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6.

Ein großer Dampfer war angekommen. Ueber die Landungsbrücke ergoß sich ein Strom von Menschen. Ein unruhiges Hasten und Treiben von Ankommenden, Abholenden, Kofferträgern, Bedienten und Schiffsmannschaften entwickelte sich. Begrüßungen und Verabschiedungen der Reisenden untereinander. – Man hatte sich auf der langen Reise miteinander befreundet – hier und da eine Verabredung für ein späteres Zusammentreffen, Umarmungen, Küsse, Tücherschwenken – alles schwirrte, rauschte, lachte und weinte durcheinander. Die Lastträger fluchten, wenn ihnen jemand im Wege stand, die Kutscher riefen laut ihre Nummern, nach und nach lichtete sich das Treiben und nur einzelne Gruppen standen noch beieinander in lebhafter Unterhaltung.

In dem Strome der Ankommenden war auch eine schlanke junge Frau mit goldblondem Haar und blassem Gesicht über die Brücke geschritten. Sie trug Trauerkleider von einfachem Schnitt und führte ein reizendes kleines Mädchen von vielleicht sechs Jahren an der Hand. Die Frau mochte im Anfange der dreißiger Jahre stehen und sah aus, als habe ein schweres, körperliches Leiden ihre Jugendfrische aufgezehrt. Trotzdem war ihr feingeschnittenes Gesicht immer noch sehr schön, und die traurig blickenden braunen Augen strahlten noch jetzt einen eigenen Zauber aus. Das Kind an ihrer Seite glich ihr so sehr, daß man sofort die Mutter in ihr erkannte. Nur war die liebliche Schönheit des Kindes frischer, leuchtender, in dem runden Gesichtchen pulsierte das Blut rasch und gesund und die braunen Augen hatten einen strahlenden, goldig schimmernden Blick. Das Haar der Kleinen ringelte sich in kurzen dichten Locken, um eine Schattierung heller, goldiger als das der Mutter.

Einige Damen und Herren sahen noch einige Male interessiert und grüßend nach Mutter und Tochter zurück. Ein älteres Ehepaar trat zu ihnen heran, als sie die Brücke passiert hatten und, auf den Gepäckträger wartend, stehen blieben.

»Kann ich noch etwas für Sie tun, Mrs. Warrens?«

»Ich danke Ihnen sehr, Mr. Nobbs – Sie haben mir schon während der ganzen Reise so viele Dienste erwiesen, Sie und Ihre liebe Frau Gemahlin.«

»Ach, davon reden wir doch nicht, meine liebe Mrs. Warrens,« warf die alte Dame ein. »Es war wenig genug, was wir für Sie tun konnten. Wir bedauern nur, daß wir Sie nun verlassen müssen. Aber Sie wissen, unsere Reise geht noch weiter.«

»Bitte, lassen Sie sich nicht länger durch mich aufhalten, sonst erreichen Sie Ihren Anschluß nicht mehr.«

»O, auf einige Minuten kommt es nicht an. Da ist ja Ihr Gepäck, kommen Sie, wir begleiten Sie noch zu einem Wagen,« sagte Mr. Nobbs.

Die Unterhaltung wurde in englischer Sprache geführt.

Man schritt zusammen zur Droschke.

»Haben Sie gar keine Verwandten mehr in Deutschland, Mrs. Warrens?« fragte Mr. Nobbs teilnehmend.

»Nein,« antwortete die blonde Frau traurig.

»Ach, so hätten Sie doch lieber drüben bleiben sollen,« rief Mrs. Nobbs lebhaft. Mrs. Warrens sah mit einem tottraurigen Blick in die Augen der alten Dame.

»Ich konnte nicht – Sie wissen – da drüben habe ich alles hergeben müssen, was mir im Leben lieb war – auf eine furchtbare, grausame Art. Ich kann kein Herz mehr fassen zu jener Welt dort drüben. Und mein Töchterchen wollte ich wenigstens in meine alte Heimat retten – sie ist das einzige, was mir geblieben ist.«

Mrs. Nobbs streichelte ihr die Hand.

»Armes, liebes Kind – Ihr Schicksal war hart. Aber Amerika ist groß. Sie brauchten ja nicht in dem fürchterlichen Lande zu bleiben, wo ein Aufstand dem anderen folgt. Es gibt auch drüben bei uns ruhige, friedliche Stätten.«

»Das wohl – aber überall hätte ich ein neues Leben anfangen müssen, und da zog es mich doch nach Deutschland zurück, wo ich eine glückliche Jugend verlebte. Aber nun will ich Sie wirklich nicht länger aufhalten.«

»Gott mit Ihnen und Ihrer lieben kleinen Jonny. Adieu, Mäuschen, süßer kleiner Schatz.«

Mrs. Nobbs beugte sich zu der Kleinen nieder und küßte sie. Das Kind nickte ihr lachend zu, als sie Mr. Nobbs in den Wagen hob. Dieser half auch Mrs. Warrens einsteigen und schloß den Wagenschlag. Der Gepäckträger hatte das Gepäck schon aufgeladen. Mrs. Warrens sagte dem Kutscher den Namen des Hotels, welches ihr empfohlen worden war. Dann fuhren sie davon. Noch ein letzter Gruß herüber und hinüber und Mr. Nobbs mit seiner Gattin waren ihren Blicken entschwunden.

Mrs. Warrens seufzte tief auf. Nun war sie ganz allein mit ihrem Töchterchen, losgelöst von allem, was sie noch mit dem fremden Weltteile verbunden hatte, in dem sie nichts als Gräber und ein verwüstetes, wertloses Stück Land zurückließ.

Mrs. Warrens kam aus Venezuela. Bei einem Aufstande waren ihre Eltern und ihr Gatte ums Leben gekommen und ihr ganzer Grundbesitz verloren gegangen. Nichts, als ihr und ihres Töchterchens Leben und eine bescheidene Summe Geldes hatte sie aus dem völligen Zusammenbruche retten können. Schreckliche, furchtbare Bilder hatten sich ihr auf der Flucht eingeprägt. Ohne die Hilfe eines treuen, alten Dieners wäre auch sie und das Kind verloren gewesen. Schaudernd war sie mit ihrem Kinde geflohen aus den Greueln jenes Landes, wo blutiger Parteihaß ohne Erbarmen alles zerstörte, was ihm in den Weg kam.

Und in ihrer Verlassenheit, in ihrem Elend war die Sehnsucht nach der alten Heimat in ihr erwacht. Sie hatte auf einem Dampfer, der nach Deutschland fuhr, für sich und ihr Kind Plätze belegt. Hier wollte sie versuchen, mit der bescheidenen Summe, die ihr geblieben war, für sich und ihr Kind eine neue Existenz zu gründen. Wie sie das anfangen wollte, wußte sie selbst noch nicht. Die furchtbaren Aufregungen und Strapazen, Angst und Sorge, tagelanges Kampieren im Freien und der Schmerz um den Verlust geliebter Menschen hatte ihre schon seit Jahren sehr zarte Gesundheit schwer geschädigt. Sie fühlte sich unsagbar matt und elend und so mutlos, daß sie vorläufig nicht imstande war, feste Pläne zu fassen. Einige Wochen Ruhe, so hoffte sie, würden sie soweit herstellen, daß sie weiter denken und schaffen konnte. In dem einfachen, aber sehr guten und sauberen Hotel, welches ihr Mitreisende empfohlen hatten, nahm sie für einige Zeit Wohnung. Gerade hier in der großen, verkehrsreichen Stadt hoffte sie am ehesten später etwas zu finden, womit sie sich und ihr Kind ernähren konnte. Man kam ihr in dem Hotel sehr freundlich entgegen. Das große Leid des Lebens hatte sie gezeichnet und ihre Trauerkleider hatten gleichfalls ihre Sprache. Dazu kam, daß die entzückende kleine Jonny aller Herzen gefangen nahm. Die Bediensteten des Hotels wetteiferten, dem Kinde etwas Liebes zu tun. Das hübsche, frische Zimmermädchen erbot sich freiwillig, Jonny abends zu Bette zu bringen und morgens anzukleiden, da sich Mrs. Warrens so matt fühlte.

Am Abend des ersten Tages brachte Berta, so hieß das Zimmermädchen, etwas Tee und Butterbrot und ordnete es zierlich und einladend auf dem runden Tische. Sie half dann auch Mrs. Warrens beim Auspacken.

Jonny wurde zeitig zu Bette gebracht. Sie war müde von der Reise und den neuen Eindrücken, die das kluge lebhafte Kind beschäftigten.

Mrs. Warrens saß, in ein schlichtes, bequemes Gewand gehüllt, am Fenster und starrte mit müden, traurigen Augen hinab auf das Großstadtgetriebe. Aber ihre Sinne nahmen es nicht auf. Ihre Gedanken flogen zurück in die Vergangenheit, weit fort aus dem schlichten Hamburger Gasthofszimmer.

Vor fünfzehn Jahren, da war sie mit ihren Eltern schon einmal zwei Tage in Hamburg gewesen. Damals war sie noch jung und gesund, wenn auch das erste Leid schon drückend auf ihren Schultern ruhte. Aber mit achtzehn Jahren glaubt man noch nicht an die Dauer des Leides, da hofft man noch auf irgend ein Wunder, das alles Leid in Freude kehrt. Nur als es dann ernst wurde mit dem Abschiede von Deutschland, als das Schiff sich in Bewegung setzte, ohne daß ein Wunder geschah, da brach sie haltlos zusammen.

Noch sah sie den Vater vor sich, wie er beruhigend und tröstend auf sie einsprach. Ach – er kannte ja nicht den ganzen Umfang ihres Leides – niemand hatte ihn kennen gelernt, auch ihre liebevolle, zärtliche Mutter nicht, die so tapfer hinauszog in ein unbekanntes neues Land. Mutig hatte die Mutter gelächelt, als der Vater sie fragte: »Wird dir der Abschied sehr schwer?«

»Ich nehme ja alle meine Schätze mit, dich und mein Kind. Ihr beide seid meine Heimat.« So hatte sie geantwortet, die tapfere, liebe Mutter, obwohl ihr das Herz fast brach, daß der geliebte Gatte, mit unverdienter Schmach bedeckt, die Heimat verlassen mußte.

»Mutter – liebe, teure Mutter – wie gesegnet war dein Leben – trotz allem.«

Mrs. Warrens seufzte tief auf, sie sah sich wieder zwischen Vater und Mutter an Bord des Dampfers, wie sie alle drei zurückblickten, bis die Augen brannten. Welch eine drückende Trostlosigkeit lag auf ihrer Seele. Wußte sie nun doch, daß sie den einen, einzigen, nie mehr sehen würde, dem sie ihre junge Seele in jubelndem Entzücken zu eigen gegeben hatte. Nun lag das Weltmeer zwischen ihm und ihr, er kam nicht mehr, wie sie gehofft hatte, um ihr zu sagen: »Was auch geschehen ist, ich liebe dich und lasse nicht von dir.«

Weiter und weiter wurde der Raum, der trennend zwischen ihnen lag und das zuckende Herz mußte seinen Jammer fest in sich verschließen, um das Leid der geliebten Eltern nicht noch zu vergrößern.

Wochenlang waren sie dann alle drei von einem Orte zum anderen gereist, bis der Vater in dem fremden Lande die Farm gekauft hatte. Nun gab es Arbeit in Hülle und Fülle unter schwierigsten Verhältnissen. Aber diese Arbeit war gesegnet. Sie lenkte ab von Leid und Schmerz und half ihr langsam, das seelische Gleichgewicht wiederzufinden. Das schöne, blonde, deutsche Mädchen fand bald auch in jener weltfernen Gegend Bewerber. Aber alle schlug sie aus. Zu ihren treuesten Verehrern gehörte ein junger Engländer, Mr. Warrens, der in der nächsten Nähe eine Farm besaß. Er diente fast um sie, wie einst Jakob um Rahel, ohne Unterlaß – sieben Jahre. Da endlich entschloß sie sich, den Wunsch ihrer Eltern zu erfüllen und Mr. Warrens Gattin zu werden. Sie hatte es nicht zu bereuen. Ihr Gatte trug sie auf den Händen, und sie achtete ihn hoch, seiner edlen Eigenschaften halber.

Aber in stillen Nächten erwachte doch noch zuweilen die alte, brennende Sehnsucht. Ihr holder Jugendtraum spann sie in den alten Zauber ein. Die Erinnerung wurde wieder wach an die wenigen glückseligen Stunden. Ein holder Frühlingsabend am Wildenfelser See – als sie in Joachims Armen gelegen und gläubig und vertrauend seinen heißen Liebesworten gelauscht hatte – wie glücklich war sie damals gewesen, hatte nicht an die Zukunft gedacht, nur an die köstliche Gegenwart. Bald darauf war das Leid gekommen – das bittere Leid – und die Trennung. – –

Und nun war sie, elender und unglücklicher denn je, aus dem fremden Lande zurückgekehrt. All ihre Lieben waren ihr genommen worden, bis auf ihr Kind, die kleine, liebe Jonny. Die mußte nun ihres Lebens ganzer Inhalt sein, des Kindes wegen mußte sie es weiter tragen, obwohl sie es gern wie eine drückende Last von sich geworfen hätte. Wahrlich, viel des Schweren und Trüben war ihr aufgebürdet worden und sie kam sich mit ihren dreiunddreißig Jahren wie eine Greisin vor.

Sie schauerte zusammen, trotz des warmen Sommerabends. Ein leichter Schwindel befiel sie, so daß sie sich an ihren Stuhl klammern mußte.

Erschrocken blickte sie um sich. Um Gotteswillen – nur nicht krank werden jetzt. Gewaltsam riß sie sich zusammen. Sie taumelte empor und klingelte dem Zimmermädchen.

»Bringen Sie mir bitte noch ein Glas Tee, aber recht heiß,« sagte sie hastig.

Das Mädchen sah die fremde Frau mitleidig an. Wie blaß und traurig sie aussah.

Eilig brachte sie den Tee herbei und unaufgefordert legte sie noch einige Tageszeitungen auf den Tisch.

»Wenn gnädige Frau vielleicht ein wenig lesen wollen,« sagte sie freundlich.

Mrs. Warrens dankte. Als das Mädchen gegangen war, nahm sie ein warmes Tuch um die Schultern und trank den Tee so heiß wie möglich. Da wurde ihr doch ein wenig behaglicher zumute. Sie setzte sich an den Tisch und blätterte in den Zeitungen.

Wie seltsam vertraut ihr die deutschen Worte erschienen. Es war wie ein Gruß, den ihr die alte Heimat brachte. Sie konnte garnicht genug davon bekommen, es war, als erzähle ihr die Zeitung von lauter alten Bekannten.

Und plötzlich zuckte sie zusammen. War es ein Phantasiegebilde oder hatte sie wirklich den Namen Wildenfels gelesen? Sie strich sich mit zitternden Fingern über die Augen und sah dann noch einmal scharf prüfend auf dieselbe Stelle. Ja – da unter den Adelsnachrichten – da stand klar und deutlich der Name, der einst ihr Lebensinhalt gewesen war: »Graf Joachim Wildenfels.«

Ihre Hände zitterten, ihre Augen umflorten sich. Sie mußte sich erst beruhigen, ehe sie lesen konnte, was die Zeitung über Joachim Wildenfels berichtete. Welch seltsamer Zufall, daß ihr dieser Name gleich am ersten Tage in der alten Heimat ins Auge fiel.

Endlich hatte sie sich soweit gefaßt, daß sie lesen konnte:

»Das Unwetter, welches in der Nacht vom Montag zum Dienstag in ganz Norddeutschland große Verheerungen angerichtet, hat auch ein Menschenleben vernichtet. Unweit seines Schlosses ist Graf Joachim von Wildenfels samt seinem Pferde von einem durch den Sturm entwurzelten Baum erschlagen worden.«

Annie Warrens stand plötzlich kerzengerade da, den entsetzten Blick ins Weite gerichtet, als sähe sie eine furchtbare Erscheinung. Und dann brach sie ohnmächtig zusammen. So fand sie das Zimmermädchen, als es frisches Trinkwasser für die Nacht brachte.

Es wusch ihr mitleidig Gesicht und Hände mit kaltem Wasser, öffnete ihr das Kleid und richtete sie empor.

Langsam kam Annie Warrens wieder zu sich.

»Gnädige Frau sind nicht wohl. Sie sollten lieber zu Bette gehen,« sagte das Mädchen besorgt.

Annie erhob sich mit ihrer Hilfe und starrte auf das Zeitungsblatt. »Es war – ich las da zufällig – vom Tode eines – eines alten Bekannten. Und dazu – die weite Reise – ich bin wirklich sehr müde. Sie haben recht, ich werde zu Bett gehen,« sagte sie matt.

Dankbar nahm sie die Hilfe des Mädchens beim Auskleiden an. Als sie im Bette lag, atmete sie schwer auf.

»Morgen früh werden gnädige Frau sich schon besser fühlen, gute Nacht,« sagte Berta und ging hinaus, nachdem sie noch ein Glas Wasser für Annie bereit gesetzt hatte.

Annie Warrens lag in ihrem Bette, als sei ihr Körper von Stein. Ach – so liegen und schlafen können – und nie mehr aufwachen – alles vergessen, – alles. Aber das Kind – Jonny – meine liebe, kleine Jonny. Nein – vernünftig sein, tapfer, nichts denken, als daß das Kind sie braucht – nichts denken – sonst würde sie krank. Nicht an Sterben denken, gesund bleiben für das Kind. Das Denken mußte sie sich abgewöhnen, das richtete sie noch zugrunde. Da waren die toten Eltern – wie sie bleich und starr in ihrem Blute lagen – und daneben John Warrens, ihr Gatte, der sie hatte schützen wollen. Mit dem eigenen Leben hatte er es büßen müssen. Tot – alles tot – alles, was ihr lieb und teuer – nun auch Joachim Wildenfels – erschlagen – erschlagen mit seinem Pferde. Die lachenden Augen, die sie so geliebt – starr – leer – und dort – der Wildenfelser See – Mondenschein – wie das Wasser silbern flimmerte. Die Blätter an den Bäumen – lauter Silber – und die Nachtigallen sangen so süß. Joachim Wildenfels von einem Baume erschlagen – und die Eltern – von bösen, wilden Menschen – tot – alle tot – nur sie noch und das Kind. Jonny – süße, kleine Jonny. Nein – nur nicht mehr denken an all das Grausame – gesund bleiben – nicht krank werden. Um Gotteswillen nur nicht krank werden. – –

Am anderen Morgen vermochte sich Annie Warrens nur schwer zu erheben. Aber die Angst vor dem Krankwerden trieb sie doch aus dem Bette.

Klein Jonny plauderte so lieb und drollig mit dem blassen Mütterchen und Berta kleidete sie an, nachdem sie das Frühstück gebracht hatte. Jonny schwatzte deutsch und englisch durcheinander und auch einige spanische Worte liefen mit dazwischen. Berta lachte und war ganz verliebt in das reizende Kind.

Später ging Annie mit ihrem Töchterchen ein wenig ins Freie. Aber sie schleppte sich nur bis zu den nächsten Anlagen. Dort setzte sie sich auf eine Bank und Jonny plauderte abwechselnd mit ihr und mit dem Püppchen, das sie mit sich genommen hatte.

Um die Mittagszeit kehrte Annie in das Hotel zurück. Und so zwang sie einige Tage die schleichende Krankheit nieder, immer hoffend, daß es nur eine vorübergehende Schwäche sei.

Sie wollte nicht erliegen, sie wollte gesund werden und für sich und das Kind eine Existenz schaffen. Die wenigen tausend Mark würden nicht weit reichen, wenn sie nicht dazu verdiente.

Acht Tage waren so vergangen, als ihr eines Morgens nicht möglich war, sich weiterzuschleppen, als vom Bette bis zum Diwan. Berta suchte sie zu überreden, einen Arzt zu befragen. Aber Annie wehrte ängstlich ab. »Nein, nein, liebe Berta, ich bin ja nicht krank. Nur ein wenig müde und matt von allen Strapazen. Ich muß mir nur einige Tage richtige Ruhe gönnen, nicht ausgehen. Jonny kann leider einige Tage nicht hinaus. Aber es muß gehen.«

»Ich werde Jonny mit mir hinaus nehmen, sie kann auf dem Korridor spielen, da hat sie mehr Platz und gnädige Frau haben Ruhe. Ich gebe gut acht auf die Kleine, gnädige Frau können ganz außer Sorge sein.«

»Gute Berta, ich bin Ihnen so von Herzen dankbar, daß Sie sich meiner und Jonnys annehmen.«

»O, das Kind macht mir gar keine Last. Sie ist so lieb und artig, die kleine Jonny. Ich tue es gern, gnädige Frau, erholen Sie sich nur in aller Ruhe.« Damit ging Berta mit der fröhlich plaudernden Jonny hinaus.

Annie sah ihnen mit trüben Augen nach. Es war hart, auf die Barmherzigkeit einer gutmütigen Dienerin angewiesen zu sein. Und doch dankte sie dem Schicksal, das sie gerade hierher geführt hatte.

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