ritt davon. Sie hatten einen Treffpunkt in Cerdova vereinbart für den Fall, daß Franz Anfang September noch dort sein sollte. Eigentlich war das überflüssig. Es war einfach unmöglich, sich in Cerdova nicht zu treffen.

An diesem Tage arbeitete Holzer nicht.

Spät am Abend kam Tonio zu ihm herüber. Er ritt ein langbeiniges, hageres Pferd, das mit erstaunlicher Sicherheit über das weglose Geröll des Flusses ging und sich willig neben dem Muli absatteln ließ.

Tonio setzte sich ein Stück vom Feuer entfernt nieder. Sein Gesicht war vom unruhigen Flackern der zischenden, harzdurchtränkten Scheite erleuchtet und merkwürdig entstellt durch das breite Pflaster, das beinahe noch schmieriger erschien als in den Tagen vorher. Es war offenbar niemals erneuert worden. Eigentlich, so dachte Korbin flüchtig, müßte so eine Wunde doch auch einmal heilen.

Tonio begann sofort sehr lebhaft zu sprechen. Was er sagte, klang beinahe wie ein eingelernter Vortrag:

»Wenn du nach Gold gehst, dann darfst du nie den Fluß absieben. Bäche schon, nie einen so stark strömenden Fluß wie diesen hier. Gold ist schwer. Die Schneeschmelze nimmt im Frühjahr gewaltige Sandmassen hoch und schleudert sie an Stellen nieder, wo die Kraft des dahinjagenden Wassers erlahmt. Dann sinkt das Gold sofort in die Tiefe. Drei, vier Meter Geröll und Sand legen sich dann oft über eine goldführende Schicht – und so tief kannst du im Flusse mit dem Spaten nicht gehen. Du mußt Gold dort suchen, wo der Fluß einmal war, heute aber nicht mehr ist! Sieh dir den Boden deines Lagers an. Er steht auf Flußsand – und liegt doch mindestens dreißig Meter höher als das Flußbett. Einmal ist dieser Sand von einer gewaltigen Strömung hierher geworfen worden, und natürlich hat er auch Gold mitgebracht. Überall ist hier Gold. Also mußt du in die Tiefe gehen, und es sollte mich doch sehr wundern, wenn du nicht eine bescheidene Ausbeute hättest!«

Was Tonio so überzeugend darlegte, leuchtete Korbin Holzer ein. Eigentlich hätte er selbst auf diesen Gedanken kommen können.

»Wollen wir es gleich einmal versuchen?« fragte er, ganz angetan von dieser einfachen Überlegung.

»Ach nein, das hat ja keine so große Eile, und überdies ist es schon zu dunkel. Morgen früh vor Sonnenaufgang will ich dir eine Stelle zeigen, an der ich Gold vermute.«

»Du bleibst hier?«

»Wenn du mir ein Plätzchen im Zelt gibst – es ist schlechter Weg bis zu meiner Behausung, zumal in der Dunkelheit. Der Mond kommt erst nach Mitternacht herauf.«

Sie aßen zusammen. Tonio besorgte sein Pferd, rieb es mit einem Tuche sorgfältig ab und streute ihm Reisig zum Nachtlager. Dann schlüpfte er in seinen Schlafsack und legte sich neben Korbin auf den Boden des dunklen Zeltes.

Sie rauchten noch eine Zigarette. Korbin erzählte, daß ihr Gepäck im Camp am ›Goldkappel‹ von einem Manne durchsucht worden sei, der es auf Gold abgesehen hatte. Tonio horchte auf.

»Wann ist denn das gewesen?«

Korbin dachte kurz nach.

»Heute ist der Dreizehnte. Es wird am Zweiten oder am Dritten gewesen sein.«

»Hm. Der Mann hat etwas anderes gesucht als Gold!« sagte Tonio mit Bestimmtheit. »Was ist eigentlich dein Freund Henne für ein Mensch? – Was weißt du von ihm? – Ich bin nicht recht klug aus ihm geworden.«

»Der Franz? Du mein Gott, ein harmloser Pechvogel. Ich traf ihn, als er eben in einem Spielhause seine letzten Dollars verloren hatte. Er nahm dann einen Dienst bei der Eselkarawane, um zu ein paar Kröten zu kommen. Eine Prospectorausrüstung hatte er schon – lud mich in Cerdova ein, mit ihm im Sommer in die Berge zu gehen. Ich wollte erst weiter hinüber nach Klondyke zu, aber er bestand eigensinnig darauf, in dieser Gegend zu prospecten; meinte, hier seien noch keine Claims eingetragen, und wenn man was Gutes fände, käme man doch nicht dazu, es auszubeuten. Da seien Eintragung und Verkauf immer das beste. Nun, du siehst ja, mit welchem Erfolge wir bisher geschuftet haben. Er hatte es plötzlich ordentlich eilig, hier fortzukommen.«

Schließlich sprach Korbin aus, was ihn den ganzen Tag über bewegt hatte:

»Weißt du, was Franz Henne gesagt hat, als ich ihm mitteilte, daß ich hierbleiben würde?«

»Nun?«

»›Du hast einen Narren an dem Jungen gefressen!‹ hat er gesagt …«

Tonio warf lachend seinen Zigarettenrest mit sicherem Schwunge zum Zeltschlitz hinaus.

»So was Dummes! Du hast ihm hoffentlich gehörig die Meinung gesagt.«

Korbin wußte abermals nicht, wie er das verstehen sollte, und bereute, überhaupt davon angefangen zu haben.

»Natürlich hab' ich ihm die Meinung gesagt. Aber nun wollen wir schlafen.«

»Da hast du auch recht. Na – gute Nacht. Morgen früh um drei Uhr, eine Stunde vor Sonnenaufgang – da fangen wir an!«

Korbin konnte in dieser Nacht lange nicht einschlafen. Das Muli nebenan war sehr unruhig. Die Nähe der Stute mochte sein verratenes Bastardherz dazu bringen, ein wenig höher zu schlagen. In der Schlucht hinter der Felswand fing sich der Nachtwind und sang, vom Stöhnen der dürren Äste knorriger Fichten begleitet, eine wilde, aufreizende Melodie. Tonio lag neben ihm, lang ausgestreckt, und atmete leise. Erst nach Mitternacht fiel Korbin in einen unruhigen Schlaf.

Um drei Uhr weckte ihn Tonio.

»Komm! Es ist Zeit; draußen bleichen die Sterne. Du darfst noch ein Weilchen dösen, ich mache inzwischen Feuer.«

Korbin hörte ihn mit den Töpfen klappern und hinunter an den Fluß gehen, Wasser zu holen. Als er zurückkam, saß Korbin am Feuer und wärmte sich die erstarrten Glieder. Die Nächte waren doch noch empfindlich kalt.

Als sie gefrühstückt hatten, sagte Tonio:

»Komm jetzt, ich will dir die Stelle zeigen, die ich meine.«

Er nahm den Gefährten, zog ihn etwa zwanzig Schritte von der Feuerstelle weg und blieb vor einer trichterförmigen Vertiefung stehen.

»Hier sollst du graben!«

Holzer blickte ihn verwundert an.

»Hier?«

»Genau hier! Das ist eine alte Strudelstelle. Ich glaube bestimmt, daß du hier auf goldführenden Sand stößt. Er kann ziemlich tief liegen. Mußt eben Geduld haben. Mich brauchst du jetzt nicht mehr. Es wird bald hell sein. In ein paar Tagen komme ich wieder.«

Korbin blickte den Jungen verwundert an!

»Hast du es so eilig, hier wegzukommen? Ich hatte mich so sehr darauf gefreut, mit dir einen Tag zusammen zu sein – und nun willst du mich schon wieder allein lassen, Wenn ich was finde, machen wir natürlich fifty-fifty …«

Tonio lachte leise.

»Behalte nur, was du findest. Viel wird es nicht sein. Es ist nur, daß du die Unkosten der Party deckst. Ich habe keine Freude am Prospecten. Bei mir drüben liegt auch goldführender Sand – ach, es lohnt ja nicht!«

Er sprach diese Worte mit einer Gleichgültigkeit, die Korbin unmöglich für echt halten konnte. Dann ging er zur Felswand zurück, sattelte seine Stute und verschwand langsam im Nebel des Flusses, der vom gespenstischen Lichte des anbrechenden Tages erfüllt war.

Korbin fing gehorsam an, Sand aus der flachen Mulde zu heben. Der Boden bewegte sich leicht. Nach einer halben Stunde stand er bereits bis an die Brust in der Erde.

Schaufel um Schaufel ließ er über den Rand der Grube fließen und spähte erregt nach jenem merkwürdigen Glanz, den goldführender Sand in schrägeinfallendem Lichte haben soll. Und dann – er glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen – wahrhaftig, er erblickte winzige Nuggets. Nicht größer als Stecknadelköpfe waren sie – aber er sah Gold – ganz unbezweifelbar: Gold! Oder träumte er nicht doch etwa? Das alles war so unwirklich: Meilenweit hatte er mit Franz Henne das Flußbett abgesiebt, und jetzt stellte sich heraus, daß sie sozusagen auf Gold geschlafen hatten.

Seine Hände zitterten – der Goldrausch überfiel ihn mit rasender Wucht. Er grub tiefer – und er grub noch, als die Sonne bereits hinter den Bergen verschwunden war.


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