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Seht«, sagte der alte Ulebuhle, »da lag ein reicher Mann auf seinem Sofa und hielt sein Mittagsschläfchen. Er hatte den Mund weit geöffnet und scharrte und rasselte wie ein Sägewerk. Sonst aber war es still im Zimmer, daß man die Fliegen summen hören konnte. Sie tranken mit ihren kleinen Rüsseln von dem Weinrest, der im Glase stand, und machten sich über die Kuchenkrümchen her, die auf dem zarten Porzellantellerchen lagen. Ja, hier war es gut sein, aber deshalb tanzten sie dem Manne, bei dem sie ungeladen zu Gaste waren, dennoch auf der Nase herum, denn Undank ist der Welt Lohn.
Aber in der Brust und auf der Brust des Schläfers war es lebendig. Wenn man genau hinhörte, so hörte man es leise und geschwätzig wispern: ›Ticktickticktick-Ticktickticktick‹, und von drinnen antwortete es dumpf und taktfest: ›Poch-Poch-Poch-Poch!‹ Die Taschenuhr war es und das Herz. Sie lagen dicht beieinander, jedes tat seine Arbeit. 12
›Unser Herr schläft‹, sagte das Herz, ›ich darf nicht schlafen, ich schlafe niemals, denn wenn ich einschlafen wollte, würde mein Herr nie wieder aufwachen!‹
›Was machen Sie eigentlich da drinnen ?‹ fragte die Taschenuhr.
›Ich halte den ganzen Krempel in Schwung. Ich bin ein großes Pumpwerk und pumpe das Blut durch die Adern meines Herrn. Ja, das ist keine Kleinigkeit. Wenn ich auch nur eine Minute aussetzen wollte, könnte sich mein Herr begraben lassen. Seit fünfzig Jahren arbeite ich nun ununterbrochen, aber Dank hat man nicht davon. Sehen Sie, fünfzig Jahre, das sind achtzehntausendundzweihundertsechzig Tage oder mehr als vierhundertachtunddreißigtausend Stunden. Es sind also über sechsundzwanzig Millionen Minuten vergangen, seit mein Herr geboren wurde und seitdem ich unablässig das Blut durch seinen Körper pumpe. Wenn Sie nun aufpassen, so werden Sie leicht zählen können, daß ich in jeder Minute siebzig Schläge mache, ich habe also in den fünfzig Jahren achtzehnhundertvierzigmillionenmal geschlagen, ohne auch nur einmal auszuruhen!‹
›Ja, das ist wirklich ein Stück Arbeit, das sich sehen lassen kann‹, meinte die Uhr. ›Das sind treue Dienste, und Ihr Herr müßte Sie fürstlich belohnen.‹
›Ach du lieber Gott‹, brummte das Herz, ›er ist noch unzufrieden obendrein! Neulich ist er in der größten Hitze mit mir auf einen hohen Berg hinaufgerannt. Es war eine schreckliche Geschichte, und ich habe mich abgerackert, daß ich glaubte, es gehe mit mir zu Ende. Schließlich ging es aber nicht mehr, und als er immer schneller lief und immer mehr von mir verlangte, da setzte ich einen einzigen Schlag aus. Da wurde mein Herr ganz furchtbar aufgeregt und schimpfte immerfort, daß er ein so schlechtes Herz habe. Da sehen Sie, daß es ein undankbarer Herr ist.‹
›Sind Sie auch aus Metall?‹ fragte die Uhr.
›Nein‹, entgegnete das Herz, ›und es ist ein Glück, denn da wäre ich schon lange hin. Ich bin aus lauter Muskeln und Häuten zusammengesetzt, die halten besser als Stahl und Eisen!‹
›Aber wenn Sie nun einmal repariert werden müssen!‹ meinte die Taschenuhr. ›Wenn Sie zum Uhrmacher müssen, der Ihre Räder ausbürstet und eine neue Feder einsetzt, was macht Ihr Herr dann?‹
›Alles nicht nötig‹, brummte das Herz, ›Räder und Federn habe ich 13 nicht, und ich repariere mich ganz allein. Einmal aber war mein Herr mit mir bei einem Manne, der Menschen reparieren kann. Er hatte eine große Brille auf der Nase und sagte meinem Herrn auf lateinisch, was ihm fehle. Dann horchte er mit einem Rohr auf meinen Schlag, und mein Herr mußte eine große Flasche voll bitterer Tropfen trinken. Der Magen war sehr ärgerlich darüber, denn er sagte, ihn gehe die ganze Geschichte gar nichts an.‹
›Seien Sie froh‹, sagte die Uhr, ›daß der Uhrmacher nichts mit Ihnen zu tun hat. Es ist eine schreckliche Geschichte. Alle Glieder werden einem da auseinandergerissen, man kommt unter die Bürste, sie stochern mit eisernen Haken in den Eingeweiden herum, zwicken und zwacken, und ein scharfes Ding kratzt an einem herum, daß die Späne fliegen. Der Herr bezahlte drei harte Taler und schimpfte, der Doktor sagte, ich sei eine alte Knarre und hätte einen verbeulten Zylinder.‹
›Pumpen Sie auch Blut?‹ sagte das Herz.
›Gott soll mich bewahren‹, wisperte erschreckt die Uhr. ›Ich bin aus purem Golde, aber das ist nicht die Hauptsache, das ist nur eine Äußerlichkeit. Ich habe ein reiches Innenleben. In mir geht es zu wie in einer Mühle. Da dreht ein Rad das andere, und die Hauptsache ist, daß ich pünktlich bin. Pünktlichkeit ist die beste Höflichkeit, sagt mein Herr, und er wird fuchsteufelswütend, wenn ich mich mal verspätet habe. Ich bin aber so gewissenhaft und laufe dafür am nächsten Tage wieder etwas schneller, aber das ist ihm auch wieder nicht recht. Die Menschen sind undankbar und wissen nicht, was sie wollen.‹
›Was mahlen Sie denn in Ihrer Mühle?‹ fragte das Herz.
›Gar nichts mahle ich, ich mache Zeit!‹
›Zeit? Zeit?‹ fragte verwundert das Pumpwerk in der Brust. ›Was ist das für ein Ding?‹
›Ja‹, wisperte die Uhr, ›genau weiß ich es auch nicht, aber es ist eine kostbare Sache, denn mein Herr sagt: Zeit ist Geld, und Geld regiert die Welt! – Ich spiele eine wichtige Rolle im Leben. Kaiser und Könige richten sich nach mir, und bei allen wichtigen Geschäften werde ich zu Rate gezogen. Dennoch sind die Menschen zu mir nicht dankbarer als zu Ihnen. Sehen Sie, ich bin nun schon zwanzig Jahre im Dienste meines Herrn, und das will etwas heißen. In einer Sekunde ticke ich fünfmal, also achtzehntausendmal in der Stunde und vierhundertzweiunddreißigtausendmal am Tage. 14 Einhundertachtundfünfzigmillionenmal im Jahr. Tag und Nacht arbeite ich ununterbrochen. Mein Schwungrädchen ist nicht größer als ein Fingernagel meines Herrn, es dreht sich blitzschnell seit Jahren und Tagen hin und her, so schnell, daß man es kaum sehen kann. Würde es immer geradeaus rollen, so legte es in einem Tage sechsunddreißig Kilometer zurück, und in drei Jahren hätte es einmal die ganze Erdkugel umwandert. Dabei ist alles an mir zart und fein, ich habe Achsen, so dünn wie ein Haar und eine winzige kleine Feder. Ich esse nichts und trinke nichts, brauche nur alle paar Jahre ein kleines Tröpfchen Öl, aber die Menschen sind trotzdem undankbar, und man kann es ihnen nicht recht machen. Wenn ich könnte, so ginge ich weit fort in die Welt, aber ich liege hier an der Kette wie ein Bullenbeißer.‹
›Jeder hat seinen Ärger‹, meinte das Herz. ›Ich muß aufpassen, daß die ganze Geschichte hier drinnen in Schwung bleibt. Mein Herr hat vierzehn Liter Blut in seinen Adern, und die pumpe ich in einem Tage sechshundertmal rundum. Ja, es ist ein schönes Stück Arbeit, und anstatt mir die zu erleichtern, macht mich mein Herr fast krank mit seinem ewigen Weintrinken und Zigarrenrauchen. Dazu der Ärger mit den einzelnen Gliedern! Bald ist zuviel Blut im Kopf, und der hat Schmerzen, bald setzt sich mein Herr so ungeschickt, daß er die Adern zudrückt und ihm die Beine einschlafen, weil das Blut nicht durch die Leitungsröhren hindurch kann, und ein anderes Mal wieder beschweren sich die Hände, daß sie zu wenig Blut bekommen und frieren. Immer hab' ich die Schuld!‹
›Ich‹, meinte die Taschenuhr, ›lebe in einem langjährigen Kriege mit den Gebrüdern Zeiger. Sie denken, sie wären das Wichtigste, weil der Herr nur auf sie schaut, aber wenn das Räderwerk sie nicht dreht, so sind sie zu nichts nütze. Ewig leben sie miteinander in Hader. Der kleine dicke ärgert sich, daß der lange dünne ihn immer überholt, und so hängt er sich zuweilen an seine Frackschöße und geht mit ihm, so daß die ganze Zeigerei beim Teufel ist. Am übelsten aber ist der ganz kleine, der sich nur immer in einem engen Kreise herumschwingt wie ein Zirkuspferd. Er möchte so gern auch weit herum, wo all die großen dicken Zahlen stehen, und so klammert er sich fortwährend an den langen dünnen oder schleift vor Ärger auf dem Zifferblatt, bis die ganze Geschichte stillsteht. Dann nimmt mich der Herr wutschnaubend und klopft mich hart gegen die Tischkante, daß mir die 15 Eingeweide durcheinanderzufallen drohen, und dann schimpft er greuliche Worte, behauptet, ich wäre eine niederträchtige Zwiebel, und wenn ich nicht von Gold wäre, würde er mich zum Fenster hinauswerfen.‹
›Pssst!‹ machte das Herz. ›Er erwacht!‹
Richtig, er erwachte, machte laut ›Uäh! – Aah! Huaaaa!‹, und dann sprang er mit beiden Beinen herab von seinem Ruhebett. Er zog die Uhr. ›Halb fünf!‹ sagte er. ›Hoffentlich geht die alte Pfeffermühle richtig!‹
›Ja, ja‹, seufzte die Uhr, ›Undank ist der Welt Lohn‹!« 16