Theodor Birt
Das Kulturleben der Griechen und Römer in seiner Entwicklung
Theodor Birt

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5. Die Frau und der Knecht

Sehen wir nun endlich genauer zu, wie man in Athen lebte zur Zeit des Perikles oder auch noch zu Xenophons Zeiten. Im Hause ist die Frau das Wichtigste, und sie herrscht; 85 denn sie ist die Haushüterin. Daher das ständige Ächzen der Männer, wenn sie unter sich sind: »die Frau ist das notwendige Übel«.κακὸν γυναῖκες lautet z. B. das einzige Fragment aus den Komödien des Susarion. In Gegenwart der Frau ist man vorsichtiger im Ausdruck, und daß die Männer etwa ungalanter als wir gegen das sogenannte schwächere Geschlecht waren, läßt sich durchaus nicht beweisen. Vielmehr sind dem Euripides seine hämischen Äußerungen allgemein auf das ärgste verübelt worden; sogar Aristophanes vermeidet es, in seinen Lustspielen Frauen seiner Zeit mit Namennennung zu verlästern.Von Aspasia ist abzusehen, sonst wäre vielleicht nur die Rhodia zu nennen (Aristoph. Lysistr. 270, dazu das Scholion); vgl. auch noch Eupolis frg. 215. Dagegen wird uns von ihm die Verliebtheit eines jungen Ehemanns in sein süßes Weibchen, die ja nur zu begreiflich ist, gelegentlich prickelnd ausgemalt; und der Bürger, der im Sommer als Soldat in den Krieg muß, sehnt sich ehrlich nach seiner Hausfrau zurück. Nicht nur den bezaubernden Blick, man rühmt auch die Schönheit der Frauenhände.Aristoph. Plut. 1018 und 1022. Die Laternen bestanden aus durchsichtigen Hornplatten, und da heißt es: »Wie das Licht durch die Laterne, so schimmert durchs Gewand die Schönheit unsrer Weiber«.Aristoph. frg. 8.

Nur die Stiefmütter sind verrufen;Vgl. z. B. Herodot IV 154. das galt damals so wie im deutschen Volksmund und sonst, und wird wohl so bleiben, wennschon wir zu wissen glauben: sie sind zumeist besser als ihr Ruf.

Der Mann geht in der Regel schon am frühen Morgen seinem Geschäft und Gewerbe nach, um erst spät wieder nach Haus zu kommen. Indes waltet die Frau energisch allein im Haus. Alle Pflichten lasten auf ihr, und sie weiß sie zu bemeistern. Sie weckt die Knechte, bedient den Mann, erzieht die Kinder, säubert das Haus,Aristoph. Lysistr. 16 f. sorgt für die Küche, das Bad, für reine Wäsche, endlich auch für ständige Erneuerung der Kleidung; denn das Spinnen und auch das Weben der Stoffe ist durchaus Hausindustrie; dies der Grund, weshalb es ein Schneidergewerbe kaum gab. Dazu braucht die Fleißige Geld. Nicht der Mann, sondern die Frau kassiert ein; der Mann muß an sie abliefern, was er am Tag verdient hat. Daher das Benehmen der Melissa, von dem ich erzählte. Man trug das 86 Kleingeld im Munde (so sah ich es im Griechenland auch noch heute), und das Töchterchen wird vorgeschickt und nimmt dem Papa die Münze mit einem Kuß aus dem Munde.1½ Obolen im Munde auch Aristoph. frg. 48. Daher wurde es Sitte, auch dem Toten den Obolus in den Mund zu schieben, den er dem Fährmann der Unterwelt zahlen mußte.

Auf dem Markt Einkäufe zu machen, steht der Frau nicht zu; sie schickt die Magd oder den Hausknecht, oder der Ehemann muß höchstselbst das Gemüse holen.

Die griechische Frau bewegte sich nicht so königlich frei wie die Römerin, aber doch viel freier als die Orientalinnen, die ihr Gesicht auf der Gasse verhüllen mußten und nahezu eingesperrt lebten. Es ist falsch, nach gewissen Schilderungen oder Vorschriften von Moralpredigern des Altertums sich die griechische Hausfrau als hausbacken, stumpf und geistig minderwertig zu denken. Der Psychologe sollte wissen, daß Männer von höchster geistiger Potenz und Agilität, wie es so viele Hellenen waren, nicht nur immer vom Vater allein ihre Begabung erben. Ohne bedeutende Frauen sind sie nicht zu denken. Nicht gedrückt und borniert also; in Wirklichkeit werden uns genug Szenen geschildert, die uns die Athenerinnen ganz anders zeigen. Und nun gar die Frauenbilder auf den berühmten Grabsteinen Athens; wie charaktervoll, würdevoll, seelisch und geistig sein sind sie da oft gebildet; sie würden in jedem modernen Salon Aufsehen erregen.

Auch glaube man nicht, daß diese Frauen so farblos gekleidet oder gar in weißen Tüchern einhergingen, wie der Unbelehrte aus den Bildern schließen könnte. Vielmehr die buntesten Farben, dazu buntgemusterte Randstreifen, auch Troddelbehang waren beliebt. Wie herrlich wäre es, könnten wir diese Farben an den Marmorstatuen noch sehen! Nur die bemalten Terrakotten verraten sie uns, späterhin die Wandmalerei Pompejis. Aber daß die Helleninnen kein Korsett, auch keine Hosen und aufbauschende Unterröcke trugen, das wenigstens lehren uns die Statuen. So fällt ihre Figur steil ab, und die »Linie« ist da, von der man auch heute spricht. 87 Sie ist da, obgleich die Kleider nicht etwa wie heut knapp sackartig zugeschnitten, sondern stoffreich waren, jede Enge verschmähten und den üppigsten Faltenwurf möglich machten. Der Wuchs des Leibes tritt dabei um so schöner heraus, da der Stoff die vollste Freiheit hat, sich umzuwerfen und sich jeder Bewegung anzuschmiegen, beim Schreiten, beim Liegen oder gar beim Tanz. Wir fühlen es den Bildmeistern nach: sie schwelgten in beidem, in den Reizen der Leibesform, aber auch des Gewandwurfs, dem Wellengang des Stoffes.

Doch über die Kunst ist später zu reden. Kehren wir zu den Frauen selbst zurück.

Die Frau verfährt gewiß oft nur instinktiv; aber in vielen Fällen trifft ihr Instinkt sicherer das Richtige als alle Überlegungen des Mannes. Üppig, stolz und flott gebärdeten sich die Griechinnen im Leben, und die Männer leben in Respekt, wenn nicht in Furcht vor ihnen. Bekommen sie größere Summen in die Hände, treiben sie auf eigenes Risiko Wucher, indem sie eigenmächtig Gelder auf Zinsen ausleihen, und wissen sich für das eingeschlossene Dasein in den Arbeitstagen hinlänglich an den zahlreichen Festtagen, die das Jahr bringt, zu entschädigen. Im schleppenden Safrankleid ziehen sie da einher mit weißen Bänderschuhen, parfümiert, mit Schmuck behangen, frische Blumen im Haar, und werfen Blicke, indem sie gegen den Brand der Sonne den großen Strohhut tragen oder den Sonnenschirm,Lysistr. 44. oder sie lassen sich gar in der Sänfte tragen; die Sänfte hatte man den Frauen des Orients abgelernt.Vgl. W. A. Becker, Charikles² I S. 224. Auch die erwachsenen Töchterchen dürfen an den Panathenäen und anderen Festen, die mit Gottesdienst begannen, schon mit hinaus und finden, wenn sie hübsch sind, ihren Liebhaber. Der Wein steigert den Festrausch. Denn auch die Frauen zechen gern; gießt man ihnen zu viel Wasser zum Wein, so schreien sie: »ich bin doch kein Frosch!«Pherekrates com. frg. 40. Heimliche Stellen in Grotten und Höfen zum abendlichen Stelldichein gibt es genug, und manches Fallkind gibt hernach Zeugnis von zärtlichen Abenteuern; es muß schnell geheiratet werden. 88 Aber nicht nur die Töchter; auch die Mütter sind unverlegen. Wenn Perikles im Philisterton zur Volksmasse sagte, das beste Weib sei, von dem man nicht spricht, so dachte er eben, das Schweigen sei günstiger für sie als das Reden der Männer, die das Schandflecken lieben; er dachte vielleicht auch an seine Aspasia, die genial, aber nur allzu flott war und nachweislich ein Bordell unterhielt.

Das Haus hat auch eine Hintertür, und wie oft war überhaupt der Gatte abwesend! Ein Ehebrecher kann immer Eingang finden; denn es scheint unbillig, daß die Männer allein sündigen dürfen. Die Frau fühlt sich immer noch jung genug; sie schminkt sich weiß und legt Rot auf; denn weiß ist zwar ihr Körper sonst, aber im Antlitz der Teint gebräunt, und das scheint reizlos. Sie schminkt sich also, sooft sie den Liebhaber erwartet; sie tut es auch, um dem eigenen Eheherrn zu gefallen, wenn der Buhle fehlt. Auch die Augenlider und -brauen werden mit einem schwarzen Strich bemalt; das steigert wirksam den Blick des Auges.Aristoph. frg. 880.

Aber nicht nur das; auch politisch interessiert sind die Athenerinnen, belauschen darum die Gespräche der Männer;Aristoph. Lys. 523. denn ob Krieg, ob Friede, geht auch sie an; sie sind davon schwer betroffen. Ihr Patriotismus äußert sich bis zur Wildheit. Im Perserkrieg hat ein gewisser Lykides Landesverrat geübt; er wird hingerichtet; da ziehen die Weiber vor sein Haus, greifen Steine auf und erschlagen damit auch noch sein Weib und seine Kinder. Ein Haufe von Bürgern ist im Kampf für Athen ehrenvoll gefallen; nur einer rettet sich und kommt in die Stadt. Die Frauen rotten sich zusammen, überfallen ihn, ziehen die Nadeln aus ihren Kleidern und erstechen ihn.Herodot IX 5 und V 67.

Nur daß die Frau den Staat führt, wie die großartig gewalttätige Pheretime in Kyrene, ist selten; seltener noch eine Heldin im Seegefecht wie die Artemisia in der Schlacht bei Salamis.Vgl. Von Homer bis Sokrates S. 157 f. So aber verstehen wir nun endlich auch die von Leidenschaft getragenen Frauen der attischen Tragödie. Sie 89 sind nicht bloße Traumbilder der Dichterphantasie, sie sind der Wirklichkeit abgelauscht: die in Liebe sündigende Phädra, die kaltherzig mordende Klytemnestra, eine Iphigenie, die in Feindesland alles wagt, um ihren Bruder zu retten, Antigone in ihrer Seelengröße und Seelenreinheit, die ihres Bräutigams nicht achtet und Liebe und Leben wegwirft, um dem Tyrannen zum Trotz an ihrem gefallenen Bruder die Pflichten der Frömmigkeit zu erfüllen. Dem antiken Menschen stand die Geschwisterliebe höher als der Trieb des Mannes zum Weib, des Weibes zum Manne.Dies bezeugt nicht nur Antigone bei Sophokles v. 905 ff., sondern auch andere Stimmen des Altertums; s. »Kritik und Hermeneutik« S. 108 f., wo ich solche Stimmen gesammelt und gezeigt habe, wie sinnlos es ist, heute noch die erwähnten Sophoklesverse für unecht zu erklären. Falsch ist auch, was man bei Kaibel in seiner Elektra S. 268 über Erotisches zwischen Geschwistern liest. Zur Sache sei noch A. Patin, Ästhet. u. krit. Studien zu Sophokles (1911) S. 33 und Bucherer, Berl. philol. Wochenschr. Bd. 32 S. 1404 f. zitiert; als Belegstellen für intensive Geschwisterliebe füge ich noch Cicero ad fam. 2, 10 und 14, 1; ad Quint. frg. I 3, 3 f. hinzu.

So viel von den Frauen. In der Haushaltung brauchen sie nun auch Hilfe, sie brauchen Dienerschaft, was näher auszuführen kaum nötig ist. Vor allem: der Sklave ersetzte der Herrschaft die Tasche. Man denke, daß in der Frauenkleidung, ebenso auch in der Männerkleidung die Tasche fehlte. Das ganze Altertum kennt sie nicht. Das Kleid bestand eben aus einem Stück, und es wurde daran nichts genäht. So waren auch Knopf und Knopfloch, die bei uns den Kleidern Halt geben, unbekannt. Das Beinkleid braucht Knöpfung unbedingt; aber man trug keine Beinkleider. Wollte man nun etwas bei sich tragen, so steckte man es in den Gewandbusen; der Gürtel gab Sicherung, daß der Gegenstand nicht nach unten hindurchglitt. Das Weberschiffchen, die Schreibtafel, das Buch oder den Lieblingsvogel steckte man also in den Busen, den Geldsack auch in den Gürtel selbst.Vgl. z. B. Cupolis frg. 243. Weil der Geldbeutel im Gürtel steckte, gab es Diebe, die unseren Taschendieben entsprechen und βαλαντοτόμοι, sectores zonarii hießen; sie gingen also mit dem Messer vor. Der Mann dagegen, der bei Krösus Gold raffen wollte, sparte sich im Chiton einen extra umfangreichen κόλπος aus (Herodot VI 125). Sonst aber war der Diener nötig oder die Dienerin, die das Paket oder den Korb, auch den Beutel mit Geld, den Pompadour auf der Gasse hinterherzuschleppen hatte (von Aktenmappen hören wir noch nichts). Für einen Mann wie Sokrates, der die Dürftigkeit zur Schau trug, wird alles dies freilich nie erwähnt; anders aber seine Xanthippe; sie hat für Haus und Kinder dienende Hilfe sicher gebraucht.

In ältester Zeit, so sagt Herodot, kannte Attika noch kein Sklaventum.Herodot VI 137. Es hat sich ausgebildet im Dienst der Arbeit, der Hausindustrie, mehr noch der Großindustrie, und die Zahl 90 der dienenden unfreien Bevölkerung steigerte sich in den Handelsstädten schließlich ins Ungeheure, unsren Fabrikarbeitermassen entsprechend. Um das Jahr 300 v. Chr. hatte Athen, die Frauen und Kinder nicht mitgerechnet, 21 000 Vollbürger, 10 000 ansiedlungsberechtigte Fremde (Metöken genannt) und 400 000 Sklaven.Athenäus p. 272 C. Auf jeden Freigeborenen kamen also damals 12 Unfreie. Aus einem ähnlichen Zahlenverhältnis muß es sich erklären, daß schon in viel früherer Zeit in Argos, als da im Krieg mit Sparta sämtliche wehrfähigen Bürger gefallen waren, die Sklaven in der Stadt die Herrschaft gewannen;Herodot VI 83. sie führten die Staatsgeschäfte, solange die unmündigen Bürgersöhne dazu nicht imstande waren. In den Waffenfabriken, Gerbereien, im Schreinergewerbe, im Bauwesen und sonst brauchte man eben viele Hände, weit mehr noch in den Bergwerken; Nikias, der Nabob, hatte in den thrakischen Goldbergwerken, an denen er stark beteiligt war, allein an 1000 Arbeiter. Gerade in den Demokratien wuchs das Bedürfnis nach Sklaven, da die Bürger selbst, auch die Kleinbürger, durch die Staatsdinge, Wahlakte, Geschworenengerichte u. a. ständig in Anspruch genommen waren.

Man bezog sie durch Kauf (zumeist aus Kleinasien und Thrazien). Auf einem kreisförmigen Gerüst wurden sie zum Verkauf ausgeboten. Daß man sie gut hielt, lag im Interesse des Besitzers.Daher εὔδαλος genannt, Pherekrates com. frg. 212. Wir finden durchweg, daß die Hausdienerschaft im Lesen und Schreiben, auch im Geldgeschäft, höchst gewandte Leute sind; je mehr diese Menschen lernten, je nützlicher waren sie. Auch waren sie selbst am Wohlergehen des Hauses interessiert.Philemon com. frg. 56: »wenn es dem Herrn schlecht geht, leidet auch der Knecht«. Solche, die nicht gut taten und aus dem Dienst liefen, wurden steckbrieflich mit Signalement oder durch öffentlichen Anschlag verfolgt. Die Strafen waren nicht allzu gelinde, aber zumeist nicht quälerisch. Wenn es Prügel regnete, machte der Tunichtgut noch Witze und rief: »Selig die Schildkröte unter ihrem Dache. Wär' ich wie sie!«Aristoph. Vesp. 1292 f. Dem naschhaften Burschen legte die Hausfrau ein rundes Holz in gehöriger Breite als Kragen um den Hals, so daß er 91 nichts heimlich in den Mund stecken konnte.Vgl. Blümner a. a. O. I² S. 33. Schlimm ist's, wenn er im Hause herumhorcht und die Geheimnisse auf die Straße trägt.Aristoph. Ran. 750 f. Meldet er dagegen Gutes, bekränzt sie ihn in heller Freude mit einem Kranz von Kuchenstücken.Aristoph. Plut. 764. Auch der Spießbürger ist in der Lage, sich drei bis vier Sklaven zu halten, kauft für sie Wams, Schafpelz und Kappe und sorgt auch, daß sie im Winter warme Füße haben.Aristoph. Vesp. 444. An Klugheit, aber auch an Bildung übertrafen sie oftmals, wie die erhaltenen Lustspiele uns das zeigen, die jungen Haussöhne, deren intime Ratgeber sie waren. Daher die erstaunliche Redefreiheit,ἰσηγορία. Vgl. Ps. Xenophon, Athen. polit. 1, 12. die man ihnen im Haus gewährte und die den stolzen Römern ganz unziemlich schien. Das gehört zum Kapitel der griechischen Menschenliebe, der Philanthropie.

 


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