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Das alte Stadthaus des französischen Konsuls Monsieur Poncelle war durch das große Erdbeben völlig zerstört worden. Ein wahres Glück, daß er damals mit seiner Familie an der See weilte. Der Hausmeister und seine Frau waren unter den Trümmern begraben worden, und Poncelles wertvolle Sammlung zeitgenössischer Kunst wurde ein Raub der Flammen, die vernichteten, was die Gewalt der Erdstöße verschont hatte.
An derselben Stelle erhebt sich heute ein Gebäude im sachlichen Stil der neuen amerikanischen Bauweise. Aus Stahl, Eisenbeton und Glas erstanden hohe, lichte Arbeits- und Gesellschaftsräume, ein Zimmergarten mit Palmen und subtropischen Gewächsen und im zweiten Stockwerk eine Bibliothek, die jedem Kenner bibliophiler Schätze das Herz höher schlagen läßt. Monsieur Poncelle liebt ein Leben in Schönheit und Luxus, und er hat das Geld dazu, sich ein solches Leben im Stile der republikanischen Aristokratie Frankreichs zu gestalten, die damals lebhafter denn je vorher des Glaubens lebte, die Bewahrerin einer Kultur zu sein, die im übrigen Europa verlorengegangen zu sein schien. Die Vertretung seines Landes war im Goldenen Westen zweifellos in die Hand eines Mannes gelegt, den weitreichende geschäftliche Verbindungen in die Lage versetzten, seine Regierung würdig, geschickt und erfolgreich zu vertreten.
Gesellschaften im Hause des Konsuls sind Ereignisse, von denen die Presse Notiz nimmt. Am folgenden Tage vernimmt die staunende Leserwelt des ›Frisco Call‹ schon in aller Frühe, wieviel Pfunde oder Dollars der Schmuck gekostet hat – oder kosten würde, wenn er heute auf dem Markte angeboten würde – den Miß Knox, die Gattin des Ohioer Schweinezüchters, auf ihrer vermillonfarbigen Samtrobe trug, welche Namen aus der Liste des englischen Hochadels sich ins Gästebuch einzeichneten und welche diplomatischen Ziele Monsieur Poncelle mit dieser Gesellschaft ihrer Erfüllung näherbrachte.
Auch Korbin und Toni haben, eine Einladung zur Abendgesellschaft im Hause des Konsuls erhalten. Während Korbin sie gelassen in seiner Rocktasche verschwinden läßt, ist Toni aufgeregt.
»Was zieht man an?«
Ja – dazu kann Korbin leider gar keinen Rat geben. Er hat sich einen Smoking bauen lassen und hofft, daß dieses gutsitzende, nach der letzten Mode gearbeitete Kleidungsstück gesellschaftliche Anerkennung findet. In der Tat: Korbin macht darin keine schlechte Figur. Die Wochen in San Franzisco haben seinem Wesen Haltung, seinem Auftreten Sicherheit verliehen. Die leise gesellschaftliche Erziehungsarbeit der beiden Häberlins ist nicht spurlos an ihm vorübergegangen …
Toni entschließt sich nach harter Qual der Wahl endlich für ein Gedicht aus lichtgrüner Seide mit roten Samtbändern, die malerisch von den kurzen Ärmeln herabflattern. Die Modistin hat es ihr in die Pension geschickt, und seit gestern abend spricht man im Hause von nichts anderem als von Miß Vallers Kostüm.
Um sechs Uhr fährt der Wagen vor. Toni ist natürlich noch längst nicht fertig. Die langen Spitzenhandschuhe – eben haben sie noch auf dem Tische gelegen! – sind plötzlich verschwunden. Nach aufregendem Suchen finden sie sich unter einem Stapel von illustrierten Zeitschriften, die ein boshafter Troll auf dem Diwan aufgebaut hat.
Korbin blickt sie bewundernd an.
»Was meinen Sie, Toni«, sagt er in der vollendeten Haltung eines Gentleman, der seine Dame zum Wagen zu führen bereit ist, »sollten Sie heute abend nicht doch einmal auf den Gedanken kommen, deutsch mit mir zu sprechen?«
Toni blickt ihn verständnislos an.
»Deutsch? – – Ach so … nein, solange dieser Häberlin, der eine oder der andere, nicht vor dem Richter steht … und auch dann … ich weiß nicht, Mr. Holzer, ob wir diesen dummen Gedanken nicht überhaupt begraben sollten.«
»Sie meinen den Gedanken, einen Häberlin vor den Richter zu bringen?«
»Sie Narr – wie kommen Sie darauf?«
»Weil ich mich noch immer nicht dazu durchgerungen habe, daß einer von ihnen ein Mörder sein soll«, antwortete er feierlich. »Je länger ich die beiden kenne, um so unmöglicher erscheint mir diese Annahme. Wie denkt eigentlich Mr. Hood über diesen Punkt? Mir gegenüber hat er sich leider bisher noch nie mit wünschenswerter Klarheit geäußert.«
Toni rafft ihre Handschuhe auf und schwingt ein hauchdünnes seidenes Tuch über ihre Frisur.
»Mr. Hood? Ja, da haben Sie recht, er ist in letzter Zeit recht schweigsam geworden. Er deutete mir gestern dunkel an, daß er sich von der heutigen Gesellschaft einiges verspreche; aber etwas Näheres wollte er nicht sagen. Was erhoffen Sie eigentlich von diesem heutigen Abend in großer Gesellschaft? Die Häberlins sind natürlich auch da … In dem einen Punkte unserer Annahme, daß sie nämlich mittellos seien, haben wir uns jedenfalls gründlich geirrt. Mr. Hood war fest davon überzeugt, daß sie über kurz oder lang in Geldschwierigkeiten kommen würden. Aber davon ist nicht mehr die Rede, seit er weiß, daß sie für die ›Cerdova-Miners-Company‹ verhandeln. Im übrigen, wenn man's bis dahin noch nicht gemerkt haben sollte, – ›Wer bei Poncelle eingeladen ist, legitimiert damit seine Zugehörigkeit zu den Upperren‹, sagt Miß Klindworth, unsere gute Pensionswirtin. Sie war einfach starr, als ich ihr die Einladung zeigte, und ich glaube, wir beide haben von heute ab einen unbeschränkten Kredit bei ihr. Es sollte mich auch gar nicht wundern, wenn wir von Pressefotografen überfallen und von Reporterhaien ausgefragt würden. Was sagt man dann?«
Korbin setzt eine überlegen belehrende Miene auf.
»Das kommt nun ganz drauf an, in welchem Kreise Sie überfallen werden. Wenn Sie zum Beispiel eben mit Mrs. Yellowstone sprechen, die Sie natürlich unfehlbar zu ihrem nächsten Tee einladen wird, dann müssen Sie sich durch eben diese Dame in die Gesellschaft eingeführt fühlen und demzufolge ein paar belanglose Bemerkungen über die künstlerischen und literarischen Interessen der Kleisterkönigin machen – Sie wissen, ihr Mann beherrscht den Dextrin-Konzern – und sich als europäisch gebildet aufspielen. Sie haben in Oxford studiert und kennen die englische Gesellschaft zur Genüge, um feststellen zu können, daß sie sich in keiner Weise mit dem Glanz und dem Reichtum der des Goldenen Westens messen kann. So was fließt den Leuten hier hinunter wie Honigseim. Wenn morgen das Interview mit der liebreizenden Miß Valler – ›unsere Leser sind seinerzeit über das Schicksal der Familie ausführlich unterrichtet worden‹, – auf so etwas müssen Sie gefaßt sein; an Taktgefühl sind die Burschen noch nie erstickt – wenn also dieses Interview in den Morgenblättern steht, können Sie sich übermorgen vor Einladungen für die Wintersaison nicht retten. – Oder Sie stehen im Augenblick des Überfalls mit den Zwillingen zusammen. Dann sind Sie die von Geheimnissen umwitterte junge Dame, die droben in Alaska ungeheure, noch ungehobene Schätze ihr eigen nennt, und morgen haben Sie so viele Kaufangebote, daß Sie in Ruhe wählen können …«
»Und wenn ich zufällig in Ihrer Gesellschaft von einem Ausfrager überfallen werde?« lacht Toni.
»Dann« – Korbin lächelt geheimnisvoll zurück – »dann sagen Sie einfach: Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, meine Herren, ich muß mit diesem jungen Mann erst ein paar Worte in deutscher Sprache reden. Es handelt sich dabei – aber Sie kennen ja die Sorgen einer Miß Valler zur Genüge, um zu ahnen, worum es sich dabei handelt! Ich habe nämlich mit diesem Herrn schon früher einmal deutsch gesprochen, und das war für uns beide eigentlich die angemessenste und erfreulichste Umgangssprache. Wir konnten uns in ihr am besten verständigen. – Viel mehr brauchen Sie gar nicht zu sagen. Verstehen Sie, Toni? Je weniger der Interviewer erfährt, desto mehr schreibt er nachher. Sie werden am nächsten Tage von dem Gesellschaftsbericht höchst erstaunt sein.«,
»Im Ernst – Sie meinen wirklich, daß morgen in den Friscoer Blättern von der Gesellschaft bei Poncelle die Rede sein wird?«
»In großer Aufmachung, vermute ich. Richard Häberlin hat mir gegenüber so eine Andeutung gemacht, und er sagt selten etwas, ohne dabei …«
»Sie meinen, er verfolge eine bestimmte Absicht dabei, daß er uns bei Poncelle einführt?«
»Zweifellos – und ich hoffe, er treibt damit auch unsere Aufgabe einer Lösung zu, einer Lösung, von deren Art ich mir freilich noch keine Vorstellung machen kann. ›Sagen Sie Mr. Hood, Miß Vallers Angelegenheiten sind in guten Händen!‹ Genau so hat er zu mir gesagt. Was sollte ich antworten? Etwa: Sie irren, Mr. Häberlin, Mr. Hood und ich stehen in keinerlei Verbindung!? Nein – so kann ich einfach nicht lügen. Ich habe geschwiegen.«