Felix Dahn
Die Bataver
Felix Dahn

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XX.

Sido aber, der Königssohn, trat vor den Richter, neigte sich, warf den dunkelroten Mantel zurück und hob an: »Nur für kurze Rede, Richter, erbitte ich Urlaub. Was unser, was mein Gesang euch verkündet hat, – Wahrheit ist's, nicht Spiel meiner Erfindung. Vor Monden schon hat Claudius Civilis mich entsendet, für drohenden schweren Kampf euch Helfer zu werben: wohlan! Ich warb sie: willig fand ich die Männer. Der Brukterer, der Usipier und der Tenchterer ganzes Heervolk, erlesene Scharen freiwilliger Chatten und Chauken, meines Vaters, des Königs Garibrand, Gefolgschaft und viele andere meiner Markomannen, – wir alle wollen euch Kampfgenossen sein. Wir zogen ungehindert über den Rhein: zu unserm größten Staunen! Die Legionen, die ihn sonst bewachen, sie liefern sich selber blutige Gefechte. Auf unserm ganzen Weg hierher trat kein Römer uns entgegen. Batavische Kohorten, die Hordeonius zu seinem Schutz herbeigerufen, schlossen sich uns an, sowie sie des Alten Ermordung erfuhren. Tausende folgen uns auf dem Fuße, viele Tausend andere in den Wäldern zwischen Rhein und Donau rüsten sich zum Aufbruch. Ihr rieft und Wodan selber schickt uns her.«

Brausender Jubel des Beifalls erhob sich nach diesen Worten: es lösten sich die Reihen, die Dinggenossen stürmten von allen Seiten auf die Ankömmlinge zu und drückten ihnen die Hände.

Civilis ließ die Erregung sich austoben: erst nach geraumer Zeit mahnte er durch Hornrufe der Fronboten zur Ruhe. Als die Reihen sich wieder geordnet, erhob er sich und sprach: »Jetzt, jetzt kam die Stunde der Entscheidung. Ja, Labeo sprach wahr: ich, ich habe jene Boten, ich habe diese Helfer vom Überrhein, ich habe die Seherin hierher gerufen zu dem heutigen Tag. Seit Rom die Verträge zerriß, habe ich nichts mehr gedacht und geträumt als Freiheit, als die Abschüttelung des Joches. Was ich gefehlt in langer Verblendung, ich will's gut machen an meinem Volk: seht, wie starren mir Haar und Bart! Ich habe gelobt – nach unseres Volkes Sitte – nicht eher scher' ich sie, als bis kein Römer mehr auf unserem Boden steht.«

Da unterbrach ihn lauter Zuruf und Waffenlärm. Endlich konnte er fortfahren: »Nach Gründen wahrlich, wird mich keiner von euch fragen. Rom hat Treubund und Vertrag zerrissen. Und muß ich euch mahnen, wie sie schon zuvor an uns gefrevelt? Fragt jenen grauen Fergen nach seiner Tochter! Fragt mich nach meinem holden Knaben! Denkt, wie sie all unsere Rechte zertreten, wie sie nach fremdem Recht uns gerichtet, wie der Liktor und sein Beil in unsre Malberge drang, wie sie freie Männer gegeißelt, wie sie den heiligen Herd uns besudelt, wie sie die heiligen Haine verbrannt! Wollt ihr Knechte bleiben wie Syrer und Lyder? Oder wollt ihr wieder frei werden wie die Väter waren? Ihr wollt es? Wohl: jetzt, jetzt kam der Tag, den die Götter selber uns senden! So schwört hier vor dem Schwerte des Kriegsgottes – er hört jedes Wort, euer göttlicher Ahn' – schwört bei seinem Schwerte: ›wir wollen frei sein oder untergehen‹.«

Da brach stürmischer als je die lang verhaltene Leidenschaft hervor, abermals lösten sich die Reihen, in wilder Bewegung eilten die Männer auf den Altar zu, reckten die Waffen in die Höhe und riefen durcheinander: »Hör' es, Tius! Hört es, all' ihr Götter! Wir wollen frei werden oder untergehen!«

Dieses Gewirre wollten Labeo und die Brigantiker benutzen, unvermerkt aus dem Dingkreis sich zu entfernen. Schon waren sie glücklich durch mehrere der sich gegen den Altar drängenden Haufen geschlüpft, schon hatte Labeo den südlichen Ausgang nahezu erreicht, – da legte sich schwer eine Hand auf seine Schulter und es erscholl ein dröhnendes »Halt!«

Aller Augen wandten sich der Richtung des Rufes zu. »Halt,« wiederholte der Ferge, »Wohin?« Trotzig erwiderte Labeo: »Das hast du nicht zu fragen.« – »Aber der Richter,« rief da Brinno. »Frag' ihn, Civilis.« Ohne die Antwort abzuwarten, sprach Julius: »Wohin? Wohin Treue und Pflicht uns rufen. Wir sind, – wie jener eidbrüchige Mann dort auf dem Richterstuhl – Präfekten von Reitergeschwadern in römischem Dienst. Wir gehen in unsern Dienst.«

»Nieder mit ihnen! Nieder mit den Verrätern!« schrieen da viele hundert Stimmen und Uffo hob die schwere Stange.

»Haltet Friede!« rief Civilis mit alles durchdringender Stimme. »Wahrt den Dingfrieden. Wollt ihr hier Blut vergießen?« Die geschwungenen Waffen senkten sich: aber Brinno schrie: »Sollen sie entkommen, die Neidinge, und spornstreichs den Feinden alles verraten? Du schützest sie, weil sie deine Gesippen.«

Da erbleichten die beiden Brigantiker.

Civilis aber sprach: »Sie sind's nicht mehr. Schau' auf die Splitter dort, Brinno, – es sind Erlenstäbe.« – »So soll'n sie sterben,« drohte Brinno und griff an den Steinhammer in seinem Gurt. »Bluten auf des Tius Altar! Ich klage wider sie!«

Und viele Stimmen riefen: »Ja, Richtet! Opfert sie, sie sollen sterben!«

»Nein, leben sollen sie,« sprach Civilis, hoch den Stab erhebend, »unsern Sieg zu schauen: – das wird ihre härteste Strafe sein. Doch, auf daß sie nicht schaden können durch Verrat, schlag' ich euch vor: die Friesen sollen sie gefangen mit sich führen und an ihrer Küste, dem Krieg so fern als möglich, bewacht halten. Ich bitte euch, Männer, spart das Blut unserer Stammgenossen. Ein übler Anfang wär' es dieses Kampfes.« Beifällig stimmte ihm die Menge bei. Brinno aber grollte unmutig: »Gieb acht! Das wirst du noch bereuen. Es geht ein alt gut Wort in unserem Volk: ›Nur tote Schlangen beißen nicht‹.«

Während die Fronboten die drei Verhafteten auf den Wink des Richters in die Mitte nahmen, wandte sich dieser zu Weleda und sprach: »Beschlossen ward, – du hast gehört, Jungfrau, – der Krieg um die Freiheit. Nicht hab' ich zuvor dich um die Zukunft befragt: denn das ist Heldenschaft, das Notwendige für die Ehre wagen, mag's Heil, mag's Unheil bringen. Auch den Untergang, – wir nahmen ihn auf uns. Nun aber, da wir in den Kampf ziehen, mag er Sieg werden oder Unsieg, nun, Seherin, sage, was siehst du unser warten in der Zukunft?«

Schweigend neigte Weleda das Haupt, schweigend winkte sie Welo und Weledamarka heran.

Das Mädchen löste ihr den weißen Mantel, die Bernsteinspange auf der linken Schulter losschnallend, und spreitete ihn, weit auseinander gelegt, gerade vor sie hin auf den moosigen Waldrasen zwischen Altar und Richterstuhl. Welo nahm die Sturmhaube vom Haupt und schüttete in dieselbe aus einem Lederbeutel, den er von dem Wagen gebracht hatte, eine große Zahl von schmalen Stäblein aus Buchenrinde, in deren jedes eine Rune geschnitten war.

Tiefes, friedliches, andächtiges Schweigen legte sich auf die vor kurzem noch so laut tobende Menge. Weleda, im weißen ärmellosen Linnengewand, hob zuerst die beiden Arme in stummem Gebet anrufend gen Himmel: dann winkte sie Welo, der in kräftigem Schwung die Sturmhaube schüttelte, daß eine Menge der Stäbchen auf den weißen Mantel flog: die Scherin bückte sich, las einige Stäbe auf, blickte darauf und sprach sofort, mit vorgestrecktem Finger die einzelnen Runen ablesend: »U. A. E.«, dann deutete sie, ohne Besinnen: »Ungewiß ist alles Ende!«

Und wiederholt bückte sie sich nun, raffte jedesmal eine Anzahl Stäbe auf, las sie ab und deutete sogleich: »Aber sicher ist eins:

Unvergänglicher Heldenschaft Ruhm Drei große Siege:
Ein Sieg zu Land,
Zu Wasser ein Sieg,
Und ein Sieg zu Land und zu Wasser.«

Sie richtete sich nun hoch auf, leuchtenden Auges auf Civilis blickend: »So sprechen die Götter. Ich denke, es reicht,« schloß sie:

»Ja, es reicht,« rief dieser, ihre Hand fassend, die sie ihm willig lieh. »Was willst du mehr, mein Volk? Drei Siege und unvergänglichen Ruhm: – Freiheit oder Untergang? Wollt ihr mir dahin folgen?«

Da scholl's durcheinander brausend, jubelnd: »Wir wollen! Wir wollen! Führ' uns, Civilis! Führe uns, Brinno! Führt uns zum Kampf! Zum Sieg! Freiheit oder Untergang!« Und fortgerissen und fortreißend in überwältigender Begeisterung stürmten alle auf die beiden Führer zu, hoben sie auf breite Schilde und trugen sie auf den Schultern frohlockend dreimal um den ganzen Kreis der Dingstätte.

Hochaufgerichtet stand Weleda: die sonst so bleichen Wangen glühten, der stolze Busen hob und senkte sich; sie bebte leise und ihr Blick hing freudestrahlend an des Civilis gewaltigem Antlitz.

 


 


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