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23.

Am Weihnachtsabend wurde zuerst in der großen Halle der Dienerschaft beschert. Dann kamen die Beamten an die Reihe, für die im großen Saale die Geschenke aufgebaut waren. Erst dann, als alle Untergebenen zu ihrem Rechte gekommen waren, fand die Feier für die Familienmitglieder und Jonny statt.

In einem kleinen Saale neben dem Speisezimmer waren zwei wundervolle Tannen aufgestellt. Sie waren nur mit zahllosen weißen Kerzen besteckt, ohne jeden weitern Schmuck. In ernster Pracht und der vollen Schönheit ihres Wuchses streckten sie ihre Zweige aus.

Lothar hatte für seine Angehörigen auf seinen Reisen wundervolle Stoffe und Geschmeide mitgebracht. Für Jonny war ein duftiges, spinnwebfeines Gewebe aus weißen Seidenfäden bestimmt, das mit einer herrlichen gestickten Bordüre versehen war. Und auf diesem Stoffe lag ein eigenartiger Gürtel aus getriebenem Silber von kostbarer, fremdartiger Schönheit. Zwischen den reichen Ornamenten waren allerlei rätselhafte Schriftzeichen zu sehen. Solche Gürtel schenken indische Fürsten und Würdenträger ihren Frauen als glückbringende Zeichen.

Lothar erklärte Jonny, daß die Trägerin dieses Gürtels gegen jedes Unglück gefeit sei. Er tat es, durch die Großmutter gewarnt, in einer sachlich belehrenden Weise. Aber seine Augen sahen dabei wie gebannt in Jonnys goldschimmernde Sonnenaugen, so daß es wie eine Woge unverstandener Glückseligkeit über sie dahinflutete.

Sie strich mit den Händen leise und kosend über den seidigen Glanz des duftigen Gewebes und freute sich daran. Aber den Gürtel betrachtete sie mit einem Gefühl, als müsse wirklich ihr Glück damit verbunden sein.

Gräfin Susanne hatte, der Form genügend, Jonny mit einem Armbande beschenkt, wehrte aber kühl, fast verletzend ihren Dank ab. Jonny trug in Zukunft dieses Armband nie – es lag zu unterst in ihrem Schmuckkasten. Sie fühlte, es war nicht von Herzen gegeben. Dafür hatte aber Gräfin Thea für ihren Liebling reiche Geschenke aufgebaut, und hier zeigte jede Kleinigkeit die liebevolle Sorgfalt, mit der sie ausgesucht waren.

Ohne daß sie es wollte, war das junge Mädchen der Mittelpunkt, um den sich an diesem Abend alles drehte und sie wäre restlos glücklich gewesen, hätte sie nicht zuweilen Gräfin Susannes kalte, beobachtende Blicke auf sich ruhen gefühlt.

Auf Gräfin Theas Wunsch sang Jonny einige Weihnachtslieder. Die klare, warme Mädchenstimme füllte den Festraum mit Wohlklang und schmeichelte sich in die Herzen der Zuhörer. Lothar lauschte erst wie gebannt. Aber dann lockten die bekannten Melodien und sein kräftiger Bariton fiel ein. Hell und freudig klangen die beiden jungen Stimmen zusammen. Sie ergänzten sich und schmiegten sich einander an.

Gräfin Thea saß still mit gefalteten Händen und ihre Augen blickten verklärt.

Sogar Gräfin Susanne war wider ihren Willen ein wenig in Stimmung gekommen und summte leise das eine oder andere Lied mit. »Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden,« klang es jetzt feierlich zu ihr herüber. Verstand sie die Mahnung oder regte sich sonst ein wärmeres Gefühl – sie nickte lächelnd zu ihrer Schwiegermutter hinüber. Vielleicht waren ihre Besorgnisse in diesem Augenblicke zerstreut. Lothar hatte sich den ganzen Abend sehr zusammengenommen und Jonny war in ihrer Gegenwart ohnedies so schüchtern, daß sie nicht viel sprach.

Fast erschrocken blickte sie auf, als sie Gräfin Susanne aufforderte, das eine Lied zu wiederholen. Später als sonst ging man zu Tische. Lothar war sehr froh über die gute Stimmung seiner Mutter. Er widmete sich ihr mit besonderer Aufmerksamkeit und blieb auch noch bei ihr, als sich Gräfin Thea mit Jonny zurückzog.

Die alte Dame nahm das junge Mädchen noch mit in ihr Wohnzimmer. Und dort erzählte sie ihr die Geschichte von dem verlegten Armbande und wie es dann gekommen war, daß Gräfin Thea sie nach Wildenfels holte.

Jonny hörte mit großen erstaunten Augen zu. Bisher hatte sie nicht gewußt, weshalb Gräfin Thea die verwaiste Enkelin des Rendanten Horst so liebevoll bei sich aufgenommen hatte.

Die alte Dame hatte das Halsband hervorgeholt und legte es lächelnd, wie zur Probe, um Jonnys schlanken Hals.

»Siehst du, Goldköpfchen, nun weißt du, daß du ein Recht darauf hast, in Wildenfels zu sein. Ich nahm dich zu mir, um meine Schuld zu sühnen. Daß du mir fest und fester ans Herz gewachsen bist, hat damit gar nichts weiter zu tun. Du bist eben mein liebes Töchterchen geworden. Und an deinem Hochzeitstage – da sollst du dieses Halsband tragen. Vielleicht erlebe ich es noch.«

Jonny löste langsam den Schmuck von ihrem Halse und sah darauf nieder. Wie seltsam die Steine sie anfunkelten – als wollten sie eine Geschichte erzählen – eine andere als die, welche Gräfin Thea eben erzählt hatte.

Jonny legte das Halsband in die Hände der alten Dame zurück. Ihr Gesichtchen sah sehr ernst aus.

»Ich werde mich nie verheiraten, Großmama,« sagte sie dann leise.

Die alte Dame strich ihr lächelnd über das Haar.

»Warte nur, bis der rechte kommen wird.«

Jonny schüttelte den Kopf.

»Es wird für mich kein rechter kommen, glaub es mir. Ich möchte auch gar nicht gern fort von Wildenfels, wo mir deine Liebe eine so herrliche Heimat geschaffen hat. Wie soll ich dir nur dafür danken.«

»Du bist mir keinen Dank schuldig. Ich hab' doch nur eine Schuld an dir abgetragen.«

Jonny umschlang die alte Dame innig.

»Sprich doch nicht von Schuld, liebe, liebe Großmama. Ach, wenn es eine tausendfache, eine wirkliche Schuld gewesen wäre, deine Liebe und Güte hätte sie längst schon gut gemacht.«

Gräfin Thea lehnte ihre Wange an die des jungen Mädchens und sah zu dem Bilde ihres Sohnes auf.

»Glaubst du das wirklich, Kind, wäre damit eine schwere Schuld abzubüßen gewesen?« fragte sie mit verhaltener Stimme.

»Ganz gewiß, Großmama. Was du für mich getan hast, ist so groß und so gut. Ich kann es dir nur danken mit schrankenloser Liebe – sonst habe ich ja nichts zu geben.«

Die alte Dame küßte sie innig.

»Du gibst mir Sonnenschein, damit sich mein altes Herz daran wärmen kann. Gott segne dich, mein liebes Kind. Aber nun bin ich müde – es war ein anstrengender Tag. Geh, hole mir meine alte Grill, sie soll mich zu Bette bringen.«

Jonny erhob sich und küßte ihre Hände. Dann ging sie schnell hinaus.

Grill war draußen im Vorzimmer über einer erbaulichen Weihnachtsgeschichte eingenickt. Die Brille saß ihr schief auf der Nase. Neben ihr auf dem Tische stand ein Teller mit Honigkuchen und ein halb geleertes Punschglas, Reste des Weihnachtsschmauses.

Jonny legte sanft ihre Hand auf die Schulter der alten Frau.

»Grillchen, liebes, altes Grillchen, bist du so sehr müde?« fragte sie mitleidig.

Grill ermunterte sich schnell und rückte ihre Brille zurecht.

»Ach bewahre, Fräulein Jonnychen, ich habe nur so ein bißchen geduselt. Das macht der Punsch – ich kann ihn nun einmal nicht vertragen.«

Jonny streichelte ihr lächelnd die Wangen.

»Du sollst Großmama zu Bett bringen.«

»Ja, ja, ich gehe gleich hinein. Aber was ich noch sagen wollte – vielen Dank noch einmal für das schöne, warme Tuch, das Sie mir gehäkelt haben. So mollig warm ist es, ich habe es gleich umgebunden.«

»Sollst du auch, Grillchen, damit dich das böse Rheuma nicht mehr so plagt.«

Sie gingen beide zu Gräfin Thea hinein. Jonny sagte ihr gute Nacht und suchte ihr Zimmer auf. Sie stand lange verträumt im Dunkeln am Fenster und blickte hinaus in die wundervolle Rauhreifpracht des Parkes. Der Mond stand am Himmel und warf sein bleiches Licht über die Welt. Eine echte, verheißungsvolle Christnacht.

Jonny faltete die Hände über dem Fensterkreuz und lehnte die Wange darauf. Ihre Gedanken flohen in die Vergangenheit zurück. Gräfin Theas Erzählung hatte manches wieder in ihrer Seele lebendig gemacht, was ihrem Gedächtnis entschwunden war. Bis in ihre früheste Kindheit wurde die Erinnerung wieder lebendig. Sie sah Großvater und Großmutter vor sich, wie sie ihr das Bild über Großvaters Bett zeigten. »Unsere Heimat,« hatten sie gesagt und feuchte Augen dabei bekommen. Und das blonde zärtliche Mütterchen war dazugekommen. Auch sie hatte Tränen im Auge und auch sie sagte: »Unsere Heimat« und ein sehnsuchtsvoller Klang zitterte in diesen beiden Worten.

Sie alle hatten die Heimat nicht wiedergesehen. Die Großeltern lagen neben dem Vater in fremder, dunkler Erde und ihres Mütterchens Grab, das sie nur wenige Male mit Großmama hatte besuchen können, befand sich auf dem großen Hamburger Friedhofe zwischen denen fremder Menschen. Nur sie allein hatte die Heimat erreicht und sie fühlte es, daß sie mit allen Fasern im Heimatboden wurzelte.

Wie viel Liebe hatte sie aber auch hier erfahren, wie viel Güte! Wenn auch Gräfin Susannes Gestalt wie ein dunkler Schatten auf ihren Weg fiel – wäre dieser Schatten nicht – es wäre vielleicht zu viel des Sonnenscheins gewesen. Vielleicht wäre sie in diesem wolkenlosen Glücke zu übermütig geworden, zu oberflächlich. Es war schon gut so, wie es das Schicksal gefügt hatte.

Aufatmend wollte sie eben vom Fenster zurücktreten, um zu Bette zu gehen. Da sah sie draußen im Mondlichte auf der weißen Schneefläche eine menschliche Gestalt einherschreiten. Ihr Herzschlag stockte, gebannt blieb sie stehen. Es war Lothar. Der Mond beleuchtete hell sein Gesicht. Sie drückte die Hände aufs Herz. Wie sie es liebte, dieses kluge, energische Gesicht mit den warm blickenden Augen, die im Stimmungswechsel heiß oder übermütig aufleuchten konnten.

Ihre Augen ließen nicht von ihm. Sie sah, daß er stehen blieb und nach ihrem Fenster heraufsah. Sie erzitterte, obwohl sie sich sagte, daß er sie nicht sehen konnte, denn ihr Fenster lag im Schatten und das Zimmer war dunkel. Desto deutlicher sah sie sein Gesicht. Atemlos blickte sie hinab, als müsse sie sich seine Züge einprägen für lange Zeit. Und als er dann weiter ging und im Hause verschwand, erfüllte plötzlich ein heißes Weh ihr Herz. Sie sank in einen Sessel und preßte die Hände vor das Gesicht.

»Lothar – Lothar – ich hab dich lieb – ich hab dich unsagbar lieb,« flüsterte sie und verstand doch noch nicht ganz ihres Herzens süße Not.

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