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XIV

»Nun, was haben Sie zu berichten?« fragte Mr. Hood, der sich neugierig am späten Abend noch in Miß Vallers Pension eingefunden hatte.

Korbin erzählte mit einer Ausführlichkeit, die seinem Gedächtnis alle Ehre machte. Die Teile der Unterhaltung, die einen besonders tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatten, gab er beinahe im Wortlaut wieder. Mr. Hood hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen.

»Eine merkwürdige Geschichte«, sagte er nachdenklich, als Korbin geendet hatte. »Mir ist das Tempo, in dem Sie Ihre Aufgabe lösen, beinahe ein wenig zu stürmisch. Richard Häberlin wußte ja schließlich nicht mit Bestimmtheit, ob Sie am nächsten Tage wiederkommen würden. Trotzdem verabredete er mit seinem Bruder das, was er seinen kleinen Scherz nennt – eine Szene, die Ihnen zum Bewußtsein bringen soll, wie schwer es ist, einen von ihnen gesondert zu verdächtigen.«

»So sieht es beinahe aus – und doch – im Laufe der Unterhaltung sind mir dann so viele Kleinigkeiten zum Bewußtsein gekommen, die es ermöglichen, die beiden klar auseinanderzuhalten, daß ich jetzt mit Sicherheit behaupten möchte: Die dritte Aufnahme stellt Georg Häberlin dar!«

»Das hab' ich auch gleich gedacht, als ich erfuhr, daß zwei Passagiere mit dem Namen Häberlin an Bord waren«, bemerkte Mr. Hood. »Aber wie kamen die beiden auf das seltene Gespräch über den Mord und das gemeinsame Ende auf dem elektrischen Stuhle? Versuchen Sie doch einmal, sich genau zu erinnern, was vorherging.«

»Ich habe Ihnen den Zusammenhang des Gesprächs bereits gegeben. Vom Schneesturm an der Marmolata-Nordwand – ja, das Thema vom gleichzeitigen Ende scheint die Brüder zu beherrschen – auch der Gedanke an die Gefahr einer so großen Ähnlichkeit. Richard sagte – warten Sie mal – er sagte wörtlich: ›Es ist nicht immer ein Vorteil, einem Menschen zu gleichen wie ein Ei dem andern. In Hollywood soll sich einmal der Fall ereignet haben, daß das Double eines Filmschauspielers von einer eifersüchtigen Geliebten über den Haufen geschossen wurde.‹ Es war nachher noch mehrfach vom Double die Rede. Georg erwähnte, daß man in Rußland einen politischen Gebrauch davon gemacht habe.«

Mr. Hood machte eifrig Notizen. Er hatte zwei Blätter in seinem Notizbuche, die mit R. H. und G. H. überschrieben waren. Auf ihnen sammelte er seine Gedanken und Beobachtungen über die Zwillinge.

»Wann werden Sie die beiden wieder treffen?«

»Wir haben beim Abschied vereinbart, daß wir jeden Dienstag und Freitag gemeinsam ein Stück spazierengehen wollen. Die Anregung dazu ging von Georg aus.«

Toni, die sich bisher an der Aussprache nicht beteiligt hatte, sagte plötzlich lebhaft:

»Sie haben ja schon darauf hingewiesen, Mr. Hood, daß die von unserer Seite gesuchte Bekanntschaft sich überraschend schnell entwickelt hat. Jetzt möchte man beinahe schon Freundschaft sagen. Sollte …«

»Gewiß – und der Eindruck, den Sie dabei haben, verstärkt sich in mir bei jedem Worte, das Mr. Holzer aus den Gesprächen mit den beiden berichtet. Richard Häberlin kennt Mr. Holzer! Irgendwo in Alaska ist er mit ihm zusammengetroffen, und er hat ein lebhaftes Interesse daran, diese Bekanntschaft zu pflegen. Was mag er von ihm wollen? Dasselbe gilt für Georg Häberlin. Anders ist sein plötzliches Auftauchen gar nicht zu erklären. Es ist nämlich nicht wahr, daß die Brüder einander regelmäßig zu einem Spaziergange trafen. Meine Beobachtung hat festgestellt, daß sie gelegentlich gegen Abend in einer kleinen Trinkstube des Westens zusammenkamen. Besinnen Sie sich darauf, Mr. Holzer, einen von ihnen schon einmal gesehen zu haben?«

Korbin dachte angestrengt nach.

»In Alaska kaum. Nun ja, er könnte mich in Cerdova flüchtig gesehen haben, ohne daß ich Notiz von ihm nahm. Aber das ist eigentlich nicht sehr wahrscheinlich. Das Nest ist so klein, daß man alle Gesichter des Ortes kannte. Ich würde mich seiner Züge bestimmt erinnern, wenn ich einem von ihnen auch nur zufällig begegnet wäre. Allerdings« – er stockte, als überlege er, ob der Vorfall überhaupt berichtenswert sei – »als ich mit Franz Henne in die Berge ritt, sind unsere Packsättel zweimal von unbekannter Hand durchsucht worden. Einmal in der Nähe der Schlucht, wo wir das erste Camp aufschlugen, und dann noch einmal auf dem Lagerplatz, wo ich das Gold fand. Es hat nie etwas von unserm Eigentum gefehlt, und wir nahmen an, daß es sich um einen Einzelgänger handle, der Gold in unserm Gepäck vermutete. Ich habe deshalb jeden Abend meine Ausbeute sorgfältig in der Schlucht versteckt, in Sorge, sie könne gestohlen werden. Sollte einer von den beiden …?«

»Der Gedanke ist nicht von der Hand zu weisen. Was aber hat dieser Mann bei Ihnen gesucht? Das möchte ich wirklich wissen! – Morgen früh brauchen Sie nicht zu kommen. Die Linie Ihrer Arbeit liegt jetzt für einige Zeit fest. Vergessen Sie nicht, immer wieder auf Ihre geldliche Unabhängigkeit hinzuweisen und suchen Sie herauszubekommen, wovon die beiden eigentlich leben. Über Reichtümer verfügen sie bestimmt nicht. Vielleicht sind Sie als Opfer eines Bereicherungsplanes auserkoren? Das wäre für uns natürlich ein gefundenes Fressen!«

Etwa vierzehn Tage waren vergangen, ohne daß Mr. Hood mit seinen Plänen auch nur ein kleines Stück vorangekommen wäre. Korbin hatte – auf Mr. Hoods Weisung hin – gelegentlich in der Unterhaltung den Mord an der Familie Valler erwähnt, und es stellte sich dabei heraus, daß die beiden nicht eine Sekunde zögerten, auf alle Einzelheiten einzugehen, die im Bezirk über dieses Verbrechen bekannt waren.

»Wir waren damals gerade in den Bergen, als es geschah«, sagte Richard unbefangen. »Georg untersuchte Gesteinsproben in der Nähe der Flußgabelung, und ich besorgte unser bescheidenes Hauswesen in einem Blockhause, das im Winter verlassen war. Es war – warten Sie mal, es muß kurz vor Weihnachten gewesen sein, als die Morde geschahen. Wir waren eine Woche später bei einem gewissen Mac'Phenor, dessen Haus ganz in der Nähe der Brandstätte liegt. Er erzählte uns, daß die älteste Tochter Vallers wie durch ein Wunder dem Verhängnis entgangen sei. Ein grausiger Mord! Haben Sie etwas darüber gehört, ob man des Täters habhaft geworden ist?«

Nein, Korbin hatte davon nichts gehört.

»Aber etwas anderes wird Sie vielleicht interessieren«, fügte er hinzu. »Die Tochter des ermordeten Farmers, Toni Valler, lebt hier in Frisco. Sie wohnt in meiner Pension.«

Georg Häberlin war überrascht.

»Welch sonderbare Fügung! Was hat sie veranlaßt, nach Frisco zu gehen?«

»Genau vermag ich das leider auch nicht zu sagen, obwohl ich täglich ein paar Worte mit ihr spreche. Sie begreifen – wir vermeiden beiderseits, an diese Dinge zu rühren. Aber ich nehme an, sie hat die Nachforschungen nach dem Mörder ihrer Eltern und Geschwister noch nicht aufgegeben. Von Zeit zu Zeit hat sie Konferenzen mit einem Herrn von der Polizei.« (Diese gelegentliche Wendung des Gesprächs war Korbin von Mr. Hood ausdrücklich aufgetragen worden. Korbin war selbst neugierig, wie die beiden darauf reagieren würden. Nun, wenn er irgendeine Sensation erwartet hatte, mußte er enttäuscht sein.)

»Das arme Mädel!« sagte Richard Häberlin gedankenverloren. »In Ihrer Pension wohnt also Miß Valler? Ich würde die Dame wirklich gern kennenlernen. Erzählen Sie ihr doch, daß wir beide am Tage des Verbrechens in ihrer Nähe waren. Leider werden wir ja kaum etwas zur Aufhellung der grausigen Tat und zur Ergreifung des Mörders beitragen können; aber – unsere Teilnahme an ihrem Geschick ist eben doch mehr als gewöhnlich – infolge dieser merkwürdigen Verflechtung der Umstände …«


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