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Wenn eine Seelenkraft, sei es durch Schmerzen,
Sei es durch Freuden, stark in uns erzittert,
Und man sich dreinversenkt mit ganzem Herzen,
So wird der Sinn durch andres nicht zersplittert.
Folglich muß seinen Irrtum eingestehen,
Wer in uns mehr als
eine Seele wittert.
Und darum, wenn wir hören oder sehen,
Was mächtig unsere Seele hält umwunden,
So wird uns unbemerkt die Zeit vergehen.
Denn
eine Kraft hat aufmerksam empfunden,
Und eine
andre hält den Geist gefangen:
Jene ist frei und
die gleichsam gebunden.
Zu der Erfahrung könnt ich hier gelangen,
Als ich gelauscht dem Geist und ihn betrachtet.
Denn funfzig Grad war schon emporgegangen
Die Sonne, und von mir ganz unbeachtet,
Als wir dort, wo uns im Vorüberschweifen
Die Schar zurief: »Hier ist, wonach ihr schmachtet.«
Mit soviel Dornicht, wie die Zinken greifen,
Mag wohl der Winzer stopfen größere Lücken
Im Zaun zur Herbstzeit, wenn die Trauben reifen,
Als diese Öffnung, wodurch ich mit Bücken
Mich hinterm Führer kletternd mußte schmiegen,
Als wir die Seelen hatten schon im Rücken.
Sanleo wird erklettert, abgestiegen
Nach Noli, und Bismantoas Gipfelschwelle
Zwingt unser Fuß – hier aber heißt es fliegen!
Mit Flügeln nämlich, wie sie leicht und schnelle
Mir Sehnsucht gab, um
den nicht zu verlieren,
Der Führer, Leuchte mir und Hoffnungsquelle.
Wir klommen in zerklüfteten Revieren
Und allseits eingekeilt durch Felsenwände,
Den Halt erkämpfend oft auf allen vieren.
Als wir erreicht des Randes letztes Ende,
Hochoben auf des Durchbruchs offner Breite,
Sprach ich: »Mein Meister, wer nun weiterfände!«
Und er: »Nur nicht bergab! Mir nach arbeite
Dich gipfelaufwärts über Grat und Kanten
Bis uns erscheint ein Kundiger, der uns leite.«
Hoch war der Berg, den Blicke nicht umspannten,
Und trotziger seine Steilung anzusehen
Als wie der Mittelstrich des Halbquadranten.
Ich war erschöpft, als ich begann zu flehen:
»O teurer Vater, schau dich um und lasse
Mich nicht allein; nein, bleib ein wenig stehen.« –
»Mein Sohn,« sprach er, »nur noch bis dahin fasse
Dir Mut,« und wies nach einem Vorsprung droben,
Der wie ein Sims umgab die Felsenmasse.
So spornten seine Worte mich, nach oben
Mich zu mühseligem Kriechen anzuschicken,
Bis ich die Füße auf den Sims gehoben.
Hier setzten wir uns beide, mit den Blicken
Nach Ost gewandt, woher wir aufgestiegen;
Denn jeden pflegt solch Rückblick zu erquicken.
Zur Tiefe ließ ich erst die Augen fliegen,
Dann staunend aufwärts zu des Himmels Borden,
Weil ich die Sonne linkerhand sah liegen.
Wohl war der Dichter aufmerksam geworden,
Als ich betroffen wahrnahm, daß hier gleite
Des Lichtes Wagen zwischen uns und Norden.
Drum er zu mir: »Wenn Kastor im Geleite
Von Pollux Nachbarn jenes Spiegels wären,
Der auf- und abwärtswirft sein Licht ins Weite,
Sähst du den Tierkreis rötlich sich verklären
(Sollt er sich noch im alten Gleise drehen)
Und enger kreisen um die Himmelsbären.
Willst dus begreifen, laß dein Auge gehen
Durch diesen Berg bis hin auf Zions Flur,
Dann wirst du auf verschiedenem Halbkreis sehen,
Doch unter einem Horizonte nur
Die beiden. Siehst den Weg dann auch gezogen,
Den Phaëthon unwissend schlecht durchfuhr,
Von hier aus linkerhand am Himmelsbogen,
Von dort zur rechten, wenn du, was ich sagte,
Recht mit Verstand geprüft hast und erwogen.« –
»Gewiß, mein Meister,« sprach ich. »Niemals tagte
Mir schneller, als mit deiner Unterweisung,
was mein Verstand erst kaum zu fassen wagte.
Denn jenes höchsten Himmels Mittelkreisung,
Die uns die weisen als Äquator künden
Und zwischen Glut stets feststeht und Vereisung,
Entfernt sich aus den mir genannten Gründen
Nordwärts soweit, als ihn die Judenscharen
Zur heißen Zone hin sich sahen ründen.
Doch wenn es dir gefällt, laß mich erfahren,
wie weit der Weg noch; denn ich fühle steigen
Den Berg und kann den Gipfel nicht gewahren.«
Und er zu mir: »Dies ist dem Berge eigen,
Daß unten er zuerst schwer zu erklimmen,
Um leichter sich, jemehr man steigt, zu zeigen.
Wird drum der Weg dich erst so heiter stimmen,
Daß er so mühlos wird von dir erklommen,
Als hieß es stromhinab im Boot zu schwimmen,
So bist du an des Weges Ziel gekommen.
Dort wird den Müden süße Rast umfangen...
Mehr sag ich nicht; Wahrheit hast du vernommen.«
Und kaum daß seine Worte noch verklangen,
Erscholls dicht neben uns: »Doch kanns geschehen,
Daß du vielleicht wirst eher Rast verlangen.«
Uns beide zwang ihr Klang, uns umzudrehen,
Und sahn ein großes Felsstück linkerseite,
Das weder ich noch er zuvor gesehen.
Hinzogen wir; und dort in ganzer Breite
Hinter dem Felsblock lag ein Volk im Schatten,
Wie wohl ein Müder sich dem Ausruhen weihte.
Und einer, der mir ganz schien zu ermatten,
Schlang sitzend sich um beide Kniee die Hände,
Die zwischen sich gesenkt das Antlitz hatten.
»O du mein teurer Herr,« sprach ich, »o wende
Den Blick auf den, der mir will träger scheinen,
Alsob in Faulheit er die Schwester fände.«
Da sah er horchend auf, ob wir ihn meinen,
Hob leicht das Haupt vom Schenkel nur und lallte:
»Steig selbst hinauf, denn du bist stark von Beinen.«
Da kannt ich ihn. Und ob mir auch noch wallte
Das Blut und mir der Atem war beklommen,
So trat ich doch zu kurzem Aufenthalte
Ihm näher, der, als er mich wahrgenommen,
Den Kopf kaum hob: »Sahst du den Sonnenwagen,«
Sprach er, »links über deine Schulter kommen?«
Sein sparsam Wort, sein schläfriges Behagen
Ließ mich ein Lächeln da nicht unterdrücken:
»Belacqua, nichtmehr darf ich dich beklagen,«
Sprach ich. »Doch sag, was du mit krummem Rücken
Hier sitzest? Harrst du eines, der dich führe?
Oder sollt alte Trägheit dich noch schmücken?«
Und er: »Was, Bruder, hilfts, wenn ich mich rühre?
Nicht eingehn ließ mich zu den Martern oben
Der Vogel Gottes vor der Himmelstüre.
Erst muß umkreisen mich der Himmel droben
Solang hierdrauß wie einst, wo ich im Leben
Die Reueseufzer bis zuletzt verschoben,
Wenn früher nicht Fürbitten aufwärtsschweben
Aus einem Herzen, das da steht in Gnade...
Was helfen, die sich nicht zum Himmel heben?«
Und vor mir klomm der Dichter schon die Pfade
Und sprach: »Nun komm! Denn sieh, die Sonne funkelt
Im Mittagskreise hoch, und am Gestade
Schon unterm Fuß der Nacht Marokko dunkelt.«