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So weit das Volk: ein bescheidenes Kleinleben, die ewige Alltäglichkeit, die ihre Bedürfnisse nicht steigert. Wir merken nichts von Luxustrieb, von Trieb über sich selbst hinaus. Ist dies das Griechenvolk, das der Welt seine Kunstideale schuf und für alle Zeiten das Gedankenleben der Menschheit vertiefte? Wir spüren davon noch nichts. Alles das schlummert noch ungeboren. Nicht das Volk, vielmehr nur die Fürsten haben damals die hohen Aufgaben gestellt, die das Niveau des Lebens erhöhten. Die Kultur kam von oben, wie das die Weltgeschichte auch sonst gesehen hat (man denke an Mazedonien, Rußland, an Brandenburg und Preußen). Die hochgestellten Herren verlangten nach den wertvollen und importierten Werken der Kunst, die das Auge ergötzen, und zwar für sich, nicht für das Volk; sie sind es auch gewesen, die zum Ruhm ihrer Geschlechter die große Dichtung weckten: Heldengesang. Er erklang damals in der Fürstenhalle, nicht im Volke.
Welche Armut! Kein Rathaus, kein Theater gab es noch in den Städten, auch noch nicht die griechische Säule, die 20 sich in Zeilen reiht, auch kein Gotteshaus, und kein Gottesbild stieg auf die Postamente.Diese Dinge habe ich im Anschluß an Reichel und gegen Bethe in der Philol. Wochenschrift 1921 S. 258 ff. ausführlich besprochen. Man war nur fähig, kleine Puppen in Ton zu formen; die Töpferei lieferte Gefäße mit sehr bescheidener Ornamentik. Ja, auch zur Dichtkunst waren die Ansätze im Volk noch künstlerisch ganz unentwickelt. Ein Bub war es ja nur, der bei der Weinernte das Linoslied sang, und Homer hütet sich darum wohl, uns dies Lied und ebenso die Lieder, die der junge Held Achill einsam in seinem Zelt vor sich hin sang, mitzuteilen; es waren gewiß nur Volkslieder, d. h. kurzgefaßt und in schlichtestem Versbau.Die Wehklagen um Hektors Leiche im Buch Ilias XXIV sind nicht etwa Lieder und herkömmliche Trauergesänge, sondern improvisierte Reden, die der Dichter gezwungen ist in Verse zu fassen. Die Vortragenden konnten sie, wie ihr Inhalt zeigt, nicht vorbereitet haben. Etwas Vorstellung davon können uns die Proben geben, die die Griechen in späteren Jahrhunderten gelegentlich aufnotiert haben. Die jungen Weiber suchen Blumen im Feld und singen: »Wo sind mir Rosen, wo mir Veilchen, wo mir das hübsche Selleriekraut?« und dann die Antwort: »Da sind die Rosen, da sind die Veilchen, da ist das hübsche Selleriekraut.« Oder man spielt eine Art Blindekuh, und das Mädchen, dessen Augen zugebunden sind, singt: »Die Fliege (aus Eisen) will ich fangen«; die andern laufen davon und antworten: »Fangen? Du wirst sie nicht erlangen.«Vgl. Pollux IX 123. So gibt man sich auch Rätsel auf oder memoriert einen Spruch in Versen auf die fünf Kobolde, die beim Brotbacken das Brot verderben.Vgl. den homerischen Kaminos.
Allerliebst ein munteres Prozessionslied für Kinder, das Spätere auf der Insel Rhodos hörten, und es sei mitgeteilt. Im Frühling war da ein Bittgang der Kinder üblich im Namen der Schwalbe, die heimgekehrt. Da werden auch schon mehr Worte gemacht:
Die Schwalbe ist kommen; sie kam beschwingt,
Die uns die schönen Zeiten bringt.
Sie ist zurück von ihrer Reis',
Schwarzblau oben und unten weiß.
Wein und Trockenobst gebt uns gleich,
Auch Käse im Korb. Euer Haus ist reich.
Auch Weizenbrot und Mandelkern,
Alles das nimmt die Schwalbe gern. 21
Wollt ihr, wie? oder soll'n wir gehn?
Gibst du nichts, wir bleiben doch stehn,
Heben dir Tür und Fensterlein aus,
Und ist dein Weibelein im Haus,
Hockt sie da drinnen,
Die führen wir mit uns von hinnen.
Sie schleppt sich leicht, ist ja so klein.
Drum öffne die Tür fürs Schwälbelein.
Wer Gaben gibt, der soll glücklich sein.
Gib mehr oder minder.
Wir sind ja nicht alte Leut', wir sind nur die Kinder.
So etwas ist ewig, d. h. man hört Ähnliches zu allen Zeiten. Auch unser deutsches Volk kennt solchen Frühlingsbittgesang der von Haus zu Haus ziehenden Kinder.Ich denke an das Kinderprozessionslied in des Knaben Wunderhorn: »Havele Hahne« mit dem »Ri ra rum, der Winter ist herum«.
Geben wir denn endlich auf die sogenannten »Könige« acht. Sie haben augenscheinlich Großes geleistet. Im Haus des Reichen wird der vornehme Luxustrieb mächtig. Man will in Schönheit leben; man fragt nach Gott und Schicksal und dem Zweck des Lebens, und ein kompliziertes Gedankenleben erwacht.
Es gab freilich viel nachzuholen, viel zu lernen. Solches In-die-Lehre-Gehen der Völker dauert oft Jahrhunderte; wir wissen es von den Germanen. Im Euphratland und am Nil, in den üppigen Ländern der großen Ströme, war damals längst das Höchste geleistet, was der Kulturtrieb der Menschheit leisten zu können schien: verschwenderischer Reichtum, Massenbeherrschung, ein jahrtausendlanges Wachsen und Werden. So war die assyrisch-babylonische Kultur und ebenso die Ägyptens um das Jahr 1200 v. Chr. schon abgeschlossen und in sich fertig. Ihre Bauten reden am lautesten; denn man sieht sie noch heute. Nur die Könige bauten; sie bauten mit dem Trieb zum strotzend Kolossalen, im Hochgefühl, Massen zu bezwingen. Ihre Tempel und Paläste stehen im Flachen und wachsen aus der Ebene zu künstlichen Gebirgen auf, die durch harmonische Gliederung die Natur überbieten. Sonnendienst. Die blaue Metallkuppel des 22 Himmels schien so nah; sie ruhte auf den Gebirgen fest. So ist da auch das Bauen ein Sichhochstrecken der Materie himmelwärts. Dabei diente das Kreissymbol der Sonne als Tempelschmuck. Wie ungriechisch! Der Hellene hat die Gestirne als solche nie angebetet. Ihm war das Göttliche, ob licht, ob dunkel, nur Person und die große Mechanik der Gestirne nicht bedeutsamer als der Wechsel der Jahreszeiten und der Winde, die über das Land fegen.
Aber auch die Plastik leistete bei diesen stolzen Barbaren in raffiniertester Technik schon ihr Höchstes: minutiöseste Schildereien im Relief, die alle Pylonen, Säulenschäfte und Riesenwände streifenweise bedecken; die Säulen selbst in dichten Geschwadern geordnet, die das wuchtende Dach schwindelhoch heben: die Nachahmung des afrikanischen Waldes. Dazu die Götter- und Königsstatuen; auch sie kolossal und schwer, monolith, Mensch gewordene Felsen. So das Nilland. Nicht minder erstaunlich in Babel die Technik der buntfarbig strahlend glasierten Ziegel, die, zu Figuren großmächtig geordnet, den prunkvollsten Wandschmuck gaben, der im Auferstehen der Ruinen noch heute wirkt, als wäre er gestern entstanden. Soll ich noch vom Schreibwesen, Rechnungswesen, Geldwesen, von der Astrologie und Zeitmessung reden? Es sind allbekannte Dinge.
Jene Kunst war aber auch da nur Königskunst, das Schreibwesen und die Wissenschaft zumeist nur in Händen der Priesterkaste oder der höchsten Beamtenschaft.Vgl. »Die Buchrolle in der Kunst« S. 8. Die »Könige« der Griechen haben davon nur das wenigste übernommen. Es ist auffallend, da die Mächtigsten unter ihnen doch nach Asien übergriffen und in den Randgebieten Kleinasiens zeitweilig herrschten, daß sie von den Hethitern, mit denen sie sich dort berührten,Vgl. oben S. 9 Anm. "Einerlei, ob die Hethiter..." und »Von Homer bis Sokrates«³ S. 82. so wenig und nicht einmal das Schriftwesen übernommen haben. Die Felseninschriften dieser Hethiter sind historische Urkunden; sie geben uns Zeitgeschichte; es herrschte bei ihnen schon der Sinn für Geschichtsschreibung, und sie berichten, daß griechische 23 Könige (ob die Atriden, bleibt ungewiß) in dem weiten Umland von Troja längere Zeit ein Reich besessen haben. Die Griechen selbst schrieben nicht, weder auf Stein noch in Büchern,Das Gesagte aufs neue ausführlich zu begründen, erübrigt sich; ich verweise auf meine Besprechung des Buchwesens in der »Kritik und Hermeneutik« S. 247; dazu »Aus dem Leben der Antike« S. 99; »Von Homer bis Sokrates«³ S. 430. Für eine Zeit, die noch keine Inschriften kennt, Buchschrift anzusetzen, gehört zu den Abenteuerlichkeiten unserer Gelehrten, die nicht ausrottbar scheinen; dies gilt leider auch von Diels »Antike Technik«² S. 71 f. Eine minoische Schrift gab es freilich schon; aber das spätere griechische Alphabet ist nicht davon, sondern vom phönizischen Alphabet abgeleitet. Geschrieben wird bei Homer vom Volk nie, von den Vornehmen und Helden nur zweimal; erstlich schreibt, wo man losen soll, Jeder Beteiligte sein σῆμα auf das Los (Ilias VII 189). Das konnte auch jeder Analphabet. Interessanter die Tafel mit geheimer Schrift, die einen den Überbringer selbst betreffenden Mordbefehl enthält (Ilias VI 168 f.), die Tafel, die der König Proitos von Tiryns durch Bellerophon nach Kleinasien zum König von Lykien tragen läßt. Dies ist ein Unikum, das seine besondere Erklärung verlangt. Denn keine der Personen denkt sonst bei Homer an brieflichen Verkehr mit Hilfe der Schreibtafel, während er doch oft so zweckdienlich gewesen wäre. Agamemnon bleibt ohne Kunde über das Verhalten Klytemnestras in Mykene, Telemach muß persönlich zu Nestor und Menelaus fahren, um über seinen Vater Nachricht zu erhalten. Daß nur mündlich durch Boten Nachrichten überbracht werden können, zeigt auch Odyssee 14, 122. Man muß die Stelle Ilias VI 168 f. achtsamer lesen. Die Tafel, die Bellerophontes da nach Lykien trägt, ist zwar gefaltet (πτυκτόν), d. h. sie besteht zwar aus zwei zusammengelegten Tafeln, aber sie ist unversiegelt (Homer kennt ja überhaupt das Siegeln noch nicht); auch unverschnürt; von irgendwelchem Verschluß wird da nichts erwähnt, was doch in diesem Falle zum Verständnis so wichtig gewesen wäre. Trotzdem merkt nun aber der Überbringer nicht, daß der Inhalt ihm selbst den Tod bereitet. Also ist vorausgesetzt, daß dieser Bellerophontes nicht lesen kann, die angewandten Schriftzeichen nicht versteht. Es war eine Geheimschrift, in der Schwager und Schwager, Proitos und der lykische König, sich zu verständigen wußten; es waren σήματα λυγρὰ πολλά, ob minoische Schrift, steht dahin, eher hethitische, wenn L. Malten mit seiner Auslegung des Bellerophonmythos, Jahrb. d. arch. Instituts 1925, Bd. 40, recht behält, vielleicht aber auch nur symbolische Zeichen, die auf Ermordung wiesen. Das λυγρά »verderblich« steht hier so wie die ἀγγελίη λυγρή Ilias XVII 642. – Offensichtlich ist nun, daß die erwähnte Schreibtafel zur Ansetzung einer Buchschrift für Homer nicht entfernt berechtigt. Auch die Sänger, die bei ihm auftreten, kennen sie nicht. Sie rezitieren immer nur frei aus dem Gedächtnis. Vgl. noch B. Niese, »Die Entwicklung der homerischen Poesie« S. 8 f.; W. Otto, Kulturgeschichte des Altertums S. 65. wissen infolgedessen auch von jenen Dingen nichts Bestimmtes mehr, und in der Ilias ist davon nur ein völlig entstellendes, dichterisch umgewandeltes Bild erhalten.
Also wissen Homer und seine Helden nichts von Amenophis, Ramses und Sesostris, von den Pyramiden und Sonnentempeln, noch nichts von Hamurappi, Sergon und den sogenannten Gärten der Semiramis. Aber Kreta zum wenigsten lag nahe; bis dahin getraute sich ihre sonst noch so schüchterne Schiffahrt.Die Griechen bauen sich ihre Schiffe natürlich selber (vgl. Ilias XIII 391), ihnen fällt auf, daß die Zyklopen es nicht tun (Odyssee 9, 126). Daß die Arkader es nicht konnten (Ilias II 614), verstand sich von selbst. Wie unentwickelt und scheu jedoch die Schiffahrt noch war, wird durch vieles deutlich gemacht. Menelaus reist zu Schiff nur bis Kreta (Ilias III 233), nach Ägypten und Sidon wird er nur wider Willen verschlagen (Odyssee 4, 83 ff.). Nur die in Asien angesessenen Trojaner sind es, die mit Plan und Absicht nach Sidon fahren (Ilias VI 291). In Troja sind die Schiffsbauer darum angesehene Leute, und ein solcher kämpft mit in der Schlacht (Ilias V 62). Die Schiffe der Achäer sind gleichsam nur Fähren oder militärische Transportschiffe, noch nicht Handelsschiffe, jedes führt 120 Mann, nach Ilias II 510, sie haben 20 Ruderer (Odyssee 9, 322). Daher halten Agamemnon und die Seinen während der zehn Kriegsjahre keinen regelmäßigen Schiffsverkehr mit dem Heimatlande aufrecht; sie behalten ihre Schiffe für die Rückfahrt bei sich. Nur bis zum nahen Lemnos senden sie einmal Schiffe, um sich Wein zu beschaffen (Ilias VII 467 f.). Die Phönizier allein sind es, die Handel über See führen; sie bringen Waren aus der Ferne (vgl z. B. Ilias XXIII 745); daneben auch die Tafier (Odyssee 1, 183 f.). Wenn August Köster »Das antike Seewesen« S. 70 sagt, daß der griechische Schiffsbau, wie Homer ihn zeigt, damals höher entwickelt war als andere Zweige des Kulturlebens, so zeigt das Obige doch, wie weit er noch hinter dem der Phönizier zurückstand. – Diese Erwägungen hindern mich, den Ansichten über die geographischen Kenntnisse Homers beizupflichten, die u. a. von F. Cornelius im Rhein. Museum 74 S. 344 f. und R. Hennig ebenda 75 S. 280 f. vorgetragen worden sind, als ob die Griechen schon Fahrten bis England und in die Nordsee gemacht hätten. Homer schildert allerdings vielleicht schon Tartessos; den Namen nennt er nicht. Nur durch die Phönizier aber, die ja an allen Küsten Griechenlands und auch an Ithaka anliefen, brauchen die Griechen damals davon Kunde erhalten zu haben; dies anzusetzen genügt zum Verständnis durchaus. Der Dichter hat sich die dortigen Dinge dann hübsch ausgemalt, denn er schildert gern. Gewiß ist es höchst verfehlt, mit Dörpfeld u. a. jede Bucht, Felsklippe u. a., die in den Epen erwähnt sind, heute genau nachweisen zu wollen. Schildert Homer doch auch mit derselben Genauigkeit den Eingang zum Hades und die Mündungen der Unterweltsströme am fernsten Okeanos, wo das Ufer niedrig und Haine von Pappeln und Weiden sind usf. (Odyssee 10, 509 ff.). Soll auch dies der Dichter oder sein Zuträger damals selbst gesehen haben oder gar die wunderbar schwimmende Insel des Aeolus (10, 3)? So wenig dies möglich, so wenig beruht auch manches andere, wovon wir Schilderungen erhalten, auf Eigenschau. Betreffs Ithaka s. A. Trendelenburg in »Humanist. Gymnasium« 1928, S. 116, der sich gegen Dörpfeld überzeugend in dem Sinne äußert wie ich selbst in den »Griech. Erinnerungen« S. 231. Man vergesse nicht, der Phantasie ihr Recht zu lassen. So gut ein Dichter sich Menschentypen ausdichtet, so auch Landschaften. Oder soll er auch den Bart und die Locken des Zeus und die Körpergröße und das Kreisauge des Zyklopen gesehen haben? Das dreimalige Fluten der Charybdis ist übrigens nach den Wasserverhältnissen des euböischen Meeres erfunden, die als Naturrätsel Anthol. Pal. IX 115 geschildert sind. – Als Problem für sich steht die Frage nach der Gewinnung des Zinns für die Bronze des Altertums; hierüber H. Blümner, Technologie usf. IV S. 81 ff. Daß man es in jener Urzeit durch Weitergeben von Volk zu Volk schon aus England oder gar aus Indien oder Japan bezog, scheint wenig glaublich; wahrscheinlich kam es vom Paropamisus zu den Babyloniern, Ägyptern und so auch zu den Karern und Griechen. Jedenfalls ist κασσίτερος (»Zinn«) nicht griechisch (auch schwerlich indogermanisch), sondern barbarisches Lehnwort. Auf dieser halbwegs schon griechisch kolonisierten Insel war unter ägyptischen und asiatischen Einflüssen eine originell lokale Hochkultur entstanden, die sich uns freilich durch kein Literaturwerk, durch keine Königsinschrift, sondern lediglich durch die grandiosen Palastreste und ihren Wandschmuck offenbart hat, eine Kunst, die man minoisch nennt; das Berühmteste das sogenannte Labyrinth, das auch Homer erwähnt, der kompliziert großartige Renommierpalast des sagenhaften Königs Minos mit Sälen und Kammern und Bädern und Lichthöfen und der majestätisch breiten Treppe, Wasserleitung und Spüleinrichtungen für die Notdurft des Herrn. In den Vorratsräumen die riesigen Tonfässer, in die aus der Ölpresse das Öl unmittelbar ablief.
Was haben die griechischen Fürsten von dort gelernt oder lernen können? Sicher nicht das Schreiben.Vgl. oben S. 23, Anm. "Das Gesagte aufs neue ausführlich zu begründen...". Auch ihre Paläste, die wie unsere Burgen die Bergeshöhe suchten, mußten die Atriden, der Raumenge entsprechend, in kleinem Ausmaß, also im Grundriß ganz anders gestalten. Aber auch die erstaunlich entwickelte kretische Wandmalerei hat ihnen wenig geboten. Die Kunst sehnt sich sonst nach der Darstellung des Menschen, der Persönlichkeit, nach dem Porträt, und die Ägypter leisteten das damals wundervoll. Der Kreter dagegen triumphiert, wenn er Pflanzen, Fische, Quallen und 24 andere Wasserwesen malt; auch Stiere und Löwen gelingen ihm, während seine Menschen noch ganz unpersönlich und nichts als drollige Kostümbilder, Trachtenbilder sind; man wird dabei an unsre Modejournale erinnert: die Männer wahnschaffen dünn geschnürt und wie verwachsen, die Frauenwesen weit dekolletiert, mit Puffen und Falten am Kleide, wobei das Kleid wie ein breiter Kegel nach unten sich weitet. Waren es wirklich Griechen, die so einhergingen, und wirklich Griechen, die das malten?Vgl. »Von Homer bis Sokrates« S. 13. Was hätte Homer gesagt, wenn er Helena oder Nausikaa in dieser Toilette, wenn er sogar den kretischen Helden Idomeneus, den er feiert, in dieser Karikatur gesehen hätte?
Suchen wir die Fürsten etwas näher kennenzulernen, die Homer uns vorführt. Mit den Pharaonen, den Sultanen Babylons lassen sie sich nicht entfernt vergleichen. Sie sind nicht Despoten im Stil Nebukadnezars oder des jüdischen Königs David, vor denen das Volk auf die Kniee fiel. Die deutsche Bezeichnung »König« selbst ist hier ganz irreführend. Das betreffende griechische Wort basileus heißt auf deutsch nur der Sprecher oder Wortführer, der Mann, dessen Wort gilt.Über die Wortbedeutung von βασιλεύς und dictator s. Rhein. Mus. 76 S. 198 ff. und Philol. Wochenschr. 1928 S. 185 f.; wie dictator zu dicere gehört, so βασιλεύς zu βάζειν, »sprechen«. Bei Hesiod ist βασιλεύς nur noch »Richter«. Diese Männer waren zumeist nur kleine Landjunker oder Barone, deren Herrschaft zumeist nicht so groß wie unsre Duodezstaaten im Stil des Fürstentums Reuß oder Waldeck. Die beste Analogie sind die sogenannten »Sprecherhäuptlinge« auf der Insel Samoa im fernen Polynesien. Alle über 50 Freier Penelopes, die im Haus des Odysseus zusammenlaufen, heißen ja auch Könige (um die falsche Übersetzung beizubehalten), die sämtlich auf der kleinen Insel Ithaka und in ihrer nächsten Umgegend ihren Landbesitz hatten. Solcher junger Herr versteht sich aufs Seilflechten und tischlerte sich selbst sein Hochzeitsbett, wenn er heiratete; eine Andromache füttert selbst die Pferde.Vgl. Odyssee 10, 166. Ilias VIII 188. So trieb auch noch Pittakus in Mitylene selbst die Handmühle, wie es im Volkslied hieß: καὶ γὰρ Πιττακὸς ἄλει μεγάλας Μυτιλάνας βασιλέυων. Das ist bezeichnend.
Daher heißen diese Herren auch ständig, man möchte sagen amtlich, »die Hirten« der Bevölkerung. Der Hirte zählt seine 25 Tiere, er kennt sie alle. So kennt auch solcher Baron ungefähr jeden Mann auf seinem Terrain. Bei der Ernte steht er höchstselbst auf dem Acker und beaufsichtigt die Feldarbeiter. Es war in Friedenszeiten ein enges Zusammenleben, gut landesväterlich. Er ist erblicher Herr seines Gebiets, ihm gehört das Vieh, gehört die Ernte, und er ist als solcher vorn Respekt getragen.Zwischen Volk und König bestehen ὅρκια, die Verfassung wird also, gewiß beim Zeus, beschworen: Odyssee 24, 546. Daher heißt es, daß Zeus dem König seine Stellung schenkt, Ilias II 206, und dieser wird wie ein Gott verehrt (Ilias XIII 218), ganz so wie später in Athen die guten Strategen; s. Eupolis frg. 117, 6. So kann denn Priamus scheltend mit dem Stab die Trojaner aus seiner Vorhalle fortjagen: Ilias XXIV 247; an Auflehnung wird nicht gedacht. Denn das Volk braucht eben einen Sprecher, auf den es hört. Eine feste, durch Schwurleistung gesicherte Staatsverfassung in kleinem Stil ist schon da. Machthaber, beratende Volksversammlung, auch richterliche Beamte; in der Verwaltung aber ist Sprechen und Hören alles, und Hören ist zugleich Gehorchen (ἀκούειν). Denn es fehlte noch, wie wir schon sahen, die Schrift, jede schriftliche Verordnung, also auch ein geschriebenes Recht. Für das mündliche Verfahren war ein Mund nötig, auf dessen Wort alles hörte; demselben gehörte auch das Kommando in der Schlacht. Unentbehrlich sind dem Herrn darum auch seine »Herolde« oder Ausrufer; es sind seine Fernsprecher, durch die er seine Entscheidungen weitergibt. Wie vormals die Grafen, die Freigrafen, bei uns in Deutschland, spricht er auf seinem Dominium Recht und läßt sich dafür von der Gemeinde sogar remunerieren; in der Volksversammlung erstattet er Bericht und holt Rat ein. Ist er persönlich Recht zu sprechen verhindert, vertreten ihn die Stadtältesten. Keine Palastwache aber schützt ihn, keine Pagen umstehen ihn. Als Abzeichen hält er, wenn er reden will, den Stab in Händen, der ihm hoch bis zur Schulter reicht, der »Zepter« hieß und gelegentlich mit dem Adler aus Elfenbein geschmückt war;Vgl. Ilias II 101 ff. über das ererbte Zepter Agamemnons, das Hephäst verfertigte. Ein Adler wird als Schmuck am Zepter des Zeus erwähnt. gewiß eine Nachahmung des Hirtenstabs. Von daher stammt das Zepter aller späteren Potentaten Europas, an dem bis ins Rokoko hinein die prahlende Kunst der Goldschmiede sich geübt hat.
Ob nun die Hirten immer ihre Pflicht taten? Liederliche Leute gab es wohl auch unter ihnen genug. Mit Ungewitter straft Gott ihre UngerechtigkeitenIlias XVI 387 f. Wenn sie schwelgen, 26 heißt es, berauben sie das Volk.Ilias XXIV 262, daher wird Agamemnon auch als δημοβόρος beschimpft. Ja, steinigen soll das Volk den Königssohn, den schönen Paris, der sich schlecht bewährt; aber das Volk ist zu feige dazu.Ilias III 57.
Nur wenigen dieser Herren gelang es, ihren Landbereich erheblich zu vergrößern, Schätze, die Krieg und Sieg ermöglichten, anzuhäufen und als politische Größe dazustehen. Dies waren die Atriden in Mykene und Sparta sowie des Priamus Haus in Troja (denn auch die Trojaner waren Griechen);Vgl. oben S. 9 Anm. "Einerlei, ob die Hethiter...". Weil es so reich, kann sich Troja die Bundesgenossen gewinnen: Ilias XVIII 289 f. vor ihnen war es auf Kreta schon König Minos gewesen. Hingegen Leute wie Odysseus gehörten nicht dazu, auch nicht der Vater des Ajax oder des Diomedes.
Aber wozu Krieg, den man den »Tanz des Ares« nannte?Ilias VII 240, daher der Ares ὀρχηστής bei Lucian de salt. 21. Aber Ares tanzt nicht selber; Hektor gibt einen Kriegstanz ihm zu Ehren; vgl. dazu Rhein. Mus. 75 S. 117 Anm. Glücklich preist Homer vielmehr den Herrscher, dem es beschieden ist, friedlich im Alter zu sterben, indes sein Volk ringsum blüht und gedeiht.Ilias II 136 f. Gleichwohl ist der Friede immer nur ein Interim. Also doch Krieg; aber der Krieg war stets nur Fehde der Edelherrn. Volkskriege der Art, wie wenn später Athen und Sparta sich messen, gab es noch nicht. Die Herren Barone sind's, die bald Freundschaft halten und gutnachbarlich sich besuchen,Odyssee 4, 188. bald sich verzanken, beleidigen und Rache nehmen.
Sie heben dazu ihre Mannschaften aus, die aber unzureichend bewaffnet werden.Den Mannschaften fehlte der Schild; sie waren χαλκοχίτωνες, d. h. ihr leinener Kriegsrock war bis zu einem gewissen Grad mit Metallplatten geschützt; einem Harnisch kam er sicher nicht gleich. Ob der λινοϑώρηξ (Ilias II 529 u. 830) dasselbe ist, steht dahin. Eine Taktik besteht schon; die Mannschaften werden zum Gefecht in Reihen geordnet, rücken vor und zurück, haben eventuell schwere Verluste, aber die Entscheidung bringen sie nie.Eine Schlachtordnung wird gegeben Ilias IV 297 ff. Die Aufstellung geschieht in στίχες (XVII 84). Daß die Mannschaften stark leiden und täglich in großer Anzahl Achäer fallen, liest man XIX 226. Die Entscheidung aber bringen die ἀγχιμαχηταί; der Einzelkämpfer tritt aus der Menge hervor: XX 178 und 197; Odyssee 11, 514. Dabei wird vorzugsweise mit der Lanze gefochten; vgl. Ilias II 382: Schwertkampf gibt es im Gedränge: XV 711 f., XVI 116; doch vereinzelt auch sonst, z. B. III 18 und 361, XI 146. Poseidon selbst schreitet in dem ἄορ voran: XIV 385. Die Entscheidung bringt allemal die Bravour der Fürsten selbst oder ihrer Söhne. Es herrscht das Rittertum. Von Jugend an wird der Junker auf Speerwurf und Schwerthieb geschult: ein rasender Ehrgeiz. Kraft und Gewandtheit ist alles. So geschieht es vor Troja, so auch in den Kämpfen um Theben, die Festung, die sieben Tore hat; mit sieben Zweikämpfen ist da der Krieg entschieden. Das war übrigens auch echt orientalisch; in den Ländern Asiens herrschte der Vorkampf der Könige, das eigentliche »Duellum«, noch lange. Man denke nur an Goliath und 27 David oder wie noch Alexander der Große im Gefecht de Darius sucht. Die Beispiele ließen sich leicht vermehren.Vgl. »Alexander der Große« S. 102. Dazu Br. Meißner, »Könige Babyloniens und Assyriens« S. 109: um das Jahr 1200 v. Chr. zieht der König Assyriens gegen Babylonien; in der Entscheidungsschlacht fallen beide Könige.
Diese Zweikämpfe hat das Epos darum nicht aufgehört zu verherrlichen. Nur die wenigen Helden, die im hölzernen Pferd sich verbergen, sind es schließlich, die Troja wirklich erobern. Auf den Sieg aber folgt Besitzergreifung oder Zerstörung. Auf alle Fälle wird Beute gemacht. Durch Requisitionen im Feindesland ernährt sich der Krieg; die Beute vertritt die Kriegsentschädigung, und auch die Masse hat an der Beute teil.Das Volk, d. h. die Mannschaften sind an der Beute mitbeteiligt, Ilias XI 704. Sie selbst aber ist Zweck des Kriegs. »Möge mein Sohn einst siegreich sein und Beute machen«, sagt Hektor VI 480.
Herrlich ist es, wenn solch ein Held wie Diomedes auf dem zweirädrigen Schlachtwagen daherfährt, mit wehendem Helmbusch, in blank funkelnder Rüstung, zwei Lanzen in der Rechten, das Schwert zur Seite. Solch schwere Schutzwaffen, Riesenschild, Helm und Panzer trugen die Ägypter nicht. Auch nicht die Völker Mesopotamiens. Speziell homerisch ist diese Sicherung und steht in jenen Zeiten wohl einzig da. Der Schild kein Rundschild, sondern gestreckt wie eine Wanne, und so groß, daß er fast den ganzen Mann zudeckte: man konnte unter ihm schlafen. Unter solcher Riesenlast ließ sich zu Fuß gar nicht marschieren; wollte man an den Feind, so brauchte man den Wagen, zwei Rosse davor.Sogar auch im Lokalkrieg Nestors gegen die Eleer wird mit dem Rossegespann gekämpft: Ilias XI 718 und 748. Der Zügelführer ist nicht Knecht, sondern ein ebenbürtiger Genosse. Der Panzer wurde übrigens unmittelbar auf der Haut getragen.S. Ilias VIII 385 f. Daher auch die χαλκοχίτωνες. So wie man in Friedenszeiten im Chiton ging (XXIII 739), so wurde auch dieser Kriegschiton unmittelbar auf der Haut getragen. Dasselbe bestätigen die Bilder der mykenischen Kleinkunst. Zum Ganzen aber vgl. meine »Griechischen Erinnerungen« S. 178 f. (nach Reichel).
Nun denke man sich den Zweikampf. Beide Gegner sind klirrend vom Wagen gesprungen, schreiten unter der Last voll Leidenschaft, aber mit Anstrengung aufeinander zu und verschnaufen sich erst in Reden. Wie zweibeinige Festungen stehen sie da und können dem Gegner nicht wehren, den Speer bedachtsam wieder aus dem Schild zu ziehen. Während aber die feindliche Waffe heranfliegt, steckt jeder nach Art der Schildkröte den Kopf hinter den Riesenschild; sonst wird er unrettbar am Hals verwundet. Sind beide Speere verschossen, 28 läßt man den Schild fallen und wird endlich handgemein mit dem Schwert.
In der Not greift solch ein Held wie Ajax auch zum Feldstein, der wiederum so schwer, daß sonst nur ein Cyklop ihn heben könnte. Dank seiner Schwere müßte der erwähnte Stein eigentlich noch jetzt dort vor Troja liegengeblieben sein. Schliemann berichtet meines Wissens nichts darüber. Um 600 n. Chr. zeigte man ihn noch, und da sagt ein Betrachter: »Er, der Stein, möchte vor Schmach unter die Erde sinken, vor Schmach, daß kein Nachgeborener ihn mehr heben kann.«S. Anthol. Palat. IX 204. Vielleicht sank er also dann wirklich in die Erde, und unsre Trojaforscher können ihn noch heben.
Jene Waffen aber waren kostbar und bei Verlust schwer zu ersetzen,Daher trägt der minder Bemittelte nur den λινοϑώρηξ: s. S. 26 Anm. "Den Mannschaften fehlte der Schild..." und S. 27 Anm. "S. Ilias VIII 385 f. Daher auch...". kostbar auch die Pferde. Man suchte daher, die Pferde des Gegners zu erbeuten. Die Sorge um sie ging so weit, daß man sie sogar planvoll zu verwunden vermied. Es hätte sonst so nahegelegen, den Gegner durch Tötung der Tiere bewegungsunfähig zu machen. Keiner der Kämpfer denkt daran.Nur ausnahmsweise und mehr durch Zufall wird ein Pferd verwundet: Ilias VIII 81; XVI 468.
Noch bemerkenswerter die Gier, mit der der Sieger allemal die Rüstung des Besiegten zu rauben sucht; oft wird er dadurch in weitere Kämpfe verwickelt; aber er läßt nicht ab. Tatsache ist, daß die Herren durchweg nur eine einzige Rüstung besaßen. Als Achill die seine an Patroklus abgibt, ist er völlig wehrlos, und nur ein Gott, d. h. nur ein Wunder, kann ihm Ersatz schaffen. Nur von Lanzen besitzen die Kämpfer einen Vorrat. Dadurch wird bewiesen, was sich auch sonst bestätigt, daß Griechenland selbst damals noch keine ausreichenden Waffenfabriken besaß. Die Rüstungen wurden aus Karien, einem südlichen Distrikt Kleinasiens, bezogen.Dies ist von Reichel nach Herodot I 171 dargelegt. Auch Homer selbst aber wußte wohl davon, zum wenigsten berichtet er vom Pferdeschmuck seiner Helden, daß karische Frauen ihn verfertigten (Ilias IV 141 f.). Wenn Herodot indes von den karischen Schilden meldet, daß sie mit σημήια geschmückt waren, so trifft das bei Homer nur für Achill und Agamemnon zu. Daß übrigens den Ägyptern die χαλκῷ ὁπλισϑέντες fremd waren, betont Herodot II 152, wo Karer und Ionier nach Ägypten kommen. Die Karer sprachen nicht griechisch (Herodot VIII 135). Auch Reparaturen an Schild und Rüstung werden im Feldlager nie ausgeführt.
Kriegsgefangene werden nicht eingebracht,Nur selten werden Gefangene erwähnt: Ilias XXI 78. Weiber erbeutete man, weil sie nützlich als Dienerinnen im Haus, nur die verlockendsten wurden gel. zu Kebsen; für solche hatte z. B. der alte Nestor, der Weiber erbeutet (XI 624 f.), doch keine Verwendung. Weibliche Sklavinnen werden von ihrer Herrin gel. wie ebenbürtig behandelt: Odyssee 18, 321. aus denen im späteren Altertum der Sklavenstand sich rekrutierte. Einen eigentlichen Sklavenstand gab es noch nicht. Nur jugendliche 29 Weiber vornehmen Geblüts erbeutete man gern, die man als Mägde oder auch als Kebsen verbrauchte. Der Gegner im Kampf wird getötet, oder er entkommt.
Die Kriegszelte der Fürsten waren geräumige Blockhäuser, aus Tannenholz gezimmert, das flache Dach mit Schilf gedeckt,Vgl. Ilias XXIV 449. mit Speiseraum, Schlafraum, Vorhof, Vorratskammer und Bad.Ein Wannenbad im Feldlager erwähnt: Ilias X 572 f. Achill springt aufs Dach, um drohend ins Feld zu schauen. Das Feldlager selbst wird nur bei höchster Gefahr mit Wall und Graben befestigt; tausend Hände greifen zu, und es ist rasch getan. Aber der Wall wird vom Feind doch leicht überrannt. Uneinnehmbar waren dagegen die Städte, die in Mauern stecken. Die Mauern sind so breit, daß Frauen und Greise darauf stehen und kauern, um angstvoll nach dem Feind zu spähen. Es sind jene massiven Burgmauern mit den cyklopisch aufeinander geschichteten Riesenblöcken, die der Reisende in Tiryns und Mykene noch heute bestaunt. So sicherte man sich dort auch gegen jeden Überfall von Piraten. Solche Steinpanzer ließen sich nicht brechen; alle Rammwerkzeuge wären gescheitert. Achill rennt umsonst um die feindliche Stadt. An Aushungern wird anscheinend nie gedacht.An Zufuhr in Troja fehlt es anscheinend nie; trotzdem muß gel. Waffenstillstand sein, damit Holz aus dem Wald geholt werden kann: Ilias XXIV 661. Troja aber wird deshalb nicht ausgehungert, weil man dem Rat des Polydamas nicht folgte: XVIII 274. Der Angriff richtet sich nur gegen die Tore.
Jeder Fürst hat seine Mannschaften fest in der Hand, wie Achill seine Myrmidonen. Wird aber die Lage kritisch, so kommt die Autorität des Herrschers doch ins Wanken, und eine Militärrevolte entsteht. Solch ein Volksmann und Krakehler wie Thersites, der garstige, wagt es alsdann gar, in der Kriegerversammlung pazifistisch zu reden, die Fürsten zu beschimpfen. Es geht ihm dabei übel; aber er wird nicht etwa massakriert, wie es wohl heute geschähe, sondern es genügt, daß der muntere Odysseus ihn verprügelt, und die blöde Masse ist rasch gewonnen. Alles lacht voll Vergnügen. Die Autorität ist gerettet.
Um die Helden aus Fürstenstamm, die in der Schlacht fallen, geht die laute Wehklage ihrer Angehörigen; wir hören die beredten Ergüsse ihres bekümmerten Herzens; aber es 30 sind nicht etwa Trauergesänge.S. oben S. 20 Anm. "Die Wehklagen um Hektors Leiche...". Der Sieger aber kehrt mit reicher Beute heim, schatzbeladen, und genießt nun in der Heimat ausruhend die Wonne des Friedens. Er ist reich und hat jetzt Zeit und Mittel für die Schönheit des Lebens. Er will sie mehren. Die Genußsucht wächst, die nicht nur am Trivialen haftet, es wächst das Spielen mit Werten, die nicht alltäglich sind und das Leben vergolden, die strahlende Freude am Idealen, am veredelnden Schmuck des Daseins. So thront in Sparta Menelaus in seinem Palast mit seiner Helena, der göttlich schönen, die er aus Troja zurückgewonnen, und der bescheidene Gast, der da einkehrt, sieht mit Staunen die ungewohnte Pracht, die ihn umgibt.
Denn solche Pracht war sonst doch nur bei wenigen dieser Kleinfürsten zu finden, vornehmlich bei den Herren in Mykene, Argos und Sparta. Im übrigen herrscht bei ihnen die größte Einfachheit. Wir sehen das im Herrenhaus des Odysseus, das jedes künstlerischen Bauschmucks entbehrt, auch nur notdürftig befestigt war.Odyssee 17, 267 f.