Theodor Birt
Das Kulturleben der Griechen und Römer in seiner Entwicklung
Theodor Birt

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4. Fortschreiten der äußeren Kultur

Die Lebensverhältnisse, wie wir sie bisher kennengelernt, scheinen uns mehr als bescheiden. Das Ergebnis des großen Perserkrieges aber hat sogleich eine erhebliche Steigerung mit sich gebracht. Das riesige Feldlager des Mardonius wurde nach dem Sieg bei Platää ausgeplündert, und man fand schon da gleich Luxusdinge in Fülle an Gold- und Silbersachen, wie man sie bisher nie geschaut, Purpurgewänder, Weiberschmuck der Odalisken in Massen und die Odalisken selbst dazu. Man riß sich um die Schätze; in alle Häuser kamen die Beutestücke, und ein Luxustrieb wurde nun allerorts in den Griechen wach, der diesem Volk der Arbeit bisher völlig fremd war. Er hatte nur in ihnen geschlafen. Ein Volk der Arbeit; denn nicht so sehr seine Tapferkeit als seine Technik, seine Schmiedekunst hatte Xerxes, den Großsultan des Ostens, besiegt, die Waffenfabriken, die jeden freien Bürger in Eisen kleideten. Auch von der persischen Küche erhielt man köstliche Proben; ihre Reize ergriffen selbst Sparta.

Vor allem wuchs jetzt Athen rasch an Reichtum und Macht durch seine Siege. Auch die Bevölkerung Athens steigerte sich durch Zuwanderung Unternehmungslustiger erstaunlich. Der rege Handel bringt allerlei neue Waren, und der Tafelgenuß wird leckerer; man ißt jetzt Krammetsvögel und Hasenbraten und seltene Fischsorten aus dem Schwarzen Meer und verschafft sich Köche von auswärts. Auch exotische Tiere hält man sich, Affen, Fasanen. Sogar der Pfau Persiens taucht auf; das erste Exemplar wird andächtig angestaunt; er wird sogleich der Himmelskönigin, der Göttin Hera heiliger Vogel. Auch die Frauentoilette wird bunter, reich und wertvoll an Ketten und Ringen und persischen Schuhen; die Schminke unentbehrlich. Der metallene Handspiegel bekam jetzt viel mehr zu tun.

Schon die Frauen sind Künstlerinnen, wenn sie sich festlich schmücken und das Auge locken. Aber auch die Stadt 81 selbst schmückt sich jetzt. Eine der offenen Hallen am Markt wird durch Gemälde verschönt; Polygnot ist der Maler, der Epoche machte. Die Geschichte der Wandmalerei beginnt.

Auf dem Pentelikon aber bricht man den weißgoldigen Marmor in Blöcken, und Athens marmorne Göttertempel entstehen langsam, in den Zeiten des Glanzes begonnen, erst in den schweren Kriegszeiten vollendet. Die Aufgabestellung des monumentalen Prunkbaus im Dienste der Gottheit war freilich nicht neu; denn berühmte Säulentempel dorischen Stils gab es schon vorher in Samos, Ephesus, Pästum und sonst.Die Tempel in Ephesus und Samos als die ersten berühmten erwähnt Herodot II 148, die er mit den ägyptischen doch nicht zu vergleichen wagt.

Ägyptens Götterkulte hatten dazu die Anregung gegeben, und die Einflüsse des Auslands sind also auch in diesem Falle unverkennbar. Die weitere Folge aber war, daß man nach demselben ägyptischen Vorbild auch den Gott selbst verkörperte und als Statue überlebensgroß in die bisher leere Tempelstube stellte. Die Priester in Delphi, die das Gewissen des Landes vertraten, billigten diese große und folgenreiche Neuerung ausdrücklich.S. Herodot V 82. In der Lösung der Aufgabe wahrte der geniale Grieche jedoch seine Originalität in beglückender Weise, und er gab völlig anderes. Dabei waren nicht nur Holzschnitzer und Steinmetzen plastisch tätig; seitdem man Geld in Bronze und Silber prägte, erfand man auf Samos auch den Bronzeguß im Dienste der Großplastik. Für das Allerheiligste aber schien auch das noch nicht kostbar genug, und im Parthenon stand Athene als Holzbild, ganz überzogen mit Elfenbeinplatten, die Afrika lieferte, Schild und Helm vergoldet, der schwere Mantel aber massiv aus Gold gegossen. Im Geldverkehr gab es außer dem persischen Geld noch keine Goldmünze; in dieser Form war der Mantel der Göttin die Goldreserve, die die Finanzen des Staates sicherte. So wollte es Perikles. Phidias war der Meister.

Wohlgemerkt war für den Griechen solch Tempelbild nicht der Gott selbst, der überall ist, wo man ihn ruft; es war lediglich Symbol für die erflehte dauernde Gegenwart des Gottes. 82 Nicht für den Gebildeten (das zeigt uns die Tragödie), sondern nur für die blöde Masse ist dann allerdings solch Bildwerk, wie man es auch in Miniatur im Busen mit sich herumtrug, zum gemeinen Fetisch geworden wie zuvor ein Stück Schlangenhaut oder ein Eberzahn.

Ägypten hatte sich erst spät und widerwillig dem expansiven griechischen Verkehr erschlossen. Es geschah, seitdem es griechische Soldtruppen anwarb, um sich vor der persischen Eroberung zu retten. So aber gewann der Grieche von dort noch eins; es war das Unscheinbarste und doch für die griechische Kultur Unentbehrlichste, das Papier, und damit das Buch.

Das Buch, die Biblos, ist seitdem für alle Erinnerungen und alle Weisheit der Träger geworden. Damals war es noch Rolle. Erst nach tausend Jahren sollten die Rollen durch das geheftete Buch abgelöst werden.S. Kritik u. Hermeneutik S. 220 f., 258 und 277. Aus dem Papyrusschilf im Nildelta wurde das »Papier«, damals Charta genannt, in verschiedenen Qualitäten fabrikmäßig hergestellt. Es war leicht in der Hand, von musterhafter Glätte, nahm aus fließender Feder farbige Schrift leicht an und bot unbegrenzte Schreibflächen dar, die sich zusammenrollen, sich beliebig verkleinern ließen; so war es in Säcken oder Kästen leicht aufzubewahren. Bald nach Hesiods Zeiten wurde es eingeführt; ob noch so kostspielig, es schien sofort unentbehrlich, und erst jetzt entstand mit seiner Hilfe die eigentliche »Literatur« des Altertums.

Den Gewinn, den das brachte, kann nur ermessen, wer heute durch unsre Bibliotheken geht. Der Homertext war bisher lediglich mündlich, also unzuverlässig tradiert durch Rezitatoren, die man Rhapsoden nannte. Hesiod schrieb schon, mußte sich aber noch mit der unpraktischen Bleirolle behelfen. Erst jetzt wurde ein neues, kühneres Dichten möglich, der altmodische Hexameter entthront, kompliziertere Versgebilde von den Musikern und Dichtern ersonnen und aufs Papier geworfen, die Sprache in tausend neue Formen 83 umgegossen. Vor allem aber war es jetzt möglich, auch in Prosa zu schreiben, umfangreiche Prosawerke zusammenhängend der Nachwelt zu überliefern. Ein Thukydides, ein Plato wurde möglich. Und zugleich trat auch der Kleister in den Dienst des Geisteslebens; denn eine Papierrolle, wie Plato sie brauchte, entstand erst, wenn man für sie etliche oder gar viele Blattfahnen zusammenklebte, und sie wuchs und schwoll so lange an wie die Gedankenwelt des Autors.

Im Dienst der Vervielfältigung (denn das Buch suchte Leser) besorgten Schreibbüros Kopien in beliebiger Zahl. Man kaufte sie; ein Buchhandel organisierte sich; der Buchversand ist da, der einem weit verstreuten Lesepublikum dient. Man debattiert schon schriftlich, man fixiert schon die Weltgeschichte; vor allem die Theaterliteratur schwillt geradezu ins Ungeheure an. Oft sind die Theaterdichter zugleich Musiker; sie setzten über jede Silbe oder auch Silbengruppe des Textbuches zwischen den Zeilen das Musikzeichen, das für den Sänger die Tonhöhe angab. Es war keine Notenschrift wie heute, sondern ein Buchstabe wie Alpha bedeutete den betreffenden Ton, etwa den Grundton der Skala. Man konnte mit solchen Buchstaben mehr als 20 Töne unterscheiden.

Diese Darlegung hat gezeigt, wieviel Hilfen und Anregungen tatsächlich aus dem Ausland kamen; und der Lerneifer hörte nicht auf. Bald wurden in Athen auch die ersten Sonnenuhren hergestellt; der Schatten ihres Zeigers wandert, und man konnte endlich die Stunden zählen. Oder man maß auch sonst die Länge des Schattens bestimmter Körper und berechnete aus dem Wechsel seiner Länge die Tageszeit. Dagegen blieb die Nacht gleichsam zeitlos, und wenn zu Kriegszeiten im Heerlager die Nachtwachen sich ablösten, konnte das nur mit Hilfe der Wasseruhr rechtzeitig geschehen. Zur Minutenzählung kam es nie. Schwierig war aber überdies auch die Zählung der abgelaufenen Tage; man half sich gelegentlich, indem man im Strick oder Riemen sich Knoten in 84 beliebiger Anzahl machte und jeden Tag einen Knoten auflöste.Vgl. Herodot IV 98, wo die griechischen Strategen dies auf des Darius Angabe ausführen; sie selbst wußten also keinen besseren Rat.

Dann verbesserte sich auch das Kalenderwesen. Der alte Bauernkalender, der nur nach dem Mondwechsel die Monate fixierte, genügte nicht; die Astronomie des Orients half; das Mondjahr wurde mit dem Sonnenjahr ausgeglichen durch Schaltung. Solches geschah zu Athen schon im 5. Jahrhundert v. Chr. Und nur zu einem kam es nicht, was uns ganz unentbehrlich scheint, zur Jahreszählung. Denn es gab in der Vergangenheit kein Anno Eins, von dem an man hätte zählen können; man konnte sich darüber nicht einigen.Über die verschiedenen nur lokal gültigen Ären, die im Laufe der Zeit aufkamen, kann hier nicht berichtet werden. Ganz anders die Römer, die späterhin mit der Gründung Roms die Zählung begannen; ebenso setzte in der römischen Kaiserzeit die christliche Chronik das Jahr 1 getrost in die Zeit des Erzvaters Abraham, und Jesus war also im Jahr 2016 nach Abraham geboren. Die Griechen haben erst vom Jahre 776 v. Chr. an die vierjährigen Abstände der Festspiele in Olympia gezählt; es ist die Olympiadenzählung, die jedoch für die Geschichtsschreibung erst spät in Aufnahme gekommen ist. Vielleicht hätte man von Homer an zählen sollen; aber man stritt sich nicht nur darum, in welcher Stadt, sondern auch, in welchem Jahrhundert Homer geboren sei.

Der Mensch steht im Strom der Zeit, die lautlos und rastlos an uns vorüberrinnt und nicht enden will. Ein Tor, wer nach ihrem Ursprung fragt; denn sie entspringt in der Ewigkeit, um in die Ewigkeit zu zerfließen, und keiner hat ihre Quelle gesehen.So denkt auch Plato, Phädr. p. 245: der Anfang ist unentstanden; also ist er auch unvergänglich.

 


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