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Sechszehntes Kapitel.

»Der Welt entsag' ich und den Erdendingen.«

Rogers.

 

Man wird sich erinnern, daß die Zeit unsrer Erzählung in den schönen Monat Juni fällt. Die Sonne sank nieder im Westen der weiten und fruchtbaren Ebene, durch welche der Rhein sich hinwindet – ein schneller, edler Strom, der, ein kühner Sohn des Gebirgs, aus den Pässen der Schweiz niedersteigt, um auf seinem Wege von jedem Thale Zoll zu erheben. Die Luft wehte mit der lieblichen Wärme der Jahreszeit, aber dennoch war keine Rede von einer so ruhigen, mondhellen Nacht, wie sie reizenderen Himmelsstrichen zu Theil werden. In der Stille des Abends herrschte eine düstere Trägheit, welche beständig an die Stunde mahnte, und der Moment schien mehr für die Ruhe, als für den Genuß geeignet zu seyn. Man pflegte in Dürkheim mit dem Glockenschlage acht die Thore zu schließen, und die Bauern des Jägerthals suchten ihre Betten sogar noch früher.

Es ging bereits auf zehn, als eine besondere Thüre in Heinrich Frey's Wohnung sich aufthat, und drei durch dichte Verhüllung unkenntlich gemachte Personen in die Straße traten. Der Führer, ein Mann, hielt inne, um zu sehen, ob der Weg frei sey, und winkte dann seiner Begleitung, die dem weiblichen Geschlechte angehörte, ihm zu folgen, worauf sie in dem Schatten der Häuser weiter gingen. Bald hatten sie das Stadtthor erreicht, das nach dem Berge hinführte, auf welchem die Heidenmauer stand.

Die Schaarwache war stärker bemannt, als es gewöhnlich in Dürkheim der Fall war, obschon die Stadt namentlich zu einer Zeit, in welcher bewaffnete Banden die Pfalz verwüsteten, nie ohne eine geeignete Hut blieb. Einige bewaffnete Männer gingen in der Straße, wo sie sich an die Stadtwehren anschloß, hin und her, und auf der oberen Mauer war eine Schildwache sichtbar.

»Wer da?« fragte ein Hellebardier.

Der verhüllte Mann näherte sich und redete den Führer der Wache in leiser Stimme an. Der Letztere mußte wohl befriedigende Auskunft erhalten haben, denn kaum hatte der Verhüllte sein kurzes Sprüchlein angebracht, als ein Gewühl unter den Bürgern ankündigte, wie bereit sie seyen, seinem Wunsche zu entsprechen. Die Schlüssel wurden hervorgeholt und das Thor geöffnet: aber der Mann ging nicht weiter, sondern kehrte, nachdem er seinen beiden Begleiterinnen Auslaß verschafft hatte, wieder in die Stadt zurück, wo er sich noch eine Weile mit den Schaarwächtern unterhielt, ehe er verschwand.

Vor dem Thore angelangt, begannen die Frauenzimmer den Berg hinanzusteigen. Der Weg war beschwerlich, denn ein schmaler, gewundener Fußpfad führte durch terrassenförmig angelegte Weinberge, und den Gliedern derjenigen, welche ihn jetzt begehen mußten, schien das Steigen sehr mühsam zu werden. Sie machten oft Halt, um sich zu verschnaufen und auszuruhen, bis sie endlich an den Trümmern der alten Lagermauer anlangten. Hier setzten sie sich in tiefem Schweigen nieder, um wieder zu Kraft und zu Athem zu kommen. Ihr Pfad hatte sie nach dem äußersten Punkte des Gebirges geführt, der gegen das Thal, von welchem unsere Erzählung spricht, vorsprang.

Der Himmel war mit Lämmerwölkchen bedeckt, welche das Licht des Mondes so sehr dämpften, daß die Gegenstände unten nur in unbestimmten Umrissen erschienen, obschon hin und wieder die silberne Scheibe, wenn sie gelegentlich in ein kleines Feld von Blau hineinsegelte, ihr volles Licht niedergoß. Diese vorübergehende Beleuchtung war jedoch von zu kurzer Dauer, als daß das Auge sich an den Wechsel hätte gewöhnen können, und ehe man etwas deutlich zu erfassen vermochte, fing der treibende Dunst schon wieder die Strahlen des Gestirnes auf. Der melancholische Charakter der Stunde wurde noch durch den ächzenden Ton des Nachtwindes erhöht, der vernehmlich durch die Cedern raschelte.

Ein schweres Aufathmen der einen Person, aus deren Haltung und Anzug der höhere Stand zu entnehmen war, wurde von der andern als eine Erlaubniß zum Sprechen gedeutet.

»Dreimal in meinem Leben habe ich jetzt diesen Berg bei Nacht erstiegen,« begann sie, »und nur Wenige von meinen Jahren könnten bei hellem Sonnenscheine dieses Werk ausführen –«

»Bst, Ilse! hörst Du nichts Ungewöhnliches?«

»Nichts als meine eigene Stimme, die für eine so stumme Person in Wahrheit beinahe ungewohnt lautet –«

»Nein, es war ein anderer Ton! Komm mit nach der Ruine; ich fürchte, wir sind in einem gefährlichen Augenblick hier oben.«

Beide standen auf und nach einer Minute waren sie so verborgen, daß wohl ein sehr neugieriges Auge dazu gehörte, wenn es ihre Nähe bemerken sollte. Deutlich ließen sich jetzt viele Fußtritte vernehmen, die sich fast in der Richtung der beiden Nachtwandlerinnen näherten. Ilse zitterte; aber ihre besonnenere und verständigere Begleiterin fühlte sich ebenso sehr durch Neugierde, als durch Besorgniß aufgeregt. Die verfallene Hütte, in welcher sie standen, lag im Schatten der Cedern, durch die sich nur ein trübes Licht Bahn brach; aber auch in dieser dürftigen Beleuchtung konnten sie sehen, daß ein Männerhaufen sich quer über das Lager bewegte. Sie gingen paarweise und mit schnellen, fast lautlosen Tritten; auch ließ sich aus dem Blinken einer Pickelhaube, als sie unter einer Oeffnung zwischen den Bäumen vorbeikamen, aus den geschulterten Arkebusen und aus ihrer Ordnung entnehmen, daß sie Soldaten waren.

Die Reihe war lang und mochte wohl einige hundert Mann betragen. Sie kamen aus der Richtung des Jägerthals und zogen schnell und stumm unter den melancholischen Cedern weiter, der Rheinebene zu.

Erst als der letzte dieser langen gespenstischen Reihe verschwunden war, schien Ilse wieder aufzuleben.

»Wahrhaftig, es scheinen doch Menschen zu seyn,« sagte sie. »Kommen sie wohl, um den frommen Klausner zu besuchen?«

»Glaube dies nicht. Sie ziehen sich hinter Dürkheim hinunter und werden bald aus dem Bereiche unserer Wünsche oder unserer Besorgniß seyn.«

»Heilige Mutter Gottes! woher kommen sie und was wollen sie?«

Dieser Ausruf der alten Ilse verrieth hinlänglich die Natur ihrer Zweifel, obschon die Festigkeit in dem Benehmen ihrer Begleiterin bewies, daß sie nach dem Abzuge der Bewaffneten keine Furcht mehr fühlte.

»Vielleicht ist's ein glückliches Vorzeichen, vielleicht auch nicht,« entgegnete sie gedankenvoll. »Es war eine stattliche Schaar – auch sahen die Kriegsleute gut aus.«

»Dreimal schon habe ich dieses Lager zur Nachtzeit besucht, und nie zuvor war es mir vorbehalten, seine Bewohner zu Gesicht zu kriegen! Glaubst Du, daß es die Römer waren – oder sind es vielleicht Hunnen?«

»Es waren lebendige Menschen; doch wir dürfen unsern Zweck nicht vergessen.«

Damit alles weitere Gespräch abschneidend, machte sich die Vornehmere von Beiden nach der Hütte des Einsiedlers auf den Weg. Anfangs war ihr Tritt scheu und unsicher, denn so sehr auch Unterricht und eigene Ueberlegung ihren Geist gekräftigt hatte, war doch das plötzliche, gespensterartige Vorüberziehen eines Kriegerhaufens in dem verlassenen Lager eine Erscheinung, welche sogar eine kühnere Person einschüchtern konnte.

»Laß Deine alten Glieder auf diesen Mauerresten ausruhen, gute Ilse,« sagte die eingehüllte Frau. »Du kannst mich hier erwarten, bis ich wieder herauskomme.«

»Geh' in's Himmels Namen und sprich offen mit dem heiligen Klausner. Nimm, was Du kannst, an Trost und Frieden für Deine eigene Seele, und solltest Du einen Segen oder eine Reliquie mehr erhalten, als Du brauchst, so gedenke derer, die Dich in Deiner Kindheit gehätschelt und – ich darf es mit Stolz sagen – zu dem tugendhaften und verdienstvollen Weibe gemacht hat, das Du bist.«

»Gott sey mit Dir – und mit mir!« murmelte die Frau, während sie sich langsam weiter bewegte.

An der Thüre der Hütte zögerte sie, bis ihr endlich Töne von Innen und das starke Licht, welches durch die Wandritzen drang, die Versicherung gaben, daß der heilige Mann noch auf war. Sie faßte Muth und pochte.

»Herein in Gottes Namen!« ließ sich eine Stimme von Innen vernehmen.

Die Thüre ging auf, und die Frau stand dem Einsiedler gegenüber. Der übergeschlagene Mantelkragen fiel ihr in Folge eines unwillkürlichen Niedersinkens ihrer Hände vom Kopfe, und beide sahen sich gegenseitig eine geraume Weile ernst und vielleicht zweifelnd an. Die Frau, welche auf die Begegnung mehr vorbereitet war, ergriff zuerst das Wort.

»Odo!« sagte sie mit wehmüthigem Nachdruck.

»Ulrika!«

Die Blicke trafen sich forschend und mit jenem gespannten peinlichen Ausdruck, mit welchem das Gedächtniß den Wechseln nachspürt, welche Zeit und Leidenschaften in dem menschlichen Antlitze hervorbringen. In Ulrika's Gesichte sprach sich jedoch nicht viel mehr aus, als die reifere Entwickelung des Weibes zugleich mit jenen Schatten, welche tieferes Nachdenken und verminderte Hoffnungen zu zeichnen im Stande sind. Wäre sie übrigens nicht der Person dessen, welchen sie suchte, versichert gewesen, und hätte ihr Gedächtniß nicht die Eindrücke der Vergangenheit so lebhaft bewahrt, so würde die Gattin Heinrich Frey's in dem eingesunkenen, aber noch immer glühenden Auge, in dem gräulichten Bart und in den abgezehrten, obschon kühnen Umrissen des Einsiedlers wohl kaum die Züge des lebhaftesten und schönsten Cavaliers der Pfalz wieder erkannt haben.

»Du, Odo – und ein Büßer!« fügte Ulrika bei.

»Ein Mann mit zerknirschtem Herzen. Du siehst mich der Kasteiung und der Buße durch ein heiliges Gelübde hingegeben.«

»Die Reue kommt nie zu spät. Du stützest Dich auf einen Fels und Deine Seele wird aufrecht erhalten werden.«

Der Einsiedler machte eine unbestimmte Geberde, welche seine Gefährtin für das gewöhnliche Zeichen des Kreuzes hielt; denn sie ahmte das Symbol nach, beugte ihr Haupt und sprach ein Ave. Bei allen großen Veränderungen, mögen sie nun politischer oder religiöser Natur seyn, legt der Partheigeist unwesentlichen Dingen ein großes Gewicht bei, denn Gewohnheit sowohl, als Uebereinkunft läßt darin die Träger der Ansichten erkennen. So kömmt es denn bei plötzlichen und gewaltsamen Umwälzungen, daß Viele ihre Symbole für das Wesen nehmen und die Menschen wegen eines leeren Namens, einer besonderen Farbenstellung in einer Fahne oder um einer nutzlosen Bezeichnung von Ausdrücken willen, die nie recht erklärt wurden – selbst dann noch ihr Leben an die Zufälligkeiten einer Schlacht setzen, nachdem der Gegenstand des Streites durch die Gier und Falschheit derer, welchen das öffentliche Wohl anvertraut war, seine Bedeutung längst verloren hat. So kömmt es ferner, daß bei uns in Amerika, wo alle Wechsel allmählig und sicher vor sich gingen, die Vernachlässigung von dergleichen Kleinigkeiten dem Lande den Vorwurf der Inconsequenz zuzog, weil es, vorzugsweise das Wesen seines Werks in's Auge fassend, so viele jener äußeren Zeichen übersah, welche in anderen Gegenden als Werkzeuge der Aufregung gebraucht werden und dadurch einen Werth erhalten, der unter uns keinerlei Einfluß übt. Die Reformation that bald rohe Eingriffe in die Formeln der römischen Kirche. Des Kreuzes Zeichen hörte auf, bei den Protestanten in Gunst zu stehen, und erst jetzt, nach drei Jahrhunderten, fängt man wieder an, einzuräumen, daß dieses heilige Symbol eine weit passendere Verzierung bilde für »jene stummen, gen Himmel deutenden Finger,« die unsere Kirchen schmücken, als das Abbild eines dem Scheunenhofe entnommenen Vogels. Wäre Ulrika in derartigen Unterscheidungen geübter oder ihr Geist weniger mit ihren eigenen wehmüthigen Gedanken beschäftigt gewesen, so müßte ihr wohl aufgefallen seyn, daß die Hand des Eremiten, als er das erwähnte Zeichen machte, jene Unschlüssigkeit und Befangenheit an den Tag legte, welche sichere Kennzeichen dafür sind, daß die betreffende Person in dergleichen Uebungen entweder ein Neuling ist, oder eine lang hergebrachte Gewohnheit aufzugeben im Begriffe steht. So aber fiel ihr nichts Außerordentliches auf, sondern sie nahm schweigend den Sitz ein, auf welchen der Einsiedler hindeutete, während er selbst auf einem anderen sich niederließ.

Abermals tauschten sie ernste, halb wehmüthige Blicke aus. Sie saßen weit von einander, und die Fackel warf ihr volles Licht auf beide.

»Der Gram hat schwer auf dir gelastet, Odo,« sagte Ulrika. »Du bist sehr verändert.«

»Und Dich haben Unschuld und Glück zärtlich behandelt! Aber du hast diese Gunst wohl verdient, Ulrika.«

»Führst Du schon lange diese Lebensweise – oder berühre ich mit meiner Frage einen Gegenstand, der Dir unangenehm ist?«

»Ich wüßte nicht, warum ich mich weigern sollte, mein Leben der Welt als Lehre vorzuhalten – weshalb sollte ich also wünschen, gegen Dich geheimnißvoll zu seyn?«

»Es sollte mich freuen, Dir Trost geben zu können, und jedenfalls liegt viel Beruhigung in der Theilnahme.«

»Dein Mitleid ist mit der Liebe der Engel verwandt – aber warum sprichst Du hievon? Du bist in der Hütte eines Einsiedlers, den sein eigenes Gewissen zu Reue und Entbehrung verurtheilt hat. Geh' hin in Deine glückliche Heimath und überlaß mich der feierlichen Pflicht, welche heute Nacht erfüllt werden muß.«

Während er so sprach, schlug er den Kragen eines rauhen Tuchmantels über den Kopf, denn er war augenscheinlich gerüstet, über Land zu gehen.

»Nein, Odo, ich kann Dich nicht in dieser Stimmung verlassen. Mein Anblick hat Deinen Kummer erhöht, und es wäre unfreundlich – ja sogar lieblos, so von Dir zu scheiden.«

»Was willst Du, Ulrika?«

»Deine Seele entlasten. Dieses abgeschiedene Leben hat eine Bürde auf dich gehäuft, die zu schwer ist für Deine Seele. Wo hast Du die Jahre Deines Mannesalters verbracht, Odo – was führte Dich in diesen Zustand des Grams?«

»Hast Du noch so viel weibliches Erbarmen, daß Du Antheil nimmst an dem Geschicke eines Ausgestoßenen?«

Die Blässe auf Ulrika's Wangen wich einer sanften Glut – sie war nicht das Zeichen eines stürmischen Gefühls, sondern ein zarter Beweis, daß ein Herz, wie das ihrige, nie die Empfindungen verläugnen konnte, die ihr einst so theuer gewesen waren.

»Kann ich die Vergangenheit vergessen?« lautete die Antwort. »Warst Du nicht der Freund meiner Jugend – ja, standest Du meinem Herzen nicht als Verlobter nahe?«

»Du erkennst also noch immer diese lang gehegten Bande an? O Ulrika, wie thöricht und wahnsinnig war ich nicht, als ich ein unschätzbares Kleinod wegwarf! Aber höre mich an, und Du sollst erfahren, wie Gott sich und Dich gerächt hat.«

Die Gattin des Bürgermeisters blieb, obschon im Innern sehr aufgeregt, geduldig sitzen, während der Einsiedler seinen Geist auf die Enthüllungen vorbereitete, die er zu machen im Begriffe war.

»Ich brauche Dir nichts von meiner Jugend zu erzählen,« begann er endlich; »denn Du weißt wohl, daß ich von edler Geburt bin und, von Kindheit an verwaist, mit nicht geringen Glücksgütern in ein Leben eintrat, das der gedankenlosen Jugend so viele Gefahren bietet. Ich besaß die meisten edeln Triebe eines Menschen, den keine Sorge bedrückt, und ein Herz, das sich nicht unnöthigerweise gegen das Mitgefühl für den Unglücklichen verschloß? ja ich glaube, sagen zu dürfen, daß es dem Mitleid nicht ganz unzugänglich war –«

»Du läßt Dir nicht Gerechtigkeit widerfahren, Odo! Sage, Deine Hand war stets offen und Dein Herz voll edler Empfindungen.«

So gedemüthigt auch der Einsiedler durch Reue und Entsagung war, so konnte er doch diese Worte, die über so zarte und wahrheitliebende Lippen floßen, nicht ohne einen Wechsel in seinen Zügen mitanhören. Sein Auge leuchtete und er blickte für einen Moment mit einem Anfluge der früheren jugendlichen Glut auf Ulrika, die aber von dem edlen Drange, den Einsiedler gegen sich selbst zu rechtfertigen, unwillkührlich so sehr in Anspruch genommen wurde, daß sie nicht auf diese Veränderung achtete.

»Vielleicht war es so,« nahm der Eremit nach kurzem Nachdenken mit Ruhe wieder auf; »aber wenn die Jugend nicht bewacht und weise geleitet wird, können sich die besten Eigenschaften zu Werkzeugen unsres Falles umwandeln. Vor Allem wühlten ungestüme Leidenschaften in meiner Brust – wie ungestüm, das ist noch aus den bejammernswürdigen Spuren zu ersehen, welche sich meinem Gesichte, diesem untrüglichen Register menschlicher Verirrungen, abgedrückt haben.«

Ulrika wußte auf diese Bemerkung nichts zu antworten, denn sie hatte gefühlt, wie leicht sich der kräftige Charakter dem milden anschmiegt und wie häufig es vorkommt, daß das menschliche Herz einen Werth auf Eigenschaften setzt, die dazu dienen, das eigene Selbst in ein vortheilhaftes Licht zu stellen.

»Als ich Dich kennen lernte, Ulrika, blieb es dem Einflusse Deines edlen Herzens, der Theilnahme, welche Du, wie Du mir Grund zu glauben gabst, meinem Wohle schenktest, und der Hochachtung, welche der Jüngling so gerne weiblicher Unschuld, Schönheit und Treue zollt, vorbehalten, den Löwen meiner wilden Gemüthsart zu zähmen und mich für eine Weile Deiner Anmuth unterwürfig zu machen.«

Seine Begleiterin erkannte dieses Lob mit dankbarem Blicke an, blieb aber stumm.

»Das Band zwischen jungen schuldlosen Seelen ist eines der heiligsten Geheimnisse der Natur. Ich liebte Dich rein und treu, Ulrika; ja, ich kann sagen, die Verehrung, die ich hier in meiner büßenden Einsamkeit diesen heiligen Zeichen weihe, ist nicht tiefer, weniger mit menschlicher Leidenschaftlichkeit gefärbt oder glühender, als die Hochachtung, die ich gegen Deine jungfräuliche Unschuld empfand.«

Ulrika bebte, aber nur wie das Blatt, das im Lufthauche zittert.

»Ich traute Dir dies zu, Odo,« flüsterte sie mit sichtlicher Scheu vor dem Lautwerden ihrer Stimme.

»Du ließest mir Gerechtigkeit widerfahren. Als Deine Eltern ihre Zustimmung zu unserer Verbindung gaben, blickte ich voll der glücklichsten Hoffnungen der Vollziehung des heiligen Bandes entgegen; denn trotz meiner Jugend kannte ich mich doch gut genug, um vorauszusehen, daß ein Geist, so überredend, so gut und fest, wie der Deinige, nöthig sei, um mich zu zähmen. Das Weib schlingt sich durch ihre Zärtlichkeit, ja sogar durch ihre abhängige Lage so um das Herz des Mannes, daß sie Alles zu erreichen im Stande ist, was sein Stolz einer augenfälligeren Macht verweigern würde.«

»Und konntest Du Alles dieß fühlen?«

»Ulrika, ich fühlte mehr, war von weit mehr überzeugt und fürchtete mehr, als ich je einzugestehen wagte. Doch alle Gefühle des Stolzes sind jetzt dahin, und was soll ich weiter sagen? Du weißt, in welcher Weise kühne Geister die Geheimnisse und die Lehrsätze der ehrwürdigen Kirche, die so lange über die Christenheit herrschte, anzugreifen begannen, und daß Einige sogar sich erdreisteten, dem Urtheile und den Reformen klügerer Köpfe durch übereilte Handlungen vorzugreifen. So geht es immer, wenn junge Hitzköpfe Mißbräuche abstellen wollen; sie haben nur das Unrecht im Auge, vergessen darüber die Ursachen, welche es erzeugten, und übersehen die Momente, welche das Uebel mildern, wenn auch nicht rechtfertigen.«

»Und dieß war unglücklicherweise auch Deine Gesinnung?«

»Ich ziehe es nicht in Abrede. Jung und unbekannt mit den verschiedenen Ursachen, welche jede Theorie verkümmern, wenn sie ins Leben eingeführt werden soll, sah ich ungeduldig nur dem Ausgang entgegen.«

Obgleich Ulrika darnach verlangte, dem Reuigen eine Entschuldigung seiner Verirrungen zu entlocken, blieb sie doch still. Nach einer kurzen Pause des Nachdenkens ging das Gespräch folgendermaßen fort:

»Es gab aber doch unter Deinen Freunden einige, Odo, welche glaubten, Dein Vergehen sei nicht so groß, als es von dem Kloster dargestellt wurde.«

»Sie bauten zuviel auf ihre Wünsche,« versetzte der Einsiedler mit gedämpfter Stimme. »Es ist vollkommen wahr, daß, ich von Wein erhitzt und von Zorn wüthend gemacht, Angesichts meines bewaffneten Gefolges Gewaltthat übte an den geheiligten Elementen, welche die Katholiken so hoch verehren. In einem Augenblick trunkener Wuth schlug ich den heischeren Beifall berauschter Schmarotzer und die Verwirrung eines Priesters höher an, als den gerechten Zorn Gottes. Vermessen trat ich die Hostie mit Füßen und schwer hat seitdem Gott meinen Geist niedergetreten!«

»Armer Odo! – diese gottlose Handlung gab unserem beiderseitigen Lebenslauf eine andere Richtung! Und betest Du jetzt das Wesen an, an dem Du so großen Schimpf übtest – ist Dein Geist zurückgekehrt zu dem Glauben Deiner Jugend?«

»Dies ist nicht nöthig, um mich die Last meiner Schuld fühlen zu lassen,« rief der Einsiedler, dessen Auge den menschlichen Ausdruck zu verlieren begann, welcher es in dem Verkehre mit dem edlen weiblichen Wesen erhellt hatte; sein Blick zeigte allmählig die verglimmende Glut der Gewissensqual, die so lange durch eine krankhafte Selbstopferung genährt worden war. – »Ist nicht der Herr des Weltalls mein Gott? Die Beschimpfung galt ihm, und wenn auch in diese oder jene Form der Andacht Irrthümer sich eingeschlichen haben, so war ich doch in seinem Tempel, an dem Fuße seines Altars und in der Gegenwart seines Geistes. Dort verhöhnte ich seine Macht, trotzte seiner Gewalt – und Alles dies einzig, um einen thörichten Triumph über einen erschreckten Mönch zu feiern.«

»Armer, herzzerknirschter Odo! Und wo suchtest Du Zuflucht nach diesem Akte des Wahnsinnes?«

Der Einsiedler betrachtete seine Gefährtin angelegentlich, als ob ein Strom schmerzlicher und ergreifender Bilder sich seinem Gedächtniß aufdringe.

»Mein erster Gedanke galt Dir,« fuhr er fort; »aber der übereilte Streich meines Schwerdtes war kaum geführt, als sich plötzlich ein Abgrund zwischen uns aufzuthun schien. Ich kannte Deinen edlen, frommen Sinn, und sogar die Aufregung der Wuth war nicht im Stande, mich über Deinen Entschluß zu täuschen. Sobald ich mich in Sicherheit gebracht hatte, schrieb ich den Brief, auf welchen Du eine Antwort folgen ließest, in der sich die bewundernswürdigste Vereinigung von heiliger Scheu und weiblichem Gefühl aussprach. Du verzichtetest auf mich, und ich wurde unstät auf Erden; von jener Stunde an bis zum Augenblicke meiner Rückkehr nach diesem Orte bin ich ein Flüchtling gewesen. Der Einfluß meiner Verwandten und schwere Büßungen haben zwar meine Habe gerettet, die sich sehr vermehrte, weil ich als Pilgrim und Soldat keinen Gebrauch davon zu machen wußte; aber erst in diesem Sommer konnte ich mich so weit ermuthigen, um den Schauplatz meiner Jugendjahre wieder zu besuchen.«

»Und wo bist Du umhergeirrt, Odo?«

»Ich suchte Erleichterung in Allem, womit ein Mann sich abgeben kann – in der Lust und der Zerstreuung der Hauptstädte – in Einsiedeleien – denn dieß ist bereits die vierte, welche ich bewohne – im Waffenwerk – und in den rauhen Gefahren der See. Zuletzt nahm ich noch Theil an der Vertheidigung von Rhodus, diesem unglücklichen, gefallenen Bollwerke der Christenheit. Aber wo immer ich auch weilen, oder in welcher Beschäftigung ich Trost suchen mochte, – überall hin verfolgte mich die Erinnerung an mein Verbrechen und die Strafe desselben. Ulrika, ich bin ein unglücklicher Mensch!«

»Nein, theurer Odo, es gibt ja Gnade für Sünder, die sich noch schwerer vergangen haben, als Du. Du wirst nach Deinem lange verödeten Schlosse zurückkehren und Frieden finden.«

»Und Du, Ulrika – hat Dir mein Verbrechen gleichfalls Leid bereitet? Du wenigstens bist glücklich?«

Diese Frage bereitete der Gattin Heinrich Frey's einige Unruhe, denn sie hatte Odo von Ritterstein leidenschaftlich geliebt, und ihre Gefühle für ihn trugen noch immer das Colorit der Phantasie, während ihre Anhänglichkeit an den Bürgermeister in dem ebeneren Kanal der Pflicht und der Gewohnheit dahinfloß. Indeß hielt die Zeit, ihr zartes Gefühl für ihre Obliegenheiten und das Band, das sie in Meta an ihren Gatten knüpfte, ihre Empfindungen zu jener gedämpften Haltung, welche am besten für ihre gegenwärtige Lage paßte. Wäre es nach ihr gegangen, so würde diese Frage völlig unberührt geblieben seyn; da sie aber einmal zur Sprache gekommen war, so fühlte sie, wie nöthig es war, ihr mit Ruhe zu begegnen.

»Ich bin glücklich in dem Besitze eines ehrenwerthen Gatten und eines theuren Kindes,« versetzte sie. »Beruhige Dich deßhalb – wir paßten nicht für einander, Odo, denn schon Deine Geburt bot Hindernisse dar, die wir nicht gut hätten überwinden können.«

Der Einsiedler beugte sein Haupt und schien ihre Zurückhaltung zu achten. Das nun folgende Schweigen war nicht frei von Befangenheit und wurde endlich durch die Töne einer Glocke unterbrochen, die von dem Limburger Berge herüberschallte. Der Einsiedler erhob sich, und jede andere Empfindung schien sich plötzlich in jenes krankhafte Reuegefühl zu verlieren, das ihn schon so lang verfolgte und in Wahrheit mehr als einmal nahe daran gewesen war, seine Vernunft zu zerrütten.

»Dieses Zeichen gilt mir, Ulrika.«

»Du willst in dieser Stunde nach Limburg hinüber?«

»Als ein gedemüthigter Büßer. Von den Benedictinern hat mir Gold den Frieden erkauft, und ich ringe nun danach, auch mit Gott meinen Frieden zu schließen. Heute ist der Jahrestag meines Verbrechens, und im Kloster werden um Mitternacht zur Sühnung desselben Messen gelesen.«

Die Gattin Heinrich Frey's hörte diesen Entschluß ohne Ueberraschung, obschon sie die plötzliche Unterbrechung dieser Zusammenkunft bedauerte.

»Odo, Deinen Segen,« sagte Ulrika niederknieend.

»Wie, mir diesen Hohn!« rief der Einsiedler wild. – »Geh', Ulrika! – überlaß mich meinen Sünden.«

Er schien einen Augenblick unschlüssig zu seyn, und stürzte dann gleich einem Wahnsinnigen aus der Hütte, in welcher die Gattin Heinrich Frey's auf ihren Knieen liegen blieb.



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