Felix Dahn
Der Vater und die Söhne
Felix Dahn

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V.

Wenige Wochen danach durchdrang die Königsstadt am Tajo freudige Bewegung: zahlreiche Begnadigungen, – zumal von Staatsverbrechern in früheren Empörungen, – wurden unter Trompetenschall in den Straßen verkündet, zugleich mit den »öffentlichen Freuden«, wie man sagte, wegen der Verlobung des Thronfolgers mit der fränkischen Königstochter: bei solchen und ähnlichen Anlässen pflegten derartige Hulderweisungen zu erfolgen. Bei der römischen Bevölkerung ward die Freude erhöht durch das katholische Bekenntnis der Braut; unmöglich konnte der König fortab noch die Bekenner des Glaubens seiner eignen Schwiegertochter verfolgen. Zudem schien die Verbindung mit den Merowingen den stets zu befürchtenden Angriffen der Franken auf das gotische Südgallien ein Ende zu machen: den katholischen Römern standen die katholischen Franken viel näher als ihre ketzerischen Beherrscher, die Goten.

Es verdroß den König, daß gerade einige seiner treuesten Gefolgen und Waffengehilfen die Festfreude nicht so recht zu teilen schienen. Und bei dem Vespertrunk, dem »Dämmertrunk«, sagten die Goten, gab er diesem Unwillen Ausdruck, als die beiden Treuesten und Verdientesten dieser alten Kämpen, die Brüder Garding und Gardila, ebenfalls durchaus nicht vergnügt erschienen. Es waren zwei Riesen, der jüngere um eine halbe Fingerbreite kürzer, aber auch noch erheblich länger als der doch auch über die Mittelgröße ragende König.

Schweigend traten sie in das kleinere Trinkgemach, in dem Leovigild die vertrautesten Goten bei Sonnenuntergang um sich zu sammeln pflegte, bevor in dem großen Speisesaal dieses einst kaiserlichen Palastes der Abendschmaus mit den zahlreichen – gotischen und römischen – Palatinen gehalten wurde. Schweigend begrüßten sie erst die Königin Godiswintha, dann schweigend den König an ihrer Seite, schweigend ließen sie sich dem Paare gegenüber an dem länglichen Bronzetisch nieder.

»Nun, Kleiner,« redete Leovigild den einen Riesen an, »ist auch dir heute die Zunge in die durstige Kehle gefallen? Von deinem langen Herrn Bruder sind wir schon gewohnt, daß er schweigt, wenn er nicht brummt.« – »So brumm' ich denn, Herr König, wenn dir mein Schweigen mißfällt. Sorge dafür, daß bei den dummen Freudenfesten deine lieben Römer nicht ihre Freudenfahnen deinen treusten Gefolgen auf die Köpfe fallen lassen. Gerade hab ich den Fetzen da abgerissen.« Er zog ein Stück eines rot- und goldgestreiften Flaggentuches aus dem Wehrgurt, zeigte ihn der Königin und warf ihn unter den Tisch. – »Das macht, der Große ist zu groß,« lachte Gardila. »Ich kam glücklich darunter durch.« – Aber Leovigild war ernst geworden: »Rot und Gold?« grollte er. »Das sind der Merowinger Farben! Wer wagt in meinem Toledo . . .?« – »Ei,« lachte Garding grimmig – Bären würden so lachen, könnten sie's – »natürlich ein frommer Römer, der sich freut und der dich dadurch zu erfreuen hofft.« – »Und hoffen darf,« ergänzte Gardila, »ehrt er – in ihren Farben – doch deine Schwiegertochter, die Katholikin!«

Da fuhr die Königin heftig auf, die hohe Gestalt aufrichtend: sie war fast eine Greisin, das Antlitz mußte bildschön gewesen sein, aber das Fehlen des linken Auges und ein rotes Brandmal der rechten Wange entstellten es arg, mehr noch der bitterböse Ausdruck der allzuscharf geschnittenen und von Leidenschaften durchwitterten Züge: er war unheimlich drohend: so erschrak der alte Hüne als sie nun wie eine Schlange gegen ihn fuhr. »Gardila,« schrie sie mit schriller Stimme, »hüte dich! Vieles verzeih ich dir und Garding – um manches starken Schwertstreiches willen: – aber das laß mich nicht noch einmal hören. Bei meinem Zorn! Ich und eine katholische Schwiegertochter? Eher erwürge ich sie mit diesen Händen.« Man traute ihr das zu, so drohte das funkelnde Auge. »Gemach, Frau Ungestüm,« beschwichtigte der König. »Nicht Streit in der Sippe, nicht Glaubensgezänk, – ich habe genug daran! – Friede und Versöhnung auch mit den Franken ist der Zweck meines Planes. Darauf laß uns trinken.«

Die Brüder taten Bescheid. Dann sprach der Ältere, die bärtigen Lippen wischend: »Möge der Wunschgott . . .« – »Was faselst du da?« zürnte Godiswintha. – »Verzeiht, fromme Frau. Schwer ist's in diesem Reich, just das Richtige zu glauben! – Möge der Himmel diese fränkische Verschwägerung zu besserem Ende führen als alle früheren. König Amalarich brachte sie den Tod.« – »Ist lange her,« meinte Leovigild und trank. – »Aber nicht lang ist's her, Frau Königin, als Ihr die beiden Edelperlen, Eure Töchter, den Merowingen vermähltet.« – »Schweig, Unheilsrabe!« rief Godiswintha und verdeckte das Antlitz mit der Hand. Aber der fuhr unerbittlich fort: »Tot, erwürgt von Fredigundis, der Walandine, liegt die sanfte Galswintha, die Lilie der Goten.« – »Und tot liegt, ermordet durch Fredigundis, Frau Brunichildens edler Gemahl, sie selbst verwitwet, gefangen, ihres Knaben beraubt . . .« – »Schweigt, sag' ich,« schrie Godiswintha. – »Und nun abermals,« schloß Garding, »eine merowingische Ehe?« – »Schweig wirklich, Garding!« herrschte ihn der König an. »Die Staatskunst muß Vergangenes vergessen können um der Zukunft willen. Siehst du denn nicht die Vorteile dieses Bundes? – »Meiner Treu, nicht einen.« – »Franke und Gote sind wie Wolf und Edelhirsch, sagt man in unsrem Volk.« – »Und ein andres Mahnwort lautet: den Franken halt fern, sonst frißt er dich. Schon flattern fränkische Farben in Toledo. Und diese katholische . . .« – »Ingundis legt jene Farben wie ihren Glauben ab, sobald sie Hermenigilds Weib,« entgegnete der Herrscher ernst. »Übrigens, du bist doch sonst immer noch mehr Heide als Arianer,« grollte Godiswintha. »Ich glaube, du opferst zuweilen noch Wodan! – du verehrst . . .« – »Ich verehre den Siegesgott, Frau Königin, ihm ist dies Schwert geweiht und das ist den Schlachten deines Gemahls bisher ganz gut bekommen,« erwiderte er trotzig. – »Schande mir, vergäß ich's je und eure vierzehn Schlachten an meiner Seite,« sprach dieser und reichte beiden über die Tafel hin die Hand. »Aber du mußt doch einsehen, Brummkopf: haben wir die Franken als Mitstreiter, können wir den Sueven die ewigen Seitenhiebe vergelten und die Kaiserlichen ins Meer werfen.« – »Können wir beides auch allein,« sprach Gardila, »solang wir mit uns Leovigild haben.« – »Und den Siegesgott,« schloß Garding. »Da kommen Priester. Ich gehe; komm, Bruder!«

Während sie die Marmorstufen aus dem Palast auf die Straße herabstiegen, sprach Gardila unmutig: »Warum hat er sie genommen, die üble Hexe, die Einäugige . . .« – »Still! Andre Leute sind auch einäugig.« – »Aber warum?« – »Sie ist ein gewaltig Weib und war die Witwe seines Vorgängers Athanagild. Groß war ihr Anhang im Adel und alle wütigen Arianer . . .« – »Ich wollte, sie wäre anderswo! Samt ihrer merowingischen Enkelin. Der Mond ging blutrot auf. Das bedeutet nicht Versöhnung!«



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