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20.

Als Lothar am nächsten Morgen mit Jonny von einem Frühspaziergange nach Hause kam, meldete ihm ein Diener, daß seine Mutter ihn zu sprechen wünsche. Er wußte sofort, welche Angelegenheit zwischen ihnen zur Sprache kommen würde. Am Abend vorher auf der Heimfahrt hatte sich seine Mutter in ein gekränktes Stillschweigen gehüllt und sich dann, daheim angelangt, sofort zurückgezogen.

Vorbereitet auf das, was sie ihm sagen würde, betrat er die »blaue Grotte«.

Gräfin Susanne empfing ihren Sohn in der ihr eignen förmlichen Weise. Nachdem er ihr die Hand geküßt und sich nach ihrem Befinden erkundigt hatte, sagte sie:

»Bitte, nimm Platz. Ich habe ein ernstes Wort mit dir zu reden.«

Er ließ sich nieder und sah sie erwartungsvoll an.

Sie fuhr fort: »Du hast mir durch dein Verhalten gestern die ganze Freude an dem Feste verdorben.«

Lothar gab sich den Anschein der Unbefangenheit. »Das sollte mir sehr leid tun, Mama. Womit habe ich dein Mißfallen erregt?«

»Durch die Art und Weise, wie du meinen Wünschen zuwidergehandelt hast. Ich bat dich, Komtesse Liebenau zu Tische zu führen, dich überhaupt etwas mehr mit ihr zu befassen, als mit den andern Damen. Statt meinem Wunsche zu entsprechen, hast du dich fast ausschließlich Fräulein Warrens gewidmet, und zwar in einer Weise, die ich ganz unstatthaft finde. Wenn sie deine Schwester wäre, hättest du nicht mehr Wesens von ihr machen können. Ich habe leider hören müssen, daß du sie direkt für deine Pflegeschwester ausgibst. Wie kommst du dazu?«

Lothar sah ihr ernst und fest in die Augen. »Wir haben jahrelang wie Geschwister miteinander verkehrt und Großmama betrachtet Jonny als Pflegetochter. Da ist es doch selbstverständlich, daß sie zu uns gehört, wie ein Kind vom Hause.«

»Das ist durchaus nicht selbstverständlich,« antwortete seine Mutter zornig. »Deine Großmutter ist eine sentimentale Närrin in diesem Punkte. Weil sie eines Tages aus Versehen ein Halsband verlegte und dadurch Fräulein Warrens Großvater in den Verdacht des Diebstahls kam, nötigt sie uns diese unbequeme Hausgenossin auf. Sie verwöhnt und verzärtelt das Mädchen, läßt sie in allerlei Anmaßungen aufwachsen und impft auch noch dir ihre törichten Anschauungen ein. Daß sie ihr Versehen gutmachen wollte, begreife ich, sie konnte Fräulein Warrens einem Erziehungsinstitut übergeben und ihr meinetwegen eine Summe als Entschädigung zahlen. Damit war ihr Versehen reichlich genug gesühnt. Statt dessen verlangt sie von uns, daß wir diesen Eindringling wie ein Familienmitglied betrachten. Ich habe von Anfang an entschieden dagegen Front gemacht und verlange nun auch von dir, daß du es in Zukunft tust und nicht Großmamas törichtem Treiben zustimmst.«

Lothar war ruhig und beherrscht geblieben. »Du vergißt dabei eins, Mama, daß mir Jonny durch den jahrelangen geschwisterlichen Verkehr lieb und teuer geworden ist. Ich begreife Großmamas Liebe und Zärtlichkeit für sie vollständig. Sie ist ein liebenswertes Geschöpf mit vielen guten und edlen Eigenschaften. Von alledem abgesehen, muß uns Großmamas Wunsch genügen, daß sie Jonny wie ein eigenes Kind betrachtet zu sehen wünscht.«

»Nein, das genügt mir durchaus nicht. Dieses Fräulein Warrens ist mir unausstehlich, sie ist anmaßend und aufdringlich im höchsten Grade und mir äußerst widerwärtig.«

Lothar war sehr blaß geworden. Die Muskeln seines Gesichts strafften sich. Man sah, daß er an sich halten mußte.

»Du kennst eben Jonny nicht, Mama, sonst würdest du ihr nicht so häßliche, niedrige Eigenschaften vorwerfen. Jonny ist ein liebes, feinfühliges Geschöpf, sehr bescheiden und zurückhaltend und ihre dankbare Ergebenheit ist rührend.«

Gräfin Susanne lachte hart und spöttisch auf.

»Mir scheint, du betrachtest das Fräulein durch die rosige Brille deiner Großmutter. Findest du es nicht anmaßend und aufdringlich, daß sie dich jetzt, da ihr erwachsen seid, einfach ›du‹ und beim Vornamen nennt?«

»Nein, das finde ich nur natürlich. Sie hat jedenfalls nicht daran gedacht, daß dir das unangenehm sein könnte.«

»Nun – bitte sehr – ich habe ihr vorgestern selbst gesagt, daß ich es unschicklich finde und daß ich es ihr verbiete, ein für allemal. Trotzdem habe ich gestern abend ganz deutlich gehört, wie sie dich vor aller Welt duzte und beim Vornamen nannte. Ist das nicht unverschämt?«

Lothar richtete sich straff auf.

»Nein, Mama – denn es geschah auf meinen ausdrücklichen Wunsch – auf meinen Befehl.«

»Was soll das heißen?«

»Jonny nannte mich vorgestern, wie du ihr befohlen hattest, ›Herr Graf‹ und bat mich, sie in Zukunft nicht mehr mit ›du‹ anzureden. Das erschien mir – verzeih – lächerlich und unnatürlich, nachdem wir jahrelang wie Bruder und Schwester gelebt haben. Ich stellte einfach meinen Befehl dem deinen gegenüber. Und ich erkläre dir hiermit, daß ich nicht dulde, daß Jonny hier in Wildenfels die geringste Kränkung widerfährt, auch von dir nicht.«

Gräfin Susanne starrte ihren Sohn entgeistert an. »Das mir – das wagst du mir zu bieten – dieses hergelaufenen Mädchens wegen?«

Lothar sprang auf.

»Jonny ist kein hergelaufenes Mädchen. Sie hat ein Recht, in Wildenfels eine Heimat zu finden. Du weißt, daß Großmamas verhängnisvoller Irrtum Jonnys Angehörige einem unseligen Schicksal in die Arme trieb. Sei doch gerecht, Mama – du weißt doch, daß das arme Kind allein und schutzlos in der Welt steht.«

Sie sah ihn mit einem höhnischen Blicke an.

»Allein und schutzlos? Nun, ich habe eben erfahren, daß du dich in sehr beredter Weise zu ihrem Ritter aufwirfst, du wagst es sogar, ihretwegen deine Mutter zu kränken und zu beleidigen.«

Lothar preßte die Lippen aufeinander.

»Es liegt mir fern, dich zu kränken oder zu beleidigen,« sagte er dann ruhig.

»Du hast es aber getan, dadurch, daß du deine Befehle den meinen gegenüberstellst.«

»Ich mußte das tun – um dein Unrecht gut zu machen.«

»Ach bitte – kümmere dich nicht um das, was du mein Unrecht nennst. Dafür stehe ich jederzeit selbst ein. Wenn Fräulein Warrens ein taktvolles Mädchen wäre, dann hätte sie sich an meinen Befehl gehalten, nicht an deinen. Mir scheint jedoch, es ist ihr amüsanter, sich mit einem jungen Herrn allerlei Vertraulichkeiten zu erlauben.«

Lothar blieb plötzlich hochaufgerichtet vor seiner Mutter stehen und sah sie mit einem stählernen Blick an.

»Mama – ich mache dich darauf aufmerksam, daß ich eine Beleidigung Jonnys wie einen mir selbst angetanen Schimpf betrachte.«

Sie sah ihm entsetzt mit erwachendem Mißtrauen in das erregte Gesicht.

»Lothar – was soll das heißen?«

Er zwang die Erregung gewaltsam nieder. Die Mahnung seiner Großmutter fiel ihm ein.

»Es soll heißen – daß ich Jonny – auch dir gegenüber – wie eine Schwester betrachte und für sie einstehe.«

Sie blickte ihn noch immer mißtrauisch prüfend an. Eine Ahnung stieg in ihr auf, daß Lothar noch anders, – noch wärmer für Jonny empfand, als er eingestehen wollte. Der Gedanke war ihr so furchtbar, daß sie für den Augenblick wie gelähmt war. Was war nur an diesem Mädchen, daß alle Männer Sinn und Verstand um sie verloren?

Wenn Hasselwert, der gereifte, verständige Mann, sich soweit vergessen konnte, um Jonny zu werben – war es da nicht auch möglich, daß sie Lothar betörte? Vielleicht war es gar ihre Absicht, Herrin von Wildenfels zu werden. Ah – dann sollte sie sich verrechnet haben. So lange noch ein Atemzug in ihr war, würde sie sich dem widersetzen. Zugleich mit dieser Entdeckung erwachte auch die Furcht in ihr, Lothar durch Widerspruch noch mehr zu reizen. Es war gefährlich, ihm Jonny im Lichte der Märtyrerin zu zeigen. Das Hilflose, Rührende – das wirkte wie ein Narkotikum auf die Männer.

Eine lähmende Angst befiel sie, daß Lothar sich in Jonny verlieben könnte. Noch war es hoffentlich nicht so weit, noch konnte man wohl das drohende Unheil abwenden. Aber wahrlich, es war hohe Zeit, zu handeln, ehe es zu spät war. Innerlich ganz fassungslos, suchte sie nach außen die gleichmäßige, kühle Ruhe zu zeigen, die ihr sonst eigen war. Sie stützte den Kopf in die Hand.

»Du bist ja nach dem Hausgesetz Herr in Wildenfels, und es bleibt mir nichts übrig, als mich dir zu fügen – gegen meine bessere Einsicht. Aber es tut mir bitter weh, daß mein Sohn, einer Fremden wegen, Partei gegen mich nimmt. Ich habe dir nichts mehr zu sagen in dieser Angelegenheit.«

Lothar war durch ihr Einlenken sofort besänftigt. Er faßte ihre Hand und führte sie an die Lippen.

»Verzeih, Mama – und suche mich zu verstehen. Ich konnte nicht anders handeln. Jonny steht unter meinem Schutze. Versuche doch einmal, ihr gerecht zu werden, sie ohne Groll zu dulden. Wenn du ihr erlauben wolltest, dich ein wenig zu lieben, ihr junges Herz birgt einen so großen Liebesreichtum. Du würdest selber froh sein, wenn du der armen Waise ein wenig Liebe geben wolltest.«

Es lag eine warme, innige Bitte in seinen Augen und seine Stimme klang weich und flehend, wie sie noch nie die Stimme ihres Sohnes gehört hatte. Das Gefühl des Hasses gegen Jonny wuchs immer größer in ihrem Herzen und daneben bedrückte sie die Angst, daß diese ihrem Sohne gefährlich werden könne. Nein, nein – das durfte nicht sein – das mußte sie verhindern um jeden Preis. Sie hatte in ihrem Herzen schon die Wahl getroffen, wer nach ihr Herrin in Wildenfels sein sollte. Herta Liebenau war ganz die Frau, die sie für ihren Sohn wünschte. Wenn sie auch keine Schönheit war, ihre vornehme Abkunft war in ihren Augen mehr wert. Hertas Mutter war eine Prinzessin aus regierendem Hause und sie war entschieden die vornehmste unter den heiratsfähigen Damen der Umgegend.

Jetzt nur um Gotteswillen vorsichtig sein und dann schnell handeln.

»Verlange nichts Unmögliches von mir,« sagte sie möglichst sanft. »Ich habe meinen Standpunkt so gut, wie du den deinen. Laß uns jetzt nicht mehr davon reden. Ich sehe ein, es führt zu nichts. Und ich muß die bittere Erfahrung einstecken, daß ich im Herzen meines Sohnes hinter einer Fremden rangiere. Daß du Großmama über mich stelltest, habe ich ruhig hingenommen. Ich kann dir nicht so zärtlich entgegenkommen, wie sie. Das liegt mir nicht – ich bin nicht sentimental veranlagt. Es hat mir auch nicht wehgetan. Großmama hat ein Recht an deine Liebe – aber dieses Mädchen nicht.«

Lothar sah ernst und etwas bedrückt zu ihr herab. Er fühlte sich im Unrecht, wußte aber auch, daß seine Mutter nie etwas getan hatte, um seine Liebe zu erringen. Sie war immer kühl und unnahbar geblieben, auch früher, als er oft voll kindlicher Zärtlichkeit zu ihr kam. Kalt hatte sie ihn immer zurückgewiesen. Trotzdem fühlte er sich durch ihre Worte bedrückt. Sein ritterlicher Sinn konnte es nicht ertragen, die Mutter gekränkt zu haben. Er ergriff ihre Hand.

»Mama – wenn du mir doch mehr zeigen wolltest, daß du mich lieb hast und nach meiner Liebe verlangst. Du würdest schnell genug ein Echo wecken in meiner Brust. Ich warte ja nur darauf,« sagte er herzlich.

Aber Gräfin Susanne verstand es nicht, Herzen zu fesseln.

»Laß gut sein, Lothar. Wir sind zu verschiedene Charaktere, um uns ganz zu verstehen. Du bist entschieden zu weich und ideal veranlagt – ich lebe auf realem Boden und kann mich ebenso wenig ändern, wie du.«

Lothar ließ ihre Hand aus der seinen gleiten. Nein – nie konnte zwischen ihnen ein so herzliches Verhältnis bestehen, wie zwischen ihm und seiner Großmutter. Ihre beiden Naturen stießen einander ab, ohne es zu wollen.

»Hast du sonst noch Wünsche, Mama?«

»Nein.«

»Dann darf ich mich wohl zurückziehen?«

»Bitte – ich halte dich nicht.«

Er küßte ihre Hand und verabschiedete sich. – – – –

Lothar hatte eine geschäftliche Unterredung mit seinem Rendanten und den Verwaltern gehabt, nachdem er seine Mutter verlassen hatte. Als er vom Rentamt her durch die große Halle kam, begegnete er Jonny. Sie kam die Treppe herab, zum Ausgehen fertig.

»Wo willst du hingehen, Jonny?«

Ein stiller Glanz lag auf ihrem jungen, weichen Gesicht.

»In den Wald mit dem Verwalter, Tannen für das Weihnachtsfest aussuchen.«

Lothar hielt sie fest und sah ihr froh in die lieben Sonnenaugen. »Warte einen Augenblick, ich gehe mit – das habe ich lange nicht mehr getan.«

Er ließ sich von einem Diener Hut und Mantel bringen.

Seite an Seite schritten sie hinaus. Lothar war froh in der Meinung, daß seine Mutter nun wenigstens die Feindseligkeiten gegen Jonny einstellen würde. Er preßte ihren Arm an sich.

»Brauchst nun keine Angst mehr zu haben vor meiner Mutter, Jonny. Sie weiß nun, daß zwischen uns beiden keine Rede sein kann von ›Herr Graf‹ und ›gnädiges Fräulein‹«.

Sie erschrak und wurde ganz blaß. »Hast du mit deiner Mutter darüber gesprochen?«

»Ja.«

»Ist sie sehr böse auf mich?«

»Nein, kleiner furchtsamer Hase. Duck dich nicht so schreckhaft. Du stehst ja doch immer unter meinem Schutze.«

»Sag' mir nur eins,« bat sie mit ruhigen Blicken, »hattest du Unannehmlichkeiten meinetwegen?«

Er lachte, gerührt durch ihre Angst. »Ei, es war sehr schlimm, Mama drohte mit dem Stocke. Du mußt mich sehr bedauern.«

Sie lachte ein wenig. »Nein – sag' mirs doch – war es sehr schlimm?«

»Nein, garnicht. Nun bist du beruhigt, ja?«

Sie nickte und atmete auf, wie von einer schweren Last befreit. »Nun freue ich mich erst wieder so recht auf das Weihnachtsfest.«

»Hast du viele Wünsche an das Christkind?«

»Nur einen.«

»Was ist das für ein Wunsch?«

»Daß du zu Weihnachten für immer nach Wildenfels zurückkommst.«

»Solche Wünsche gehören nicht zu dem Ressort des Christkindes.«

»Vielleicht doch.«

»Nein, nein – da mußt du dich lieber an mich selbst wenden. Also bitte mich einmal recht schön darum, dann erfülle ich dir deinen Wunsch.«

Sie sah ihn an. Es zuckte um ihren Mund und die Augen wurden groß und feucht.

»Ach – dafür finde ich wohl nicht die rechten Worte.«

»Ich sage sie dir vor, brauchst nur nachzusprechen, ja?«

Sie nickte und er begann:

»Lieber, lieber Lothar, ich bitte dich, so sehr ich kann.«

Sie sprach es lächelnd nach und er fuhr fort:

»Kehre bald für immer nach Wildenfels zurück. Ich hab dich so lieb.«

Auch das wiederholte sie. Dann sprach er weiter:

»Und kann es vor Sehnsucht nach dir nicht aushalten.«

Erglühend und zögernd sprach sie auch das nach.

Er nickte befriedigt.

»Und nun weiter: ›Ich verspreche dir dafür, daß ich dir dann alles zuliebe tun werde, was du von mir verlangst.‹«

Sie zögerte.

»Muß das auch sein?« fragte sie schelmisch, aber doch verwirrt.

»Natürlich – das ist ja gerade die Hauptsache.«

Sie vollendete, ohne ihn anzusehen, und er bemerkte mit Entzücken ihre holde Verwirrung. Als sie zu Ende war, streichelte er ihre Hand.

»So ist's brav, Jonny. Und nun will ich auch gleich antworten: Ja – ich komme sicher zurück bis zum nächsten Weihnachtsfeste. Und dann bleibe ich immer bei dir.«

Jetzt trat der Verwalter am Parktore zu ihnen. Lothar zog Jonnys Arm durch den seinen und so schritten sie hinaus in den Wald, um die Weihnachtstannen zu bestimmen.

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