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Welch' wohl bestallter Führer naht uns hier?
König Heinrich IV.
Das Sendschreiben der Mönche war in lateinischer Sprache abgefaßt. In jener Periode konnten außer den Gelehrten nur Wenige schreiben, und jeder Edelmann oder jede Stadt sah sich genöthigt, einen Studirten zu halten, der verrichten mußte, was heutzutage zu den gewöhnlichen Vorkommnissen des Verkehrs gehört. Der Stadtschreiber von Dürkheim war für die Kirche erzogen worden und hatte es sogar bis zur Tonsur gebracht; aber einige Unregelmäßigkeiten im Leben, die, wie es schien, nicht in den Schranken der kirchlichen Vorrechte blieben oder um ihrer Oeffentlichkeit willen Schande über den geistlichen Stand brachten, hatten ihn genöthigt, seinem Lebenslaufe eine neue Richtung zu geben. Wie es bei den meisten Menschen zu ergehen pflegt, die viele Zeit und Mühe ausgewendet haben, um sich für einen bestimmten Beruf zu befähigen und unerwarteter Weise davon abgehen müssen, so war es auch dieser Person, welche Ludwig hieß und im gewöhnlichen geselligen Verkehr oft den Spottnamen Pater Ludwig erhielt, nie gelungen, den übeln Eindruck, welchen sein erster Fehltritt gemacht hatte, völlig wieder zu verwischen. Seine Kenntnisse verschafften ihm zwar einen gewissen Grad von Ansehen; aber da man seine etwas freie Lebensweise kannte und noch außerdem wußte, daß er, als die Kirchenspaltung in Deutschland um sich griff, namentlich gegen die Hauptunterscheidungslehren der katholischen Kirche als ein kühner Zweifler auftrat, so blieb an seinem Rufe stets etwas von jenem Makel kleben, der immer unbewußt an allen Renegaten haftet, mögen nun ihre Beweggründe mehr oder weniger verwerflich seyn. Da er übrigens als ein gut unterrichteter Mann bekannt war, so legte die Menge auf seinen Abfall mehr Gewicht, als wenn fünfzig einfältige Gläubige ihrer bisherigen Kirche den Rücken gekehrt hätten; denn die Meisten glaubten, es gebe Mittel der Beurtheilung, die nur den Eingeweihten, nicht aber denen zugänglich seyen, welchen das Loos gefallen war, in den Vorhöfen anzubeten. Wir sehen täglich Beweise davon, daß diese Schwäche auch in die zeitlichen Interessen des Lebens hereinreicht und daß man Ansichten oft nur in dem Verhältnisse werthschätzt, in welchem man geheime Mittel der Belehrung voraussetzt, obgleich die Menschen selten etwas verhehlen, von dem sie wissen, daß es offenbar werden könnte, und in der That nur wenige Lust haben, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen.
Ludwig versäumte nicht, die Hebungsmittel der Betonung und der Emphase in Anwendung zu bringen, indem er die unverständlichen Sätze des mönchischen Sendschreibens vortrug, und seine Zuhörer lauschten nur um so eifriger, weil sie keine Silbe von dem, was er sagte, verstanden; wie denn überhaupt die Aufmerksamkeit gewöhnlich im umgekehrten Verhältnisse zu dem Fassungsvermögen zu stehen scheint. Vielleicht schmeichelten sich einige der höhern Würdenträger, durch ihre achtsame Miene die Untergebenen zu dem Glauben an ihre bessere Kenntniß bethören zu können – ein Umstand, der zu Erhöhung ihres Einflusses dienen mußte; gibt es doch keinen besseren Beweis von dem angeborenen Streben unseres geistigen Wesens, als die allgemeine Achtung, welche dem Wissen gezollt wird. Wir haben es gewagt, diese Muthmaßung auch auf die bürgerlichen Obrigkeiten Dürkheims anzuwenden, weil wir glauben, daß die Thatsache auf einem allgemeinen Principe des menschlichen Ehrgeizes beruhe und weil wir uns aus eigener Erfahrung eines Falls erinnern, in welchem wir eine plattdeutsche Rede, die länger als eine Stunde dauerte, in einer feuchten holländischen Kirche eifrig mitanhörten, obschon wir vom Text an bis zum Segen keine Silbe verstanden.
»Recht gelehrt und ohne Frage auch mit gebührender Artigkeit abgefaßt!« rief Heinrich Frey, als das Schreiben zu Ende gelesen war und der Beamte eben seine Brille wischte, um das Dokument durch eine Uebersetzung zum allgemeineren Verständniß bringen zu können. »Gewiß ist es ein schöner Kampf, Nachbarn, wo zwischen den streitenden Parteien eine solche Sprache geführt ist; denn sie beweist, daß die christliche Liebe stärker ist, als der Groll und daß man die Vernunft nicht aus dem Gesichte verlor, weil Schläge gefallen sind.«
»Selten habe ich wackrere Worte gehört,« bemerkte ein anderer Rathsherr. »Der Aufsatz ist meisterhaft.«
»Potz Tausend,« murmelte der Schmied, »es ist ja fast Sünde, Leute aus ihrem Eigenthum gejagt zu haben, die so schreiben können.«
Ein Gemurmel des Beifalls lief durch die Menge, und mit Ausnahme eines einzigen gaffenden Tölpels, der sich in den Saal gestohlen hatte, war auch nicht ein Mensch vorhanden, der nicht dergleichen gethan hätte, als mache ihm die Mittheilung mehr oder weniger Freude. Aber auch der vorerwähnte Maulaffe fing seinen Antheil am Vergnügen ab, denn durch die bloße Macht der Sympathie tauchten auch in ihm die Entzückensblicke auf, die hier so nachdrücklich und allgemein zu leuchten schienen.
Ludwig begann nun das Schreiben in das rauhe, kräftige Deutsch, wie es am Rheine gesprochen wurde, zu übertragen. Die wunderbare Schmiegsamkeit der Sprache befähigte ihn, die Allgemeinheiten und die inhaltsvollen Ausdrücke des Lateins mit einer Schärfe zu übersetzen, welche auch nicht einen Schatten von der wahren Bedeutung verloren gehen ließ.
Was die Mönche gemeint hatten und vielleicht sogar noch mehr, wurde mit Eifer und boshafter Schadenfreude wiedergegeben, so daß jeder Ausdruck sein volles Gewicht erhielt.
Es liegt nicht in unserer Absicht, an den harten Bedingungen das Amt eines Uebersetzers zu versuchen: wir begnügen uns mit einer kurzen Anführung ihres Inhalts. Das Aktenstück begann mit einem Gruße, nicht unähnlich denen, mit welchen in den ersten Zeiten des Christenthums die Apostel ihre Sendschreiben an die Kirchen des Morgenlands zu bevorworten pflegten. Dann kam eine kurze, aber nachdrücklich gehaltene Erzählung der kürzlichen Ereignisse, in einer Weise gewürzt, die sich der Leser wohl denken kann. Dieser Darstellung folgte eine Aufzählung der geistlichen und weltlichen Machthaber, welche der Brüderschaft Zusagen ihrer Unterstützung gegeben hatten, und der Schluß forderte unter Androhung aller irdischen und himmlischen Strafen eine ungeheure Summe in Gold, als Geldentschädigung für den zugefügten Schaden – eine vollständige und unbedingte Unterwerfung der Stadt unter die Gerichtsbarkeit des Klosters, in einem höhern Grade sogar, als es je zuvor verlangt wurde – eine öffentliche und allgemeine reuige Anerkennung des geübten Vergebens nebst unterschiedlichen Bußübungen und Wallfahrten, welche von namhaft gemachten Würdeträgern vollbracht werden sollten und endlich die Auslieferung des Bürgermeisters Heinrich Frey nebst eilf andern Rathsherrn, die als Geiseln in den Händen des Abts verbleiben sollten, bis alle Anforderungen und Bedingungen vollständig und befriedigend erfüllt wären.
»Hu – u – u – u – i!« pfiff Heinrich, als Ludwig nach einer empörenden Weitschweifigkeit, welche die Geduld des Bürgermeisters völlig erschöpft hatte, mit seinem Vortrage zu Ende gekommen war. »Himmel! das ist ein Sieg, der uns Allem nach unser Vermögen, unser Amt, unsere Freiheiten, unser Gewissen und unsere Gemächlichkeiten kosten kann! Sind die Mönche toll, Meister Ludwig, oder treibst Du mit unserer Leichtgläubigkeit Dein Spiel? Sprechen sie wirklich von Geiseln und von Gold?«
»Zuverläßig, gestrenger Herr, und wie es scheint, in vollem, baarem Ernste.«
»Willst Du mir nicht den Theil, der von den Geiseln handelt, noch einmal im Lateinischen vorlesen? Du könntest unbedachter Weise eine Conjunktion oder ein Pronomen übersehen haben, – denn so nennt man, glaube ich, diese wichtigen Redefiguren.«
»Ja es wäre gut, das Schreiben aus dem Lateinischen zu beurtheilen,« ließ sich das Echo des Schmieds vernehmen. »Man lernt nie die Eigenschaft seines Metalls mit dem ersten Hammerschlage kennen.«
Ludwig las zum zweitenmal Auszüge aus dem Original vor; namentlich gab er die Ausdrücke der Begrüßung, die, wie gewöhnlich, mit mönchischen Segensphrasen verschönert waren, und jenen Theil, der unumwunden die Auslieferung des Bürgermeisters und seiner Sippschaft in die Hände der Benedictiner forderte, mit merkwürdigem Nachdruck und mit einer Art von Schalkhaftigkeit, welche er oft als eine geheime tröstliche Rache für die Unbilden brauchte, die ihm häufig von Seiten der Unwissenden widerfuhren, – eine Weise, die er oft in heiteren Kreisen annahm, wenn er in gelegentlichen Gesprächen mit Anderen seiner Klasse seinem verhaltenem Unmuthe Luft machen wollte.
»Gott behüte!« rief der Bürgermeister, der sich jedesmal auf ein anderes Bein stellte, so oft der Stadtschreiber über seine Brille nach ihm hinsah. »Ich habe andere Dinge zu thun, als in einer Zelle zu sitzen, und der guten Stadt würde es übel ergehen, wenn sie so viele Kenntnisse und Erfahrung entbehren müßte. Ich bitte, Meister Ludwig, laß uns die freundlichere Sprache dieser Benedictiner vernehmen, denn mich dünkt, es lassen sich einige Worte des Friedens in den Segenssprüchen finden, die sie uns ertheilen.«
Der verschmitzte Schreiber las nun im Urtexte die stärksten Auflagen und jenen Theil des Briefs vor, welcher so entschieden die Stellung von Geiseln forderte.
»Was ist dies, Schurke?« rief der Bürgermeister hastig. »Du hast vorhin nicht getreu vorgelesen. Hört ihr's, Nachbarn? Ich bin in ihren Segnungen mit Namen aufgeführt. denn ihr müßt wissen, meine würdigen Mitbürger, daß Henricus auf Deutsch Heinrich heißt, und Frey, gut ausgesprochen, durch alle Sprachen gleich lautet. Ich weis dieß aus langer Erfahrung, denn ich bin kein Fremdling in derartigen geschraubten Instrumenten. Ich danke den ehrwürdigen Benedictinern für ihre guten Wünsche, in denen sie mich so ausdrücklich namhaft gemacht haben, obgleich die Art, wie sie die Geiseln einführen, sehr unziemlich ist.«
»Ich dachte mir's wohl,« murmelte der Schmied, »daß, wenn es zum Schlimmsten komme, Meister Heinrich mit besonderer Gunst bedacht werden würde. Da sieht man, was es heißt, Brüder Handwerker, wenn man in seiner Stadt geehrt ist und einen Namen hat.«
»Da tönt eine Trompete!« rief mit einemmale der Bürgermeister. »Wie, sollten sich diese hinterlistigen Mönche unterstanden haben, mit uns ihr Spiel zu treiben, indem sie den Würdigsten aus ihrer Sippschaft herschickten, um uns im Gespräch zu erhalten, damit sie uns indeß heimlich mit Bewaffneten umgeben können?«
Diese Vorstellung war augenscheinlich den meisten aus dem Rathe nicht angenehm, am allerwenigsten aber dem alten Wolfgang, dem seine Jahre mehr Mißtrauen in die persönliche Sicherheit einzuflößen schienen, als den Uebrigen. Viele verließen den Saal, während die Zurückbleibenden mehr durch ihre Angst, als durch ihre Standhaftigkeit festgehalten wurden. Heinrich Frey, ein von Natur aus beharrlicher Mann, blieb am ruhigsten von allen, obgleich auch er von Fenster zu Fenster ging, als sei es ihm gar nicht wohl zu Muth bei der Sache.
»Wenn die geistlichen Spitzbuben einen solchen Verrath geübt haben, so mögen sie sich vorsehen. Wir sind keine Knechte, die sich von einer Kapuze die Augen verkleben lassen.«
»Vielleicht schicken sie den Trompeter, gestrenger und hochweiser Herr Bürgermeister,« sagte der schlaue Ludwig, »nur die Geiseln in Empfang zu nehmen.«
»Möge der Fluch der heiligen drei Könige sie und ihren unverschämten, langathmigen Musikanten treffen! – He da, Bursche, wer macht dieses tra – ta – rah – rah – an unserem Thore?«
»Der edle Graf von Hartenburg steht mit einem starken Reiterhaufen auf der Thalseite unserer Stadt, gestrenger Herr Bürgermeister,« meldete der athemlose Bote, welcher diese Nachricht zu überbringen gekommen war. »Er ist wild über die Zögerung; aber da so strenger Befehl ertheilt wurde, die Thore geschlossen zu halten, so wagt es der Wachthauptmann nicht, ohne zuvor eingeholte Erlaubniß die Riegel zurückzuschieben.«
»So bedeute in's Himmels Namen dem warteten und getreuen Bürger, er solle öffnen – und zwar hurtig. Meine ehrenwerthen Collegen, wir hätten auf die Möglichkeit dieses Besuchs Bedacht nehmen und Sorge tragen sollen, daß unsrem fürstlichen Freunde kein derartiger Anlaß zur Beschwerde gegeben werde. Indeß dürfen wir uns doch freuen, daß unsere Leute so zuverlässig sind und ihr Amt auch gegen Solche üben, die uns so gut bekannt sind und hoch in Ehren stehen. Ich bürge dafür, Nachbarn, daß es dem Kaiser Karl selbst nicht besser ergehen würde, wenn er –«
Während Heinrich noch im Begriffe war, ruhmredig seine gute Polizei zu erheben, wurde er durch das Getrappel von Pferden auf dem Pflaster unter den Fenstern unterbrochen, und als er hinausschaute, bemerkte er, wie Emich und sein ganzes Gefolge eben kaltblütig von den Rossen stiegen.
»Hum!« stieß der Bürgermeister aus – »geht hinunter und erweist dem Herrn Grafen eure Ehrerbietung.«
Der Rath erwartete in tiefem Schweigen das Erscheinen des Besuchs. Emich trat mit dem zuversichtlichen Tritte eines Oberen und mit umwölkter Stirne in den Saal. Nachdem er den Rathsherrn für ihre Begrüßungen durch eine Verbeugung gedankt hatte, winkte er seinem bewaffneten Gefolge, an der Thüre zu warten, und ging nach dem Sitze hinauf, den Heinrich eine Weile vorher verlassen hatte und der im eigentlichen Sinne der Thron von Dürkheim war. Seine schwere Gestalt mit der Miene eines Mannes, der an dergleichen Auszeichnungen gewohnt ist, in dem Sessel niederlassend, verbeugte er sich abermals und machte eine Geberde mit der Hand, welche die Bürger als eine Einladung deuteten, daß sie gleichfalls Platz nehmen sollten. Mit zweifelhaften Mienen fügten sich die eingeschüchterten Rathsherrn darein und nahmen die Erlaubniß, die sie kürzlich selbst noch als eine Artigkeit zu erweisen bereit gewesen waren, als eine Gunst. In den Zügen des Bürgermeisters drückte sich Ueberraschung aus; da er jedoch daran gewöhnt war, seinem edlen Freunde hohe Achtung zu erweisen, so erwiederte er die Verbeugung und das Lächeln – denn letzteres galt vorzugsweise ihm – und nahm den zweiten Sitz ein.
»Es war nicht wohlgethan, meine ehrenwerthen Bürger, so grob die Thore vor mir zu schließen,« begann der Graf, »Es gibt Rechte und Ehren, die zu allen Stunden und Tageszeiten respektirt werden sollten, und ich wundere mich, daß die Dürkheimer sich dies durch einen Grafen von Leiningen sagen lassen müssen. Man ließ mich und mein Gefolge draußen warten, als wären wir ein Haufen wandernder Zigeuner oder eine von den freien Banden, die ihre Lanzen und Arkebusen an den Meistbietenden verkaufen.«
»Es hat vielleicht eine kleine Zögerung stattgefunden, Herr Graf,« entgegnete Heinrich Frey.
»Eine kleine Zögerung, Bürgermeister? Nennst Du es eine kleine Zögerung, wenn ein Edler von Leiningen, unter Staub und Hitze keuchend, mitten in einem Troß müssiger Gaffer da stehen soll? Du kennst das Feuer unserer Rosse nicht, Herr Frey, wenn Du Dir einbildest, sie ließen sich ein so plötzliches Zügeln gefallen. Wir sind von hohem Blute. Roß und Reiter, und müssen freien Zug haben, wenn einmal die Sporen eingelegt sind!«
»Es war unser eifriger Wunsch, hochgeborner Emich, Euch Ehre zu erweisen und die Thore so schnell öffnen zu lassen, als es nur geschehen konnte. Zu diesem Ende waren wir eben im Begriff die nöthigen Befehle zu ertheilen, als wir so plötzlich mit Eurer gnädigen und herablassenden Gesellschaft beglückt wurden. Wir zweifeln nicht, daß der Wachhauptmann bedachtsam zu Werke ging und in guter Absicht und auf eigene Verantwortung hin that, was ihm schleunigst durch unsere Befehle geboten worden wäre.«
»Bei Gott, die Sache verhält sich anders,« antwortete Emich lachend. »Unsere Ungeduld war stärker, als eure Riegel, und damit nicht dasselbe Versehen ein andermal die Unbequemlichkeit erneuere, fanden wir Mittel, ohne Umstände einzureiten.«
Die Bürger verriethen im Allgemeinen große Verwirrung und Heinrich Frey blickte überrascht auf. Der Graf bemerkte, daß er für den Augenblick genug gesagt hatte, weßhalb er eine gnädigere Miene annahm und in einem anderen Tone fortfuhr:
»Wohlan, meine lieben Bürger,« sagte er, »wir haben eine glückliche Woche, da nun alle unsere Wünsche erfüllt sind. Die Benedictiner sind vertrieben, das Jägerthal lebt im Frieden und unter dem Scepter seines rechtmäßigen Herrn, und doch geht die Sonne nach wie vor auf und unter; der Himmel lächelt uns, der Regen ist eben so erfrischend, und alle unsere Hoffnungen sind so wohlbegründet, wie vorher. Es wird kein Wunder zu ihren Gunsten statthaben, Herr Frey, und wir können uns ruhig zum Schlafen niederlegen.«
»Dieß dürfte mehr von Andern, als von uns abhängen. Es sind Gerüchte in Umlauf, die nicht erfreulich klingen, und unsere ehrlichen Mitbürger sind in Sorge, ob sie, nachdem sie ihren Vorgesetzten einen guten Dienst geleistet haben – nicht gezwungen werden, alle Kosten des Sieges zu tragen.«
»Beruhige immerhin ihre Gemüther, würdiger Bürgermeister, denn ich habe meine Hand nicht in die kirchliche Flamme gesteckt, ohne darauf Bedacht genommen zu haben, sie vor dem Versengen zu bewahren. Du weißt, ich habe Freunde und es wird nicht leicht seyn, einen Grafen von Leiningen zu bannen.«
»Wir zweifeln nicht sonderlich an Eurer und Eures Hauses Sicherheit, erlauchter Graf; unsere Besorgniß trifft nur uns selbst.«
»Du brauchst Dich nur an mich anzulehnen, Meister Frey. Ist nur erst das Band zwischen uns dem Kaiser und dem Reichstag deutlicher erklärt, und begreift man die liebevollen Wünsche, die wir gegen einander hegen, besser, so wird alle Welt wohl einsehen, daß ein Schlag, der auf Dürkheim geführt wird, mir selber gilt. Aber woher diese plötzliche Furcht? Was ich zuletzt über Eure Stimmung hörte, brachte mich auf den Glauben, die Stadt sei beharrlich und eher geneigt, sich Luther anzuschließen, als zum Kreuze zu kriechen.«
»Sapperment, man kann nicht immer aus dem Gesichte beurtheilen, wie es im Innern aussieht. Da ist zum Beispiel der Schmied, der nur selten gewaschen auftritt; aber wer sagen wollte, sein Herz sei so schwarz wie sein Gesicht, der würde dem Mann großes Unrecht thun.«
Ein Gewühl und ein Gemurmel an der Thüre verrieth, mit welcher Bewunderung die daselbst Versammelten diese Redefigur ihres Bürgermeisters aufnahmen.
»Hast Du etwa Grund zu diesem plötzlichen Kleinmuth?« entgegnete der Graf, indem er einen gleichgültigen Blick nach den Handwerksleuten hinwarf.
»Je nun, aufrichtig gesprochen, Herr Graf, Bonifacius hat in sehr schönem Latein ein gar gelehrtes Sendschreiben an uns erlassen, das uns Mann für Mann mit jedem christlichen Wunsche bedroht, von den sieben Plagen an abwärts bis zur unheilbaren Verdammniß.«
»Und Du läßt Dich durch ein Gekritzel unverständlicher Worte beunruhigen, Heinrich?«
»Ich weiß nicht, ob es unverständlich genannt werden kann, Herr Graf, wenn sichs um das Ansinnen handelt, den Bürgermeister Heinrich Frey nebst eilf anderen unserer achtbarsten Bürger als Geiseln auszuliefern, um sie wahrscheinlich bei schlechter Kost und schweren Bußübungen manchen trübseligen Monat in Klosterzellen aufzubewahren und von ihrem Hauswesen fern zu halten. Dazu verlangen sie noch viel Gold, Wallfahrten, Bußübungen und andere gottseligen Ergötzlichkeiten.«
»Wer hat Euch solche Forderungen überbracht?«
»Der hochwürdige Prior, ein Mann, der so viel Herz im Leibe hat, daß ich mich wundere, wie er sich zum Besteller eines so unwillkommenen und lieblosen Auftrags hergeben mochte. Aber auch die Besten unter uns haben ihre schwachen Augenblicke, und nicht Alle handeln immer mit Ueberlegung oder nach Gerechtigkeit.«
»Ha, Arnolph hat sich damit befaßt? – Ist er schon abgereist?«
»Er zögert noch, gnädiger Herr; denn schaut, wir sind noch zu keinem Entschlusse gekommen, wie wir unsere Antwort einrichten sollen.«
»Hoffentlich konntest Du Dir nicht einfallen lassen, eine Antwort zu geben, ohne Dich zuvor mit mir berathen zu haben, Herr Frey?« entgegnete Emich mit Schärfe und in einer Weise, wie etwa ein Vater sein Kind zurechtweist. »Ich bin zu glücklicher Stunde angelangt, und wir wollen nun einen Blick in die Sache thun. Habt ihr euch schon über die geeigneten Bedingungen bedacht?«
»Ohne Zweifel haben wir Alle hin und her überlegt, obgleich bis jetzt noch Niemand die Ansicht seines Herzens laut werden ließ. Ich für meine Person erhebe meine Stimme gegen alle und jede Stellung von Geiseln, obgleich Niemand bereitwilliger sein würde, sich zu Nutz und Frommen der Stadt einer solchen Gefahr zu unterziehen als ich. Man räumte dadurch zu augenscheinlich seinen Fehler ein und gäbe zugleich stillschweigend die Erklärung, daß man sich auf unser Wort nicht verlassen könne.«
Diese Phrase, welche lange in Heinrichs Innern gekämpft hatte, fand ein vernehmliches Echo unter allen denen, welche durch ihre Stellung und ihre Jahre möglicherweise Ansprüche auf die Auszeichnung hatten, unter die Eilf gezählt zu werden. Jeder derselben brachte setzt ein passendes Sprüchlein über den Werth der Ehre und über die Nothwendigkeit an, sich nicht so sehr herabzuwürdigen, damit nicht etwa die Reputation der Stadt Noth leide. Emich hörte kaltblütig zu, denn ihm konnte es gleichgiltig seyn, wie sehr auch die Bürger in Angst geriethen, da ihre Furcht höchstens dazu diente, sie zu veranlassen, nur um so eifriger bei seinem Einfluß und seiner Macht eine Stütze zu suchen.
»Du hast also die Bedingungen zurückgewiesen?«
»Wir haben noch nichts gethan, Herr Graf, wohl aber, wie bereits gesagt, vieler und angelegentlicher Erwägung gepflogen. Ich bin der Meinung, das Gold und die Geiseln werden nur schlechten Beifall unter uns finden. Wir sind übrigens friedliebende Bürger, denen es um Ruhe und ehrlichen Erwerb zu thun ist, und ehe wir die Pfalz in diesem verstörten und unsichern Zustande belassen, wollen wir lieber in unserer Antwort nicht so gar kurz sein, wenn sich anders die Sache durch einige Wallfahrten und Büßungen bereinigen läßt. In vielen Dingen theile ich zwar zur Hälfte die Ansichten des Bruders Luther; aber es wäre doch gut, sogar die bloße Möglichkeit einer Verdammniß zu umgehen, um so mehr, da sich die Sache vielleicht durch einige wunde Füße und etliche Striemen auf den Leib abthun läßt, die, wenn man's geschickt einleitet, der Bürgerschaft nicht sonderlich weh thun.«
»Bei dem Stammbaume meines Hauses, vortrefflicher Heinrich, Du bist ganz das Echo meiner Gedanken. Der Prior ist ein Mann von Herz, und die Sache soll schleunigst bereinigt werden. Uebrigens müssen wir uns über die Einzelnheiten bedenken, denn diese Mönche sind gar genaue Rechner und haben, der Sage nach, den Teufel selbst zu ihrer Zeit übertölpelt. Zuvörderst also wollen wir ein Opfer in Gold bringen.«
»Ach, gnädiger Herr Graf, bedenkt nur auch die Mittel unserer Stadt!«
»Stille, ehrlicher Heinrich,« flüsterte Emich, indem er sich nach dem Platze hinüberbeugte, wo der Bürgermeister und zwei oder drei der ersten Rathsmitglieder saßen – »wir haben Bericht von den Kölner Juden, welche sagen, die Limburger Schätze könnten in dieser Weise recht wohl angewendet werden, um ein wenig Frieden zu erkaufen. Wir wollen freigebig seyn, wie es unserem Namen ziemt,« fuhr er jetzt gegen die Gesammtheit fort, »und die Mönchlein nicht nackt in die Welt hinausschicken, die mit jedem Tage weniger Lust zeigt, sie zu bekleiden. Damit sie nicht Hunger sterben, müssen wir wohl in unsere Truhen greifen – dies ist eine Sache, die ich als ausgemacht betrachte. – Was die Bußgänger und Wallfahrer betrifft, so soll Schloß und Stadt je einen gleichen Antheil liefern. Ich kann den Lieutenant meiner Kriegsknechte schicken, der einen hurtigen Fuß hat – den Kuhhirten Gottlob, dem wegen unterschiedlicher Dinge eine Züchtigung wohl zu Statten kommt – und ohne Zweifel lassen sich auch noch Andere finden. Was kann Dürkheim in dieser Hinsicht liefern?«
»Wir sind nur geringe Leute, hochgeborener Graf, und wenn wir weniger Tugenden haben, als vornehmere Personen, so sind wir auch nicht so viel mit Lastern begabt. Wie es dem Mittelstande ziemt, sind wir zufrieden, uns nicht durch großes Uebermaß weder in der einen noch in der andern augenfälligeren Eigenschaft auszuzeichnen: aber dennoch bezweifle ich nicht, meine Mitbürger, daß es im Falle der Noth Leute unter uns gibt, die um einer heilsamen Zucht und geeigneter Büßungen willen nicht schlechter fahren werden.«
Heinrich blickte fragend umher, während jeder Bürger den forschenden Blick auf seinen Nachbar weiter gehen ließ, wie es gewöhnlich zu geschehen pflegt, wenn man eine derartige Nutzanwendung nicht auf sich selbst beziehen mag. Das Häuflein an der Thüre zog sich um einen Schritt zurück, drehte neugierig die Köpfe und ließ seine Blicke eben so ausdrucksvoll umhergleiten, als dies gerade vorher durch seine Oberen geschehen war.
»Wir haben Delinquenten, junge, gedankenlose Galgenstricke, welche mit ihrem Lärmen und Schwänkemachen die Stadt dermaßen ärgern, daß es wohl am Ort wäre, sie die Ruthe der Kirche fühlen zu lassen –« deutete die zitternde Stimme des alten Wolfgang an.
»Mit solchem Volk wird sich der heilige Benedict nicht zufrieden geben,« fuhr der Bürgermeister derb heraus. »Er muß seßhafte Männer haben, die in einiger Achtung stehen, oder die Sache wird einem glücklichen Schlusse so fern als nur je liegen. Was meinst Du, ehrlicher, patriotischer Dieterich? – Du hast eine Constitution, die etwas ertragen kann, und ein Herz von Eisen.«
»Tausend Sechsundzwanziger!« entgegnete der Schmied, »ihr kennt meine Gebresten nur wenig, wohlweise Herren, wenn ihr nur halbweg glaubt, daß ich etwas der Art durchmachen könne. Ich leide an schwerem Athem, der mich nur in Ruhe läßt, wenn ich an der Hitze meines Essenfeuers stehe, und auf einer Wanderung wird mir das Herz so mürb wie eine Feder. Auch habe ich Weib und junges Volk, die über meine Abwesenheit wehklagen würden, und außerdem bin ich nicht gut genug geschult, um ein Gebet mehr als sechs bis zehnmal des Tags wiederholen zu können.«
Diese Ausflucht schien einen wohlweisen Rath durchaus nicht zu befriedigen, da er nach demselben Principe, welches man unter allen Völkern und in allen Gemeinschaften findet, den Rückblick auf die früheren Dienstleistungen des Handwerkers für eine Art von Berechtigung nahm, ihm noch mehr aufzulegen.
»Für einen Mann, der unserer guten Stadt stets so sehr zu Willen war, ist dies ein sehr unpassender Vorwand,« entgegnete Heinrich – eine Ansicht, die sich vernehmlich in einem allgemeinen Ausrufe der Unzufriedenheit von Seiten der übrigen Rathsherrn wiederholte. – »Wir haben eine andere Antwort von Dir erwartet.«
»Nun, wenn ein wohlweiser Rath so meint – aber wer sorgt mir für Weib und Kinder?«
»Dieser Anstand wäre zu beseitigen! – Wenn ich mich recht entsinne, so besteht Dein Haushalt aus Sechsen?«
»Aus Zehn, gestrenger Herr Bürgermeister – kein Mund weniger, und Alle in einem Alter, um viel und kräftiger Nahrung zu bedürfen.«
»Mit einem Worte, so fehlen uns nur noch zwei zu unserm Dutzend, Herr Graf,« fügte der Bürgermeister rasch bei, »und die Vorhandenen haben die schriftmäßige Eigenschaft, denn es heißt ja, die Gebete und Opfer der Jungen und Unmündigen seyen Gott angenehm. Dank, ehrlicher Schmied und mehr als Dank; Du sollst Merkmale von ganz anderer Auszeichnung erhalten, als die sind, welche die Geißel zurückläßt. Ohne Zweifel lassen sich nun die Andern aus den nutzlosen Müßiggängern beischaffen.«
»Unsere Angelegenheiten scheinen also bereinigt zu seyn, meine lieben Bürger,« ergriff jetzt der Graf das Wort. »Ueberlaßt es mir, die Frage der Schadloshaltung in's Gleiche zu bringen, während ihr für Beischaffung der Bußgänger und für eine passende Sühne Sorge tragt. Ihr dort an der Thüre, entfernt euch!« – Dem Befehle wurde augenblicklicher Gehorsam geleistet und die Thüre geschlossen. – »Was unsere Vertretung zu Heidelberg und Madrid betrifft,« fuhr der Graf fort, »so ist dafür Sorge getragen worden, und sollte von Rom aus der Beschwerde ungebührliches Gewicht gegeben werden, so haben wir immer noch den Bruder Luther zum Verbündeten. Bonifacius hat wahrlich Verstand genug, und ich kenne ihn als einen Mann, der geneigt seyn wird, einem Uebel Einhalt zu thun, ehe es zu einem unheilbaren Schaden wird, sobald er einmal einen tieferen Blick in die Natur unsrer Vertheidigungsmittel und in die Stimmung der Zeit gethan hat. Diese Glatzköpfe befinden sich nicht in der Lage von Familienvätern, Meister Heinrich, die sich um ihre Nachkommenschaft zu kümmern haben; denn sie lassen weder Namen noch Blut zurück, und so lange wir ihr augenblickliches Verlangen befriedigen können, läßt sich der Vertrag mehr als zur Hälfte für abgeschlossen betrachten. Um diesem Klostervolke seine Schätze abzunehmen, bedarf es nur eines kühnen Geistes, einer bestechenden Abfindung und einer kräftigen Hand.«
Der gesammte Rath murmelte dieser Begründung seinen Beifall zu, und die Verhandlung ging nunmehr in's Einzelne.
Emich benahm sich sehr huldvoll und die Bürger wurden kühner. Einige lachten sogar unverhohlen über ihre früheren Besorgnisse, und fast Alle waren der Ansicht, man sehe jetzt einer schließlichen Ausgleichung dieser lang bestrittenen ernsten Frage entgegen. Der Prior, welcher die Zeit seiner Anwesenheit zu seelsorgerlichen Besuchen in der Stadt benützt hatte, wurde bald herbeibeschieden, und der Graf übernahm das Amt, ihm die gemeinschaftliche Antwort mitzutheilen.
Das Zusammentreffen Emichs mit dem Pater Arnolph war bezeichnend. Es fand in dem Rathhaussaale und in Gegenwart einiger der ersten Magistratspersonen statt. Emich zeigte sich anfangs geneigt, hochmüthig, gebieterisch und sogar abstoßend aufzutreten; der Mönch dagegen blieb bescheiden, ernst und ruhig. Die Wirkung dieses Benehmens wurde bald augenfällig in einem höflicheren Verkehre, denn der Graf besaß großentheils die feinere Bildung seiner Standesgenossen, die er nur dann vernachlässigte, wenn er unter dem Einflusse der Aufregung oder jener Habgier stand, welche einen schweren Makel seines Zeitalters bildete. Andrerseits verlor Arnolph nie seine Pflichten aus dem Auge, unter denen seiner Ueberzeugung nach die der christlichen Liebe obenan stund.
»Du bist der Ueberbringer des Oelzweigs, heiliger Prior,« sagte der Graf, als sie nach einigen vorläufigen Gesprächen ihre Sitze einnahmen, »und es ist Schade, daß nicht Alle, welche die Kutte tragen, diese erfreulichste Eigenschaft ihres heiligen Amtes gleich gut begreifen. Es würde dann weit weniger Streit in der Welt geben, und wir, die wir in den Vorhöfen des Tempels anbeten, dürften uns weniger mit Zweifeln quälen über diejenigen, welche den Vorhang lüften.«
»Als mich mein Oberer mit dem gegenwärtigen Auftrage nach Dürkheim schickte, hoffte ich nicht, mit Dir über priesterliche Pflichten verhandeln zu müssen, Herr Graf,« lautete die milde Antwort des Mönchs, der sich wenig an die schlauen Complimente des Andern kehrte. »So habe ich also das Schloß und den Rath als Einheit zu betrachten?«
»Dem Herzen, der Gesinnung und den Interessen nach – ich könnte auch die Rechte und die Souverainetät beifügen, denn nun die ganze Frage in Betreff der Abtei bereinigt ist, hat das alte, weltliche Regiment wieder Platz gegriffen. – Drücke ich darin eure Ansichten aus, meine lieben Bürger?«
»Hum!« brummte Heinrich Frey vor sich hin.
Die Uebrigen neigten die Häupter, obschon es mit sehr bedenklicher Miene und in einer Weise geschah, wie es wohl bei Leuten der Fall ist, die durch Ueberraschung verwirrt sind. Emich schien jedoch vollkommen zufrieden zu seyn.
»Es ist von keinem großen Belang, wer hier herrscht, sintemal das Unrecht, das gegen Gott und unsre Brüderschaft verübt wurde, von denen wieder gut gemacht werden muß, die es begangen haben. Hast Du das Sendschreiben der Abtei geprüft, Herr Bürgermeister, und bist Du mit Deiner Antwort fertig?«
»Es ist gebührend geschehen, hochwürdiger Arnolph, und hier ist unsere Erwiederung. Was Euer Schreiben betrifft, so ist unsere wohl erwogene Ansicht, daß es schön und in sehr gelehrtem Latein abgefaßt ist, wie es einer so weit berühmten Brüderschaft gebührt. Wir müssen dies um so mehr anerkennen, da sie in letzter Zeit schweren Verlust an Büchern erlitten hat und der Concipist der gewohnten Beihülfe von Materialien entbehren mußte, mit denen er durch den vielen Gebrauch vertraut war. Für die Grüße und Segnungen, die in dem Schreiben ausgedrückt sind, hochwürdiger Prior, bezeugen wir unsern Dank, absonderlich für jenen Theil, der auf Deine Rechnung kömmt, und der uns besonders salbungsvoll erschien. Namentlich möchte ich für meine Person allen insgesammt meine Anerkennung für die Weise ausdrücken, in welcher sie meinen Namen mit ihren guten Wünschen in Verbindung gebracht haben, obschon ich beifügen muß, daß es besser gewesen wäre, der Schreiber hätte für gut gefunden, hier inne zu halten, sintemal die häufige Einführung von Privatpersonen in Dinge, die das allgemeine Wohl angehen, nur Neid und andere üble Leidenschaften wecken kann. Was obendrein die mir in Person zugedachten besonderen Wallfahrten und andern Büßungen betrifft, so sehe ich mich dazu nicht bemüßigt, wie es ohne Zweifel, wenn die Noth an den Mann ginge, der Fall seyn würde, denn es ist zu bemerken, daß die Meisten sich durch ihr eigenes Gewissen zu diesen Kasteiungen gedrungen fühlen.«
»Die Sühnung wird weder als ein Akt, welcher eine Privat-Tröstung zum Zwecke hat, noch als ein Balsam auf die Wunden des Klosters, sondern als eine demüthige und nothwendige Buße vor Gott verlangt. In dieser Absicht haben wir es für zweckmäßig gehalten, diejenigen auszuwählen, welche sich unter ihren Nebenmenschen besonderer Achtung erfreuen, denn die Sühne muß vor den Augen des ganzen Menschengeschlechts gebracht werden. Aehnliche Vorschläge habe ich auch nach dem Schlosse zu bringen, und eine hohe kirchliche Behörde hat mir den Auftrag ertheilt, von dem hochgeborenen Besitzer desselben ein persönliches reumüthiges Bekenntniß zu verlangen. Das Opfer der Hochstehenden und Unschuldigen ist Gott weit angenehmer, als das der Geringen und der Boshaften.«
»Potz Tausend,« murmelte Heinrich, »wozu nützt Euch ein unbescholtener Wandel, wenn man solche Grundsätze mit sich herumträgt!«
Emich aber hörte den Vorschlag ohne Zürnen an; denn trotz seines Stolzes und seiner Kühnheit war er doch ebenso verschmitzt, als abergläubisch. Seit Jahren war sein roher Sinn von widerstreitenden Leidenschaften – denen der Habsucht und der religiösen Furcht gequält worden, und nun die erstere befriedigt war, begann er ernstlich darüber nachzudenken, wie er auch seine geheimen Besorgnisse in irgend einer wirksamen Weise beschwichtigen möchte. Plane zu verschiedenen Sühneerbietungen hatten bereits seinen Sinn gekreuzt, weßhalb er denn auch jetzt die Erklärung des Benedictiners nicht nur ohne Verdruß anhörte, sondern die Idee sogar mit Wohlgefallen aufnahm. Sie schien ihm ein leichtes und wohlfeiles Mittel zu bieten, um alle seine Bedenken zum Schweigen zu bringen, denn er wußte wohl, daß bei der gegenwärtigen Stimmung Deutschlands die Bedingung einer Wiederherstellung des Klosters auf dem Limburger Berge nicht in Frage kommen konnte. In diesem Sinne also gab er seine Antwort ab. Die Besprechung nahm natürlich einen gütlichen Verlauf und wurde noch mehrere Stunden fortgeführt. Da übrigens ihre Resultate im Gange unserer Erzählung zur regelmäßigen Entwicklung kommen, so wollen wir den Ereignissen nicht vorgreifen.