Felix Dahn
Der Vater und die Söhne
Felix Dahn

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IX.

Das junge Ehepaar war getrennt, Hermenigild in den festen Turm des alten Römerkastells auf der Nordseite des Palastes abgeführt, – in das Erdgeschoß, – Ingundis in das letzte der Frauengemächer gebracht worden, in welches nur eine Tür – aus dem Schlafgemach der Königin – führte. Godiswintha selbst begleitete die Enkelin dahin: sie bemerkte deren suchenden Blick: »Nein,« lachte sie giftig, »schönes Vögelein, du bleibst in diesem Käfig. Das Fenster ist vergittert, und vor dem Ausgang aus dem Frauenflügel steht Tag und Nacht eine Speerwache. Du bleibst hier gefangen bis du deine Irrlehre abgeschworen.« – »So werd' ich hier sterben,« sprach Ingundis ruhig und ließ sich auf dem Ruhebett nieder. – »Das wollen wir sehen,« meinte die Großmutter. »Schon stärkeren Trotz hat man gebrochen. Laß sehen, wie lange du mir widerstehst, dringe ich Tag und Nacht auf dich ein: – in Güte oder, muß es sein, – anders.« – »Das Leben kannst du mir nehmen, nicht meine Seele, das heißt meinen Glauben. Mich zwingen? Ich bin Brunichildens Tochter.« – »Und meine Enkelin. Du sollst sie kennen lernen, diese Großmutter. Ich werde nicht rasten, bis . . .« – »Oh, ich bin erschöpft von all' dem. Laß mich schlafen.« – »Gerade schlafen sollst du nicht: man kirrt die wildesten Falken, indem man sie immer rüttelt. Ja, schließe nur die Augen, ich werde rütteln. Tag und Nacht.« Sie faßte sie unsanft an der Schulter. – »Großmutter! Warum bist du so böse? Warst du immer so?« – »O nein, du freche Fragerin. Ich war sanft und still und scheu und schön – wie du, nein, viel schöner. – Und alle lobten mich, die mich sahen, sogar die Mädchen, die Frauen. Und die Männer, ei die! Das Palatium des Vaters, des Herzogs zu Tarracona, ward nicht leer von Freiern. Aber ich bat den Vater, nein zu sagen zu allen: denn tief im Herzen barg ich die Liebe zu ihm, dem Herrlichsten von allen; – ach auch dem Treuesten wähnte ich! – Sigisar, dem Grafen von Tortosa. Und auch er liebte mich: – glaubte, mich zu lieben. Gleich nach unserer Verlobung brach wieder einmal eine Empörung der Katholiken in Tarraconien aus. Ich eilte fliehend von Barcelona, – aus dem Meerbade – nach Hause. Aber bevor ich die Tore von Tarraco erreichen konnte, ward ich mit meinem Gefolge von einer Rotte der Aufständischen gefangen und vor den Bischof von Egara gebracht, der in Waffen im Felde stand gegen König Agila. Der Elende drang mit Gewalt in mich, in seinen römischen Pfuhl zu springen. Er drohte, mich zu töten. Ich blieb fest: da sprach er: ›Nun, ich weiß, was du mehr fürchtest als den Tod, eitle Puppe: die Häßlichkeit.‹ Wohlan, lebe: aber entstellt, den Menschen ein Abscheu. Brandmarken will ich deine glatte Larve und dir die trotzigen Augen aus dem Gesicht reißen.‹ Und ich blieb standhaft und das Scheusal hielt Wort. Ah,« schrie sie auf, »sowie ich's gedenke, spür' ich wieder das heiße Eisen an der Wange, den bohrenden Stachel in der leeren Augenhöhle. Und mich noch grausamer zu quälen in Angst vor dem nun gekannten Schmerz, sollte mir das andre Auge, die andre Wange erst nach drei Tagen zerstört werden, wenn ich nicht nachgäbe. Ich wimmerte vor Angst, aber ich gab nicht nach. Da – in der zweiten Nacht – überfiel mein Vater das Lager der Aufständischen, zersprengte sie und befreite mich. Auch mein Geliebter war unter den Siegern. Als er aber die Braut erschaute, da schrie er auf, wandte sich, floh und zerriß das Band der Treue! Das alles dank' ich Rom und seinen Priestern. Elend, vom Geliebten verlassen, ungeliebt, von allen Glücklichen gemieden schleppte ich das Leben dahin, bis König Athanagild, des Vaters alter Freund, mich zu sich auf den Thron erhob. Und nun soll ich meine Enkelin und den Nachfolger in diesem Reich als Glieder der verhaßten Kirche leben sehen? Lieber sollen sie sterben.«

»Aber Großmutter, meine Mutter und ihre Schwester sind doch auch . . .« – »Ah, woran mahnst du mich, Unselige!« und im Zorn ihrer nicht mehr mächtig holte die Greisin aus und versetzte ihr mit der Faust einen Schlag ins Angesicht.

Ingundis fuhr auf, riß eine lange scharfe Nadel aus ihrem Haar, das nun in dunklen Wellen auf ihre Schultern herabflutete, und zückte sie zur Abwehr: »Rühr' mich nicht nochmal an – sonst . . .« Aber Godiswintha entwand ihr die Waffe und stieß sie ihr in den Arm: Hochauf spritzte das Blut auf das weiße Brautgewand. »Ah du stichst, schöne Viper? Wart', ich lasse dich durch meine Knechte binden und geißeln bis noch mehr fließt von dem verhaßten Merowingenblut.« Ingundis sank stöhnend vor Schmerz auf das Lager. Triumphierend beugte sich die Alte über sie: »Da liegt die Martyrin! Willst du jetzt nachgeben?« – »Niemals.« – »Was mußtest du meine tiefste Wunde aufrühren? Ja, ich hatte mich bewegen lassen durch König Athanagild, um der weltlichen Vorteile willen meine beiden Töchter den Merowingen und deren verhaßtem Glauben hinzugeben. Die Strafe Gottes blieb nicht aus. Gar bald war meine holdselige, sanfte Galswintha erwürgt, meine Brunichild verwitwet, gefangen im eignen Land. Und nun verführt ihre Tochter den künftigen Gotenkönig zum Abfall! Warte, du sollst mir's büßen.« Sie stürmte aus dem Gemach und ließ Ingundis in Ohnmacht auf dem Pfühle liegen. Als diese aus ihrer Betäubung erwachte, konnte sie die Arme und Füße nicht heben: sie waren in schwere Fesseln geschlagen.

*

Und Wochen vergingen so: tief schnitten die harten Ketten in den zarten Leib der Dulderin. Tag um Tag drang die Greisin in ihr Opfer: – ohne jeden Erfolg: die Gequälte antwortete nicht mehr.

Aber in einer Nacht stürmte die Königin, eine Fackel in der Hand, in das Gemach. »Verfluchte,« gellte sie, »die Hölle ist mit euch! Hermenigild ist entflohen. Der Wächter vor seinem Turm ist erdolcht. Sterbend berichtet er, drei Männer in Mönchsgewanden brachen aus dem Gebüsch, stießen ihn von rückwärts nieder, erkletterten auf hoher Leiter das Turmfenster und entführten den Gefangenen. Dich sollen sie nicht entführen! Ihr Knechte, erhebt sie und tragt sie hinunter in den Eiskeller. Zwei Speerträger vor die Eisentür des Gewölbes.«



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