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Drittes Kapitel.

»Er kömmt zuletzt in hoher Lieblichkeit;
Woher! – Sie wissens nicht und brauchens nicht zu rathen.«

Lara.

 

In den Tagen, in welchen man sündhafte Handlungen hauptsächlich durch Aberglauben wieder gut zu machen suchte und die Sklaven wilder Leidenschaften des Glaubens lebten, sie könnten ihre Reue nur durch auffallende Handlungen physischer Selbstverläugnung an den Tag legen, war die Welt oft Zeuge von Beispielen, daß sich Leute ihren Verlockungen entzogen und in Höhlen oder Klausen krochen, um daselbst recht augenfällig der Buße und dem Gebete zu leben. Daß diese außerordentliche Schaustellung von Frömmigkeit häufig nur der Mantel des Ehrgeizes und des Truges war, ist gewiß, obschon es lieblos seyn würde, im Allgemeinen bezweifeln zu wollen, daß die Quelle einer so seltsamen Handlungsweise in einem ehrlichen, wiewohl mißverstandenen Eifer lag. Noch jetzt trifft man in den südlicheren Theilen Europas nicht selten Einsiedeleien, obschon sie in Deutschland nur selten vorkommen; aber vor der Reformation des sechszehnten Jahrhunderts, folglich auch um die Periode unserer Erzählung, gaben sich die Abkömmlinge der nördlichen Menschenrace vielleicht weit öfter der Einsamkeit in einer Wildniß hin, als die Südländer mit ihrer glühenderen Einbildungskraft. Es ist ein Naturgesetz, daß Körper, welche leicht Eindrücke aufnehmen, dieselben ebenso leicht wieder verwischen lassen, und es mag wohl für die unabläßigen Selbstpeinigungen des Anachoretenlebens eine Beharrlichkeit und Strenge erforderlich seyn, die sich weit seltener unter den flüchtigen und glücklichen Kindern heißer Sonnen, als unter den ernsteren Sprößlingen von Himmelsstrichen fand, wo Frost und Stürme herrschen.

Was sich auch immer theoretisch über einen Menschen sagen lassen mag, der in solcher Weise zu Gottes Ehre die weltliche Gemächlichkeit aufgab, so läßt sich doch keinesfalls verkennen, daß in der Wirklichkeit eine derartige Lebensweise schon hienieden eine wohlthuende Befriedigung in sich führte, die für kränkelnde Gemüther, namentlich aber für solche, in welchen der Saame des Ehrgeizes nur im Schlummer lag, nicht aber erloschen war, viel Reiz bot. In der That kam es nur selten vor, daß sich eine Einsiedelei in der Nähe eines einfachen gläubigen Völkleins aufthat, und nur Wenige suchten eine völlige Abgeschiedenheit, ohne einen reichen Zoll an Verehrung von Seiten ungebildeter Bewunderer und ein bedeutendes moralisches Uebergewicht über dieselben zu gewinnen. Auf so hinterlistige Weise belagert uns die Eitelkeit innerhalb der Bollwerke, welche wir für die sichersten halten, und wer die Welt aufgegeben hat, um mit ihr auch jene Leidenschaften abzustreifen, durch die er seine Hoffnungen gefährdet sieht, muß nun mit einemmale den Feind in neuer Gestalt mitten im Herzen seiner Vertheidigungswerke finden. Es liegt kein großes Verdienst und gemeiniglich eben so wenig Sicherheit darin, wenn man einer Gefahr den Rücken kehrt, und derjenige, welcher in Folge eines so zweideutigen Mittels den Kampf überlebt, hat weit weniger auf den ehrenvollen Namen eines Helden Anspruch zu machen, als derjenige, welcher siegreich aus dem Streite hervorgeht und seinem Widersacher den Todesstoß gegeben hat. Dem Menschen ist die Aufgabe zugewiesen, im Kreise seiner Brüder Gutes zu thun, seinen Posten in der Kette der Schöpfung auszufüllen und keine der hohen Pflichten zu umgehen, welche ihm Gott übertragen hat; auch sollte er es eben darum mit dem tiefgefühltesten Danke anerkennen, daß er in seinem mühevollen Erdenwallen des mächtigen Beistandes jener Weisheit nicht entbehrt, welche das All in harmonischem Einklang erhält.

Der Klausner unter den Cedern – wie der Anachoret, den der Mönch und seine zufälligen Begleiter jetzt besuchten, von dem Landvolke und den Dürkheimer Bürgern gewöhnlich genannt wurde, – hatte sich sechs Monate vor Eröffnung unserer Geschichte auf der Heidenmauer eingefunden. Woher er kam, wie lang er zu bleiben gedachte und was er früher getrieben; – dieß waren lauter Thatsachen, von denen Niemand in der Umgegend auch nur das mindeste wußte. Kein Mensch hatte ihn kommen sehen, und Niemand konnte sagen, aus welcher Quelle er die paar Hausgeräthschaften, die sich in seiner Hütte befanden, bezogen hatte. Diejenigen, welche acht Tage zuvor das Lager unbewohnt verlassen hatten, fanden nun mit einemmale einen Mann daselbst, welcher eine der verlassenen Hütten wind- und wetterfest gemacht, zugleich aber durch Aufpflanzung eines Kreuzes vor seiner Thüre den Beweggrund seiner Abgeschiedenheit zureichend angekündigt hatte. Man pflegte damals die Niederlassung eines Einsiedlers in der ganzen Umgegend als ein glückliches Ereigniß zu begrüßen, und der Klausner saß noch keine vierzehn Tage im Gebirg, als man schon allerseits auf die Fürsprache des Fremden Hoffnungen baute und Pläne zu Erreichung zeitlicher Zwecke darauf gründete. Die Nachricht von seiner Ankunft verbreitete allgemeine Freude, welche nur von dem Grafen Emich, dem Dürkheimer Magistrate und den Limburger Mönchen nicht getheilt wurde. Der stolze, kampflustige Ritter hegte in Folge seiner angestammten Feindschaft gegen das benachbarte Kloster, welches sich seit Menschenaltern um die Herrschaft über das Thal mit seiner Familie stritt, ein unvertilgbares Vorurtheil gegen alle Diejenigen, welche ihr Leben dem Himmel weihten, und die Herren vom Rathe unterhielten eine geheime Eifersucht gegen jeden Einfluß, der sich nicht auf Landesbrauch und Gesetze gründete, während das Mißtrauen der Mönche in jener geheimen Triebfeder der Menschennatur zu finden war, welche es uns unangenehm empfinden läßt, wenn wir in Dingen, die zu unserem Berufe gehören, übertroffen werden, selbst wenn sich's dabei um höhere Gottseligkeit handelt. Bisher hatte der Abt von Limburg in allen Vermittelungen zwischen Erde und Himmel als letzte Instanz gegolten, und da dieses Ansehen das Recht der Verjährung für sich hatte, so durfte er sich desselben lange in jener sorglosen Sicherheit erfreuen, welche in Zeiten des Glückes so oft dem Falle vorangeht.

Diese Abneigung von Seiten der Hochstehenden und Gewaltigen hätte das Leben des Klausners im mindesten Falle sehr ungemächlich, wo nicht entschieden unsicher machen können, wenn nicht das Gleichgewicht durch entschiedene Gegenkräfte hergestellt worden wäre. Die Volksmeinung hielt, vom Aberglauben unterstützt, ihren Schild über die niedrige Hütte, und Monat um Monat entschwand nach der Ankunft des Fremden, ohne daß er andere Kundgebungen als die der Ehrfurcht, welche ihm die Masse zollte, hatte befahren dürfen. Ein zufälliges Zusammentreffen mit Berchthold reifte zur Vertraulichkeit heran, und der Leser wird im Laufe unserer Erzählung finden, daß es auch noch andere Personen gab, denen die Gebete und Rathschläge des Klausners nicht gleichgiltig waren.

Die letztere Thatsache klärte sich nun auch denjenigen zureichend auf, welche um ihres wechselseitigen Mißtrauens willen mit weniger Umständen, als gewöhnlich, über die Schwelle der Hütte traten. Das Licht im Innern rührte von einem Reißbündel her, der auf dem ärmlichen Heerde brannte, verbreitete aber hinreichende Helle, um dem Mönch und seinen Begleitern zu zeigen, daß der Klausner nicht allein war. Man hatte augenscheinlich ihre Fußtritte vernommen, denn eine weibliche Gestalt benützte diese Ankündigung um sich von ihren Knieen zu heben und ihren Mantel so über sich herzuwerfen, daß ihr Antlitz völlig verhüllt wurde. Sie war kaum damit zu Stande gekommen, als der Benedictiner mit seiner schwarzen Kutte die Thüre verdunkelte, während ihm Berchthold und sein Freund mit lebhafter Neugierde, in welche sich Ueberraschung mischte, über die Schultern schauten. Der Klausner war seiner Gestalt und seinem Gesichte nach ein Mann von mittlerem Alter. In seinem Auge sprach sich Geist und Lebhaftigkeit aus, obschon seine Bewegungen die vorsichtige Bedächtigkeit kundgaben, welche lange Erfahrung allmählig in die Geberdungen derjenigen legt, die nicht vergebens gelebt haben. Er ließ weder Besorgniß, noch Verwunderung über den unerwarteten Besuch blicken, sondern betrachtete einfach seine Gäste wie ein Mann, der sich von ihrer Identität überzeugen will, und forderte sie dann durch einen leichten Wink zum Eintreten auf. Der Benedictiner gehorchte mit einem Blicke argwöhnischer Eifersucht, denn bis jetzt hatte er noch nie Grund zu der Annahme gefunden, daß der Klausner einen so tiefen Einfluß auf die Gemüther der Jugend gewonnen habe, als sich vielleicht aus der Anwesenheit des unbekannten Frauenzimmers folgern ließ.

»Ich habe zwar wohl von Deinem heiligen Leben und Deinem Gebetseifer Kunde erhalten, ehrwürdiger Einsiedler,« begann er in einem Tone, der in mehr als einem Sinne des Ausdrucks fragend klang, »wußte aber bis auf diesen Augenblick nicht, daß Du mit der kirchlichen Gewalt begabt bist, die Beichte der Gläubigen anzuhören und ihre Sünden zu vergeben.«

»Das letztere, Bruder, ist ein Amt, das von Rechts wegen nur Gott zusteht. Das Oberhaupt der Kirche selbst ist nur ein demüthiges Werkzeug des Glaubens, wenn es sich dieser feierlichen Vollmacht entledigt.«

Das Gesicht des Mönchs wurde bei dieser Antwort nicht liebenswürdiger; auch versäumte der Benedictiner nicht, einen prüfenden Blick auf die verhüllte Fremde zu werfen, ob er sie nicht vielleicht an der Haltung erkenne.

»Du hast nicht einmal die Tonsur,« fuhr er fort, während sein unstätes Auge von dem Klausner gegen die Frauengestalt hinrollte, die sich so weit aus dem Kreise der Beobachtung zurückgezogen hatte, als es der enge Raum nur gestattete.

»Du siehst, Vater, ich habe noch alles Haar, das mir Zeit und Gebreste gelassen haben; aber glaubt man in Deiner mit Beneficien reich versehenen, kriegerischen Abtei, daß der Rath eines Mannes, der lange genug gelebt hat, um seine eigenen Irrthümer zu erkennen und zu beklagen, dem minder Erfahrenen nachtheilig werden könne? Wenn ich hierin unglücklicher Weise in einer Selbsttäuschung befangen seyn sollte, hochwürdiger Pater, so bist Du noch zeitig genug gekommen, um das Unrecht wieder gut zu machen.«

»Wenn die Jungfrau etwas auf ihrer Seele liegen hat, so soll sie sich in den Beichtstühlen der Abteikirche einfinden, wo sie ohne Zweifel vollen Trost finden wird.«

»Wie ich aus vielfältiger eigener Erfahrung bezeugen kann –« ergriff nun plötzlich der Kuhhirt das Wort, indem er sich dreist zwischen die beiden Gottesmänner drängte und so ihre beiderseitige Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. ›Geh' auf den Berg hinauf und hole dort Erleichterung für Deine Seele, Gottlob,‹ pflegt meine gute und verehrungswürdige Mutter zu sagen, so oft meine Ansicht von mir selbst ein bischen allzu gering wird. ›Benimm Dich mit einem von den gottseligen Vätern der Abtei, deren Weisheit und Salbung nicht ermangeln wird, Deinem Herzen sogar eine noch weit schwerere Last abzunehmen. Da ist Pater Ulrich, ein wahres Wunder von Tugend und Selbstverläugnung; dann der Pater Cuno, dessen Zuspruch beinahe noch erbaulicher und heilsamer ist, und endlich der Pater Siegfried, der wahren Seelenbalsam spendet, und darin sogar den hochwürdigsten Abt, den frommen und tugendhaften Vater Bonifacius, übertrifft. Was Du auch thun magst, Kind, geh' den Berg hinauf und tritt kecklich als ein bedrückter und niedergeschlagener Sünder in die Kirche; namentlich aber suche Dich bei dem theuren und vortrefflichen Pater Siegfried Raths und Zuspruchs zu erholen.‹«

»Und Du – wer bist Du,« fragte der Mönch halb zweifelnd, »daß Du in meiner Gegenwart Ausdrücke über mich brauchst, die ich so wenig verdiene?«

»Ich wollte, ich wäre Herr Emich von Hartenburg oder meinetwegen der Churfürst von der Pfalz selbst, um denen, welche ich ehre, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. In diesem Falle sollten sich gewisse Väter von Limburg einer besondern Gunst erfreuen, und zwar unmittelbar nach meinem eigenen Fleisch und Blut. Wer ich bin, Vater? Es nimmt mich Wunder, daß ein Gesicht in Vergessenheit gerathen kann, das sich so oft droben im Beichtstuhl blicken läßt. Was lobenswerth an mir ist, hochwürdiger Pater, habe ich Euch zu danken – aber es darf mich nicht überraschen, daß Ihr Euch meiner nicht erinnert, denn ein bescheidener, demüthiger Geist vergißt stets seiner eigenen guten Werke.«

»Du nennst Dich Gottlob – aber diesen Namen führen so Viele in der Christenheit.«

»Freilich, hochwürdiger Pater – und zwar weit mehr, als ihm Ehre machen. Da ist ein gewisser Gottlob Frincke, ein so heilloser Spitzbube, wie nur irgend einer in Dürkheim. Auch der Gottlob Popp könnte seinem Taufgelübde mehr Respekt erzeigen, und was den Herrn Gottlob von Mannheim betrifft –«

»Wir wollen die Verirrungen aller Deiner übrigen Namensvettern um des Guten willen, dessen Du selbst Dich rühmen kannst, übersehen,« unterbrach ihn der Benedictiner, der, obschon er anfangs unwillkürlich dem Weihrauch der Schmeichelei nachgegeben hatte, sich jetzt dieser Schwäche zu schämen begann; denn der zungenfertige Kuhhirt ließ seine Worte in einer Weise entströmen, welche die Eigenschaften eines Lobs aus solcher Quelle wohl verdächtigen konnte. »Magst Du zu mir kommen, wenn Du willst, mein Sohn, so soll Dir aller Zuspruch zu Theil werden, den ein einfältiger Sinn und ein aufrichtiges Herz zu ertheilen im Stande ist.«

»Ach welche Erleichterung würde nicht das Herz meiner alten Mutter empfinden, wenn sie dies hören könnte! ›Gottlob‹ würde sie sagen –«

»Was ist aus Deinem Begleiter und aus der Jungfrau geworden?« fragte jetzt hastig der Benedictiner.

Da der Kuhhirt seine Rolle erfolgreich zu Ende gespielt hatte, so trat er nunmehr mit der Miene der Einfalt und des Erstaunens bei Seite, indem er es dem Klausner und dem Mönche überließ, das Gespräch fortzusetzen.

»Deine Gäste haben uns plötzlich verlassen,« fuhr der Ordensmann fort, nachdem er sich durch eigene Beaugenscheinigung zureichend überzeugt hatte, daß sich außer ihm selbst, dem gewöhnlichen Bewohner und unserem süß redenden Gottlob Niemand mehr in der Hütte befand; »und wie es mir vorkommt, sind sie miteinander unsichtbar geworden.«

»Sie sind gegangen, wie sie kamen – aus eigenem freiem Antriebe, und ohne daß sie Jemand darüber befragte.«

»Sie kommen wohl häufig zu Dir und sind Dir daher bekannt, frommer Einsiedler?«

»Ich stelle an Niemanden Fragen, hochwürdiger Vater, und wenn der Churfürst Friedrich selbst sich bei mir einfinden wollte, so würde er so willkommen seyn, wie dieser Kuhhirte hier. Für Vornehme und Geringe habe ich den gleichen Abschiedsgruß: ›Gott sey Dein Geleitsmann!‹«

»Du hütest das Vieh der Dürkheimer Bürger, Gottlob?«

»Hochwürdiger Priester, ich weide die Heerde, welche mir meine Herren anzuvertrauen belieben.«

»Wir haben ernstlichen Grund zur Beschwerde gegen einen Deiner Zunftgenossen, der dem Grafen von Hartenburg dient und täglich sein Vieh auf die Waidegründe der Kirche treibt. Ist Dir der Kerl nicht bekannt?«

»Potz Tausend! Wenn man alle die Spitzbuben, welche dergleichen Unrecht begehen, sobald sie ihren Herren aus dem Gesichte sind – vor dem hochwürdigsten Abt von Limburg in einer Reihe ausziehen lassen wollte, so würde er kaum wissen, ob er mit Gebeten oder mit der Peitsche anfangen sollte, obschon es heißt, daß er im Nothfalle in diesen beiden Stücken ein gar starker geistlicher Herr sey. Ich zittere bisweilen für mein eigenes Betragen, obgleich Niemand eine bessere Meinung von sich selbst haben kann, als ich, so arm und niedrig ich auch in Eurer Hochwürden Gegenwart dastehe; denn ein hartes Geschick und ein Uebersehen in der Verwaltung der Angelegenheiten meines Vaters sind einzig Schuld daran, daß ich nothgedrungen unter solcher Kameradschaft leben muß. Wäre ich nicht von der erprobtesten Redlichkeit, so dürfte es noch mehr Vieh auf dem Abteilande geben, und Diejenigen, welche nun aus lauter Demuth ihre Zeit in Fasten verbringen, könnten leicht so weit kommen, es aus Noth thun zu müssen.«

Der Benedictiner musterte mit scharfem, mißtrauischem Auge Gottlobs demüthiges Gesicht und lud sodann den Klausner ein, dem Hirten seinen Segen zu ertheilen. Sobald diese heilige Handlung vorgenommen war, winkte er Gottlob, sich zu entfernen, und ging sofort auf den wahren Zweck seines Besuchs in der Einsiedelei über.

Wir müssen hierorts bemerken, daß die Periode, von welcher unsere Geschichte spricht, für alle Bewohner der Rheinpfalz ungemein bedenklich war. Der Churfürst hatte – vielleicht unklugerweise für einen Fürsten von seinen beschränkten Hülfsquellen – an dem damals wüthenden Kriege thätigen Antheil genommen, und ernstliche Unglücksfälle drohten, nicht nur seine Ruhe, sondern auch seinen Thron zu gefährden. Es war eine Folge des zu jener Zeit so allgemein in Europa herrschenden Lehnsystems, daß auf jede augenfällige, wenn auch noch so kurze Störung der Gewalt des Machthabers, der das Recht der Souverainetät über die endlose, damals auf Deutschland besonders schwerdrückende Zahl kleiner Herrscher behauptete, innere Wirren folgten. Für letztere galt nur er als Gesetz, denn sie hatten nicht Lust, irgend eine Oberherrlichkeit anzuerkennen, die nicht durch die Hand der Gewalt unterstützt wurde. Die aufsteigende Stufenleiter von Herren, welche den Ritter, den Grafen, den Landgrafen, den Markgrafen, den Herzog und den Churfürsten bis zu dem sogenannten Staatsoberhaupte, dem Kaiser selbst, umfaßte, mußte schon vornweg mit ihren vielseitig verwickelten Interessen, da sie Lehenseid in Lehenseid, Unterthanenpflicht in Unterthanenpflicht verschlang, zu Zwistigkeiten führen, selbst wenn die kaiserliche Krone einen weit bestimmteren und entschiedeneren Einfluß hätte geltend machen können. Bei der unsicheren und blos mittelbaren Entfaltung der Reichskräfte aber geschah es nur selten, daß irgend eine bedeutende Ruhestörung ohne das Aufgebot namhafter Streitkräfte beseitigt werden konnte. Kaum sah sich der Kaiser in einen ernstlichen Kampf verflochten, als auch schon die großen Fürsten das Gleichgewicht wieder zu erringen trachteten, welches nur durch die lange Uebermacht einer einzelnen Familie verloren gegangen war, während auch die kleineren Fürsten selten in äußerliche Verlegenheiten geriethen, ohne daß innere Zwietracht zu Erhöhung des Uebels beitrug. Da der Vasall gemeiniglich nur das rohe Spiegelbild der Feindseligkeiten und Vorurtheile seines Gebieters war, so wird der Leser aus der Sprache des Kuhhirten bereits entnommen haben, daß die Angelegenheiten zwischen dem Abt von Limburg und dem Grafen von Hartenburg durchaus nicht auf dem freundlichsten Fuße standen. Schon die nahe Nachbarschaft war ein fast unumgänglicher Anlaß zu eifersüchtiger Feindseligkeit, während das unablässige Ringen zwischen dem Einflusse des Aberglaubens und der Furcht vor dem Schwerdte eine weitere natürliche Triebfeder zu Zwistigkeiten abgab.

Der Besuch des Mönchs stand in Verbindung mit gewissen Interessen, welche auf die damalige Sachlage, wie sie zwischen der Abtei und dem Schlosse stattfand, Beziehung hatten. Da es jedoch voreilig seyn würde, seinen Zweck schon hier namhaft zu machen, so beschränken wir uns auf die Bemerkung, daß der Mönch sich erst nach einer halben Stunde von dem Klausner verabschiedete, nachdem er sich zuvor den Segen eines Mannes erbeten, dessen Leben so rein und selbstverleugnend wie das seines Wirthes war.

An der Thüre der Hütte traf der Benedictiner auf den Kuhhirten, der, wie sich der Leser erinnern wird, schon früher abgefertigt worden war, aus Gründen aber, die ihm selbst am besten bekannt seyn mochten, es für passend gehalten hatte, das Ende der Zusammenkunft abzuwarten.

»Du noch immer hier, mein Sohn?« rief der Mönch. »Ich war der Meinung, Du habest den Segen des heiligen Klausners längst im Frieden nach Deinem Bette getragen.«

»Wenn ich mich glücklich fühle, so darf ich darauf zählen, daß der Schlaf meine Augen scheut, Vater,« versetzte Gottlob, indem er sich dem Mönche anschloß, während dieser durch das Cedernholz auf den alten Thorweg des Lagers zuging. »Ich gehöre nicht in das Rindergeschlecht, das sich zur Ruhe niederlegt, sobald es sich mit etwas Gutem angefüllt hat, sondern hege nur um so mehr den Wunsch, mich meiner guten Stimmung zu erfreuen, je glücklicher ich mich fühle.«

»Das finde ich ganz natürlich. Freilich darf man nicht allen natürlichen Wünschen Nachsicht zu Theil werden lassen; indeß sehe ich doch nicht ein, welche Gefahr es bringen könnte, wenn man sich seines Glückes bewußt ist.«

»Von der Gefahr will ich eben nichts sagen, Vater, wohl aber von der Behaglichkeit, die darin liegt; und wenn ich dies in's Auge fasse, so gibt es keinen jungen Menschen in Dürkheim, der mit größerer Sicherheit hievon reden könnte, als ich.«

»Gottlob,« entgegnete der Benedictiner, indem er sich unwillkürlich in der Weise eines Mannes, der eine vertrauliche Mittheilung eröffnen will, näher an seinen Begleiter drängte, »weil Du gerade von Dürkheim sprichst, so kannst Du mir vielleicht etwas über die Stimmung sagen – wie nämlich die dortigen Bürger den Zwist zwischen unserem heiligen Abte und dem Herrn Emich von Hartenburg ansehen.«

»Wenn ich Euer Hochwürden aus dem Grunde meines Herzens die Wahrheit sagen sollte, so müßte ich Euch mittheilen, daß die Bürger die Angelegenheit in einer Weise beendigt wünschen, die fortan keinem Zweifel mehr Raum gäbe, welcher Partei sie am meisten zu Gehorsam und Liebe verpflichtet sind; denn sie finden es trotz ihres Eifers doch ein wenig hart, daß beiderseits so schwere Ansprüche an ihre Dienstleistungen gemacht werden.«

»Du kannst nicht Gott und dem Mammon zugleich dienen, mein Sohn; so sagt Einer, der nicht täuschen konnte.«

»Dasselbe sagt auch die Vernunft, hochwürdiger Pater. Um Euch übrigens meine innerste Seele mit einemmale aufzuschließen, so glaube ich, daß es nicht einen einzigen Menschen in unsrem Dürkheim gibt, der sich nicht für gelehrt genug hielte, in diesem Pflichtenstreite zu sagen, wo Gott und wo der Mammon zu finden ist.«

»Wie, ziehen sie etwa gar unsere heilige Sendung, unsere göttliche Botschaft – kurz das, was wir wirklich sind, in Frage?«

»Niemand ist so keck, sagen zu wollen, daß die Mönche von Limburg seyen, was sie sind, denn dieß wäre eben so unehrerbietig gegen die Kirche als ungebührlich gegen den frommen Pater Siegfried. Höchstens erdreisten wir uns, zu sagen, sie scheinen zu seyn, was sie sind, und das will nicht wenig heißen, wenn man bedenkt, wie es in dieser Welt zugeht. ›Scheine zu seyn, Gottlob‹« sagte mein seliger Vater, ›und Du wirst Dir Neid und Feindschaft vom Leibe halten; denn im Scheine liegt nichts, was Andere sonderlich beunruhigen könnte. Nur wenn man wirklich Etwas ist, fangen die Leute an überall Mängel zu finden. Wenn Du im Frieden mit Deinen Nebenmenschen zu leben wünschest, so treibe es nicht über den Schein hinaus, denn dies lassen sich Alle gefallen, weil Alle selbst auch scheinen können, während das Wesen oftmalen ein ganzes Dorf in Aufruhr jagt. Es liegt eine wunderbare Kraft im Scheinen; aber zu wieviel Leidwesen, Lästersucht und sogar offenem Zwiespalt gibt man nicht Anlaß, wenn man das ist, was man scheint.‹ Nein, das Aeußerste, was wir Dürkheimer uns zu sagen erdreisten, ist, daß die Limburger Mönche Männer Gottes zu seyn scheinen.«

»Und Herr Emich?«

»Was den Grafen Emich betrifft, Vater, so sind wir so klug, nicht zu vergessen, daß er ein vornehmer Herr ist. Der Churfürst hat keinen kühneren Ritter, der Kaiser keinen treueren Vasallen. Wir sagen deßhalb, er scheine tapfer und treu zu seyn.«

»Du machst viel Wesens von diesen scheinbaren Eigenschaften, mein Sohn.«

»Es ist wohl so am klügsten, Vater, wenn man die menschliche Schwäche kennt und weiß, wie leicht wir einem Irrthum unterworfen sind, sobald wir Handlungen und Gründe beurtheilen wollen, die außer dem Bereiche unseres Wissens liegen. Nein, das muß man uns Dürkheimern lassen, daß wir vorsichtige Leute sind.«

»Für einen Kuhhirten fehlt es Dir nicht an Verstand. Kannst Du lesen?«

»Durch Gottes gnädige Führung hat mir die Vorsehung diese kleine Zufälligkeit, als ich noch ein Kind war, in den Weg geworfen, hochwürdiger Pater, und ich las sie auf, wie ich etwa einen guten Bissen verschlinge.«

»Das ist eine Gabe, die einem Menschen von Deinem Berufe eher zum Schaden als zum Frommen dienen dürfte. Deiner Heerde kann diese Kunst nicht viel nützen.«

»Ich will nicht auf mich nehmen, zu behaupten, daß irgend eine von meinen Kühen um deßwillen besser daran sey; übrigens gibt es doch, offen gesprochen, hochwürdiger Mönch, Thiere darunter, die zu seyn scheinen.«

»Wie, willst Du versuchen, eine Sache zu beweisen, die nicht nur unwahrscheinlich, sondern sogar unmöglich ist? Geh', Du bist über das Buch irgend eines einfältigen Spaßmachers hergefallen; denn seit der Entdeckung jenes unklugen Mainzer Bruders treten ohne End und Zahl derartige Teufelsmachwerke an's Licht. Ich möchte doch hören, in welcher Weise ein Stück Vieh von der Buchdruckerkunst Vortheil ziehen kann.«

»Nur eine kleine Geduld, Vater Siegfried, und Ihr sollt es erfahren. Denkt Euch einen Viehhirten, der lesen kann, und einen, bei dem dies nicht der Fall ist; sie sollen etwa Beide in Diensten des Grafen von Hartenburg stehen. Gut, sie ziehen eines Morgens mit ihren Heerden aus. Der eine schlägt den Weg nach den Bergen des Grafen ein, während der andere, der die Grenzbeschreibung des Herren- und Kloster-Landes gelesen hat, einen andern nimmt, weil die Gelehrsamkeit nicht gerne der Unwissenheit folgt. Derjenige nun, welcher lesen kann, gelangt auf eine viel nähere und bessere Waide, als derjenige, welcher sein Vieh auf Plätzen umhertreibt, welche früher nur zu oft von Menschen und Vieh betreten wurden.«

»Dein Lernen hat nicht viel zur Lichtung Deines Kopfes beigetragen, Gottlob, wie sehr es auch Deiner Heerde zu Statten gekommen seyn mag.«

»Wenn Euer Hochwürden daran zweifelt, ob ich auch wirklich das sey, was ich sage, so ist hier ein Beweis für die Richtigkeit meiner Behauptung; denn ich kenne nichts, was einen Menschen so vollpfropft und verwirrt, als das Lernen. Wer nur ein einziges Horn hat, kann es nehmen und seines Weges gehen, während der Besitzer von vielen vielleicht seine Heerde verliert, so lang' er noch zwischen den bessern und schlechtern Instrumenten in der Wahl steht. Der Eigenthümer eines einzigen Schwerdtes wird es ohne Weiteres ziehen und seinen Feind damit erschlagen; wer aber eine ganze Rüstkammer hat, kann wohl um's Leben kommen, während er sich Schild und Helm anpaßt.«

»Ich hätte nicht geglaubt, daß Du so geschickt im Antworten wärest. – Und Du glaubst also, das gute Volk von Dürkheim werde sich zwischen der Abtei und dem Grafen neutral halten?«

»Vater, wenn Ihr mir zeigen wollt, auf welcher Seite der größere Gewinn für sie liegt, so glaube ich, mit Sicherheit angeben zu können, für welche Partie sie wahrscheinlich das Schwerdt ziehen werden. Wie gesagt, unsere Bürger sind kluge Leute, und es trifft sich nicht oft, daß man sie gegen ihre eigenen Interessen fechten sieht.«

»Du solltest wissen, mein Sohn, daß diejenigen, welchen in diesem Leben Alles nach Wunsch geht, die Wagschale der Gerechtigkeit im nächsten gegen sich haben werden, während der Leidende im Fleisch höchst wahrscheinlich zu einer Schadloshaltung im Geiste gelangt.«

»Himmel! In diesem Falle, hochwürdiger Pater, dürfte es ja in der andern Welt dem hochwürdigsten Herrn Abt von Limburg weit schlimmer ergehen, als einem Bauernknecht, der hier wie ein Hund lebt!« rief Gottlob mit einer Miene von Verwunderung und Einfalt, welche seinen Zuhörer völlig irre führte. »Dem Einen sagt man nach, daß er seinen Leib in verschiedentlicher Weise tröste und recht wohl den Unterschied kenne zwischen einem echten Becher Rheinweins und einem Schluck des wässerigen Stoffes, der von der andern Seite unseres Gebirgs kommt, während der andere – ich weiß nicht, geschieht es aus Noth oder Liebhaberei – nur aus Quellen trinkt. Es ist tausend Schade, daß man nie weiß, was man wählen soll – zeitliche Gemächlichkeit mit künftiger Qual oder einen hungernden Magen mit einer glücklichen Seele. Glaubt mir, Vater Siegfried, wenn Ihr mehr die derartigen Prüfungen, welche uns unwissende Jünglinge befallen, in's Auge faßtet, so würdet Ihr uns nicht so schwere Bußübungen auferlegen, obgleich sie ohne Zweifel nur ein Erguß Eurer eigenen strengen Tugend sind.«

»Was also für Dich geschieht, hat nur Dein zeitliches und ewiges Wohl im Auge. Wenn Du Deinen Geist in dieser Weise kasteiest so bereitest Du ihn allmählig vor für seine endliche Reinigung und verlierst durch einen lauteren Wandel nichts in den Augen Deiner Mitmenschen. Am Tage der großen Abrechnung wird Dir dafür Gerechtigkeit widerfahren.«

»Ei, ich bin kein so gieriger Gläubiger, daß ich der Vorsehung mit Mahnungen an mein Guthaben zusehen wollte. Ich weiß wohl, das, was kommen muß, läßt sich nicht verhindern, und deßhalb will ich mir die Geduld als Tugend vornehmen. Indeß hoffe ich, jene Abrechnung, von der Ihr uns so oft sagt, wird mit gebührender Rücksicht für den armen Mann abgehalten werden, denn offen gesprochen, Vater, in dieser Welt kommen wir überall zu kurz.«

»Du hast bei Deinen Nebenmenschen Credit um aller Deiner guten Thaten willen, Gottlob.«

»Ich wollte, daß Ihr hierin Recht hättet! Es kommt mir vor, daß die Welt bereit genug ist, Einem tüchtig die Zeche zu machen, während sie beim Creditgeben so filzig ist, wie ein Geizhals. Ich habe nie etwas Böses gethan – und da wir Alle schwache Sterbliche sind, hochwürdiger Pater, so können dergleichen Zufälligkeiten sogar einem Heiligen oder einem Benedictiner zustoßen – ich habe nie etwas Uebles gethan, ohne daß die That und alle ihre Folgen mir in Buchstaben, die der kurzsichtigste Mensch lesen konnte, auf Rechnung gebracht wurden, während meine Verdienste – und da ich nur ein Kuhhirte bin, so können sie wohl für achtbar genug gelten – zum größten Theil vergessen zu seyn scheinen. Was nun Euern Abt oder Seine Hoheit den Churfürsten oder sogar den Grafen Emich betrifft –«

»Den Sommerlandgrafen!« unterbrach ihn der Mönch lachend.

»Sommer oder Winter, wie Ihr wollt, Vater Siegfried; er ist Graf von Hartenburg und ein Edler von Leiningen. Aber sogar er kann keine Handlungen der Menschenliebe oder auch nur einer einfachen Gerechtigkeit begehen, ohne daß alle Welt die Gelegenheit ergreift, sie auszuposaunen; und dies geschieht mit eben so großem Eifer, als man mich für den zufälligen Verlust eines Stückchens Viehe oder irgend ein anderes kleines Versehen ausschimpft, denn Ihr wißt ja, wer unter Eurer heiligen Belehrung kühn geworden ist, kann wohl bisweilen auch gegen eine Sünde straucheln.«

»Du bist ein Casuist, und ein andermal muß ich es mit Deinem Seelenzustande schärfer nehmen. Vorderhand aber kannst Du die Gunst der Kirche erwerben, indem Du Deine Dienste ein wenig mehr ihrem Interesse leihst. Ich habe bei Gelegenheit Deiner Besuche im Kloster wohl bemerkt, Gottlob, daß Du ein gescheidter, verständiger Bursche bist: aber bis auf diesen Augenblick hat sich für uns kein hinreichender Grund ergeben, von Deinem Witze den Gebrauch zu machen, zu dem wir wohl berechtigt sind, sofern uns aus unsern häufigen Gebeten und den übrigen Tröstungen, die wir Dir schon zuwendeten, Ansprüche erwachsen.«

»Nehmt's nicht allzu genau, Vater Siegfried, denn Eure Worte deuten wohl auf eine schwere Büßung hin.«

»Das läßt sich in Zukunft mildern, wo nicht ganz vermeiden, mein ehrlicher Gottlob, wenn Du Dich zu dem Dienste hergeben willst, den ich Dir jetzt vorschlage. Auch zweifle ich nicht, daß Du bereitwillig darauf eingehen wirst, denn ich kenne ja Deine Ehrfurcht vor heiligen Dingen, die sich einerseits aus Deinen Besuchen bei dem frommen Einsiedler, und andererseits aus Deiner Liebe zu der Abtei Limburg entnehmen läßt.«

»Meint Ihr?«

»Ja, und ich habe mich bei dem Pater Bonifacius so gut wie dafür verbürgt, entweder Dich oder sonst einen Menschen von Deiner Verschmitztheit und Treue für einen vertrauten Dienst im Interesse des Klosters zu gewinnen.«

»Es dürfte Euch schwer werden, unter den Kuhhirten einen Zweiten wie mich herauszufinden.«

»Das weiß ich; Deine Geschicklichkeit in Besorgung des Viehs kann Dich noch so weit bringen, daß Dir die Hut der zahlreichen Klosterheerden übertragen wird. Man schenkt Dir schon jetzt großes Vertrauen.«

»Ich will mein Verdienst nicht selbst herabsetzen, weiser Vater, und kann daher wohl sagen, daß ich bereits einige Kenntniß von den Waidegründen besitze.«

»Und von dem Vieh obendrein, Gottlob; wir merken uns die Eigenschaften aller derjenigen, die in unsere Beichtstühle kommen. Es gibt Schlimmere darunter, als Du bist, kann ich Dir versichern.«

»Und doch habe ich Euch nie auch nur die Hälfte von dem mitgetheilt, was ich von mir sagen könnte, Vater.«

»Das ist jetzt von keinem Belang. Du weißt wie es mit dem Streite zwischen Graf Emich und unserer Abtei steht, und wenn Du den Dienst, um den ich Dich angehen möchte, mit Deiner gewohnten Geschicklichkeit ausführst, so kannst Du Dich bei dem heiligen Benedict und seinen Kindern sehr in Gunst setzen. Wir haben Grund zu glauben, daß sich im Schlosse ein starker Haufe Bewaffneter befindet, der es auf unsere Mauern abgesehen hat, weil man sich mit dem eitlen Wahne trägt, sie enthielten Reichthümer und Vorräthe, bei denen sichs wohl eines Kirchenraubes verlohnte; es handelt sich nun darum, die Anzahl und die Absichten dieser Leute genau kennen zu lernen. Wollten wir aber einen Mann von bekanntem Berufe auf Kundschaft ausschicken, so würde der Graf Mittel finden, ihn irre zu führen, während dagegen ein Bursche von Deinem Verstand sich die Gunst der Kirche erwerben kann, ohne Verdacht zu erregen.«

»Wenn Graf Emich davon Wind kriegte, so würde er mir wohl kein Ohr mehr lassen, um damit Eure heiligen Ermahnungen anhören zu können.«

»Du brauchst nur Deine Zunge in Zaum zu halten, und er wird Dich nicht beargwöhnen. Kannst Du nicht unter irgend einem Vorwande in das Schloß kommen?«

»Vorwände wären leicht dem Tausend nach zu ersinnen. Ich könnte z. B. sagen, daß ich den Kuhhirten des Grafen Emich sprechen und von seiner Geschicklichkeit in Heilung kranker Hufe Nutzen ziehen wolle. Der Wunsch, meinen Dienst zu wechseln, wäre ein weiterer scheinbarer Grund, und außerdem fehlt es ja nicht an lachenden Dirnen in der Veste und deren Umgebung.«

»Genug; Du bist der Mann, Gottlob, nach dem ich mich schon zwei Wochen Tag für Tag umsehe. Säume daher nicht, Deinen Weg anzutreten, und suche mich morgen nach der Frühmesse in der Abtei auf.«

»Das mag von Seiten des Himmels wohl genügen, Vater, aber Leute von unserer Klugheit dürfen ihren irdischen Zustand auch nicht vergessen. Soll ich ohne allen Grund meine Ohren in Gefahr setzen, meiner redlichen Einfalt Unehre machen und meine Heerde verabsäumen?«

»Du wirst der Kirche einen Dienst leisten, mein Sohn, Dich bei unserem hochwürdigen Abt in Gunst setzen und die Früchte Deines Muthes und Deiner Geschicklichkeit bei Gelegenheit künftiger Vergehungen sattsam zu genießen kriegen.«

»Daß ich damit der Kirche dienen werde, weiß ich wohl, ehrwürdiger Pater, und das ist eine Ehre, auf die ein Kuhhirt wohl stolz seyn darf; aber durch den Dienst, welchen ich der Kirche leiste, mache ich mir aus zwei triftigen Gründen Feinde auf Erden – erstlich, weil die Kirche in diesem Thale nicht in hoher Achtung steht, und zweitens, weil die Leute einen Freund nicht deshalb lieben, weil er besser ist als sie selbst. ›Nein, Gottlob,‹ pflegte mein vortrefflicher Vater zu sagen, ›stelle Dich gegen alle Deine Nachbarn so an, als seyest Du von Deinem eigenen Unwerth überzeugt, und Du kannst dann Alles seyn, was Du scheinst. Nur unter dieser Bedingung kann der Rechtschaffene in Frieden mit seinen Nebenmenschen auskommen. Aber wenn Du Dich bei der Welt in Achtung setzen willst,‹ pflegte er beizufügen, ›so fordere für Alles, was Du thust, einen schönen Preis, denn die Welt glaubt doch nicht an Deine Uneigennützigkeit. Wenn Du umsonst arbeitest, so meint sie, Du verdienest auch nichts. Nein,‹ und er schüttelte dabei den Kopf, ›was man leicht erwirbt, wird nur wenig geschätzt, während man das Theure jederzeit nach seinem Preise anschlägt.‹«

»Dein Vater war, wie Du, ein Mensch, der auf das sah, was seinem Leibe wohl that. Du weiß'st, wir Klosterleute führen kein Silber bei uns.«

»Ach, hochwürdiger Vater, wenn's auch eine Kleinigkeit an Gold ist, so will ich wegen des geringen Unterschieds den Handel nicht abbrechen.«

»So sollst Du denn Gold erhalten. Ich gebe Dir bei meinem heiligen Amte die Versicherung, daß Dir das Bild des Kaisers in Gold werden soll, sobald es Dir gelingt, uns die Kunde zu überbringen, an der uns gelegen ist.«

Gottlob blieb stehen, kniete nieder und bat den Mönch ehrerbietig um seinen Segen. Letzterer willfahrte, zweifelte aber halb in seinem Innern, ob es wohl räthlich sey, sich eines Kundschafters zu bedienen, über dessen Schlauheit oder Einfalt er so wenig ins Klare kommen konnte. Da übrigens bei der Sache nichts, als etwa die Zuverläßigkeit der Auskunft zu wagen war, so sah er keinen Grund ein, warum er den ertheilten Auftrag hätte wieder zurücknehmen sollen. Nachdem er den erbetenen Segen ertheilt hatte, stiegen unsere beiden Verschworenen gemeinschaftlich den Berg hinab, sich unterwegs noch weiter über das Geschäft besprechend, welches der Kuhhirt übernehmen sollte. Sobald sie jedoch in die Nähe des Weges gelangten, wo sie beobachtet werden konnten, trennten sie sich und schlugen die ihren Zwecken entsprechenden Richtungen ein.



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