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In dem Schreibgemach des bischöflichen Palastes zu Sevilla trat in einer Frühlingsnacht des Jahres 579 nach Christus eine Anzahl von hohen Geistlichen des Westgotenreiches zu geheimer Beratung zusammen. Es lag in dem Erdgeschoß des wuchtigen, düsteren Baues streng byzantinischen Stils: dumpf lastete das niedrige Gewölbe des schmalen Raumes, den ein paar geweihte rote Wachskerzen, auf hohen Silberleuchtern aufgesteckt, – sie verbreiteten im Brennen süßlichen weihrauchähnlichen Geruch – nur schwach erhellten. Das einzige Rundbogenfenster blickte nicht auf die Straße, sondern in den kreisrunden hoch ummauerten Hof des weitläufigen Gebäudes.
Die Beratung mußte wohl gar geheime Dinge betreffen: denn der dicke Laden aus Edelkastanienholz war sorgfältig geschlossen und von dichten Wollteppichen verhängt, die auch die beiden schmalen Pforten verkleideten, so daß die draußen auf den Schwellen wachenden Ostiarii, die unwillkommenen Besuch abwehren oder doch rechtzeitig melden sollten, nichts von den drinnen gewechselten Reden vernehmen konnten. Auch der kostbare Mosaikestrich – er stellte in bunten Farben die Arche Noah mit ihrem Getier dar – war so hoch mit Decken belegt, daß die ohnehin so leisetretenden Sandalen der Priester geräuschlos hin und her glitten. In der breitesten Wand, dem Fenster gegenüber, war in den edeln dunkelgrünen Malachit (aus Teruel in Aragonien) ein Musivbild der heiligen Eulalia, der Schutzpatronin dieser Landschaften, eingelassen: der Goldgrund konnte die ungefüge Zeichnung nicht schöner machen; ein schwarzer Betschemel zu ihren Füßen trug auf der obersten Stufe eine ewig brennende Öllampe aus irisirendem Glas. An den übrigen Seiten standen viereckige tiefe Truhen, Sarkophagen ähnlich: sie bargen, fest verschlossen, die Bücher – zumal die Urkundenschätze – der Bistumskathedrale.
In der Mitte des Raumes um einen mächtigen Rundtisch aus Citrusholz auf je vier gekreuzten Füßen stand eine Anzahl von deckenbehängten Stühlen mit gar niedriger Rückenlehne, aber zwei langen Armlehnen; sie schienen sich zu scharen um den hohen thronähnlichen Purpursitz, von dem der Metropolitan überherrschend auf alle niedersah. Gestalt und Antlitz dieses Priesters prägten sich, einmal erschaut, unauslöschlich ein: der hohe Wuchs, das hagre knochige Gesicht, die eingefallenen wachsfahlen Wangen, die scharf geschnittenen, sorgfältig geschornen, mitleidlosen Lippen, die Adlernase, die schwarzen unstät blitzenden Augen unter den stolz geschwungenen Brauen, die hohe, von Gedanken, auch wohl von Leidenschaften gefurchte Stirn. Denn der Friede des Herrn schien nicht eingekehrt in diesen seinen noch ganz schwarzhaarigen Diener: dämonisch war die Erscheinung, sowohl wann sie in eisiger Ruhe der längst angeschulten Selbstbeherrschung undurchdringlich lauerte, wie wann sie plötzlich zum Angriff hervorschnellte wie eine getretene Natter. Jetzt hatte er in jener Ruhestellung die Rechte gerade vor sich hin auf den Tisch gestreckt: die feine kleine Hand ruhte wie behütend auf einigen Pergamenturkunden und Papyrusbriefen. Nicht nur die Tracht des Metropolitans, der weitfaltige dunkel purpurne, Chlamys-ähnliche Mantel, kennzeichnete ihn als allen hier Versammelten übergeordnet.
Seltsam war die Ähnlichkeit, mit der seine beiden Nachbarn ihm glichen: Brüder waren die drei offenbar: aber bei dem zur Rechten, Bischof Fulgentius von Astigi, schreckten die unheimlichen Züge noch drohender, während die geistige Überlegenheit des Älteren nicht auf dieser niederen Stirne thronte; der dritte Bruder, erheblich jünger, trug die gemeinsamen Familienzüge gemildert, ja verklärt durch den Ausdruck wohlwollender Güte und friedliebender Weisheit, er war nicht Bischof wie die beiden Älteren: seine Tracht war die des Archipresbyters. Die gleiche Gewandung trug der den drei Brüdern gegenübersitzende Priester, dessen Sutane und darüber geworfene Mantelkapuze – der Cucullus, – nicht den spanischen Zuschnitt zeigte.
An ihn, der, im Banne dieser stechenden Augen, gar merksam unverwandten Blickes an dem Munde des Metropolitans hing, richtete der nun das Wort: »Es ist unerläßlich, mein in Christo geliebter Sohn Sabinianus, daß Ihr außer dem Briefe, den ich Euch für meinen hohen Freund und Gönner in Rom mitgebe, auch mündlich einiges vernehmet und überbringet, was der Schrift nicht sicher anzuvertrauen ist. Zwar haben der gelehrte Gregor und ich längst eine Geheimschrift vereinbart . . .« – »Ich kenne diese Formata, ehrwürdiger Vater,« nickte der Fremde. – »Gewiß: hat der Treffliche mir doch seinen vertrautesten Freund als Zwischenträger gesandt.« – »Und ich werde deinen Brief eifriger verteidigen als mein Leben, o Leander.«
Da zuckte ein grimmig Lächeln um dessen Lippen: »Ah, aber der Herr König liebt die Gewalt und seine Sajonen – sie gehorchen ihm wie Jagdhunde – sind stark.« – »Dann könnte er doch nicht lesen . . .« – »Er nicht. Aber sein kluger, nur allzukluger Sohn, mein feiner Neffe, der mir täglich mehr aus Hand und Zucht wächst.« – »Ja,« warf Fulgentius giftig ein. »Jung Rekared versteht sich auf Schriftwerk wie Fechtwerk.« – »Deshalb das Geheimste nur von Mund zu Ohr.« Ehrerbietig verneigte sich der Fremde.
»Und es drängt die Zeit: denn nicht lange mehr, mein' ich, wird Papst Pelagius, der müde Greis, die Tiara tragen. Allzuschlaff hat der Alte die Zügel der heiligen Kirche um die Könige dieser Welt angezogen. Das wird ganz anders, sobald mein Gönner, der gewaltige Gregor, den weltbeherrschenden Thron Sankt Peters besteigt.« – »Er sträubt sich gegen den Plan,« meinte Sabinianus. – »Ei freilich,« schmunzelte Leander, »löbliche priesterliche Bescheidenheit: muß ja so sein. Aber er unterwirft sich schließlich dem Willen des Herrn, verlaß dich drauf. Und ist er Papst, dann wehe diesem Ketzer- und Barbaren-Königreich.« – »Zur Hölle König und Volk!« drohte Fulgentius. – »Aber meine Brüder!« mahnte der Jüngste, mißbilligend das Haupt schüttelnd. »Wir haben Treue geschworen.« – »Erzwungener Eid!« grollte Fulgentius. – »Der künftige Arzt, der große Gregor, muß, bevor er mit Feuer und Messer die Wunden heilt, die Krankheit dieses Staates kennen. Höre darum meinen Bericht. Wenn er zu ungerecht ausfällt, – ei, hier sitzt mein Bruder Isidor, der Fürsprech aller Verunrechteten,« höhnte er. – »Ich war jahrelang fern von Hispanien, in Byzanz, in Rom, wo ich damals Gregor zum Freund gewann. Als ich wiederkam, fand ich einen neuen König und ein neues Reich. Der neue König war mein eigener Schwager, Leovigild, dem in erster Ehe unsere Schwester, Theodosia, von unserem Vater Severianus vermählt worden war.« – »Die Tochter eines altedeln Römergeschlechts – des großen Imperators Theodosius! – einem Barbaren, einem Ketzer!« grollte Fulgentius. – »Sie führten eine vollendet glückliche Ehe,« mahnte Isidor. – »Aber die beiden Söhne der Katholikin, Hermenigild und Rekared, wurden im Ketzertum erzogen. Und bald nach unsrer Schwester Tod freite er die hitzige Arianerin Godiswintha, König Athanagilds Witwe. – »Seither verfolgt er die heilige Kirche.«
»Vergib, Bruder Fulgentius,« unterbrach Isidor, »das ist nicht so. König Leovigild läßt sich nicht durch ein Weib leiten. Was er – nicht gegen unsere Kirche –, gegen unbotmäßige Bischöfe, tut, tun muß . . . –« – »Schweig, Archipresbyter! Das geht zu weit. Verlaß uns! Wir sind, scheint es, deiner nicht sicher.« Isidor wollte widersprechen: aber der Metropolitan hob mahnend den Zeigefinger der rechten Hand: demütig sich neigend glitt der Bruder aus dem Gemach.