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XI.
Der Unfall.

Dreh dich, Fortunas Rad, mindre den Stolz.

TENNYSON Erster Vers aus dem Gedicht » Enid. 1. The Marriage of Geraint« (ursprünglich » Enid's Song«, 1859) aus dem Zyklus » Idylls of the King« von Alfred Tennyson.


» Er ist sehr hübsch,« sagt Polly Gunther.

»Und nicht nur das, er hat auch so ein vornehmes Auftreten. Ich hatte ihn früher gerne dabei, wenn ich mit meinem Mann irgendwohin ausging. Mr. Erwin hat ihn wie einen jüngeren Bruder geliebt, – ich war selbst viele Jahre jünger als Mr. Erwin.«

»Ja, es hat das Picknick entschieden aufgeheitert, dass er dabei war; und wie unerwartet er auftauchte: wie von Zauberhand.«

»Und genau zum richtigen Zeitpunkt. Meine unartige Nichte! Ich hab' ihr noch nicht vergeben, wie sie gestern mit mir gesprochen hat. Es sieht so aus, als könnte einzig und allein Mr. Dart die Bösartigkeit unter Kontrolle bringen, die von ihr – und das zu solch einer Zeit – Besitz ergriffen hat.«

»Sie sind bestimmt zu geduldig mit ihr,« murmelt Polly.

»Haben Sie gehört, was sie über meine Perücke gesagt?« fragt die Witwe, bei der Erinnerung daran errötend. »Natürlich trägt fast jede Dame manchmal eine ›Welle‹, um das eigene Haar zu schonen, besonders im Sommer,« und Mrs. Erwin berührt vorne ihre aufwendige Frisur.

»Es war skandalös,« erklärt Miss Gunther.

Die beiden Freundinnen sitzen an einem von Miss Bounces vorderen Wohnzimmerfenstern und beobachten die Pferde, die unter Jabes Aufsicht auf ihre Reiter warten.

»Mr. Dart ist auch ein seh' versierter Geschäftmann,« fährt Mrs. Erwin fort, »und er muss es sein, denn sein Vater hinterließ ein furchtbares Durcheinander. Mein Freund ist von Beruf Arzt, obwohl wenige ihn mit seinem Titel ansprechen, weil er niemals regelmäßig praktiziert hat.«

»Ich frage mich, ob er deshalb Barbara so genau betrachtet. Ich dachte erst, er wäre so von ihr beeindruckt.«

»Gut möglich. Da kommen sie,« sagt Mrs. Erwin, als Jean und Barbara in ihrer Reitkleidung die Treppe hinabsteigen, »wie gut Miss Wait ausschaut, sie macht rasche Fortschritte.«

»Wie gut Jean ausschaut,« fügt Polly unzufrieden hinzu, »Brünetten steht das Reitkostüm immer so gut. Wie schade, dass niemand sie sehen kann; und wie sie lacht und mit Barbara spricht. Da, nun haben sie uns gesehen.«

Und so nicken die beiden lächelnd den Reiterinnen zu, die sich verbeugen, und fort sind sie.

»Es könnte da jemanden geben, der sie sieht, wenn Mr. Dart nicht so eigensinnig wäre. Ich konnte nicht von ihm heraus kriegen, ob er noch lange im Dorf bleibt oder nicht: wissen Sie, Männer sind so ungesprächig. Ich hab' ihn gebeten, hier hinaus zu kommen und uns zu besuchen, aber seine Antwort war seh' wenig zufriedenstellend.«

 

Jean und Barbara galoppieren über die wohlbekannten Straßen, genießen den späten Sommernachmittag und ihr Beisammensein. Ganz gegen Jeans Willen befasst sich ihre Unterhaltung eine Zeit lang mit demselben Thema, das im Wohnzimmer der Farm verhandelt wird.

»Kannst du dir Mr. Dart als Mrs. Erwins Ehemann vorstellen?« fragt Barbara, die trotz der leichten Bewegung ihres gut trainierten Pferdes ziemlich außer Atem ist.

»Ja; warum nicht? Mrs. Erwin ist eine Frau, die nach Strich und Faden bedient werden will, und er scheint durchaus in der Lage zu sein, sich um sie zu kümmern.«

»Was für ein Gedanke! Sie ist doch so viel älter als er: das ist absurd!«

»Also, B., ich würde gern die Verbote verbieten. Und du?«

»Ich werde mich niemals dazu bewegen lassen, das zu tun. Er wird sie nie heiraten, niemals!« beteuert Barbara entschieden.

»Damit ist diese Sache jetzt erledigt,« sagt Miss Ivory. »Ist die Luft nicht herrlich, Barbara?« fährt sie fort und holt tief Atem, »freust du dich auch auf eine Heuernte, solange wir bei Miss Bounce sind?«

»Ja,« antwortet Barbara abwesend. »Wenn überhaupt, Jean, dann wird er sie um Netties willen heiraten.«

»Mausie, du bist einfach wundervoll, dass du in so wenigen Stunden so viel über einen Fremden weißt.«

»Überhaupt nicht. Ich saß bei Mrs. Erwin, nachdem wir vom Picknick gekommen waren, und sie hat mir viel erzählt. Jean, ich hab' Mitleid mit dem jungen Mann, der sich in einer so unbehaglichen Lage befindet; du nicht auch?«

»Überhaupt nicht, B., er genießt es wahrscheinlich, Nettie herumkommandieren zu können,« entgegnet Jean, wobei sie an das inbrünstige, wenn auch vergängliche Mitleid denkt, das sie einst dem fraglichen jungen Mann gespendet hat. »Ich bin nicht so zart besaitet wie.«

»Das bist du tatsächlich nicht,« bestätigt ihre Freundin mit solcher Ernsthaftigkeit, dass Jean sich ihr überrascht zuwendet.

»Wenn ich sage, du seist nicht zart besaitet, klingt das aus meinem Mund nicht besonders nett, Jean, oder?« fährt Barbara missbilligend fort,« aber mir scheint, du bist sehr hart Nettie Dart gegenüber; dir ist bestimmt nicht klar, wie sehr das Mädchen dich bewundert, sonst würdest du deinen Einfluss ein wenig zur Geltung bringen. Sie hängt mit ihren Augen an dir, wenn du mit ihr in demselben Zimmer bist.«

»Ja, ich weiß,« erwidert Jean; »ich habe mir darüber Gedanken gemacht, aber ich komme immer zu demselben Schluss, nämlich: wenn es nicht reicht, ihr zu zeigen, wie ihr Verhalten auf die Leute wirkt, die sie bewundert, wäre jede Veränderung, die sie auf meine oder jemandes anderen Bitte vornehmen würde, nur vorübergehend und nicht der Rede wert. Ich denke, sie hat das Gefühl, dass ich sie verletzt habe; aber es kommt mir seltsam vor, dass du das auch denkst. Was soll ich machen? Ich empfinde keine Neigung jemandem gegenüber, der beständig meinen Geschmack beleidigt und der für mich in keiner Weise interessant ist; und ich kann nicht erkennen, weshalb ich Sympathie vortäuschen sollte.«

Jean spricht so ernst und so entschieden, dass Barbara etwas in ihrer bisherigen Überzeugung erschüttert ist, dass ihre Freundin lediglich als Missionar gegen Nettie auftreten müsse, um Erfolg zu haben.

»Ich hätte wissen müssen, dass du längst darüber nachgedacht und zu dem Thema deine eigene Meinung gebildet hat,« versetzt sie; »dennoch würdest es dir keinen Abbruch tun, wenn du 'mal probierst, wie weit man mit etwas Freundlichkeit kommt.«

»Hör sich einer dieses Mädchen an!« ruft Jean. »Man könnte meinen, ich wäre absolut unmenschlich gewesen. Siehst du dort die hübsche laubige Lichtung im Gehölz, Barbara? Lass uns den ausgetretenen Pfad verlassen und ein wenig auf Erkundung gehen.«

»Der ausgetretene Pfad ist der sicherste, sagt man,« bemerkt Barbara lachend, während sie sich der Führung ihrer Freundin anvertraut.

»Und was wäre das für eine langweilige Welt, wenn es zu den Regeln keine Ausnahmen gäbe,« antwortet Jean, während sie in den Wald reitet. »Dort, B., ist etwas von dem Moos, dem ich schon überall hinterher gejagt bin. Ich muss etwas davon haben. Kannst du an mir vorbei reiten?«

Zur Antwort geht Barbaras Pferd langsam auf dem engen Pfad vorbei.

»Jetzt,« sagt Jean, »kannst du weiter reiten oder warten, ganz wie du möchtest; aber ich muss mir dieses Moos sichern.«

»Offenbar zieht es ›Furchtlos‹ vor weiter zu gehen,« erwidert Barbara. »Wonach lauscht er? Oh, ich weiß – nach dem Fluss. Der gute alte Gaul ist durstig.«

»Natürlich, es ist der Fluss,« sagt Jean und nimmt ihr Reitgewand über einem Arm zusammen. »Man sagt, alle Wege führen nach Rom. Jeder Kuhpfad in Pineland führt zu diesem albernen kleinen Fluss. Man könnte meinen, er wäre in feste Knoten geknüpft, so viele Krümmungen und Windungen hat er.«

» Au revoir!« ruft Barbara immer weiter entfernt. »Komm, sobald du kannst.«

 

Am Flussufer sitzt Kenneth Dart, beharrlich angelnd, und kaum ist er angekommen und hat seine Schnur geworfen, genießt er in aller Fülle seine Umgebung. Die langen Schatten der Bäume liegen so dunkel auf dem Fluss, dass die Fische gewiss zu einem späten Mahl empor gelockt werden können. Die Geduld des Anglers wird nicht so streng auf die Probe gestellt wie sonst, und mit einem raschen starken Zug hebt er die Angel in einer zu plötzlichen und energischen Bewegung, durch die ihm der Fisch, der Köder und alles verloren gehen. Bevor er seine Enttäuschung äußern kann, veranlasst ihn ein schwacher Schrei, umgehend aufzuschauen, und er nimmt Miss Waite und ihr Pferd wahr, das sich hoch aufbäumt, was sehr hübsch aussehen würde, wenn es in schwarzem Marmor modelliert wäre, jedoch ausnehmend unerfreulich ist für die furchtsame, unerfahrene equestrienne.

Roß und Reiterin sind geräuschlos aus dem Wald gekommen und haben genau in dem Moment den Fluss erreicht, als Mr. Dart seine schlanke Angelrute aus dem Wasser hoch riss. Das überraschte Pferd verleumdet seinen Namen und steigt vor Schreck auf, während Barbara mit beiden Händen den Sattelknopf umfasst.

»Oh, ›Furchtlos‹!« schreit sie, während das Tier lediglich seine Vorderfüße senkt, um mit gebeugtem Kopf und misstrauischem Blick auf den Gegenstand seiner Furcht seitwärts zu tanzen.

»Seien Sie nicht beunruhigt, Miss Waite. Bleiben Sie ruhig,« sagt Dart, lässt die Angel fallen um nähert sich behutsam.

Sollte das Pferd zu rennen versuchen, würde seine Reiterin Kratzer und Prellungen von den Bäumen davon tragen, wenn nicht noch mehr.

»Oh, kommen Sie rasch!« schreit Barbara, die sehr bleich wird, als ›Furchtlos‹, der entweder Mr. Dart seinen außergewöhnlich breiten Hut verübelt oder irgendetwas anderes in der Szenerie, wieder leicht aufsteigt und immer weiter von dem Verfolger fort tanzt.

»Hoh – hoh!« ruft Kenneth beschwichtigend. »Zügeln Sie ihn nicht zu straff, Miss Waite.«

Diese Warnung ist kaum nötig, weil Barbara, zunehmend erschreckt, den Sattelknauf als ihre einzige Sicherheit fest umschlingt und damit ›Furchtlos‹ vollständige Freiheit gibt, wie es ihm gerade passt, herumzuwirbeln.

Kenneth ist nahe genug, um den Zügel an sich reißen. Das Pferd schüttelt den Kopf und springt fort, während Barbara ihren Halt am Sattel preisgibt und sich in Mr. Darts Richtung wirft.

Zum Glück – denn ihre Bewegung kommt völlig unerwartet – vermag er sie aufzufangen. Es macht einen Ruck, als ihr Fuß den Steigbügel verlässt. Sie stößt einen schrillen Schrei aus, dann steht der junge Mann und hält eine in Ohnmacht gefallene Frau in seinen Armen, indem ein Krachen im Gehölz andeutet, welche Richtung ihr Ross genommen hat.

 

Mittlerweile hat Jean ihr Moos gesammelt und liebevoll betrachtet und denkt gerade darüber nach, wie sie es auf sicherste Art transportieren könne, als ein Schmerzensschrei ihr in die Ohren tönt. Sie hebt kurz den Kopf in lauschender Haltung, lässt dann das Moos fallen und besteigt, einen hohen Baumstumpf als Trittleiter nutzend, ihr Pferd.

»Barbara! Barbara! Ich komme!« schreit sie und drängt ihr Pferd den Pfad entlang. Einem Krachen zur Rechten ihres Wegs folgt prompt ›Furchtlos‹, den sie durch die Blätter in einem deutlich verlangsamten Schritt kommen sieht, weil die Hindernisse im Wald sich verdichten.

»Oh Barbara! Wo bist du?« schreit sie in Panik.

»Hier lang,« ruft die Stimme eines Mannes, und aus dem Wald hervor kommend, sieht Jean Kenneth Dart auf Knien, die ohnmächtige Barbara stützend.

Blitzartig begreift Jean die Situation. Mr. Dart hat beim Angeln irgendwie Barbaras Pferd erschreckt, das sie abgeworfen hat; und als sie vom Sattel gleitet, ist sie fast selbst erschrocken über die Rachgefühle, die sie gegen den Verursacher des Unheils erfüllen.

»Oh! Ist sie tot? Haben Sie sie getötet?« fragt sie, beugt sich über ihre Freundin und nähert dabei ihre Stirn dem Gesicht des Mannes.

»Miss Waite ist ohnmächtig geworden, das ist alles,« versetzt Kenneth leichthin; »kein Wunder übrigens, bei diesem irrwitzigen Gaul …«

»Was soll Ihr Gerede? Warum tun Sie nicht etwas?« verlangt Jean gebieterisch und nimmt Barbaras Hand.

Mr. Dart fühlt sich eigentümlich fassungslos. Warum ist es so schwierig, seine Aufmerksamkeit von diesem prachtvollen, von Leben und Seele erfüllten Gesicht auf die Tote an seiner Brust zu übertragen, und das, wo er noch dazu Arzt ist?

»Bringen Sie mir etwas Wasser in meinem Hut, Miss Ivory. Das ist nichts Ernstes. Seien Sie nicht so aufgebracht!«

»›Nichts Ernstes!‹ – und sie sieht so schrecklich aus! Geben Sie sie mir! Ich muss sie halten – arme kleine B. Gehen Sie das Wasser holen, reiben Sie ihr die Hände und tun sie irgend 'was, das Ihnen einfällt.«

Von allen guten Geistern verlassen setzt sich Jean, schlingt ihren Arm um ihre Freundin und zieht sie sich auf den Schoß.

Bei dieser Bewegung zittert Barbara, ächzt und öffnet ihre Augen; dann schließt sie sie mit einem Stöhnen wieder.

Kenneth Darts Gesicht wird ernst. »Das sieht schlecht aus,« sagt er.

» Was sieht schlecht aus? Was?« fragt Jean ungeduldig. »Beeilen Sie sich! Warum beeilen Sie sich nicht?«

Während dessen kommt Kenneth mit einen Hut voller Wasser und bringt ihn zur Anwendung. Mit wiederkehrendem Leben stöhnt Barbara erneut.

»Oh, was ist denn? Was ist denn, Barbara?« fragt Jean, bevor das Mädchen ganz bei Bewusstsein ist.

»Es passierte so, Miss Ivory,« beginnt Dart, während er Barbaras Hände reibt. »Ich …«

»Ja, oh, ja, ich weiß. Sie haben geangelt und ihr Pferd erschreckt.«

Mr. Dart erstarrt bei dieser Vorahnung.

»Sie und ich haben sie zusammen umgebracht,« fährt Jean fort und schüttelt ihren dunklen unbedeckten Kopf – denn ihr Hut liegt bei dem Moos im Wald.

»›Sie und ich zusammen,‹« wiederholt Mr. Dart mit einer Stimme, die auch nicht annähernd kläglich genug ist, um zu der Notlage zu passen.

»Was ist denn, Liebes! Sag's mir! Sag's Deiner Jean!« beschwört sie das Mädchen, als sie stärker stöhnt und die grauen Augen sich weiter öffnen.

»Mein Fuß! oh, mein Fuß!« murmelt Barbara – ihr Ausruf geht in eine Stöhnen über.

»Es ist ihr Fuß, Mr. Dart! Er ist gebrochen!« verkündet Jean, indem sie geradewegs zur schlimmst-möglichen Schlussfolgerung springt. »Was sollen wir tun? Sie haben keine Ahnung, und ich auch nicht.«

»Jedenfalls wieder Kameraden,« brummt der Gentleman, schlägt trotz der pauschalen Anklage das Reitgewand zurück und prüft den kleinen Fuß. Dank der Freizügigkeit und Sorglosigkeit des entspannten Landlebens sind Barbaras Schuhe kaum höher als Pantoffel. Welcher Fuß betroffen wurde, ist keine Frage – einer der Knöchel ist rasant zur doppelten Größe seines Genossen geschwollen.

Barbara fährt auf, als der Gentleman ihn untersucht – die gesamte Liebe seines zu Grabe getragenen Berufs erhebt sich in ihm.

»Was unterstehen Sie sich, ihr weh zu tun?« ruft Jean mit lodernden Augen. »Sie haben für heute genug angerichtet, glaube ich. Berühren Sie ihren Fuß nicht wieder!«

»Nein, er ist nicht gebrochen,« sagt Kenneth ruhig; »nur eine Verstauchung.«

»Ja, ich weiß, mein Fuß wurde in dem Steigbügel verdreht,« sagt Barbara mit weißen Lippen. »Was für ein entsetzlicher Hasenfuß bin ich doch bei Schmerzen! Ich danke Ihnen so sehr, Mr. Dart, dass Sie mich aufgefangen haben.«

»Wie kommt sie auf die Idee, ihm zu danken?!« denkt Jean, auf die des Gentlemans kühles Ignorieren ihrer scharfen Worte sich dämpfend auswirkt – und da ist jetzt genau das in seinem Gesicht und in seiner Art, mit dem verletzten Fuß umzugehen, was sie froh macht über seine Gegenwart.

»Obwohl, um das klarzustellen: wenn er hier erst gar nicht herumgeangelt hätte, würden wir ihn jetzt nicht brauchen,« denkt sie und bereut die zeitweilige Häresie, die sogar die Willkommenheißung der Gegenwart ihres »treu Ergebenen« unter gewissen Umständen einschloss.

»Wenn du Mr. Dart vergeben kannst, kannst du vielleicht auch mir verzeihen, Barbara, dass ich dir ein unsicheres Pferd gab. Oh, du kannst dir nicht vorstellen, wie schuldbeladen ich mir vorkomme, Mausie,« sagt sie, und ihr schwarzes Haupt beugt sich über das braune. »Ich meine es immer gut, und mache es falsch.«

Bei diesem Eingeständnis hebt Jean ihren Kopf, und ihre Augen mit den unvergossenen Tränen treffen auf die von Mr. Dart.

Sie hat seine Existenz für einen Moment vergessen; aber als er sie anschaut, bringt sein Gesichtsausdruck eine tiefe Hitze auf ihre Wangen, so dass ihre Tränen trocknet, wo sie gerade stehen.

Ihr Blick bekennt die Vorkenntnis, die sie von ihm hat, und er teilt ihr, so deutlich, wie Augen sprechen können, mit, dass er an sie glaubt und sie versteht.

Es mag sein, dass Jean sogar mehr als das in dem beredten Blick sieht, aber sie ist sofort wieder kühl, jeder mädchenhafte Kummer ist aus ihrer geschäftsmäßigen Stimme verschwunden.

»Glaubst du, du könntest auf meinem Pferd sitzen, B.?«

»Nein, sie würde zu sehr leiden, sobald das Blut in ihren Fuß fließt; die gezerrten Bänder sind sehr empfindlich,« wirft Mr. Dart entschieden ein.

»Tatsächlich? Sie sprechen, als verfügten Sie über entsprechende Authorität,« sagt Jean leicht höhnisch.

»Ja, die hab' ich. Dr. Dart, meine Damen, zu Ihren Diensten. Ich werde nach meinem Diplom Im amerikanischen Original: » sheepskin«; in früheren Zeit bestand die Urkunde aus einer Rolle echten Schafspergaments. schicken, falls Sie Zweifel haben,« fügt er auf Jeans ungläubigen Blick hinzu. »Ich gebe zu, ich habe bei dieser Sache unverantwortlich herumgetrödelt, aber ich werde versuchen, das jetzt wettzumachen. Wollen Sie oder soll ich zur Farm zurück gehen wegen eines Wagen, Miss Ivory? Ich würde vorschlagen, dass Sie das tun, denn ich kann inzwischen Miss Waite durch den Wald bis zur Straße tragen, und so wird Zeit gespart.«

Es bedarf der zusätzlichen Bitte in Barbara's Augen nicht, um Jeans Zustimmung zu dieser Lösung herbeizuführen, und sie bewegt sich vorsichtig aus ihrer Stellung, während Mr. Dart der Leidenden zu einer sitzenden Position verhilft.

»Ich werde mich auf jeden Fall beeilen, so gut ich kann, Liebes,« sagt Jean, während sie aufsteht.

Mr. Dart bringt das Pferd, das in aller Ruhe in der Nähe gegrast hat, und hebt ohne ein Wort Jean leibhaftig in den Sattel.

Sie wird rot bei der unerwarteten Handlung, aber Mr. Darts Benehmen und Gesichtsausdruck sind so geschäftsmäßig, dass sie sich schämt, etwas so Nichtiges gedacht zu haben, wo das einzige Ziel von ihnen beiden Zeitersparnis sein sollte.

»Bringen sie nicht Jabe mit, oder besser: kommen Sie nicht selbst mit zurück, wir werden den gesamten Platz in dem Gefährt benötigen.«

Jean verbeugt sich leicht, ohne den Sprecher anzuschauen.

»Wo ist dein Hut, Jean? Nimm meinen!« sagt Barbara leise.

»Nein, ich werde bei meinem im Wald kurz anhalten, das wird mich keine Minute kosten.«

Und mit einem Abschiedsblick voller Mitleid reitet Jean fort.

Mr. Dart schaut ihr nach, solange er sie sehen kann. Zu schnell entschwindet die schöne Silhouette.

»Ich wünschte, ich könnte mich erinnern, was ich in dem vermaledeiten dämlichen Brief geschrieben habe,« denkt er, dreht sich dann um und zwingt seinen Geist zurück zur Pflicht.

 

Für Jean ist das Absitzen und Hutaufheben unterwegs eine Sache weniger Augenblicke, und als sie die Straße erreicht, fliegt sie über sie hin in der höchsten Geschwindigkeit, das ihr Tier leisten kann.

»Wird der Fremde B. sehr wehtun, wenn er sie durch das Gehölz trägt?« fragt sie sich; dann erinnert sie sich der Leichtigkeit, mit der Mr. Dart die ihr eigentümlichen hundertdreißig Pfunde Angabe in amerikanischen Pfund, wie im Text; das entspricht knapp 60 Kilogramm. bewältigte, und entscheidet, dass Barbara bestmöglich dran ist. Aber die plötzlich Farbe, die bei dieser Erinnerung in ihr Gesicht steigt, entweicht ihren Wangen wieder, als sie erkennt, was dieser Unfall eigentlich bedeutet.

Eine Verstauchung ist hartnäckiger, wenn auch weniger ernst als ein Bruch. Niemand weiß, wie viele Wochen vergehen werden, bevor Barbara wieder an die Luft kommt und die Übungen machen kann, die sich schon so gut ausgewirkt haben.

Jeans Augen füllen sich mit Tränen der Enttäuschung und Verbitterung. Dieser hübsche blonde Fremde mit seinem gewandten Auftreten und seinen wohltrainierten Muskeln hat ihr in ihrem kurzen, erfreulichen Leben den einzigen Kummer beschert, den sie je hatte, und ihr Mund verzieht sich missvergnügt, als sie flott und grimmig zum Nebentor des Farmhauses reitet.

»Miss Bounce,« sagt sie, in die Küche hineinplatzend, wo jene eine Brotmischung bearbeitet, »wo ist Jabe? Ich brauche Dolly und das Fuhrwerk, und zwar schnell; Miss Waite hat sich ihren Knöchel verstaucht.«

»Wenn ich das wüsste,« entgegnet Miss Hopeful, zieht eine Hand aus dem Teig und reibt ihr Kinn mit dem Handgelenk.

»Schnell, bitte! Wo ist Jabe«?

»Ich hab' keine Ahnung, und wenn ich sterben müsst'. Is' das nich' ein Unglück?«

Jean stampft leicht auf, um ihren Gefühlen Luft zu machen.

»Verstehen Sie sich auf das Anschirren, Miss Bounce?«

»Oh, ja, natürlich.«

»Dann kommen rasch, worauf warten Sie?«

»Wie schrecklich aufgeregt Sie sind, Miss Avery; lassen Sie mich erst den Teig von den Händen kriegen.«

Aber ehe dies ordentlich vollbracht ist, hat Jean ihre Wirtin hinaus zur roten Scheune geschleift, wohin ihr Pferd ihr voraus gegangen ist.

»O, dieser große, plumpe Rock! Ich kann mich kaum in ihm bewegen, aber ich hab' keine Zeit, ihn zu wechseln; beeilen Sie sich, Miss Bounce. Wo sind die anderen?«

»Ich hab' keine Ahnung. Sie gingen weg, um Heidelbeer'n zu suchen, glaub' ich,« erwidert Miss Bounce, die der geduldigen Dolly das Geschirr über den Kopf streift und es dabei mit Teig verziert, während Jean die Sache dadurch beschleunigt, dass sie die Riemen an den falschen Stellen verschnallt.

Dolly schaut sich den ungewohnten Vorgang in gelinder Überraschung an.

»So, das wird sicher reichen, Miss Bounce,« sagt Jean schließlich.

»Ich merk' jetz', dass ich am Ende nich' mehr weiß, wie man anschirrt, oder Sie ha'm mich so durch'nander gebracht, dass 'ch kein' klaren Kopf mehr hab'«, versetzt Miss Hopeful. »Sie hängt jetz' vorm Fuhrwerk, und mehr ka' m'r dazu nich' sag'n,« fährt sie fort, als Jean hineinspringt und die Zügel ergreift; und so bewegt sich Dolly majestätisch aus dem Schuppen, läßt sich mitnichten zur Eile antreiben, bevor die abschüssige Fläche zurückgelegt ist und sie auf ebenem Grund einher trottet.

»Ich werde' das Gefühl nich' los, dass irgend 'was mit dem Zaumzeug der armen Dolly nich' stimmt,« rätselt Miss Bounce, indem sie langsam zum Haus zurück geht. »Wenn mich nich' alles täuscht, wird sie nur an einem Ohr gelenkt. O, Sommergäste! da muss m'r manchmal gnädig sein, da gibt's kein Vertun!«

 

Bei der Ankunft am Wald findet Jean Mr. Dart und Barbara wartend, letztere presst fest ihre Hand über die Augen.

»Die arme junge Dame, ein verstauchter Knöchel ist eine schlimme Sache,« erklärt Mr. Dart im Wissen um Barbaras Leiden, »aber Sie werden es hoffentlich bald angenehm haben.«

Jeans Gesicht ist hart und dunkel, das ganze Sonnenlicht mit seinem glänzenden, beweglichen Ausdruck ist unter der Wolke ihres Missfallens untergegangen. Sie sagt nichts, steht nur da vor dem Gefährt, zieht den beweglichen Vordersitz so weit vor, wie es geht. Sogar sie kann einer flüchtigen Bewunderung der zarten Stärke nicht widerstehen, mit welcher ihr Feind Barbara in seinen Armen hält und sie auf die zerlumpten Kissen hinten im Fuhrwerk hinlegt. Es geschieht so leicht, als wäre sie ein Baby in langen Kleidern, anstatt eine junge Dame im Reitgewand; aber der nicht zu unterdrückende schwache Schrei, den die Leidende ausstößt, verhärtet Jean wiederum.

»Ich danke Ihnen, Mr. Dart,« sagt sie großartig, ergreift die Zügel und setzt sich, bereit los zu fahren.

»Nein, nein, Sie dürfen sich nicht hinsetzen, Miss Ivory, jedenfalls nicht auf diesen Platz; kommen Sie bitte einen Augenblick aus dem Wagen.«

Jean schaut den Sprecher voller Verachtung an. »Kann nichts den verhassten Mann über seine wahre Stellung belehren,« fragt sie sich, »oder besitzt er keinerlei Scham?«

Barbaras Stöhnen verwirrt sie jedoch, und weil sie nichts Besseres zu tun weiß, gehorcht sie.

»Genau! Jetzt klappen wir den Sitz hoch bis an die Vorderplatte, so,« sagt Mr. Dart freundlich, »und so können Sie und ich ganz unten in dieser – äh – Familienarche sitzen.«

»Hören Sie! Es gibt keinen Anlass für Sie, mit uns zu kommen, Mr. Dart,« sagt Jean mit Würde, »ich wäre Ihnen allerdings sehr verbunden, wenn Sie sich um einen Arzt kümmern würden.«

»Ich will etwas viel Besser für Sie tun, ich werde selbst mit Ihnen kommen. Ich war unwillentlich verantwortlich für den Unfall – nach Ihrer Darstellung natürlich,« hierbei errötet Jean vor Wuth, »und es obliegt mir, alles zu tun, was ich kann, um Abhilfe zu schaffen. Ich werde zuerst hineingehen, um den armen Fuß zu stützen, und Sie – Sie müssen sitzen, wo Sie gerade können, Miss Ivory, und lenken.«

Jean ist wie vor den Kopf geschlagen von der freundlichen Zuversicht dieser Worte und steht hilflos, um die Ausführung dieses Programms zu beobachten.

»Sie sind so gütig,« sagt Barbara mit einem dankbaren Blick auf Mr. Dart, als die Anordnung vollendet ist.

Jean fühlt sich selbst entschieden in der Minderheit, und demütig in das Gefährt steigend, macht sie sich so schmal wie möglich auf dem Boden neben dem jungen Arzt, der, als Dolly langsam kehrt macht, leise singt:

»›Es geschah in 'm Fuhrwerk mit halbhoher Lehn' …‹« Im amerikanischen Original: »' T was in a low-backed car«. » The Low-back'd Car« war ein auf einer irischen Ballade fußender amerikanischer Song von Samuel Lover aus dem Jahre 1849. – Der » low-backed car«, ein Wagen mit niedriger Rückenlehne, war in der südlichen Hälfte Irlands üblich und diente dazu, die Landbevölkerung und ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse auf den Markt zu bringen.

Die arme, leidende Barbara kichert hysterisch.

»Das ist das Ulkigste, was ich je erlebt habe,« sagt Barbara halb weinend. »Ruth würde vor Lachen sterben, wenn sie uns sehen könnte: ich gleiche einem Mann mit Zipperlein, und ihr beiden seht absolut komisch aus. Lachen Sie nicht, Dr. Dart!« setzt sie mit beschwörender Gebärde hinzu. »Das schüttelt mich schlimmer als das Fuhrwerk.«

»Enschuldigen Sie – wird nicht mehr vorkommen. Was für ein Glück: so eine glatte Straße und so eine sorgsame Kutscherin; aber was ist mit Ihrer temperamentvollen Stute los, Miss Ivory? Züchtet man in dieser Gegend einohrige Pferde?«

Jean beißt sich auf die Lippen. Einer der schmalen Riemen unbekannten Namens hat sich vom Pfade der Pflicht verirrt und drückt nun eines von Dollys Ohren dicht an ihren Kopf, dieweil die alte Mähre im Allgemeinen so aussieht, als habe sie sich ihrer Uniform entkleidet; aber weder dies noch irgend etwas anderes wird Jean zu einem Lächeln verleiten, und so verfällt der Krankenwagen am Ende in feierliches Schweigen, als er das Farmhaus-Tor erreicht, und das Fuhrwerk erlebt es zum ersten Mal seit vielen Jahren, dass es einen Mann zur Roten Farm bringt.



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