Bruno Hans Bürgel
Die seltsamen Geschichten des Doktor Ulebuhle
Bruno Hans Bürgel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Busennadel

Der alte Ulebuhle trug Sommer und Winter ein kleines buntes Seidentüchlein um seinen dürren Hals, das durch eine große Busennadel zusammengehalten wurde. Es war eine merkwürdige Nadel. Sie war nicht von Gold und nicht von Silber, kein Edelstein und keine Perle bildete ihren Kopf, und doch mußte sie sehr wertvoll sein, denn einmal suchte sie der merkwürdige Alte und war sehr ängstlich, daß sie verloren sein könnte. Ein unansehnlicher, roher schwarzer Stein, so groß wie ein Kirschkern, bildete den Kopf der Busennadel, und wir Kinder schauten sie oft an, weil wir vermuteten, daß es irgendeine besondere Bewandtnis mit ihr haben müsse. Irgendeine schnurrige Geschichte steckt dahinter, sagten wir, und einmal muß der gute Alte damit herausrücken!

Und als wir eines Tages wiederkamen, da brachten wir auch die verlorene Busennadel mit. »Ulebuhle«, schrien alle zugleich, »da ist sie! Sie lag drunten vor Eurem Gartenfenster. Wäre nicht ein Frosch vorübergehuppt, wir hätten sie nicht gesehen. Aber nun müßt Ihr auch erzählen, warum Euch das eiserne Ding mit dem unansehnlichen Stein so wertvoll ist. Bestimmt ist es eine spannende Geschichte!«

Der Alte lächelte verschmitzt und nahm eine riesige Prise aus seiner Schnupftabaksdose. »Spitzbuben«, sagte er, »fast möchte ich glauben, ihr habt die Nadel versteckt, um beim Wiederbringen die Geschichte zu hören. Aber da die alte liebe Nadel wieder da ist, so sollt ihr auch belohnt werden, denn der Stein am Kopf, der euch so unscheinbar vorkommt, hat in der Tat eine Geschichte, die interessanter ist als manche Räuberpistole, denn der Stein in der Busennadel ist von weit her. Er stammt nicht aus den Tiefen der Erde, noch vom Grunde des Meeres, er ist nicht auf Bergeshöhen gewachsen, noch schufen ihn die Menschen, ja er wurde überhaupt nicht auf der Erde erzeugt. Ferner als der Mond und manche Sterne war er einst unserer Erde. Aus dem Weltenraum kam er nach vieltausendjähriger Wanderung zu uns. Seht, das habt ihr ihm nicht angesehen, dem Unscheinbaren, und nun merkt auf, 192 denn jetzt kommt seine Geschichte und alles, was mit ihr zusammenhängt.«

Der Alte setzte sich in seinem Stuhl zurecht, zündete seine lange Pfeife an und begann:

»Das war im Jahre 1690. Die kleine Stadt lag friedlich noch im Schlafe, nur der Turmwächter, der hoch oben im Turm der uralten Kirche saß und auf Feuer und anderes Ungemach aufpaßte, war wach und spähte hinaus in die Winternacht. Die Sterne standen glitzernd zu vielen Tausenden am weiten Himmelsbogen, und der Alte im Turm kannte sie fast alle, denn viele Jahre saß er schon einsam in der Höhe und machte sich über Welt und Menschen seine Gedanken.

Da sah er droben ein schwaches, lichtes Wölkchen stehen, das er bislang noch nicht gesehen. Am anderen Tage war das Wölkchen wieder da, und nach einer Woche war es immer heller und größer geworden und hatte seine Gestalt verändert. Da sah der alte Turmwächter, daß es ein Komet war, der langsam der Erde näher zog.

Ein wundervoller, heller Stern, heller als alle anderen, weithin strahlend, entstand aus der lichten Wolke, und ein prächtiger schimmernder Schweif zog hinter dem Stern her. Der Komet wuchs und wuchs; immer näher kam er der Erde. Blendender Glanz ging von ihm aus, sein Schweif war so gewachsen, daß er den ganzen Himmel überspannte; wie eine mächtige Rute hing die seltsame Lichtgestalt droben am Firmament.

Wenn es dunkel wurde, dann standen die Menschen zu vielen Tausenden auf den Gassen oder wanderten ins Freie, vor die Tore der Stadt, um den wunderbaren Stern zu sehen. Kein Mensch hatte je am Sternenzelt so Seltsames erschaut. Der König der Sterne schien gekommen, denn alle anderen verschwanden in seinem Glanz und Schein, alle anderen wurden verdeckt, und der riesige Komet nahm den ganzen Himmel ein.

Da wisperten und flüsterten die Menschen geheimnisvoll in allen Ecken und Gassen, und ihre Gesichter wurden besorgt. Was hatte es zu bedeuten, daß der Vater im Himmel ein so seltsames, nie gesehenes Zeichen, eine so feurige Rute über die Erde hinstreckte?

Und immer glänzender wurde der schreckliche Komet, immer strahlender sein Stern, immer größer sein schimmernder Schweif. Die Menschen standen ängstlich in den Gassen und zitterten vor dem Zorn des Herrn der Welt. 193

Da kam ein fremder Mönch von weit her in die Stadt gezogen. Er hatte ein blasses, strenges Gesicht, in dem zwei dunkle Augen düster brannten. Eine graue Kutte trug er, mit einem hänfenen Strick darum, und barhäuptig wandelte er durch die Gassen. – Als es Abend wurde und die Menschen wieder hinausliefen, den wunderbaren Stern zu sehen, da stand der Mönch am Toreingang auf dem Steinblock und hatte die Hände erhoben zum Himmel, an dem der Komet in magischem Glanze leuchtete.

›Männer und Frauen dieser Stadt‹, sagte er, ›seht ihr den vom Himmelsvater gesandten Stern droben erschrecklich leuchten? Seht ihr die feurige Rute, die der zürnende Gott drohend über euch erhebt? Euch droht die gerechte Strafe für alle Missetat, die ihr begangen. Habt ihr nicht einer den anderen bestohlen, wo es ging? Hat nicht der Kaufmann betrogen und gefälscht, hat nicht selbst Mord und Aufruhr durch die stillen Gassen der Stadt getobt? Wer hat dem Nächsten in seinen Nöten geholfen, wie Gottes Sohn am Kreuz geboten, und wer hat Vater und Mutter Ehrfurcht erwiesen, wie das Gesetz es befahl? Immer weiter habt ihr euch vom Wege des Heils entfernt. Die Kirchen sind verödet, ihr habt den alten Gott in frevelhaftem Übermut abgesetzt, nun wird er euch mit dem himmlischen Feuer kommen, da ihr seine Güte nicht verstanden. Er sendet den schrecklichsten Kometen, den die Welt gesehen, über die Erde hin, Pest und Hungersnot, Krieg und Mord, Feuersbrunst und Weltuntergang wird er euch bringen, die ihr des Heilands vergessen, die ihr den Herrn geschmäht und verraten. Der letzte Tag ist gekommen, der Tag der Rache und der Vergeltung für alles, was verharrt in Unglauben und Sünde. Macht euch bereit, vor den Richterstuhl der Herrn der Welt zu treten. Wenige Tage noch, und der Komet wird sich niedersenken zur Erde, mit Feuer und Tod!‹

So sprach der Mönch. Er stand mit bleichem Gesicht wie ein Rächer, der unbekannt aus fernen Landen kam. Der Schein des Kometen leuchtete auf seinem Antlitz gespenstisch, seine Arme reckte er drohend in den Himmel, das Kruzifix in seiner Rechten funkelte, sein graues Büßergewand wehte im Winde. Die Menge sank nieder auf die Knie und betete. – Der Mönch aber verschwand, still wie er gekommen, doch lange noch stand seine ernste Gestalt, sein bleiches Gesicht mit dem strafenden Blick im Gedächtnis der Menschen, und seine Worte vergaßen viele nach Jahrzehnten nicht. 194

In feierlichen Prozessionen bewegten sich in den nächsten Tagen die Massen zur Kirche, um den Himmelsvater zu bitten, den schrecklichen Kometen, der den Untergang der Welt bringen sollte, wieder fortzunehmen vom Sternenzelt. Die Glocken läuteten noch nie so oft zum Kirchgang wie jetzt, und frommer Gesang und Orgelspiel tönten allenthalben aus den Gotteshäusern.

Aber ein noch größerer Teil der Menschen hatte nun ganz den Kopf verloren. ›Das Ende der Welt ist gekommen, der Jüngste Tag‹, sagten sie, ›nun ist es zu spät, Buße zu tun, nun müssen wir doch sterben und verderben, was wollen wir uns da noch plagen! Der Komet wird uns alle hinwegraffen, die Guten und die Bösen, laßt uns die letzten paar Tage noch fröhlich sein. Was sollen wir noch arbeiten und schaffen? Das Ende der Welt ist da!‹

Sie warfen Hammer und Kelle, Nadel und Elle, Axt und Spaten hin und schmausten und pokulierten Tag und Nacht. Überall quiekte die Flöte, brummte der Dudelsack, zirpten die Geigen, und die Menschen tanzten, bis sie umfielen. Die Frommen wollten ihnen wehren, da gab es blutige Kämpfe in den engen Gassen. Die Stadtwache hieb mit der Waffe dazwischen, durch die nächtliche Stille tönte Tanzmusik und Orgelklang, Beten und Fluchen und das Geschrei der Kämpfenden, und über alldem leuchtete der Komet mit wunderbarem Glanze.

Ja, es war eine tolle Zeit, und niemand wußte mehr, wie es enden solle. Da trat der hohe Rat des Kurfürsten zusammen und besprach den tollen Wirrwarr des Landes und die Not und Angst und Unordnung seiner Bürger. Der Kurfürst ließ die weisen Magister und Professoren zusammenkommen und trug ihnen auf, Mittel zu finden, Unheil abzuwenden, das Volk zu beruhigen.

Die berühmtesten Sterngucker des Landes wurden herbeigeholt, damit sie ihre Meinung über den Kometen sagen möchten und ob er wirklich sich niedersenken werde auf die Erde, alles zu vernichten.

›Nein‹, sagten die Sterngelehrten, ›das wird er nicht tun, und der Mönch hat den sündigen Leuten nur Angst machen und sie zurückführen wollen auf den Weg der Tugend und der Gottesfurcht, wie es Rechtens ist.‹

›Aber morgen schon kann der Komet mit der Erde zusammenstoßen und alles in Trümmer schlagen und verbrennen‹, sagten manche.

›Nein‹, riefen die Sterngelehrten, ›er steht zehnmal weiter als der 195 Mond von der Erde und zieht nun langsam fort. Bald wird er verblassen und ganz klein werden, ferner und ferner wird er wandern und im Sternenraum verschwinden.‹

›Aber wo kommt der wunderbare Fremdling des Himmels her und wo geht er hin?‹ forschten die kurfürstlichen Räte.

›Seht‹, antworteten die Sternkundigen, ›der Komet läuft schon viele Jahrhunderte lang immer rundum einen mächtig weiten Weg um die Sonne. Alle hundertfünfzig Jahre kommt er wieder und besucht sie, und dann muß er auch an der Erde vorbei. Vor hundertfünfzig Jahren war er schon einmal da, und auch damals haben die Menschen geglaubt, daß die Welt untergehen wird, aber sie steht heute noch. Seht nur in den alten Geschichtsbüchern nach, da werdet ihr es finden.‹

Der Kurfürst ließ alle alten Chroniken und Historienbücher kommen und erkannte, daß die Sternkundigen recht hatten. ›Aber so erzählt uns‹, befahl er, ›was so ein Komet für ein sonderbarer Stern ist und ob er uns schaden kann!‹

›Großmächtiger Herr Kurfürst‹, sagten die Gelehrten, ›der Kometstern ist nichts weiter als eine viele tausend Meter dicke Wolke von Steinen. Die meisten Steine sind nicht größer als eine Erbse, aber es sind auch welche darunter, so groß wie ein Wagenrad. Wenn die Wolke der Sonne nahe kommt, wo es erschrecklich heiß ist, dann fängt sie an zu glühen, und leuchtende Gase bilden sich aus den Steinen, die hinter der Wolke als ein wundervoller, schimmernder Schweif herziehen, wie der Rauch hinter dem Kohlenfeuer. Wenn aber der Komet wieder von der Sonne fortzieht, dann wird er wieder kalt und leuchtet nicht mehr, und der schöne Schweif nimmt ein Ende!‹

›Das läßt sich hören‹, sagte der Kurfürst. ›Jetzt aber geht und beruhigt unser Volk. Es wird sich ja bald zeigen, ob ihr recht gesprochen habt, denn dazu seid ihr da, und ich bezahle euch Jahr und Tag euer Gehalt, daß ihr die Sterne studiert. Habt ihr aber falsch gesprochen, so wird ein peinliches Gericht über euch gehalten werden. Und nun geht!‹

Da verbeugten sich die Sterngelehrten tief und verließen den kurfürstlichen Hof. Der Kurfürst aber ließ in allen Städten anschlagen, was die Sternkundigen von dem Kometen berichtet, und befahl jedermann, wieder in Ordnung zu leben und fleißig zu arbeiten, und wo noch ein Tänzer und Dudelsackpfeifer, ein Tagedieb und Prasser sich blicken ließe, dem solle der Stadtvogt mit einem nicht zu dünnen 196 spanischen Rohr das Sitzleder gerben, daß es eine Art habe. Ja, solches befahl der hohe Herr, und das war wohlgetan.

Da bekam denn so mancher wegen des leuchtenden Kometen ein christlich gemessenes Schock spanischen Pfeffers, aber das war auch das einzige Unglück, das der Schweifstern fürder anrichtete. Langsam wurde er immer kleiner und blasser, und endlich sah man ihn nur noch als ein winziges Wölkchen am Sternenhimmel verschwinden, genau so, wie ihn der Turmwächter hatte kommen sehen.

Da erkannten der Kurfürst, seine Räte und alles Volk, daß die Sternkundigen wahr gesprochen hatten. ›Gut‹, sagte der Fürst, ›so will ich euch zur Belohnung noch ein größeres Fernrohr bauen lassen, damit ihr die Sterne so deutlich betrachten könnt wie nie zuvor.‹

Und das tat er, denn er war ein strenger und gerechter Herr.

Der Komet aber zog in seiner Bahn wieder unbekümmert dahin. Er ahnte nicht, daß die Menschen solche Angst seinetwegen ausgestanden. Im bitter kalten Weltenraum schwirrte er, tausendmal schneller als die schnellsten Vögel, von der Sonne und von der Erde fort. Selbst in ihren großen Fernrohren konnten ihn die Sternforscher auf der Erde nicht mehr erkennen, denn er war endlich vieltausendmal weiter von ihr entfernt als der Mond.

Viele Jahre waren vergangen, da kam der Komet in großer Ferne an einer anderen Erde vorbei, die war wohl ein paar hundertmal größer als unsere Weltkugel, auf der die Menschen wohnen. Ja, wer mit so einem Kometen mitfliegen könnte durch die Sternenräume!

Was sieht er nicht alles, was wir Menschen nie zu sehen kriegen! Da wandert er dicht am Monde vorbei und schaut hinein in die tiefen Krater und späht wohl umher, ob er nicht irgendwo etwas Lebendiges sieht, aber nichts regt sich auf der ausgestorbenen Mondwelt, und nur die Sonne glitzert an den hohen Felsenwänden. – Dann huscht der himmlische Wandersmann wieder dicht an der Sonne entlang und blickt hinein in das brodelnde Glutmeer, aus dem in hunderttausend Meter hohen Springbrunnen das wilde Flammenfeuer emporschießt, und dann späht er neugierig auf die Erde, sieht die Eisbären auf den Schneewüsten des Nordpols, sieht die Beduinen in weißen Mänteln durch die heiße afrikanische Wüste reiten. Sieht, wie sich die Erde dreht im Wechsel von Tag und Nacht und Länder und Meere im Sonnenschein glänzen. – Dann aber trifft er auf seinem Wege andere 197 Erden in weiter Ferne, die alle, rund wie Tennisbälle, um die feurige Sonne wandern. Große trifft er und kleine, und auf allen ist es wieder anders. Auf manchen leben andere Menschen von sonderbarer Gestalt, und auf manchen sind sie schon ausgestorben, oder sie sind noch nicht erschienen, weil es noch so heiß auf dem Stern ist, daß man da verbrennen würde, wie der Fisch, der in kochendem Wasser leben sollte.

Ja, was sieht so ein Komet alles, der dahinbummelt durch die Sternenräume!

Eines Tages also kam unser Komet ganz dicht an einer anderen Erde vorbei, die ein paar hundertmal größer war als unsere. Ein mächtiger Ball war es. Wolken umzogen ihn, und viele Monde tanzten rings um die Weltkugel.

Der Komet war ein fürwitziger Bursche, er rückte dem Riesen so nahe auf den Leib, daß er fast seinen Wolkenring berührte. Aber es bekam ihm schlecht!

›Schönen guten Tag!‹ schrie der Komet und rauschte auf den großen Burschen los.

›Bleiben Sie mir vom Leibe, Luftikus, oder es gibt ein Unglück!‹ brüllte der andere.

Aber schon war es zu spät! Krach, rannten sie aneinander, daß die Funken stoben. Der Erdenstern aber hatte einen härteren Schädel, und so erging es dem Kometen erbärmlich. Er wurde in mehrere Stücke auseinandergerissen, in einzelne Wolken von Staub- und Steinmassen, die nun hintereinander her durch den Weltenraum zogen. Da war es nun aus mit der schönen Herrlichkeit des Schweifsternes. Nie wieder konnte er nun als ein schimmernder, alle Welt in Bewunderung und Staunen, in Angst und Schrecken setzender Prinz bei der Erde erscheinen, und trübselig wandelte er dahin.

Und als die Zeit erfüllt war, als er nun wieder seine große Reise vollendet und nach hundertfünfzig Jahren zur Sonne zurückkehrte, da guckten sich die Sternkundigen die Augen nach ihm aus. Sie schraubten immer stärkere Linsen in ihre großen Operngucker, aber sie konnten nichts von dem Fremdling sehen. Es ist schnurrig, sagten sie, damals war er so groß, daß alle Menschen in Todesangst kamen und glaubten, er würde die Erde zertrümmern, und nun bleibt er ganz unsichtbar. Sie wußten nicht, daß den alten Bummler auf seinem Wege 198 ein schwerer Unglücksfall betroffen und daß er krank und siech, gewissermaßen auf Filzschuhen, durch den Sternenraum dahinzog.

›Er ist tatsächlich verschwunden‹, sagten die Sterngucker, die mit blaugefrorenen Nasen eine kalte Winternacht nach der anderen am Fernrohr saßen. ›Übermorgen müßte er der Erde am nächsten stehen und sie fast berühren, aber er scheint nicht wiederzukommen!‹

Seht, Kinder, als diese Zeit gekommen war, da war euer alter Ulebuhle ein junger Mann, der auch nach dem Himmel guckte, um den berühmten Kometen zu sehen. Und als nun der Tag kam, an dem der Schweifstern ganz dicht bei der Erde stehen sollte, da wanderte er hinaus ins Freie, um die Sterne zu betrachten. Es war ein kalter Winterabend, und die Sternlein blitzten wie lauter Diamantsplitter in der klaren Höhe. Auf einmal, gegen Mitternacht, kamen viele Sternschnuppen geflogen. Erst wenige, dann mehr, und dann Hunderte und Tausende, Stunden um Stunden! Halt, halt, sagten die Sterngucker, da ist endlich der Komet! Himmel, wie hat er sich verändert. Er hat sich aufgelöst in lauter kleine Teile, und nun wandert die Erdkugel mitten durch den ganzen Krempel. All die einzelnen Steinchen und Staubmassen, aus denen der Kometenkopf bestand, schwirrten nun einzeln durch die Lufthülle der Erde, entzündeten sich da und glühten und sprühten. Ja, es war ein wundervolles Feuerwerk und kostete nicht einen Pfennig; der alte Petrus gab es ganz umsonst!

Manchmal kamen größere Steine, und dann glühten sie grün und rot auf hoch droben und krachten wie Raketen. Auf einmal, siehe da, kam ein ganz großer. Er puffte und zischte und knallte und zerbarst in tausend schimmernde Funken, und die fielen zur Erde nieder. Huiii! ging es plötzlich, als wenn eine Flintenkugel daherpfiffe, und dann sagte es ratsch und knatterte gegen einen alten Baum, der am Wege stand. Wir liefen hinzu, und da lagen ein paar kleine Steinchen auf der harten Schneedecke unter dem Baum, Steinchen, die von der Sternschnuppe abgesplittert waren, Steinchen, die zu dem Kometen gehörten. So hoben wir sie auf und brachten sie als Andenken mit nach Hause.

Den meinen aber ließ ich einsetzen in die Busennadel. Seht her, da ist er! Hat er nicht eine ganz absonderliche Geschichte? Er ist ein Stück von dem schrecklichen Kometen, der vor Jahrhunderten die Menschen geängstigt, er wanderte weithin durch die Sternenräume, besuchte den 199 Mond und die Sonne, sah, wie es auf anderen Sternen aussieht, und fiel endlich aus Himmelshöhen nieder zur Erde. Ja, er hat eine absonderliche Geschichte wie kein Stein sonst in der Welt!«

 

»Ulebuhle«, sagten die Kinder, »flunkert Ihr uns auch nichts vor, und bestehen die Kometen wirklich nur aus solchen Steinen?«

»Galgenvögel!« sagte der Alte grimmig. »Wenn der Ulebuhle etwas sagt, dann ist es so. Geht hin in das Museum, da könnt ihr solche vom Himmel gefallene Steine von Kometen aufbewahrt finden, und wenn ihr des Abends die Nase hinaufreckt zum Himmel, so werdet ihr dann und wann so ein Steinchen als Sternschnuppe fliegen sehen, das sich verspätet hat und nun einsam hinter der aufgelösten Kometenwolke daherzieht wie ein Schulbub, der die Zeit verschlafen. Jetzt aber trollt euch von dannen, denn die Geschichte von der Busennadel ist zu Ende!« 200



 << zurück weiter >>