Felix Dahn
Die Bataver
Felix Dahn

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XVI.

Die Sommersonnenwende war herangekommen.

Das große Fest des Mittsommeropfers vereinte an diesem Tage, dem vierundzwanzigsten des Brachmonds, jedes Jahr die sämtlichen Gaue der Bataver und der Kannenefaten, die alle ihre Herkunft von dem Sohne Wotans, dem Kriegsgott Tius ableiteten. Diesem also galt besonders die Feier, nachdem vorher der Scheiterhaufe seines Bruders Paltar, des schönen Lichtgottes, der an jenem Tage starb, war entzündet worden.

Aber auch die benachbarten und befreundeten Völkerschaften der Großfriesen östlich, die der Kleinfriesen westlich der Yssel, die friesischen Mársáken, Ostnachbarn der Kannenefaten, die Sugambern und Gugernen gegenüber der Ruhrmündung auf beiden Ufern der Maas waren durch Gesandte oder durch freiwillige Gäste vertreten.

Der Festort, die geweihte Stätte des Kriegsgottes, war ein heiliger Hain, ein noch nie von der Axt berührter Wald auf der inselhaften Landspitze, die Waal und Maas vor ihrer Vereinigung umgürten. Die beiden Stromarme schlossen das unbewohnte Eiland von dem Verkehr und der Nutzung des Volkes der umliegenden batavischen Gaue völlig ab: nur wenige Priester, Wächter und Diener des Weihtums, lebten hier. So lag die Stätte mitten in den Schauern des Urwaldes in geheimnisvoll verschleierter Einsamkeit, deren ahnungsvolle Stille nur zur Zeit der beiden großen Feste, der Winter- und der Sommersonnenwende, gestört ward. Auf Fuhrten und auf Fähren, zur Wintersonnenwende auch wohl auf dem tragfesten Eise – Brücken trugen die freien Wasser noch nicht – wateten, ritten, fuhren alsdann die Leute von Süden über die Maas, von Norden über die Waal in die gefreite, dem Gott geheiligte Stromaue. Jeder freie, wehrfähige Mann dieser und der befreundeten Völkerschaften mochte hier erscheinen: allein auch Frauen und Mädchen und Knaben in reicher Zahl schlossen sich zu Wagen, zu Roß und zu Fuß den Heermännern an: durften sie auch während der Gerichts- und der Ratsverhandlungen die Dingstätte nicht betreten, – außerhalb derselben lagerten sie unter rasch errichteten Zelten und leichten Holzhütten, bei dem sommerlichen Fest aber sonder anderes Obdach als den Schutz der gewaltigen breitästigen dichtbelaubten Bäume. Und war die Rechts- und Ratspflege, das ausschließliche Werk der Männer, zu Ende gethan, so fluteten auch jene Gäste zu Opferschmaus, zu Gesang und Reigen auf die Stätte, die nun ein fröhlich und bunt belebter Festplatz wurde.

Der Urwald war nur von wenigen schmalen Fuß- oder Reitpfaden durchschnitten, ausgenommen in der Richtung von West nach Ost: hier durchzog ihn, durch Dickicht und Gestrüpp gebrochen, eine Fahrstraße, breit genug für vier nebeneinander gespannte Rinder. Auf diesem Wege fuhr, von Priestern geleitet, der heilige Wagen, auf eine breite Fähre geschoben, über die Maas in die Gaue hinaus, wann, geraume Zeit nach der Wintersonnenwende, im Hornung etwa, die lichten Götter wieder auf die Erde zurückgekehrt waren: nur die Häupter der halbverhüllten auf dem Zeltwagen stehenden Göttergestalten wurden der Ehrfurcht des Volkes sichtbar.

Das eigentliche Weihtum war – in der Mitte des heiligen Haines – eine uralte mächtige Linde, in deren Wipfeln der Stammvater dieser Völkerschaften, der Kriegsgott Tius, seinen Sitz aufgeschlagen hatte. Kein neugieriger Blick vermochte ihn hier zu erspähen: denn undurchdringbar flochten sich, wagerecht und senkrecht, die Äste des Baumes durcheinander und auch die Nachbarstämme griffen von allen Seiten in dieses dichte Zweig- und Laubgewirr.

Ein Bild des Gottes fehlte seinem Weihedienst. Als Verkörperung oder doch als Sinnbild und Wahrzeichen seines Wesens galt ein altes Kurzschwert von Feuerstein, das in grauer Vorzeit die Ahnen bei ihrem Aufbruch aus dem Hessenland mitgeführt hatten auf ihrer Wanderung den Rhein hinab. Das Jahr hindurch von den Priestern sorgfältig verwahrt in einer der Blockhütten hinter dem Götterbaum, ward es bei Opferfesten in feierlichem Aufzug abgeholt, in weißes Linnen gehüllt umhergetragen, darauf entblößt und zuletzt vor der heiligen Linde, den Griff zu unterst, feierlich aufgesteckt. Aber nicht in die Erde, sondern in eine Art von Altar, das heißt in eine in der Mitte durchlochte mächtige dunkle Felsplatte von schwarzem Basalt, die – dergleichen gab es nicht in dem Gebiet der Rheinmündungen! – ebenfalls aus der alten Heimat – als ein Stück derselben – von der Fulda her war mitgeführt worden. Die Sage ging, als der Wagen, der die Platte trug, an diese Stelle vor der auch schon damals stattlichen jungen Linde gelangt war, machten die vorgespannten drei weißen Rosse Halt und waren durch kein Mittel weiter zu bringen: so hatte der Gott die Stätte bezeichnet, wo er in den neuen Sitzen seines Volkes wohnen wollte. Vor dem Baume war nun in halber Manneshöhe ein Rasenhügel aufgeschichtet und auf dessen viereckige Fläche der Fels feierlich niedergelegt worden; heilige Kräuter, auch das Gedörn, mit dem man die Scheiterhaufen des Leichenbrands umhegte, waren auf allen vier Seiten angepflanzt: sie wucherten und grünten nun in vollsommerlicher Üppigkeit. Gar manchen alt-eingesogenen dunkelroten Flecken zeigte das Steinschwert: sie rührten von dem Blut der Tiere, mit welchem es bei jedem Opferfest besprengt ward.

In weitem Kreise umgab den Weihebaum die Dingstätte, umhegt durch einen »Speerzaun«, eine Anzahl von Lanzenschäften, die senkrecht, die Spitze nach oben, in den Waldrasen gerammt, wagerecht durch andere aneinander geknüpfte Speere in Brusthöhe vom Boden miteinander verbunden waren: die knüpfenden Seile waren, die Blutgewalt des Alldings anzudeuten, mittels Mennig rot gefärbt.

In dem Raume zwischen der Linde und dem Felsaltar – mit dem heute hier aufgepflanzten Wahrzeichen des Gottes – stand ein hoher Stuhl mit ganz gerader Rückenlehne und links und rechts wagerecht vorspringenden Armstützen, die in geschnitzte Drachenköpfe ausliefen. Er war gezimmert aus den Ästen, die im Laufe so vieler Jahrzehnte der Sturm von dem unverwüstbaren Baume gebrochen hatte; eine scharlachrote Decke war über den Sitz gespreitet: es war der Platz des Richters; oben, längs der Rückenlehne, liefen eingeritzte Runen hin des Inhalts:

»Hier tronen und tagen der Tius
Des echten Alldings
Und die drei alledeln Asaginnen.«

(Das heißt die Künderinnen des Rechts, die Nornen.)

Zur Rechten lehnte an dem Stuhl ein glänzend weißer Stab: auch der war aus einem entrindeten Schößling der Linde gefertigt: seine Spitze krönte eine geschnitzte greifende Hand.

Innerhalb des Speerzaunes ragten, ebenfalls im Kreis aufgepflanzt, baumhohe Stangen, welche die nackten Schädel von Pferden, von langhörnigen Widdern, krummhörnigen Stieren und breitschaufeligen Elchen trugen, die in den letzten Jahren hier waren geopfert worden: manche Hörner und Geweihe zeigten Spuren leichter Vergoldung und welke Kränze hingen, im Winde rauschend, davon hernieder.

Aus dem dichten Geäst des Weihebaums aber sahen, schräg hinein gestreckt und fest gebunden, mehrere Kriegsfahnen und phantastische Feldzeichen der Völkerschaften und einzelner ihrer Gaue, die in Friedenszeiten hier geborgen, bei Ausbruch des Krieges herabgenommen wurden. Die Zeichen waren verschiedener Art: bald der wallende Schweif eines schwarzen oder weißen, eines braunen oder eines roten Rosses, an schlankem Speer unter der Spitze angebracht oder auch – die Gesamtfahne von vier und mehr verbündeten Gauen – vier solcher Roßschweife und Mähnenhaare vereinigt an einem Schaft. Aber auch Tierbilder fehlten nicht; roh, jedoch mit schärfster Beobachtung der Wahrheit des Lebens geschnitzt und auf Querbrettern oberhalb des Schaftes eingepflöckt: da dräuten die heiligen Tiere Wotans: der Adler, der Rabe, der Wolf, aber auch der Bär Donars richtete sich auf, der Eber Freirs hieb, Loges Luchs kauerte nieder zum Ansprung, der Sonnenhengst Paltars hob den hauenden Huf und der Hirsch Ullrs senkte, zum Stoß ausholend, das stolze Haupt mit dem sechzehnendigen Geweih. – –

Gelbgrau dämmerte der früheste Morgen nach der kurzen Sommernacht herauf, noch kaum durch die hohen Bäume und dichten Büsche in das Innere des Waldes dringend mit fahlem Scheine. Vor dem Rasenhügel lagen in Menge verkohlte Scheite und Reisigäste, die Überbleibsel des Sunwendfeuers, über welchem am Abend vorher die dem Gott geopferten zwölf Widder – von jedem der verbündeten und stammgenössischen Gaue einer – waren auf dem Spieß gebraten worden. Darauf hatten verlobte junge Paare Hand in Hand gar manchen kühnen Satz über die emporzüngelnde Flamme gethan und Glück oder Unglück der künftigen Ehe war aus der Art, der Kühnheit oder Verzagtheit des waglichen Sprunges von den Umstehenden geweissagt worden. Aber auch die Rosse und Rinder, die Gespanne der Wagen, hatte man durch das »Notfeuer« getrieben, sie für das kommende Jahr gegen Seuchen oder Sturz und Fall zu schützen. Endlich hatte gar mancher junge Festgast eine in der Mitte durchlochte flache Holzscheibe an den Rändern in der Opferflamme angebrannt und dann die flammende, ein Bild der Sonnenscheibe, mit dem durch das Loch gesteckten Speerschaft so hoch er konnte in die Luft geschleudert unter Wünschen der Liebe oder Gelübden kühner That; auch dem Flug dieser Scheiben ward Heil oder Mißlingen abgesehen und danach vorverkündet.

Die ersten auf dem Dingplatz waren Civilis und Ulemer; ehrerbietig die altertümlichen Steinäxte senkend, ließen die Wächter des Weihtums, die seit Mitternacht die Opferstätte gehütet hatten, die beiden Edelinge eintreten durch die eine der drei pfortenähnlichen Öffnungen in dem Speerzaun: das heißt durch zwei senkrechte, wagerecht nicht gesperrte Schäfte in Aufgang, Mittag und Niedergang; von der Unheil bedeutenden Mitternachtsseite, der »kalten Ecke«, her sollte und wollte niemand den Dingkreis beschreiten.

»Die Sonne dieses Tages also,« sprach der Friese, den Mantel aus Seehundfell zurückschlagend, »wird endlich die Entscheidung sehen. Lange genug hast du uns alle zurückgehalten.«

»Und mich selbst,« erwiderte Civilis, »vergiß das nicht. Meinst du, weil mein Mund schwieg, mein Herz verlangte nicht nach Rache all' diese Wochen her? Wie oft fuhr ich auf aus dem Schlaf, aus dem Traum, mit geballter Faust und jenen Namen rufend –: »Mummius! Mummius Lupercus!« – Aber ich mußte warten. Und auch heute – wer weiß, ob ich es wagen darf!«

»Von welchen Dingen willst du's abhängen lassen?«

»Von der Rückkehr meiner Kundschafter, die ich ausgesandt, und vom Eintreffen – anderer, die ich erwarte, deren ich nicht entbehren kann. Wohl hab' ich ihnen allen eingeschärft, heute – hier! – verlässig zu erscheinen. Aber versagt mir auch nur Eine Erwartung, – und leicht können die Kohorten sie zerstören: dieser Vocula zu Mainz hat wache Augen! – so ist der heutige Tag verloren und damit lange, lange Zeit. Jedoch auch wenn meine Boten, meine Helfer kommen: – unberechenbar ist die Menge. Denn die Furcht vor Rom ist groß – und wahrlich nicht ohne Grund! – in jenen unserer Gaue, die hart vor den Lagern und Kastellen der Legionen liegen: wie oft haben sie die Römer siegen sehen und ihrer Rache fürchterliche Schrecken – an andern – erfahren! Auch hängen gar viele an Rom aus der Gier nach Gewinn, nach Gold und Genuß.«

»Freilich! In deinem eigenen Gau dein alter Nebenbuhler, jener Labeo! Ja sogar in deiner eigenen Sippe deine Vettern! Wo mögen sie stecken? Gestern und vorgestern – keine Spur von ihnen sah ich. Das ist mir unheimlich. Was treiben sie?«

Civilis zuckte die Achseln: »Nichts gutes. Und unthätig sind sie nicht. Auch das muß ich erwarten.«

Und in sorgender Beratung schritten die beiden auf und nieder.

 


 


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