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»Wer führen will des Himmels Schwerdt,
Muß heilig seyn und streng zugleich.«
Maaß für Maaß.
Die ersten Blicke, welche zwischen Emich und Bonifacius gewechselt wurden, erglüheten von allen jenen Leidenschaften, die sie gegenseitig so lang verhehlt hatten und die der Leser in einzelnen unbewachten Momenten bei Gelegenheit der kürzlichen Schlemmerei durchblitzen sah. In den Augen des Grafen mischte sich der Ausdruck der Siegesfreude mit dem des Hasses, während die Züge des Abts noch immer eine leichte Maske von Schlauheit und Vorsicht beibehielten, weil es ihm doch nicht räthlich erschien, erstere jetzt schon ganz abzuwerfen.
»Wir haben also Dir diesen Besuch zu danken, Herr Emich,« begann der letztere, indem er sich Mühe gab, ruhig zu erscheinen.
»Und Deinen eigenen Verdiensten, hochwürdiger Bonifacius.«
»Was ist Dein Begehr, vermessener Ritter?«
»Frieden für dieses oft beschädigte Thal – Demuth von Seiten der Schorköpfe – Religion ohne Heuchelei – und mein gutes Recht.«
»Verwegener Mensch, ich will mit Dir nicht vom Himmel reden, denn in solcher Gegenwart wäre jedes Wort eine Gotteslästerung; dennoch, glaube ich, wirst Du die weltliche Politik noch nicht so ganz aus den Augen verloren haben, um die Strafe des Reichs übersehen zu können. Hast Du Dein Gold wohl gezählt, und bist Du überzeugt, daß Deine Truhen hinreichend versehen sind, um das heilige Gebäude wieder aufzurichten, das Deine Hand so gerne zerstören möchte – oder meinst Du, Deine Schätze können Alles wieder ersetzen, was fromme Fürsten im Laufe von Jahrhunderten, während welcher die Kirche die ihr gebührende Ehrfurcht genoß, hieher vergabt haben.«
»Deine Gefäße und Edelsteine, hochwürdiger Abt, will ich aufbewahren, bis eine derartige Aufforderung an mich ergeht, obgleich ich zweifle, daß dies je geschehen wird, und was die Kosten einer Wiedererbauung der Abtei betrifft, – je nun so wird derselbe ehrenwerthe Werkmeister, der sie zum erstenmal aufrichten half, mir wohl auch einen Dienst leisten, wenn ich diejenigen züchtige, die ihn überlisteten und ohne das versprochene Honorar an Seelen abfertigten. Indeß bin ich doch, bei Gott, der Ansicht, wenn man die Thatsache ehrlich untersuchen wollte, so dürfte sichs zuletzt herausstellen, daß Limburg weit mehr Kunden nach des Satans Glutöfen geschickt hat, als alle Kneipen und Zuchthäuser der ganzen Pfalz.«
Dieser Ausfall von Seite des gnädigen Herrn verursachte unter dem Gefolge ein allgemeines höhnendes Gelächter. Die Soldaten begannen jetzt von den andern Theilen der Abtei her in die Kirche zu strömen, weil sie auch im Heiligthume auf eine reiche Beute rechneten. Um diese Zeit wurde auch der Feuerbrand unter die Streu des Soldatenquartiers geworfen, und das grelle Licht, das durch die farbigen Fenster hereinzuckte, bedeutete den Mönchen aufs Nachdrücklichste, daß jede weitere Gegenvorstellung nutzlos sey.
Trotz seiner bekannten Zügellosigkeit hatte doch der Abt vermöge jenes geheimen Prozesses, welcher auch den Verdienstlosesten gewissermaßen dem Einflusse seines Berufs unterwirft, aus den heiligen Beschäftigungen seines Amtes einen Anflug von Würde und vielleicht auch Aufrichtigkeit gewonnen, der ihn nicht selten zu der ganzen Höhe seiner feierlichsten Obliegenheiten erhob; denn selbst an dem Wüstling findet man oft eine seltsame Beimischung von tiefwurzelndem Glauben, obschon sich derselbe nirgends in seinen Handlungen ausspricht. Ein so kräftiger und männlicher Charakter, wie der seinige, konnte nicht gereizt werden, ohne einige verborgene Kräfte, mochten sie nun auf das Gute oder auf das Schlimme abzielen, zur Entfaltung zu bringen; und Emich zweifelte schon an allem Erfolge, als er Zeuge seyn mußte, wie es seinem Feinde gelang, den inneren Groll zu bändigen und ihn zu dem Ausdrucke priesterlicher Würde und amtlicher Gelassenheit umzuwandeln, der in seinen Zügen herrschte. Der Abt stand auf, gleich einem Kirchenfürsten in der ungestörten Ausübung seiner Amtspflichten, erhob seine Stimme, so daß jedes seiner Worte bis in die fernsten Winkel der Kirche drang, und sprach in der Weise seines kirchlichen Ritus:
»Gott hat es in seiner unerforschlichen Weisheit zugelassen, daß die Bosheit einen augenblicklichen Triumph feiere – und wir wollen jetzt nicht in die Gründe dieser geheimnißvollen Führung einzudringen suchen, da die Wahrheit seiner Zeit zuverlässig ans Licht kommen wird, aber als Dienern des Altars – als Hütern dieses Heiligthums – und als Männern, die ihre Dienste dem Himmel geweiht haben, bleibt uns nur noch Eine feierliche und gebieterische Pflicht zu erfüllen.«
»Sieh Dich vor, Bonifacius,« fiel ihm der Graf von Leiningen ins Wort, »Du hast jetzt keine Bürgermeister, keine heulenden Weiber vor Dir.«
»Um der Sache jenes Gottes willen, dem zu Ehren dieser Tabernakel errichtet wurde« – fuhr der Abt fort, ohne sich irren zu lassen – »um Seiner und seines heiligen Namens willen –«
»Auf Deine Gefahr hin, Priester!« rief Emich erbebend – theilweise aus Zorn, theilweise in einem Schrecken, den er sich kaum erklären konnte.
»Als ein unwürdiger, aber doch nothwendiger Diener – als ein geweihter Priester, dem vom Oberhaupt der Kirche Macht gegeben ist und der sich jetzt aufgefordert sieht, sie zu üben, spreche ich den –«
»Wo seyd ihr, ihr Männer von Hartenburg? Nieder mit den einfältigen Flüchen dieses wahnwitzigen Mönchs: erinnert euch, daß ihr keine zitternden Weiber seyd, die den Segen eines Benedictiners nöthig haben!«
Die Stimme des Grafen sowohl, als die des Abtes wurde jetzt durch das Getöse erstickt, das durch die Kapelle erscholl.
Die erste Unterbrechung kam von einem langen, dunklen Instrumente, das aus dem Gange hinter dem abtlichen Thronsessel und nur einige Fuß von dem Kopfe des Prälaten vorgestreckt wurde – eine Störung, welche das ganze Gebäude mit den wilden kläglichen Tönen des Gebirgs erfüllte.
Diesem Signale aus Gottlobs Kirschbaumhorne – denn der Kuhhirte ging nur selten ohne dieses Abzeichen seines Amtes aus – folgte augenblicklich ein wildes Geschrei von Seiten der Anhänger des Grafen, untermengt mit unterschiedlichen Tönen, die allerlei Instrumenten entquollen, welche bisher stumm gewesen waren. Die Wirkung dieser ohrzerreißenden Laute, welche von dem gewölbten Dache wiederhallten, des grellen Lichtes, welches immer lebhafter und lebhafter die Kirche erhellte, endlich der scheinbaren Ruhe des Abts, der trotz des Getümmels seinen Fluch zu Ende sprach, müssen wir der Einbildungskraft des Lesers überlassen. Nachdem der Abt seinen unbeachteten Bannstrahl geschleudert hatte, blickte er düster umher.
Sein ruhiger und wohlunterrichteter Geist, der viel zu sehr an die Erdendinge gewöhnt war, um sich an Hoffnungen von blos geistiger Natur anzuklammern, sah wohl ein, daß die Gewaltthat bereits zu weit gediehen war, um nicht für den Feind einen Rückzug noch weit gefährlicher zu machen, als das Fortschreiten; er winkte daher seiner Brüderschaft, stieg langsam und mit Würde von seinem Sessel herab und ging auf dem Wege durch den Chor voran. Die Mönche gehorchten bereitwillig und verließen den außerordentlichen Schauplatz in ihrer gewohnten stummen Ordnung. Emich folgte dem düstern Zuge mit unstetem Blicke, denn selbst der Sieger betrachtet einen gelassenen Abzug seiner Feinde mit Beklommenheit, und einen Augenblick durchzuckte ihn ein peinliches Mißtrauen gegen sein Unternehmen, als das letzte flatternde Gewand durch eine Thüre verschwand, welche nach einem geheimen Pförtchen führte. Vermittelst des letzteren verließen die Benedictiner einen Berg, wo sie so lange in der Ruhe und, wir können wohl beifügen, in der Gemächlichkeit einer reichen und wohlbeschützten Abgeschiedenheit gelebt hatten.
Die Eindringlinge nahmen dieses offene Abziehen der ursprünglichen Besitzer für ein unzweideutiges Zugeständniß ihres Sieges. Kein Moment ist so sehr geeignet, Ausschweifungen hervorzurufen, als derjenige, welcher die Ungewißheit des Kampfs in die Sicherheit des Triumphes umwandelt; die Gemüther scheinen sich denn für alle früheren Zweifel rächen zu wollen, und der Mensch schreibt nur allzu gerne die glücklichen Erfolge, welche er erzielt, den ihm inwohnenden guten Eigenschaften zu, die ihm ein scheinbares Recht geben, alle Vortheile zu mißbrauchen, die möglicherweise aus jenen entspringen könnten. Die Gräflichen und die Städter, von denen viele bis auf den letzten Augenblick die Mönche gemieden hatten, weil ihnen der Volksglaube die Macht von Wunderwirkungen zuschrieb, sahen sich kaum, wie sie glaubten, im unbestrittenen Besitz des Berges, als die Gegenwirkung des eben berührten Gefühls sie ihren Ungestüm zu erhöhen antrieb und die für den Augenblick unterdrückten Anstrengungen zu verdoppeln.
Ein zeternder Siegesjubel galt als das allgemeine Signal zur Erneuerung des Angriffs, und unmittelbar darauf folgte Klirren der Fenster, Umstürzen alles dessen, was nicht massig genug war, den ersten, übel geleiteten Anstrengungen zu widerstehen, und eine durchgängige Verstümmelung der Monumente und Bildhauerarbeiten. Von allen Seiten fielen die Marmor-Cherubim nieder, Flügel und Gliedmaßen trennten sich von den Engelskörpern, und die ernsten bärtigen Gesichter vieler geehrten Heiligen wurden zur Beschimpfung und Zertrümmerung verurtheilt. Sogar die unteren Altäre wurden nicht mehr geachtet und sammt ihren Verzierungen schonungslos zerschmettert, als ob die Sieger ihren Haß von denen, welche hier das Opfer begingen, auf das gefürchtete Wesen übertragen hätten, in dessen Namen die Feierlichkeiten begangen wurden.
Der Leser wird sich die Verwirrung und das Getümmel einer derartigen Scene denken können. Während des wildesten Tobens verhüllte Emich sein Gesicht mit dem Mantel und schritt in dem Chor auf und ab, welchen seine Anwesenheit und vielleicht auch ein zurückgebliebener Funke von Hochachtung für den heiligen Platz noch immer gegen Gewaltthat schützte. Nur der Bürgermeister und Berchthold hatten sich ihm angeschlossen; alle Uebrigen vereinigten sich mit denen, welche die Kapellen und Kirchenverzierungen zerstörten. Heinrich nahm in einem der leeren Stühle Platz, denn der kürzliche Auftritt und die darauf folgende Entfernung seiner Gattin hatten seine Entschlossenheit sehr erschüttert, während dagegen der junge Förster sich achtungsvoll seinem Gebieter näherte.
»Fühlt Ihr Unruhe, Herr Graf?« fragte der Letztere nach einer kurzen ehrerbietigen Pause.
Emich ließ den Mantel sinken und betrachtete, die eine Hand vertraulich auf die Schulter seines jungen Dienstmannes stützend, die reiche Pracht und die gewählte Arbeit des Hochaltars – ein Anblick, der in dem gewaltigen Lichte, welches jetzt das ganze Innere des Gebäudes erhellte, einen doppelt tiefen Eindruck machte; denn nie zuvor hatte sich das Schiff der Kirche schöner ausgenommen, als eben jetzt in seinen tiefen Schatten und in seinen kräftigen Lichtpunkten.
»Berchthold, es gibt einen Gott!« sagte er, tief ergriffen.
»Nur ein Thor könnte dies bezweifeln, Herr Graf.«
»Und er hat seine Diener auf Erden – Diener, die er beauftragt hat, seinen Willen zu thun und ihm Weihrauch anzuzünden.«
»Wir haben eine hohe Gewährleistung für diesen Glauben, edler Graf.«
»Ja, wohl ist's eine hohe Gewährleistung, die so weit ins Alterthum zurückragt – die dem Drange unseres Innern so ganz entspricht – die von den Vätern auf uns übertragen wurde.«
»Und die durch so viele Beweise aus der heiligen – und aus der Profan-Geschichte unterstützt wird.«
»Du hast eine gute Schule genossen, lieber Berchthold,« versetzte der Graf, indem er seinem Begleiter angelegentlich ins Gesicht sah.
»Als mir der Himmel meinen Vater entriß, ließ er mir eine fromme, zärtliche Mutter.«
Emich fuhr fort, sich auf Berchtholds Schulter zu stützen, während sein Auge, in welchem finstere Entschlossenheit sonderbar mit dem Schwanken des Zweifels gemischt war, sich nie von der Betrachtung des Altars abwandte. Ueber dem mit vergoldetem Schnitzwerk gezierten Tabernakel, welcher die Hostie enthielt, befand sich ein kleines Bild der Mutter Christi, in dem milden und anziehenden Colorit gehalten, in welchem der Pinsel Josephs jungfräuliche Gattin darzustellen pflegt. Ihr Auge schien mit Trauer auf Emichs Antlitz zu haften, und man konnte leicht den sanften Ausdruck ihrer Züge als einen Vorwurf wegen der Kirchenschändung deuten.
»Diese Benedictiner sind nun endlich obdachlos,« fuhr er fort, indem er vergeblich versuchte, seinen Blick von dem milden aber ausdrucksvollen Gemälde abzuwenden. »Sie haben viel zu lange Leute mit Füßen getreten, die besser waren als sie.«
Berchthold verbeugte sich.
»Fällt Dir nichts auf an jenem Bilde der Maria, Jüngling?«
»Es ist ein kunstreich ausgeführtes Gemälde und ein Gesicht, gar lieblich anzuschauen, Herr Graf.«
»Mich dünkt, sie sehe mit zürnendem Blicke auf diese Gewaltthat nieder.«
»Das Bild ist nur die Arbeit eines geschickten Künstlers, gnädiger Herr, und kann nicht anders blicken, als es immer geblickt hat.«
»Meinst Du, Berchthold? Es gibt aber doch Viele, welche behaupten, daß Bilder und Gemälde schon gesprochen hätten, wenn es der Himmel so wollte.«
»Man erzählt sich freilich solche Sagen, gnädiger Herr; indeß sind dies Dinge, die Einen nicht sonderlich anzurühren pflegen, wenn man nicht dazu geneigt ist, sie zu sehen.«
»Und doch glaubten meine Väter daran – meine Väter, in deren Glauben ich erzogen wurde.«
Berchthold schwieg, denn seine eigene Erziehung stand mehr im Einklange mit den um sich greifenden Ansichten der Zeit.
»Wir können wenigstens glauben,« fuhr Emich fort, »daß Gott im Stande ist, den gewöhnlichen Gang der Natur, sofern er einen Zweck damit verbindet, abzuändern.«
»Glauben kann man dies wohl, Herr Graf; aber ist es auch nöthig? Gewiß kann sich der Schöpfer der Natur ihrer auch nach Gefallen bedienen.«
»Ha, so hältst Du also nichts auf Wunder, Knabe?«
»Ich selbst bin ein Wunder, das mich jeden Augenblick auf das Vorhandenseyn einer höheren Macht hinweist, deren Führung ich mich bereitwillig unterwerfe. Indeß bin ich noch nie so glücklich gewesen, ein Bild sprechen zu hören oder willkürliche Handlungen vornehmen zu sehen.«
»Bei den Gebeinen meiner Väter, Du bist dem pfiffigsten Spitzbuben, der nur je eine Kaputze getragen hat, gewachsen! He da, mein tapferes Gefolge!« – er wandte sich dabei an seine Leute, »laßt keine Spur zurück von den Bübereien und Gräueln, die so lange in diesen befleckten Mauern geübt wurden.«
»Herr Graf!« rief Berchthold hastig, indem er sich zugleich erdreistete, Emichs Mantel zu berühren, »hier sind die Benedictiner!«
Dieses Wort bewog den kühnen Grafen, der zu einem schnellen Entschlusse gekommen war, plötzlich umzuwenden und die Hand an seinen Schwerdtknauf zu legen. Er ließ jedoch schnell wieder los und zeigte bei dem Anblicke, der sich ihm jetzt darbot, aufs Neue wieder in seinen Zügen den Ausdruck der Beklommenheit und des Zweifels.
Mittlerweile waren die verschiedenen Gebäude, aus welchen die Abtei Limburg bestand, mit Ausnahme der Kirche und ihrer nächsten Umgebung, in Brand gesteckt worden. Die Folge davon war eine solche Lichtsteigerung, daß die Helle bis in die dunkelsten Winkel der gothischen Säulengänge drang. Namentlich stand der Chor in der grellsten Beleuchtung da, und es kam dem jungen Berchthold vor, als ob die Ornamente sich nie so schön ausgenommen hätten, als in dem furchtbaren Augenblicke, der ihrer Zerstörung voranging. Die Kerzen und Lampen des Hochaltars begannen zu erblinden und allenthalben erblickte man den herrlichen, blutrothen Wiederschein, der eine große Feuersbrunst zu begleiten pflegt. In dem, Augenblicke, als Emich sich an seine Leute wandte, kamen zwei Mönche, der Prior und Pater Johann, aus der Sakristei und knieten an den Stufen des Altares nieder. Der erstere trug ein kleines Elfenbeincrucifix, das er von Zeit zu Zeit küßte, letzterer aber rückte vor seine Füße hin eine massenhafte seltsam geschnitzte Truhe von so großem Umfang und Gewicht, daß die Beihülfe eines Laienbruders nöthig gewesen war, um sie von ihrem Gestelle herunterzuschaffen.
Das Antlitz des Priors war mild, überredend und voll heiliger Bekümmerniß, während das seines Gefährten von fieberischer Aufregung und in dem Feuer einer Begeisterung glühte, welche ebenso sehr aus seinem Temperamente, als aus der Ueberzeugung entsprang.
Emich blickte unruhig nach den Benedictinern hin und näherte sich ihnen, stets von seinem Förster begleitet, so weit, daß er sie mit seinem Arm erreichen konnte.
»Bei Gott, Ihr seyd sehr säumig, Väter,« begann er, indem er versuchte, eine Gleichgültigkeit zur Schau zu tragen, die seinen Gefühlen fremd war. »Der fromme Bonifacius ist schon seit geraumer Zeit aufgebrochen und hat wohl ohne Zweifel aus Liebe zu seinem theuren Ich seine Tritte dermaßen beschleunigt, daß er bereits den Fuß des Berges erreicht haben muß.«
»So hast Du endlich den Einflüsterungen des Teufels nachgegeben, Graf von Leiningen,« entgegnete der Prior, »und bist entschlossen, Deine Seele mit diesem dauerndem Brandmal zu belasten.«
»Wir sind nicht im Beichtstuhl, heiliger Vater, sondern eben damit beschäftigt, uns ritterlich zu unsern Rechten zu helfen. Wenn Du noch etwas hier hast, was Dir theuer ist, so nimm es in Gottes Namen und geh Deines Weges. Du sollst sicheres Geleit haben, und wäre es bis vor die Thore von Rom; denn von Deiner ganzen Brüderschaft bist Du der Einzige, gegen den ich Bedauern oder sogar Liebe fühle in diesem meinem gerechten Unterfangen.«
»Ich kenne eine solche Auszeichnung nicht, sofern dabei der Fortbestand unserer Altare, oder die Pflicht, die uns an ihren Dienst fesselt, in Frage kömmt. Ueberhaupt, Graf Emich, handelt sichs hier nicht um eine Frage zwischen Dir und mir, sondern zwischen Dir und Gott!«
»Nimm dies, wie Du willst, Herr Prior, sofern Du nur im Frieden abziehst.«
»Ich bin nicht blöde genug, Widerstand leisten zu wollen, wo jede Gegenwehr vergeblich ist,« antwortete der Mönch mit Milde; »aber ebenso wenig werde ich meinen Posten verlassen, so lange noch Hoffnung in Aussicht steht. Du hast diese That nicht wohl erwogen, Emich, und weder auf Deine Nachkommenschaft, noch auf Deine Liebe zu der edlen Irmengard Rücksicht genommen.«
»Hältst Du mich für einen verliebten Spießbürger, hochmüthiger Arnolph, daß Du einem Ritter Einhalt thun zu können wähnst in seinen Unternehmungen, wenn Du ihm von seiner Frau und seinen Kindern vorsprichst?« entgegnete Emich mit Lachen.
»Du hast mich nicht recht verstanden, wenn Du glaubst, ich spiele damit auf den Tod in der Schlacht, oder auf den Gram der Ueberlebenden an; denn leider sind solche Gedanken nur zu gewöhnlich bei denen, die Macht haben auf Erden, um noch Unruhe zu erzeugen. Nein, ich will von der langen Zukunft und ihrer Pein mit Dir reden. Weißt Du nicht, pflichtvergessener Ritter, daß der Gott Israels, welcher mein Gott ist und der Deinige – daß der Gott Israels gesagt hat, er wolle die Sünden der Väter an den Nachkommen heimsuchen von Geschlecht zu Geschlecht? Und doch scheinst Du, geblendet durch Deinen vermeintlichen Sieg, um seinen Zorn zu buhlen.«
»Ich weiß nicht, in wie weit Du Recht hast, denn ihr Klosterleute habt eine gar zu spitzfindige Weise an euch, wenn es gilt, für eure Wünsche Gründe aufzubringen. Mir übrigens scheint es besser zu seyn, daß jeder für seine eigenen Sünden büße, und ich bin der Meinung, daß ein derartiges Geschick jetzt über die Brüderschaft von Limburg ergehe –«
»Daß wir viel gesündigt und das Gute sehr vernachläßigt haben, ist leider nur zu wahr.«
»Bei den heiligen drei Königen von Cöln, Du willst Dich auf unsere Seite schlagen, hochwürdiger Arnolph.«
»Denn dieß ist das gemeinsame Loos der Menschen,« fuhr der Prior fort, ohne sich irren zu lassen. »So viel aber hat seine Richtigkeit, daß Du nicht berufen bist, über uns Gericht zu halten. Es unterliegt keiner Abrede, daß Jeder für seine eigenen Handlungen zu büßen hat, aber die furchtbaren Folgen des Versprechens beschränken sich nicht auf den, der es beging. Dieß lehrt uns nicht nur die eigene Vernunft, sondern wir finden eine Bekräftigung dafür auch in den noch gewisseren Worten, die der Mund Gottes verkündet hat. Erwäge daher, so lange Du noch kannst, die Last des Jammers, die Du auf Deine Nachkommen häufst, und bedenke, daß Du jetzt bloß deßhalb als ein von Leidenschaften gegeißeltes, elendes Wesen hier stehst, weil Du in Deiner Person den Preis der Sünde zahlst, die einer Deiner Vorfahren begangen hat. Was unser gemeinschaftlicher Stammvater that, wird noch immer an uns, seinen Kindern, gerächt.«
»Herr Prior, Du erstreckst meinen Stammbaum weit über seine Ansprüche hinaus. Ich bin zwar von fürstlichem Adel, wenn Du willst, mag aber doch meine Berechtigungen nicht bis in die dunkeln Zeitalter verfolgen. Wer größern Ehrgeiz besitzt, als ich, mag in der von Dir gemeinten Weise zahlen; was mich betrifft, so begnüge ich mich mit neueren Ehren.«
Emich sprach zwar in scheinbarem Scherze, aber dem aufmerksamen Mönche entging die Unruhe seines Innern nicht.
»Wenn Du keine Gedanken für Deine Nachkommen, für Dich selbst und für Deinen Gott hast, Emich,« nahm der letztere wieder auf, »so erinnere Dich derer, die Dir vorangegangen sind. Hast Du Deinen Besuch bei den Gräbern Deiner Familie bereits vergessen?«
»Willst Du mich damit fassen, Arnolph? Nur jene geheiligte Gruft war es, die seit vielen Monaten Dein Kloster schirmte!«
»Und jetzt willst Du ihrer ganz und gar vergessen?«
»Frage jene ehrlichen Leute dort, und sie werden Dir sagen, Prior, daß sie keinen Befehl haben, auch nur den geringsten Deiner Marmor-Cherube zu schonen, selbst wenn sie über den Grabmälern meines eigenen Hauses schwebten.«
»Dann verzweifle ich in der That daran, Dein Herz rühren zu können,« antwortete Pater Arnolph, dem die Folgen eben so schmerzlich nahe gingen, als das Verbrechen selbst. »Ich sehe, Du bist in der That von einem erbarmungslosen Wahnwitz ergriffen, und sinnst in gleicher Weise auf unsern wie auf Deinen eigenen Untergang, da Du das Mitleid gegen das Kind nicht minder verschmähst als die Liebe zu den Eltern. Emich von Leiningen, ich fluche Dir nicht, denn diese Waffe ist zu furchtbar, als daß sie eine menschliche Hand leichtfertig führen sollte. – Aber auch segnen kann ich Dich nicht, da mir die Pflicht gegen Gott eine so heilige Handlung verbietet.«
»Halt, hochwürdiger Arnolph, laß uns nicht im Grolle scheiden – in der That, ich sehne mich nach einer tröstlichen Berührung von Deiner Hand. Wenn – ja – wenn in dieser Kirche eine Kapelle ist, für die Du mehr als gewöhnliche Ehrfurcht hegst, so nenne sie, und ich schwöre Dir bei meinem Ritterwort, sie soll, falls nicht etwa das Werk schon gethan ist, unter den Trümmern unverletzt stehen bleiben, zum Zeugniß meiner Liebe für Dich. Oder wenn etwas hier ist, das Du schätzest – habe es nun mönchischen oder weltlichen Werth – so zeige mir's, damit ich Dir's aufbewahren kann für eine bessere Zeit. Dagegen verlange ich nur den Abschiedsgruß des Friedens.«
»Er ist Denen versagt, die Krieg führen gegen Gott,« erwiederte der tief bekümmerte Prior, indem er sein Gewand dem hastigen Griffe des Grafen entriß. – »Ich kann und will für Dich beten, Emich; aber Dich zu segnen, wäre ein Verrath am Himmel.«
Mit diesen Worten zog der fromme Arnolph seine Kapuze über das Gesicht, um die Entweihung, die rund um ihn vorging, nicht mit ansehen zu müssen, und entfernte sich langsam aus dem Chor.