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Als am 26. Februar 1849 der neue Landtag sich eröffnete, fand der in Brandenburg Gewählte sich frühzeitig ein, schicklich für die Feierlichkeit gekleidet mit Zylinder und weißer Binde. »Meine Herrschaften,« begrüßte sein ehemaliger Chef, Graf Arnim-Boitzenburg, eine um Otto versammelte Gruppe, »wir sind nicht unter uns. Sehen Sie doch bloß die Pfauen und Diogenesse der Demagogeneitelkeit! Die zwei Abgeordneten dort wollen sich kindisch bemerkbar machen, der eine im grünen Flauschrock, der andere im grauen Kalabreser, mit dem er seiner erhitzten Denkerstirn Kühlung zuweht!«

Otto blickte hin mit kalter Verachtung. »Am liebsten kämen sie als Ohnehosen. Das ist die Sorte des Herrn Milde, der in der Nationalversammlung so wenig milde über uns den Stab brach. Unter den sanskulottischen Zynikern in der Diogenestonne ihrer Straßenherrschaft möcht' ich mit der Diogeneslaterne nach einem Menschen suchen, ich sehe nur ausgestopfte Phrasen auf Rollschuhen.«

»Geschehen noch Zeichen und Wunder?« staunte Arnim. »Dort kommen Vincke und Grabow gerade auf Sie zu mit ausgestreckter Hand. Wer hätte das gedacht!« In der Tat grüßte Vincke mit krampfhafter Herzlichkeit und erzählte mit gezwungenem Lachen: »Ja, mein hochverehrter, der Janhagel zischte mich drunten aus, als ich aus dem Wagen stieg. Dagegen für Temme und d'Ester Lebehochs und kein Ende. Man ist nicht mehr populär, wie schade!« Doch Otto fand es nicht humoristisch, er blieb ernst. Die Gemäßigten drehten also rechts aus Angst vor dem roten Gespenst. Wohl frohlockten seine Freunde über den Ausfall der Wahlen, denn das Zentrum, die um Auerswald, brachten die reindemokratische Majorität ins Wanken. Doch in Prinzipienfragen hielt das liberale Dogma noch alle zusammen als einig Volk von Brüdern. Als daher der Abgeordnete für Köslin jubelte: »Wir haben gesiegt«, lehnte Otto kühl ab: »Nicht das, doch wir griffen an, das ist der halbe Sieg. Der ganze soll erst kommen.«

Als er's sagte, hörte man ein klirrendes Geräusch. Einem Wachthabenden vom Gardedukorps fiel sein Degen aus der Scheide, lag quer vor dem Thronsessel. »Ein Omen!« murmelten viele, jeder legte es nach seiner Weise aus.

Die Kammer verlegte sich in die Singakademie oder in den Konzertsaal des Schauspielhauses. Sie erfüllte musikgeweihte Stätten mit mißtönigem Lärm, der sich auf der Straße fortsetzte. Begab sich der Abgeordnete Bismarck aus seiner Wohnung, Wilhelmstraße 71, zur Redaktion der Kreuzzeitung, Dessauer Straße 5, um Neuigkeiten zu erfahren oder selbst, Hut und Handschuh in der Linken, am Schreibpult einige Zeilen für Zeitungsdruck hinzuwerfen, so lauerten unheimliche Gesellen. Damals floß noch in jenem Stadtteil viel Schmutz in den Rinnsteinen; ihn vom Bürgersteig da hineinstoßen, wäre ein Labsal gewesen. Doch der kalte Blick im festen, krausbärtigen Antlitz, die straffe Haltung schüchterten jeden Rowdy ein. Sein jetzt selten freundlich leuchtendes Auge schoß gleichsam Speere ab.

Mit Recht betonte er in der Kammer, die bewegenden Kräfte der Revolution seien nicht mehr nationaler, sondern sozialer Art. Man versprach Bürgern und Arbeitern goldene Berge, weckte die Begehrlichkeit der Besitzlosen, stachelte den Neid in allen Formen. Trocken legte der Gutsherr sich selber zurecht: Aneignung fremden Besitzes fördert nicht soziale Gleichheit, Besitzwechsel aus feinerer und reinerer in gröbere und schmutzigere Hand ist nichts als verkappter Straßenraub. Die hochtrabenden Ideale des Jakobinismus verstecken nur den Sklavenaufstand zur Zerstörung der Gesellschaft, das souveräne Volk will sich auf Kosten der Besseren und Würdigeren bereichern, um dann selber hilflos auf den Trümmern des Eigentums zu verhungern, weil dieser blödsinnige Souverän sich nicht selber regieren kann. Von seinem jetzigen christlichen Standpunkte aus machte er auch jene von den oberen Schichten genährte Freigeisterei verantwortlich, welche im menschlichen Herzen die Widerstandsfähigkeit gegen schäumende Leidenschaft untergräbt. Seine Rede floß jetzt glatt und klar, nur zu Beginn stieß er die Sätze unsicher hervor. –

Minister wollte schon lange niemand mehr werden, die Ministerien kamen und gingen. »Sondieren Sie doch mal den Vincke!« beauftragte der König den Schönhauser bei einer Audienz. »Und wenn's nicht anders geht, auch den anderen Hannefatzke – Sie wissen, wen ich meine. Als Handelsminister faßte ich den ehrlichen Harkort ins Auge. Der war vordem ein braver Landwehroberst unter Blücher, den müssen wir haben.« –

Aber Vincke antwortete ausweichend: »Wissen Sie, verehrter Kollege, ich bin ein Sohn der roten Erde, knorrig wie wir Westfälinger nun mal sind. Mich drängt's zum Opponieren, aber nicht zum Ministersessel. Dank für Ihren guten Willen!«

Der pomphafte Beckerath machte andere Schwierigkeiten. »Ich will ein Ministerium bilden, wenn die äußerste Rechte, die ja Herr v. Bismarck repräsentieren, sich unbedingt zur Gefolgschaft verpflichtet und mir den König sicher macht.«

»Das kann ich unmöglich in solcher Form versprechen.«

»Dann hat Verhandeln keinen Zweck. Später, wenn völlig geordnete Verhältnisse eintreten, dann erst wird die Stunde gekommen sein, wo die Linke regierungsfähig wird.« Natürlich, dachte Otto, konstitutioneller Majoritätsminister! Dann kann man im Amte bleiben, jetzt verdirbt man sich nur die Chancen.

Der alte Harkort, westfälischer Industrieller, lehnte ruhig ab: »Ich weiß die Ehre zu schätzen, doch erst muß ein Fachministerium von Beamten und Militärs den verfassungsmäßigen Zustand gründen. Dann erst können Verfassungstreue an die Arbeit gehen.«

»Aber wo soll man die Fachminister hernehmen, ältere Herren, denen nicht immer persönlicher Mut zur Verfügung steht? Jeder muß persönliche Gefahr befürchten, da Sie Ihren hauptstädtischen Pöbel nicht im Zaum halten. Konservative Deputierte sind auf offener Straße verprügelt worden. Sollte Seine Majestät die Geduld verlieren und nicht länger sacht einlenken, so darf man auf grobe Exzesse gefaßt sein.«

»Ich bedaure das im Interesse der guten Sache. Aber ich kann nichts daran ändern.« –

Im Juli brachen in Berlin neue Arbeiterunruhen aus, die sich fortsetzten, auch als die Garnison zurückkehrte, was zu fast täglichen Hänseleien und Reibungen führte. Die Nationalversammlung nahm den Antrag an, jeden Offizier auf die Verfassung zu vereidigen und jede reaktionäre Bestrebung als Hochverrat zu brandmarken. Besonderen Spaß machte dem Schönhauser Beobachter der neue Reichsverweser in Frankfurt, Erzherzog Johann.

»Da haben also die Demokraten einen kaiserlichen Prinzen an der Spitze!« verwunderte sich Johanna, die in Vorbereitung ihrer schweren Stunde an Weißzeug stickte. »Und den Fürsten Leiningen haben sie, Stiefbruder der Königin von England. Auch ein sehr vornehmer Herr.«

»Ja, ja, diese sehr vornehmen Herren sind von der Couleur des Prinzgemahls in England, des –« Er verschluckte etwas Verfängliches und ergänzte zögernd: »des Koburgers. Das ist natürlich ein geborener Liberaler. Die alle kokettieren mit der Demokratie wie mit einer Modetoilette. Der gute alte Johann hat viel Ärger mit seinen Brüdern gehabt, die Schwägerinnen nicht zu vergessen, steht sich auch mit seinem Neffen nicht gut, dem jetzt regierenden Herrn, und haschte allezeit nach Popularität. Innerlich ist er ein stocksteifer Österreicher, tut aber, als läge ihm Deutschland innig am Herzen, und versteht halt gut Weanerisch treuherzig den schlichten Bürger zu mimen. Damit fängt man den großen Haufen immer, der ja im Grunde nur knechtisch denkt, selbst wenn er als souveräner Herr spektakelt, und sich vor Entzücken nicht zu lassen weiß, wenn ein Fürst zu ihm herabsteigt. Wie jeden Demagogen durch Orden und Ministerposten, kann man jeden Volkshaufen durch volkstümliche Manieren einer Fürstlichkeit kirren. Das kostet nichts, und sogar der selige Kaiser Franz, ein arger Autokrat, hieß der guate Koaser Franzl, weil er das goldene Weaner Herz in breitestem Dialekt hervorkehrte. Ach, ich habe eine Schadenfreude!« Er ging im Zimmer auf und ab und trällerte: »Gott erhalte Franz den Kaiser!«

»Aber Prinz Johann ist doch wirklich sehr liberal ... wegen seiner Ehe mit der Posthalterstochter. Und findest du das nicht schön, Otto, daß ein Fürst alles für Liebe opferte?«

»Geopfert hat er nicht viel, höchstens eine konventionelle Ehe mit einer apanagierten Ebenbürtigen. Und ehrlich gestanden, Nanne, mögen Frauen und sentimentale Kleinbürger solche Mesalliancen bewundern, ich nüchterner Norddeutscher bin nicht dafür. Für an Österreicher geht halt nix über die Liab, und wenn er die stärkste menschliche Passion mit allen Mitteln befriedigt, ist das weder Tugend noch Heldentat. Wenn er sie aus Staatsinteresse überwunden hätte, würde ich ihn weit eher achten. Doch die Menschen sind Schwachköpfe, eine romantische Liebesgeschichte schmeckt ihnen süßer als die edelste Pflichterfüllung.«

Johanna seufzte leicht. Sie erkannte schon, daß die Tage der Troubadourschaft für ihren Otto vorüber seien, daß er den häuslichen Herd wie eine Vestaflamme hüten werde, doch daß ein anderes vulkanisches Feuer in seinem tiefsten Innern lodere. Und im Grunde wollte sie es auch nicht anders. Die Frau ist stolz auf einen männlichen Mann, und das allmächtige Muttergefühl sagt ihr, daß sie als Beschützer der Familie keinen anderen brauchen könne.

»Und merke dir eins, Nanne,« sprang er auf einen anderen Gedankengang über, »daß Leute aus dem unteren und Mittelstande nie wahre Demokraten sein können. Das ist das Komische von der Sache. Schlichte Vornehmheit liegt ihnen so fern, daß Industrieritter immer frech und hochfahrend auftreten, wenn sie als ›Grafen‹ die Bürgerprotzen prellen wollen. Pelze und Juwelenringe gehören zum wichtigsten Handwerkszeug solcher Schwindler, während in unseren Kreisen jede Geckerei peinlich auffällt und wir uns möglichster Einfachheit in der Kleidung befleißigen. Die natürliche Logik sollte den Leuten doch sagen, daß man, je vornehmer man ist, desto weniger Wert auf Äußerliches legt, weil man es nicht nötig hat. Vincke erzählte mir mal gelegentlich, daß bei ihm zu Haus in Westfalen die hochmütigen Freiherrn, die sich altadeliger dünken als die Hohenzollern, oft in Bauernkitteln herumlaufen.«

»Papa wäre auch fähig dazu«, lachte Johanna. »Und du hantierst ja in Hemdsärmeln zur Erntezeit herum.«

»Das macht, weil wir Landritter innig mit dem wirklichen Volke zusammenhängen. Das Stadtgesindel aber, das sich allein Volk nennt, sowie die ›Arbeiter‹ sich so nennen, als ob alle anderen nicht arbeiteten, das kann sich Fürst und Adel nur als Karikaturen des eigenen Protzentums denken. Der sogenannte Männerstolz vor Fürstenthronen ist nur pomphafte Verlegenheit, Aufgeblasenheit und verkniffener Neid. Alle wahren Republikaner, Revolutionäre, Volksbefreier sind Aristokraten gewesen, die Geschichte ist voll davon: Cäsar und Catilina waren Patrizier aus den ersten Häusern, Holland und Venedig echte Adelsrepubliken, der englische Adel verfocht von Magna Charta bis Deklaration of Rights wahrlich nicht nur die eigene Sache, als er die Königsgewalt beschnitt. Die bezeichnendsten Sinnbilder sind Marino Falieri und ein Graf Monfort, der den Hirtenkittel anzog und sich an die Spitze der Appenzeller Bauern gegen die Fürsten und Raubritter stellte. Wir haben im Bauernkrieg auch so einen anständigen Revoluzzer, Florian Geyer von Geyersberg, den einzigen anständigen Idealisten unter der Bande, und vorher Sickingen und Hutten. Der Markgraf Mirabeau, Vater des Historischen, taufte sich ›Volksfreund‹ und vergeudete sein Riesenvermögen für Agrarreformen. Der beste Teil des französischen Adels focht im Revolutionsheer gegen den äußeren Feind. So wenig ich die Franzosen leiden mag, ihr alter Adel imponiert mir doch, wie er meist den Staat und das Vaterland über das Königtum stellte. Wollte Gott, wir Deutschen könnten französischen Patriotismus nachahmen, statt Pariser Laster und Firlefanz nachzuäffen!«

Er wollte und mußte sich aussprechen, dafür ist die Frau ja da als guter Kamerad und teilnehmende Zuhörerin. Doch Johanna unterließ nicht einzuflechten: »Das ist doch eigentlich traurig, daß Edelleute sich so vergessen können, gegen angestammte Herren von Gottes Gnaden zu rebellieren. Du sagst das, verzeih', als ob du es loben wolltest.«

»Das nicht, das heißt – es kommt auf die Umstände an. Ich wollte nur ausdrücken,« er warf sich in die Brust und den Kopf zurück, »daß nur ein rechter Edelmann von altem Blutadel – Briefadel zählt nicht – sich von Fürsten nicht blenden läßt. Der steht zu nah' dem Thron, um in ehrfürchtigen Schauern zu zerfließen. Der sanfte Scharnhorst war ein Bauernsohn, doch so grob und ungeniert hat niemand den Fürstlichkeiten die Wahrheit gesagt wie Reichsfreiherr vom Stein und der olle Blücher. Die Demokraten preisen Stein als ›deutscher Freiheit Eckstein‹, und doch war der Mann erzfeudal, wollte den reichsunmittelbaren Adel wiederherstellen, um den Absolutismus zu brechen. Nie aber hat das Bürgertum so demokratische Förderer gehabt als ihn und Hardenberg. Übrigens steht es beim Cäsarismus der großen Fürsten nicht anders als bei dem der obersten Edelleute. Von Cäsar bis Friedrich dem Großen läuft hier der demokratische Zug. Das Volk kann sich nicht selbst befreien, dafür ist es zu eitel, egoistisch und kurzsichtig. Deutsche Einheit durch Volkssouveränität – daß ich nicht lache! Ich stelle es demütig dem Himmel anheim, aber so geht's nicht.«

»Da bist du wieder im richtigen Fahrwasser.« Johanna schaute auf.

»Die Hohenzollern haben sicher dem Volke wohlgetan, indem sie den Adel zähmten. Friedrich Wilhelm I. war ein schlimmer Tyrann, aber er hat die Staatsautorität als rocher de bronce stabiliert zugunsten des Allgemeinwohls. Ich lasse mir meine Hoffnung auf Suum cuique nicht rauben, den Wahlspruch der Hohenzollern.« –

Am 21. August abends schrieb er dem Schwiegervater, Johanna sei soeben von einer kräftigen Tochter entbunden. Bloß wenn es auch eine Katze wäre, hätte er doch Gott kniefällig gedankt, daß die Mutter davon befreit wäre. »Es ist doch eine verzweifelte Sache.« Eine andere anscheinend verzweifelte Sache heischte jetzt von ihm Tinte und Gehirnschweiß. Seit Jahr und Tag bemühte er sich, eine konservative Zeitung als Sammelpunkt zu gründen, und dieses Organ begann seinen Anlauf mit der Devise: »Mit Gott für König und Vaterland« und richtete das alte Landwehrkreuz als Wappen auf. Die »Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung« gewann einen geschickten Leiter in einem Publizisten namens Wagener, hinter dem man Bismarck als spiritus rector vermutete. Davon traf zu, daß der Schönhauser in seiner Muße viel Beiträge für das Blatt ansammelte und dessen fast taglicher Mitarbeiter längere Zeit blieb. Den König sprach er noch mehrmals in Sanssouci und suchte ihn aufzumuntern.

»Euer Majestät sind Herr im Hause, haben die Macht.«

»Ich zweifle, die Nationalversammlung macht freilich Übergriffe, die ich schwer dulden kann. Doch die Massen glauben nicht an mein gutes Recht, und die Demagogen müssen sich erst selbst ins Unrecht setzen. Dann wird einleuchten, wie verderblich ihre Tendenz wirkt.«

»Euer Majestät werden aber sehen und haben es schon bei einigen Gelegenheiten bemerkt, daß der militärische Gehorsam völlig unberührt blieb. Mit der Armee läßt sich alles anfangen.«

»Aber die Landwehr! Und die Bürgerwehr in Berlin würde starken Widerstand leisten, wollt' ich die Versammlung auflösen. Das würde erneut alte Wunden aufreißen, was ich im christlichen Sinne des Friedens und der Schonung vermieden wissen will. Und dann – da sind eben noch andere, größere, politische Erwägungen, die Sie, mein lieber Bismarck, in Ihrer beschränkten Sphäre nicht würdigen können.«

Aha, er fürchtet, sich bei den Frankfurter Hanswursten zu kompromittieren. Immer noch das Phantom eines jetzigen Großdeutschland, mit Österreich darin, und auf demokratischer Basis. »Euer Majestät neuliche Zusammenkunft mit dem Herrn Reichsverweser in Köln«, begann er vorsichtig, »erweckte sicher freudigen Widerhall in deutschen Landen ... ob in Preußen, läßt sich wohl nicht durchweg behaupten, wie ich untertänigst einzuwenden mir erlaube.«

»Ich weiß wohl, daß meine getreuen Ultras auch dies ein Paktieren mit der Revolution nennen.« Der König schmollte unmutig: »Welche Enge des Gefühlskreises! Es ging mir ja auch gegen den Strich, doch die Lage gebot es. Der Parlamentspräsident v. Gagern ist ja ein würdiger Mann, und ich habe mir nichts vergeben.«

»Euer Majestät ließen das Wort fallen, man werde hoffentlich nicht vergessen, daß es in Deutschland Fürsten gebe und daß Allerhöchst Sie dazu gehörten. Ein feiner Hieb, der sicher saß!«

»Und sind Sie mit meinem Trinkspruch zufrieden? Natürlich zu demokratisch für den Geschmack Ihrer Partei.«

»Nach meinem persönlichen Dafürhalten war er sehr angemessen: ›Er gebe uns einige und freie Völker, er gebe uns einige und freie Fürsten!‹ Nun wird er nichts geben, der Erzherzog. Als Bauherr am Dom der deutschen Einheit, wie Euer Majestät zu sagen geruhten, scheint er nur wenig architektonisch veranlagt.«

Der König lachte vergnügt. »Nu sagen Sie bloß noch Spickaal! sagt der Lateiner. Man muß doch höflich sind! sagt der Berliner. Der Erzherzog und ich sind zwei Auguren und lächeln einigermaßen. Nichtsdestoweniger wäre doch möglich – was gibt's denn, Gerlach?«

Leopold v. Gerlach, Bruder des mittlerweile zum Oberpräsidenten aufgestiegenen Ludwig v. Gerlach, durch diesen also mit Bismarck freundlich vertraut, trat heran und murmelte einige Worte. Der König verfärbte sich leicht und entließ Otto mit gnädiger Handbewegung. »Wichtige Staatsgeschäfte berauben mich Ihrer angenehmen Gesellschaft.« –

Worum es sich handelte, wurde bald genug klar. Nachdem Preußen das Exekutoramt gegen Dänemark übernommen und Wrangel verschiedene Erfolge errungen hatte, erhob der Zar seine gefürchtete Stimme gegen die »Rebellion« der deutschen Herzogtümer wider ihren rechtmäßigen dänischen Zwingherrn. Hier zeigt sich so recht, wie das sogenannte legitimistische System, seit den Kongressen in Verona, Karlsbad und Teplitz immer wieder zwischen den absolutistischen Zentralmonarchien festgelegt, sich nicht nur gegen freies Ausleben der Volkskräfte, sondern erst recht gegen das Nationalitätsprinzip richtete. Rußlands polnischer und Österreichs italienischer Besitz gaben dabei den Ausschlag. Unendlich bezeichnend floß die tragikomische Ironie ein, daß Englands Palmerston, der mit vieler Emphase die Meereskönigin als Beschützerin aller freiheitlichen Bestrebungen ausgelogen hatte, auf einmal giftig für Dänemarks heilige Tyrannenrechte eintrat. Diesem Druck vermochte der König in seinem Wirrsal nicht die Stirn zu zeigen, seit den Märztagen innerlich zu sehr gebrochen, um entschiedenen Zumutungen trotzen zu können. So ward Ende August ein siebenmonatlicher Waffenstillstand mit dem kleinen »Raubstaat an der See« geschlossen, und Preußen kroch zu Kreuze, obschon der Danebrog überall vom Festland verjagt.

Der Schönhauser sann düster vor sich hin. Unter jetzigen Zeitläuften wahrscheinlich ein Fehler. Die Wut in Deutschland wird grenzenlos sein. Damit verliert der König auf einen Schlag jede Sympathie, auf die er sein sonstiges Spiel baute. Schleswig-Holstein meerumschlungen! singen alle deutschen Truppen begeistert, der Krieg war volkstümlich im ganzen Reich, auch bei uns, außer den verbohrten Junkern, zu denen man mich zählt. Daß ich freundlichen Auges auf die holsteinische Milizerhebung sah, kann ich nicht behaupten. Das roch wieder nach Demagogie. Aber der Untergang der Kieler Turner und Studenten griff mir ans Herz. Wieder ein Affront Deutschlands durch übermütiges Ausland. Eine Schande, daß unsere Ideologie sich immer selber ans Messer liefert. Das wird nie anders, bis nicht ein strammer Kerl ans Ruder kommt, der zu rechnen weiß und nicht heute tun will, was erst in zehn oder zwanzig Jahren erreichbar. Denn auch hier, was war zu tun? Rußland und England sind übermächtig, ein Erstarken der deutschen Nation paßt ihnen nicht, und daß man Bettelpfennige für eine deutsche Flotte zustande brachte, erregte wohl Englands Eifersucht.

»Du mußt wissen,« belehrte er seine Frau, »daß wir durch die Hansa die größte Seemacht neben Venedig waren, daß Lübeck allein den skandinavischen Königreichen gewachsen war. England zählte noch nicht. Das nahm alles ein Ende durch den gottverfluchten Dreißigjährigen Krieg, wo die Fremden sich unsere Gaue als Schlachtfeld aussuchten, wo Deutsche gegen Deutsche fochten, Deutsche in schwedischem und französischem Sold gegen den deutschen Kaiser!«

»Den Papisten!« rief die Gattin eifrig, »das war für die heilige Religion.«

»Ach, Quatsch! (Bitt' um Verzeihung!) Das war für den Egoismus der Kleinstaaten. O Gott, daß doch nie ein Bruderkrieg wieder wüte! Sind wir denn von Gott geschaffen, uns pour les beaux yeux des verflixten Auslandes die Hälse zu brechen? Die Dänen, ein so kleines Volk, haben eine Flotte und hielten sich jetzt an unseren Küsten schadlos wie richtige Wikinger. Was war zu ändern? Der arme König hat immer Pech, er wird die Kosten tragen.«

So war es. Der sogenannte Verrat an Deutschland erregte ungeheuere Entrüstung. Die Demokratie predigte: Da habe man mit Händen zu greifen, was man vom nationalen Ehrgefühl der Fürsten zu erwarten habe. Der Reichsverweser machte große Worte, sein Ratgeber Professor Dahlmann stolperte über die Wirklichkeit, das Frankfurter Parlament kapitulierte und unterschrieb Deutschlands Demütigung. Nun ging ein neuer Rummel los. Eine Volksversammlung auf der Frankfurter Pfingstweide proklamierte ziemlich unverblümt die Republik, am 18. September entbrannte ein wilder Straßenkampf, wobei die beiden Abgeordneten Fürst Lichnowski und General v. Auerswald der Volkswut zum Opfer fielen. Die preußischen Truppen, aus Mainz herbeigerufen, säuberten die Stadt; auch andere Putsche in Baden und Württemberg mißlangen. Doch die Versöhnlichkeit zwischen Regierungen und Völkern, der man zustrebte, war unheilbar geschädigt. Die breiten Massen verharrten in ihrer Erbitterung, während alle besitzenden Klassen offen oder heimlich von der Demokratie abfielen und sich nach den Fleischtöpfen Ägyptens selbst in reaktionärer Küche sehnten. Es folgten die furchtbaren Ereignisse in Wien und Ungarn, wo es zum Massenkampf zwischen Heer und Volksaufgebot kam. In Berlin nahm das Tumultuantentum überhand. Am letzten Oktobertag sah sich die Nationalversammlung in ihrem Sitzungslokal am Gendarmenmarkt, nämlich dem Schauspielhaus, von wüsten Volkshaufen belagert.

»Den 31. Oktober wird man auch im Andenken behalten«, brummte Otto, seiner Frau aus der Zeitung vorlesend. »Sie nennen's die vernagelte Sitzung. Der Berliner muß immer Witze machen, auch wenn er selber vernagelt im Kopfe.«

»Hat der Plebs sich wieder geregt?«

»Ja, die auf dem Gendarmenmarkt lärmenden Massen haben eine Ausgangstür mit einer Querleiste vernagelt. Konservative Abgeordnete sind kaum mehr ihres Lebens sicher, werden auf offener Straße mißhandelt. Und drinnen geschehen oratorische Greulszenen. Die Demagogen Waldeck und Räuber fordern das Volk auf, den Madjaren Kossuths zu Hilfe zu ziehen. Also eine Internationale der Revolution!«

Aber das schlug dem Faß den Boden aus. Das schlaffe Ministerium Pfuel ablösend, schlug das Ministerium Brandenburg eine kräftige Sprache an.

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