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»Hoch, hoch, hoch!« tönte es in der burschenschaftlichen Kneipe.

»Was feiert ihr denn, Kinder?« fragte der soeben eintretende Bismarck.

»Die Hambacher Feier! Gut Heil! Hast du denn nichts gehört?«

»Hm, nicht viel Gutes. Da mach' ich nicht mit.«

Am 27. Mai 1832 war in Hambach nahe der rhein-bayerisch-französischen Grenze eine riesige Menschenmenge zusammengeströmt, um einen »deutschen Mai« festlich zu begehen, in Erinnerung an die studentisch-turnerische Wartburgfeier vor 15 Jahren, die so kläglich zur Demagogenhetze überleitete. Damals herrschte noch eine fromm-altdeutsche, rein vaterländische Stimmung, diesmal aber eine exaltiert-radikale, Nachklang der Pariser Julirevolution, die vor zwei Jahren überall trügerische Hoffnungen des alldeutschen Liberalismus aufreizte. Unter Vorantragung schwarzrotgoldener Fahnen erging man sich in kernigen Flüchen auf Fürsten und Fürstenknechte, rief sogar nach Waffen, bis man am andern Morgen den Rausch ausschlief.

»Aha, der preußische Junker!« »Da haben wir's, das dacht' ich mir!« murrten viele Stimmen. »Der hat kein Herz für die deutsche Sache!«

Der junge Märker sah sich trotzig im Kreise um. »Ich bitte um Ruhe und Höflichkeit. Die Leute da unten haben gebrüllt: ›Vivat die vereinigten Freistaaten Deutschlands!‹ und gar noch schlimmer: haben ›das konföderierte republikanische Europa‹ leben lassen. So steht's in den Zeitungen. Und da soll ein deutscher Jüngling sich freuen? Polen und Franzosen sind unter der Menge gewesen und haben geschürt. Wißt ihr, wie ich das alles nenne? Landesverrat!«

»Du bist verrückt, Bruder Bismarck!« meldete sich eine versoffene Stimme. »Polen und Franzosen sind Freiheitshelden und unsere Brüder. Nur mit ihrer Hilfe werden wir Deutschland einigen in Schwarzrotgold. Davon versteht natürlich so'n Stockpreuße nichts, dem wahres Nationalgefühl abgeht.«

Der lange Preuße reckte sich hoch empor. »Da ihr keine Satisfaktion gebt, so könnt ihr mich nicht beschimpfen. Ihr Kindsköpfe! Polen und Franzosen als Paten deutscher Einheit! Das fehlt uns noch! Und wenn ich Republikaner wäre, so riefe ich doch Pfui über solche Affenschande, das Ausland um Hilfe anzugehen. Den Bock zum Gärtner machen!«

»Herzbruder von und zu Bismarck ist nämlich praeceptor Germaniae!« lallte die Stimme eines bemoosten Seniors, der schon halb »hinüber« war und schon den Bierschlucker hatte. »Der hat den rechten Hofton aus hochfeinen Assembleen im jöttlichen Spreeathen. Da parliert zwar jeder französisch, aber schimpft auf die Franzosen, weil sie nicht solche Esel und Schlappschwänze sind wie der deutsche Michel mit dem beschränkten Untertanenverstand. Das ist die königlich preußische Milch der frommen Denkungsart. Die Prinzen marschieren mit ihren Mätressen auf, knickebeinige Hofleute lecken ihren Speichel auf und die Damen wischen mit ihren Krinolinen den Staub von den allergnädigsten Stiebeln. Da lernt man teutschen Patriotismus.«

Durch das wiehernde Gelächter schnitt Ottos helle Stimme: »Halt's Maul! Ihr alle schwatzt über Dinge und Kreise, die ihr nicht kennt. Die Extravaganz eurer Utopien ersetzt doch nicht ganz die Formen der guten Gesellschaft. Das hätt' ich euch nie vorgehalten, doch eure alberne Überhebung zwingt mich dazu. Ihr alle seid älter, doch ich habe weit mehr von der Welt gesehen als ihr. Euer Gewäsch über die höheren Stände entstammt einer Kinderfibel für die reifere oder unreifere Jugend der Demokrateriche.«

»Raus, raus!« scholl der Chorus, »wir tun dich in Verschiß!« Der Jungherr drehte der Burschenschaft den Rücken und ging davon. –

Die Hambacher Feier fiel schon in Ottos erstes Semester. Seinen Ärger darüber spülte er mit sehr viel Milchpunsch hinunter, den seine amerikanischen Freunde zu ihrem Nationalfest, der sogenannten Unabhängigkeitsfeier, am 4. Juli gut zubereiteten. Der Märker, ein seltsames Gemisch von kindlicher Jugendlichkeit und männlicher Frühreife, weit über seine Jahre hinaus, trank von ganzer Seele auf das Wohl von Washington und Franklin.

»Wär' ich nicht Preuße, so möcht' ich Amerikaner sein. Hoch die letzten Mohikaner und Lederstrumpf dazu! Das war'n urgesunder Boden, Urwald und Prärie, da läßt sich's frei sein.«

»Ja, hier in Europa drängen sich die Menschen zu dicht, wie Hammelherden«, meinte King geringschätzig. »Und der Boden ist verbraucht, da wächst nichts Rechtes mehr.«

Motley wies ihn zurecht. »So was sollte unsereins nicht sagen, denn große Männer sind bei uns etwas Rares, in Europa gab es davon eher zu viel.«

»Ach was! Gelehrte, Dichter, Künstler, Soldaten – aber wenig rechte Staatsmänner, die züchtet man bei uns viel besser.«

»Was nennst du einen rechten Staatsmann?« fragte Otto aufmerksam.

»Solche, die keine Phantasten sind wie Napoleon und – verzeih – euer Friedrich der Große. Die sogenannten Eroberer bauen auf Sand.«

»Unser märkischer Sand war doch fest genug, wie du siehst.«

»Nichts sehe ich. Hier Jena, dort Waterloo. Daß Preußen weiterlebt, verdankt es doch nur der Volkserhebung aus eigener Kraft, und die paar Staatsmänner dabei, Stein und Hardenberg, waren nicht geborene Preußen.«

»Darin hat King recht«, fiel Coffin ein. »Überhaupt scheint viel dauerhafter, was die Masse vollbringt, als was der einzelne wagt. Die großen Genies sind meist ein großes Unglück.«

»Ja freilich«, ergänzte Motley. »Ich habe den Plan, mal eine Geschichte der Holländer Republik zu schreiben, weil für uns Amerikaner die bloß monarchischen Staaten kein Interesse haben. Da gab es wohl einzelne Talente, doch den unglaublichen Aufschwung des kleinen Volkes führte allein die Masse herbei.«

»Hm!« Otto strich sich langsam mit der Hand über die Stirn. »Ist das nicht einseitig? Wir wollen einen Kompromiß schließen und sagen: der Einzelne und die Masse. Denn etwas wirklich Großes wird die Masse nur vollbringen, wenn ein großer einzelner sie lenkt, und der einzelne ist ohnmächtig ohne die Masse. Ein Staatsmann scheint mir also nur jener, der am klarsten die Ziele der Masse erkennt und sich ihr anpaßt.«

»Das wird selten vorkommen«, meinte Motley bedächtig, »oder spät. Denn der Geniale gerät stets in Konflikt mit seinen lieben Nebenmenschen, der Masse. Weil er klarer sieht, ist er weit voraus, und weil man ihn also nicht auf ausgetretenem Gleise in der Nähe sieht, hält man ihn oft gar für rückständig. Beispiel: Julian Apostata.«

»Ein übles Beispiel.« Otto hob sein Glas. » Ergo bibamus! und freuen wir uns, daß wir keine Genies sind.« Und er stimmte mit nicht ganz taktfester Stimme, deren Lage zwischen Tenor und Bariton schwankte, das herrliche Kommerslied an: »Auf dem Schlosse zu Gradezko«. Erhebend drang die Kunde durchs offene Tal, wo die vier lustigen jungen Leute in einer Gastwirtschaft ihren Gefühlen keinen Zwang antaten: »Slibowitz soff Fürst Bibesco, bis er schwer besoffen war.« Aber Otto Bismarck war niemals besoffen. – –

Das zweite Semester verlief wie das erste in dulci jubilo und feuchter Fidelitas. Mit der juristischen Wissenschaft, um deren Minne er werben sollte, unterhielt Otto eine so entfernte Bekanntschaft, daß sein Verhältnis zu ihr ein gespanntes wurde. Diese alte Jungfer mit spitzer Nase und Brille hatte es ihm nicht angetan, ebensowenig freilich ein anderes Frauenzimmer. Seine blutadeligen Instinkte bewogen ihn gerade erst recht, in ein minder vornehmes Korps einzutreten, dessen Farben er mit Gladiatorenstolz trug, wenn er dem Gegner einer anderen Couleur eine blutzapfende Abfuhr verabreichte. Die Reihe dieser liebenswürdigen Darbietungen schwoll unheimlich an. Gäste aus Jena, die das studentische Handwerk grüßen kamen, summierten ihre sachkundige Anerkennung: »Besonders wie er die Terz nachzieht, ist ein tadelloser Genuß.« Seine Parade an sich sei mäßig, doch wie er durch die Parade des Gegners breche und immer auf Attacke aus sei, habe den schönsten Stil. Daneben lernte er boxen nach der erprobtesten Methode von seinen amerikanischen Freunden und vernachlässigte nicht die Ausübung dieser schönen Künste denjenigen jugendlichen Philistern gegenüber, die seine Großspurigkeit krumm nahmen.

»Du wirst auch im Leben ein tüchtiger Boxer sein«, urteilte der keimende Historiker Motley, indem er ihn sinnend betrachtete. »Was willst du eigentlich werden?«

»Weiß ich's! Am liebsten Trapper in Kanada. Ich bin der geborene Hinterwäldler. Auf dem Penal spielten wir immer Pflanzer und Indianer im Tiergarten, und ich war Apachenhäuptling und ließ mich foltern am Marterpfahl. Das war eine Gaudi. Meine Frau Mutter hat dolle Rosinen im Kopp, ich soll Diplomat werden. Haha, daß ich nicht lache! Seh' ich wie so 'n Stänker aus, der immer lügt und schwindelt und die Dümmeren hineinlegen will, wobei er meist selbst der Dumme ist? Ich Diplomat! So 'ne Idee!«

Motley lächelte fein. »Man kann nie wissen. Es fällt mir ein, daß Bonaparte immer jammerte, man habe ihn zum Soldatenberuf gepreßt, zu dem er am wenigsten tauge. Lügen ist nicht obligatorisch, nur fakultativ. Talleyrand log sehr gut, das ist die niedere Elementarschule, aber die beiden Pitt, Vater und Sohn, waren Choleriker, denen die Sprache gegeben war, ihre Gedanken nicht zu verbergen. Und die haben's viel weiter gebracht. Das war die hohe Schule.«

Otto lachte laut. »Nach Begriffen der guten alten Zeit hab' ich die beste Vorschule hinter mir und mein Examen cum laude bestanden.«

»Wie das? Von deinem Studium wissen die Götter nichts, studiert als edle Wissenschaft hast eigentlich nur das Saufen.«

»Das ist's ja eben!« Der lange Märker schüttelte sich vor Vergnügen. »Früher tranken die Herren Diplomaten sich feierlich untern Tisch, und wer unten lag, von dem erpreßte man seine werten Geheimnisse und sogar Unterschriften, von denen er nach verflossenem Brummschädel nichts mehr wußte. Die Technik brächte ich auf eine hohe Stufe. Außerdem konnte man seine diplomatischen Gegner fordern und so außer Gefecht setzen. So 'ne Kavalier-Diplomatik wär nach seinem Gusto. Aber heut in unsern zahmen Zeiten – fauler Zauber!« –

Die erschütternde Kunde lief um, daß der gewaltige Pauker aus der Altmark zum ersten Male einen Schmiß erhielt. Ein Chargierter aus Bonn hatte einem Göttinger Korps, mit dem das seine auf Kartell stand, eine solenne Visite abgestattet und bei der Anstandskneipe von einer Reise nach Paris geprahlt. Dort allein herrsche der feinste Ton, worauf Otto mit krähender Stimme persiflierte: »'s gibt nur a Kaiserstadt, 's gibt nur a Wien.« »Was soll das Herr Bruder?« schnarrte der Bonner hochherab. »Wollen Sie provozieren? Sie fixieren mich schon lange.« »Ich mag so'n Quatsch nicht hören, die Pariser sind lauter Lausejungen.« »Und Sie sind ein Kalb.« Darauf die schönste Kontrahage. Weil er aber aus Geringschätzung des feinen Herrchens im ersten Gang fertig werden wollte, mißriet ihm ein Ausfall und er bekam eins auf die linke Backe durch ein abspringendes Stück Klinge. Der Seniorenkonvent erklärt übrigens den »Blutigen« für ungültig nach strengem Paukkomment. –

»Ich habe nun mal die Antipathie!« Der Zugenähte lachte vergnügt. Die Narbe stand ihm gut und er zechte fidel auf seiner Bude. »Glaube wohl, es liegt bei mir so im Blut. Wißt ihr, bin nämlich 1815 geboren, wo es mit dem Napolium und der ganzen Franzosenwirtschaft ein Ende nahm. Das muß wohl auf mich abgefärbt haben, denn ich habe nicht für einen Silbergroschen Respekt vor der eingebildeten Bande. Das sind lauter zierliche Spazierstöcke und Galanteriedegen, die man umknicken kann wie Binsen und Rohr. Da lob ich mir einen derben deutschen Knotenstock und Husarensäbel, das ist Kernholz und echtes Metall.«

»Ja, wenn du mit deinen sechs Fuß Länge kommst!« zuckte Coffin die Achseln. »Daß Kerls wie du die Französischen in Grund und Boden boxen, traut man euch Preußen schon zu. Aber – –«

»Das meint' ich nicht!« rief Otto eifrig. »Ich bin nicht so 'n Hinterwäldrischer Rüpel. Ich sprach figürlich, im allgemeinen, gerade vom Geistigen erst recht ... Auf die gespriesene französische Kultur pfeif' ich was. Die können uns nicht die Schuhriemen lösen. Wo sind denn ihre Dichter, Historiker, Philosophen, Künstler, die sich mit unsern messen könnten? Alles nur äußerer Aufputz, Fassade, nichts dahinter. Feldherrn und Staatsmänner hatten sie nie, dazu mußte der Korse kommen.«

»Du übertreibst«, lächelte Motley. »Ei, unser hitziger Teutone ist heut recht im Zuge. Übrigens nenne ich dir Richelieu.«

»Puh!« Bismarck stieß eine lange Rauchwolke aus. »Ein katholischer Pfaffe!«

»Warum nicht? Die römische Kirche war immer die beste Schule der Politik, Erbin des alten Rom. Ich fürchte, old boy, das ist auch so eines deiner Vorurteile.«

»Nun ja! Vor Teufel und Papismus erlöse uns der liebe Gott! Wir Märker sind sattelfeste Protestanten, eingefleischte Hasser der Römlinge ... Überhaupt ... wer einen Fremdling im Süden anbetet, ist eine Art Hochverräter am eigenen Staat und hat hier nichts im Norden zu suchen. Mir ist all der wälsche Plunder ein Greuel. Prosit!« Der junge Herr nahm einen gewaltigen Schluck.

»Spül's runter!« lachte King ihm zu. »Das kenn' ich, du kriegst immer einen Heidendurst, wenn du Franzosen und Pfaffen als erstes Frühstück zu dir nimmst. Wenn du mit dem Bierseidel räsonierst, kommst du mir immer wie der alte Hammergott vor, der mit dem unermeßlichen Methorn ... wie hieß er doch, Motley?«

»Tor. – Ja, ja, Otto hat so was von einem Berserker, wenn er in Rage ist. Aber höre, Richelieu war gar kein Pfaffe in solchem Sinne trotz seiner Kardinalskutte. Ihn kümmerte wenig der Papst zu Rom, er war vor allem ein guter Franzose.«

»Darin tat er recht.« Jener blies nachdenklich ein paar blaue Ringel in die Luft. » Right or wrong, my country! Ich weiß zwar so ungefähr, was mit dem alten Herrn los war, aber halt' uns mal einen Vortrag, Herr Historiker, worin du sein Besonderes siehst.«

Motley räusperte sich. » Well, deine gemütliche Bude ist doch keine Aula.«

»Nur zu!« rief Coffin. »Dein Spezielles! Wenn gute Reden sie begleiten, dann fließt die Arbeit munter fort.« Er stieß an, und alle folgten seinem Beispiel, die Seidel leerend. »Stoff genug ist da bis morgen früh ... also halte deinen Speech als professor historiae

»Ziere dich man nich!« munterte der Gastgeber auf. »Meinst du, ich wäre bloß für Kneipen und Mensuren? Da irrst du dich riesig, old fellow. Also was ist's mit Richelieu?«

»Na, wenn Ihr mich so tretet –! Also dieser wahre Staatsmann kannte keine bornierte Intoleranz. Er zwang zwar La Rochelle nieder, doch vertrug er sich nachher viel besser mit den Hugenotten, als später Louis Quatorze. Religiösen Zwiespalt wertete er nur als politischen und duldete nur nicht republikanische Neigungen bei den Hugenotten. Doch so wenig wie Demokraten ließ er frondierende Junker gelten und hielt den Adel eisern im Zaum. Die königliche Autorität –«

»Stabilieren wie einen rocher de bronce!« brummte der Junker Bismarck zwischen den Zähnen. »Der alte Friedrich Wilhelm und sein Krückstock ließen auch nicht mit sich spaßen. Unsere Hohenzollern haben allzeit mit ihren Quitzows gerauft, sie gleichsam zugeritten als königlich preußische Kavalleriepferde. War aber doch Richelieu selber kein Monarch, nur Minister, und was hatte er davon, sich für einen andern abzuplagen! Persönliche Liebe für seinen Herrn bewog ihn wohl kaum dazu.«

»Gewiß nicht. Ludwig XIII. war ein schwacher und schlechter Mensch, lasterhaft, mißtrauisch, falsch, nur aus Furcht vor Richelieus Persönlichkeit sich seinem Willen beugend.«

»Brr! Mit solch 'nem König wirtschaften, das muß ein Hundeleben sein. Der arme allmächtige Minister! Na, soviel weiß ich, ich könnt' nie Fürstendiener sein.«

»Hört den Republikaner!« Die Amerikaner klatschten Bravo. »Ich wette, der wandert noch zu uns aus!« rief Coffin begeistert. »In Amerika unterm Sternenbanner ... Heil dir, Than von Cawdor, der du einst American Citizen sein wirst!«

»Da schneide dich man nich!« Jung Bismarck goß einen Ganzen hinter die Binde. »Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben. Ausgewandert wird nich, bloß bis in die Hinterwälder von Hinterpommern. Dort werd' ich ehrsam meinen Kohl pflanzen wie der selige Diokletian, obschon ich kein amtsmüder Kaiser bin. Mehrer des Reichs – o je! Ich werde meine Hammelherden zu vermehren trachten ... das schwebt mir als wonnige Zukunft vor. Um aber auf besagten Hammel zurückzukommen ... wofür arbeitete der Richelieu denn eigentlich?«

»Für Frankreich«, antwortete Motley ernst. »Ich glaube wirklich nicht, daß ihm sein Los viel Vergnügen machte. Ehrgeiz hatte er natürlich, und anfangs mag ihn seine Allmacht gekitzelt haben, als Hausmeier der wahre König zu sein, aber er trug bald unendliche Mühsale, von tausend Feinden umgeben, vom König heimlich und von der Königin offen gehaßt, von allen gefürchtet, beneidet, von wenigen verstanden.«

»Ich sage ja, ein Jammerleben!« Studiosus Bismarck reckte sich unwirsch. »Welch ein Blödsinn, sich so zu kasteien! Setze deine Zuversicht nicht auf Fürsten! sagt schon irgendein alter Salomo. Und gar fürstliche Frauenzimmer ... da schlag' das Wetter drein! Et pourquoi? Tant de bruit pour une omelette!«

»So faßte dieser Mann die Eier nicht auf, die er zerschlug und zusammenbackte!« Motley schüttelte mißbilligend den Kopf. »Weißt du, Otto, du denkst etwas frivol über solche Dinge. Wenn der große Kardinal sich Tag und Nacht für die Monarchie abplagte, geschah es wahrlich nicht aus Liebedienerei und höfischer Untertänigkeit, sondern für sein großes Lebensziel.«

»Was war denn das?« Ein durchdringender Blick schoß unter den seltsamen buschigen Brauen des langen Junkers hervor.

»Die Einheit Frankreichs. Das war damals genau so zerspalten in lauter kleine Souveränitäten nominellen Vasallentums, wie das frühere Deutsche Reich und heut noch der Deutsche Bund. Ohne Richelieu kein Roi Soleil, der nur als lustiger Erbe einheimste, was der gewaltige Staatsmann ihm hinterließ.«

»Nun gut! Gesprochen wie ein Buch!« Otto trank seinen Krug leer, gähnte und streckte sich. »Die Könige haben ja mehrschtendeels den Effekt davon, was ihre Diener schaffen. Übrigens, ohne dich belehren zu wollen, o Leuchte der Historia, der Roi Soleil war nicht bloß ein reicher Erbe, sondern ein verflucht gescheiter Herr. Er hatte das beste Talent für sein Metier, überall die rechten Leute zu entdecken. Colbert, Vauban, Louvois, Tourville, Catinat usw. Mehr braucht ein König nicht, um groß zu sein.«

»Da hast du recht.« Motley konnte sein Erstaunen nicht verbergen. »Woher weißt du das alles? Ich dachte nicht, daß du so genau Bescheid wüßtest.«

» Mon dieu, man liest so 'n bißchen ... in den Mußestunden nach strenger Arbeit«, gähnte Otto, sich erhebend. »Schluß für heute!«

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