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Drittes Kapitel

Liebschaft des Prinzen. Unerhörte Sittsamkeit der Neadarne

Elf Wochen waren verstrichen und die Prinzessin, die Tanzai endlich zufiel, war diejenige für die sich sein Herz bereits insgeheim erklärt hatte. So vorsichtig er auch zu Werke gegangen war, so wußte die Prinzessin dennoch seine Liebe. Die Leidenschaft, die sie selbst für ihn empfand, hatte ihr über Tanzais Empfindungen die Augen geöffnet. Ihre Blicke hatten sich tausendmal ihre wechselseitige Zärtlichkeit erklärt, bevor ihr Mund dies Geständnis ausgesprochen hatte.

Eine bessere Wahl hätte Tanzai nicht treffen können. Das eifrige Bestreben aller der Prinzessinnen, ihr nachzuahmen, die Eifersucht, die sie gegen sie hegten, bewies ihre Vorzüge hinlänglich. Der Prinz selbst hatte sie vom ersten Tage an bemerkt, allein gebunden durch das Gesetz, das er selbst sich auferlegt, hatte er warten müssen, bis die Reihe sie traf. Endlich kam dieser selige Augenblick. Voll Ungeduld, wie sie waren, ihre gegenseitigen Empfindungen sich zu erklären, zu wissen, ob sie sich in ihren Ahnungen nicht geirrt hätten, voll Ungeduld, zum ersten Male des höchsten Glücks zu genießen, sich zwanglos gegeneinander ergießen zu dürfen, konnten sie ihre Freude nicht bergen. Neadarne (so hieß diese Prinzessin) rechtfertigte Tanzais eifriges Bestreben nach ihr. Sie war brünett, zu all den Annehmlichkeiten, die den Frauenzimmern von dieser Farbe eigen sind, alle die Reize besitzend, die man an den Blondinen bewundert. Ihre schwarzen Augen waren außerordentlich lebhaft; allein seit der Zeit, da sie den Prinzen gesehen hatte, schien ein zärtliches Schmachten ihren Glanz zu mildern. Ihr Mund, der sich nie öffnete, als nur die schimmerndsten Einfälle oder die geistreichsten Dinge zu sagen, hatte die niedlichste Bildung und war mit den schönsten Zähnen der Welt geschmückt. Ihr großer und majestätischer Wuchs war zugleich edel und frei. Ihre Hände und Beine, von den Grazien gebildet, ließen von all dem Übrigen die günstigsten Vorurteile fassen. Alle ihre Handlungen, ihre Reden, atmeten eine unaussprechliche Grazie; sie nahm nicht, weder um ihre Figur noch um ihren Geist schöner zu machen, zu jenem affektierten Mutwillen ihre Zuflucht, der sich stets auf Kosten der Vernunft und des Wohlanstandes äußert; bediente sich auch nicht jener verschrobenen Reden und jenes seichten Jargons, die eben so verächtlich sein sollten, als sie lächerlich sind. Welche empfindliche Seele sollte bei solchem Gegenstande nicht in Wallung geraten sein!

Tanzai sah nicht so bald den Tag anbrechen, der ihm erlaubte, mit seiner Prinzessin zureden, als er, gedrängt von seiner Liebe sich unter ihre Fenster begab, um da den Augenblick abzuwarten, wo er sie sehen könnte. Neadarne, ebenso unruhig wie er, war auch früher erwacht, als gewöhnlich. Das erste, was ihr in die Ohren fiel, war Tanzais Stimme. Er sang mit aller Zärtlichkeit Lieder, die er aus dem Stegreif für den Gegenstand seiner Liebe erfand. Sie stand schnell auf; da sie aber besorgte, es möchte gegen den Wohlstand sein, sich am Fenster sehen zu lassen, sie gleichwohl auf der anderen Seite die Gelegenheit nicht versäumen wollte, mit dem Prinzen zu sprechen, so ließ sie in ihren Zimmern so viel Geräusch machen, daß Tanzai schloß: sie sei bereits aufgestanden. Er ließ sich deshalb sehen, um vorgelassen zu werden.

Neadarne, die ihn bei ihren Nebenbuhlerinnen so spät als er nur immer konnte, den Tag hatte anfangen sehen, zog aus diesem Beginn die günstigsten Deutungen. Der Prinz nahte sich ihr mit jener Verstörtheit und Verwirrung, die man nur bei dem Gegenstand empfindet, den man mit Entzücken liebt. Die Kammerfrauen der Prinzessin hatten sich fortbegeben. Sie hatte sich nicht dagegen auflehnen können. Das Gesetz verlangte es. Wie sie sich nunmehr allein fanden, war er anfänglich nur um so schüchterner; seine Augen allein sprachen lange Zeit von seiner Liebe, und die Prinzessin verstand sie besser, als sie jene alberne Süßeleien verstanden hätte, welche die Dummheit der Männer und die Koketterie der Weiber seitdem erfunden haben. Dies Stillschweigen mußte gleichwohl einmal aufhören. Man bewundert zwar eine Zeitlang, zuletzt aber fängt man von dem, was man bewundert, zu reden an, und die Reize der Prinzessin, die Tanzai in die Augen fielen, öffneten in ihm einen unversiegbaren Quell von Liebesbeteuerungen und Lobeserhebungen. Endlich also entschloß er sich.

Kann ich hoffen, hub er stammelnd und mit halb erschrockener Miene an, daß meine Aufwartungen Euch nicht unangenehm sind, und daß Ihr huldreich genug sein werdet, sie anzunehmen?– Ach! Was können Eure Liebden nicht alles erwarten, versetzte sie, wenn dieselben es aufrichtig meinen. – Ob ich es so meine, erwiderte er. Meine Prinzessin, wie furchtbar ist dieser Zweifel für mich! – Mit diesen Worten warf er sich Neadarne zu Füßen. Diese, die mit ihrem Liebhaber zufrieden war, hörte ihn mit jener sanften Willfährigkeit an, die das Verlangen, überredet zu werden, einflößt. Nunwohl, versetzte sie, ich glaube Euch, teuerster Prinz; und wie sollte ich Euch nicht glauben, eingenommen von der Liebe, in der ich gegen Euch brenne? Empfanget also von mir, setzte sie hinzu und reichte ihm die Hand, dieses Gefühles Versicherung. Sprecht mir unablässig von Eurer Leidenschaft. Welch ein Glück für mich, Euch zu hören, Euch ewig zu lieben! Vom Übermaß der Freude ganz trunken küßte Tanzai der Prinzessin die Hand. Mit Entzücken sprach er von dem ersten Eindruck, den ihr Anblick auf ihn gemacht hatte! Von dem Widerwillen, den er gegen ihre Nebenbuhlerinnen empfunden, von der Mühe, die es ihm gekostet habe, sich zu zwingen; von seiner feurigen Ungeduld! Wie viele Schwüre tat er nicht, sie ewig zu lieben! Wie viel Liebe entströmte nicht seinen Blicken! Wie eifrig las nicht die Prinzessin, deren gierige Blicke auf die seinigen geheftet waren, in Tanzais Augen! Wie viel Zärtlichkeit schöpfte sie nicht aus denselben! Beide waren verstört, trunken von Wonne, nichts weiter fühlend als ihre Begierden.

Durch so viele Schönheiten angefeuert, fest überzeugt, daß er geliebt werde, wollte Tanzai sich die Verwirrung zu Nutze machen, worin er Neadarne sah. Er begann mit einem Seufzer, den er auf den Lippen der Prinzessin vollendete, wohin die Liebe selbst ihn geleitete. Sie würde sich zuverlässig dagegen verteidigt haben, allein es ist nicht immer ausgemacht, ob man bei dergleichen Vorfällen alle die Kräfte hat, die man haben sollte. Ein Liebhaber, dem man zu mißfallen fürchtet, und der diese Furcht nicht hat, wird stärker durch die Schwäche der Dame, als diese schwächer durch seine Stärke wird. Dem sei wie ihm wolle, der Prinz wollte, daß sie den Kuß, den er ihr geraubt, für gültig erklären sollte. Die Tugend wollte dies nicht haben, allein die Liebe gebot es zu tun; und es scheint, daß jene nur erfunden worden ist, um dieser unablässig aufgeopfert zu werden. Je mehr man hat, desto mehr man haben will; eine befriedigte Begierde erzeugt eine andere in dem Herzen eines Liebhabers; bei dem, was man ihm verstattet, blickt er schon auf das hin, was man, ihm freizugeben, noch zögert. Die Prinzessin war in einem von jenen nachlässigen Morgenkleidern, die durch Ermangelung zusammenraffender Nadeln dem Auge mehr Gegenstände bloßstellen, als man zuvor verteidigt hatte. Ihr Rock öffnete sich und ließ den Prinzen einen Busen sehen, dessen Form so bewundernswürdig und dessen Weiße so blendend war, daß er sich nicht enthalten konnte, Lust zu empfinden, abermals die Ehrerbietung zu verlieren.

Neadarne hatte vorhin um einen bloßen Kuß so lange gekämpft, daß er sicher war, die geringste Erlaubnis, die er wegen dieses neuentdeckten Schatzes begehren möchte, würde ihm ernstlich verweigert werden. Sonach war er entschlossen, dies neue Vergnügen nur sich selbst zu verdanken zu haben. Hand und Mund berührten jenen entzückenden Gegenstand. Die Prinzessin und er verstummten hierauf, sahen sich nicht mehr an, aber erholten sich nur von ihrer Extase, um in eine neue zu sinken. Was hätte die Prinzessin dabei tun sollen? Allerdings war sie tugendhaft; allein alles, was ein tugendhaftes Frauenzimmer tun kann, ist weniger, dem feurigen Entzücken eines Liebhabers Einhalt zu tun, als sich zu erinnern, daß sie dies zu tun eigentlich schuldig wäre.

Überlegung ist ein schwaches Zufluchtsmittel, wenn es anders möglich, daß sie mitten im Schoß des Vergnügens entstehen kann. Kommt sie hinterdrein, wozu hat sie gefrommt? Die Prinzessin befand sich in einer Verwirrung, die für sie um so gefährlicher war, da sie sich noch nie zuvor darin befunden hatte; und wegen Mangel an Erfahrung also nicht imstande war, sie zu bekämpfen. Gleichwohl begann die Heftigkeit des Prinzen sie in Schrecken zu setzen und sie stieß ihn sanft zurück. Allein, war er wohl imstande, dies zu verstehen? Bei dieser Bewegung verlor Neadarne ihr Strumpfband, das vielleicht nicht allzufest gebunden war. Tanzai, von Natur höflich und in seiner Lebensart von der Liebe noch bestärkt, bot sich ehrerbietigst an, es wieder an Ort und Stelle zu bringen. Es verweigern, hieße es für eine Gunstbezeugung von großem Belang erklären, und dies würde ihm Lust eingeflößt haben, es ihr zu rauben; sonach willigte sie ein, weil sie in der Eile kein drittes Mittel fand. Der Prinz, der nie irgendeiner Dame ein Strumpfband umgebunden hatte, wußte nicht, wo es eigentlich, zu befestigen war; überdies hätte er auch, wenn er es gewußt, sich dessen in der Verstörtheit, worin er war, nicht erinnern können. Er band es also der Prinzessin so ungeschickt um, daß ihr ein Schrei entfuhr. Die Kammerweiber stürzten herzu und der Prinz sah sich genötigt, zu gehen. Man fragte die Prinzessin, weshalb sie geschrien habe. Wie war es möglich, es zu sagen? Prinzessinnen tun, was ihnen beliebt; sie antwortete gar nicht, und man glaubte, was man wollte. Sie hielt es indessen für ratsam, gegen Tanzais feuriges Ungestüm ihre Maßregeln zu nehmen und befahl mit einigem Seufzen ihren Weibern, sie nicht mit ihm allein zu lassen, es möchte auch noch so sehr gegen das Gesetz verstoßen, das er gegeben hatte. Sie beschloß also aus Tugend gegen Tanzai die Vorsichten zu gebrauchen, die viele andere Frauenzimmer nach solchen Begebenheiten nur aus Koketterie gegen ihre Liebhaber anzuwenden pflegen.