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Als hinter uns die Pforte lag, die selten
Der Seelen irrige Liebe hält im Gange,
weil krummen Weg sie läßt als graden gelten,
Da schloß sie sich, wie ichs vernahm am Klange.
Und blieb ich, um zurückzuschaun, nun stehen,
Gäb es Entschuldigung, die hier verfange?
Nun galts in einem Spalt emporzugehen,
Der sich abwechselnd wand nach jeder Seite
Gleich Wellen, die wir fliehen und nahen sehen.
»Hier tut es not, daß etwas Kunst uns leite,«
Begann mein Führer, »um sich anzuschmiegen,
Wo Raum giebt hier und dort des Weges Breite.«
Daher geschahs, daß wir nur langsam stiegen,
Sodaß die Mondeshälfte schon zur Welle
Hinstrebte, neu in ihrem Bett zu liegen,
Eh wir erreicht des Nadelöhres Schwelle.
Doch als wir oben waren auf der Scheide,
Wo rückwärtstritt der Berg an offner Stelle,
Standen wir, ich erschöpft, und fremd wir beide
Mit unserm Weg, auf einer Fläche, eben
Und öder als ein Pfad in wüster Heide.
Vom Saum, wo sie von freier Luft umgeben,
Maß sie drei Manneslängen bis zur Masse
Des Bergs, wo der begann sich steil zu heben.
Auch sah ich rings, daß diese Art Terrasse
Den Hang, wohin ich auch den Blick ließ dringen,
Nach rechts und links gleichbreit im Kranz umfasse.
Da fand ich, eh wir droben weitergingen,
Daß marmorn war die Wand, die dem Gelüste
Zum Aufstieg nirgend Hoffnung schien zu bringen;
Und daß sie, wie ichs nirgend schöner wüßte,
Verziert mit Bildwerk war, daß Polykleten,
Ja selbst Natur die Scham anwandeln müßte.
Der Engel, der zur Welt des langerflehten
Und bannauflösenden Friedens Botschaft brachte,
Wonach aufs neu der Himmel zu betreten,
War hier so lebenswahr geschnitzt, als lachte
Lieblich sein Mund ob der holdseligen Kunde,
Daß niemand ihn als stummes Bildwerk dachte.
Man schwur, ein Ave flösse ihm vom Munde;
Denn
Die war auch zu sehen, die den Riegel
Uns aufgetan zum höchsten Liebesbunde.
Ihr Antlitz schien, als wärs der Worte Spiegel,
»Ecce ancilla Dei« fromm zu sagen
Und deutlich, wie in Wachs sich prägt ein Siegel.
»Laß nicht nur
einen Ort dem Geist behagen,«
Mahnte der holde Meister mich, der neben
Mir ging, da wo man fühlt des Herzens Schlagen.
Drauf ließ ich meine Blicke weiterstreben
Und sah, rückwärts Marias, aus der Seite,
Wo meiner Schritte Lenker stand soeben,
Ein anderes Bildwerk an der Bergesleite;
Weshalb ich an Vergil vorbeigeschritten,
Daß ichs vor Augen hätt in minderer Weite.
Ich sah, in selben Marmor eingeschnitten,
Das Stiergespann die heilige Lade bringen,
Die unberufene Diener nie gelitten.
Vorn sah man Volk, zum Chor in sieben Ringen
Geteilt, daß zwei von meinen Sinnen streiten,
Der eine »nein«, der andre »ja, sie singen!«
Auch ob sich schien der Weihrauch zu verbreiten,
Hier beim Bejahen oder beim Verneinen
Die Augen mit der Nase sich entzweiten.
Dort tanzte vor dem Schrein, dem göttlich-reinen,
Demütig der Psalmist, das Kleid gehoben,
Als König mehr und minder hier zu scheinen.
Jenseits war dargestellt, wie Michol droben
Von hohen Schlosses Fenster diesem Tanze
Zusah, im Blicke Spott und Gram verwoben.
Ich trat sodann zurück, im Bilderkranze
Mich an dem nächsten Kunstwerk zu erbauen,
Das neben Michol mir erschien im Glanze.
Hier war des Römerfürsten Ruhm zu schauen,
Der einst Gregor durch makelloses Leben
Zum großen Siege stärkte mit Vertrauen.
Trajan, den Kaiser, mein ich. Und daneben
Fiel eine Witwe kühn ihm in den Zügel,
Den Tränen und dem Schmerze hingegeben.
Ringsum ein Rittertroß, den Fuß im Bügel;
Und Adler spreizten über diesem Schwarme
Im goldenen Felde scheinbar ihre Flügel.
Inmitten dieser Menge schien die Arme
Zu sprechen laut: »O Herr, verschaff mir Rache
Für meinen Sohn, ermordet mir zum Harme.«
Und er zu ihr: »Vertage deine Sache,
Bis ich zurück.« Und sie: »O Herr« – wie einer
Wohl spricht, alsob ihn Kummer eilig mache –
»Und kehrst du nicht?« Und er: »So tuts statt meiner,
Der nach mir kommt.« Und sie: »Was kann dir frommen
Die fremde Tat, wenn du vergissest deiner?«
Drauf er: »So sei getrost! Ich hab vernommen,
was meine Pflicht, und will nicht eher gehen,
Bis Recht und Mitleid ihren Teil bekommen.«
Er, dessen Augen niemals Neues sehen,
Weiß diese Zwiesprach sichtbar zu entfalten,
Uns neu, weil solches hier nicht kann entstehen.
Indes ich mit Genuß die Steingestalten
Bewundert als demütige Herrlichkeiten,
Die durch den Schöpfer Ruhm und Wert erhalten,
Sprach flüsternd der Poet: »Sieh näherschreiten
Schwerfälligen Ganges dort ein Volk in Scharen.
Das wird uns zu den hohen Stufen leiten.«
Mein Auge, immer Neues zu gewahren
Begierig, war – als ich das Nahen spürte
Des Volkes – eilig schon dahingefahren.
Den guten Vorsatz, den dein Herz erkürte,
Vergiß, o Leser, nicht, hörst du mit Schauer,
Wie Gott die Schuld hier zur Begleichung führte.
Sieh auf der Marter
Form nicht, doch genauer
Ans Ende denk! Denk, Schlimmstes angenommen:
Der große Urteilsspruch schließt ihre Dauer!
Anhub ich: »Meister, was ich da seh kommen,
Das halt ich nicht für menschliche Gestalten.
Doch wofür sonst? Ich seh es nur verschwommen.«
Und er: »Die Last zwingt, sich gebückt zu halten,
Dies Volk, ob es vor Qualen schier verdürbe.
Auch mir erst wollte sichs nicht klar entfalten.
Doch blicke scharf, daß Klarheit sich erwürbe
Dein Blick ob dieser lastbeladenen Bangen:
Schon kannst du sehn, wie jeder matt und mürbe.« –
O stolze Christen! elend, qualumfangen,
Mit Schleiern, die des Geistes Blick umweben:
Rückschreitend glaubt ihr vorwärts zu gelangen.
Merkt ihr nicht, daß wir Raupen sind im Leben,
Draus sich der Himmelsschmetterling entfaltet,
Der zur Gerechtigkeit muß wehrlos schweben?
Was ists, daß euer Haupt so stolz ihr haltet,
Ihr, die gleich unentwickelten Insekten
Entschlüpft dem Puppenzustand mißgestaltet? –
Wie man an Erkern oder überdeckten
Portalen Stützen sieht als Karyatiden,
Mit Knieen, krampfhaft bis zur Brust gereckten,
Daß man oft kaum ein Mitleidsach vermieden,
Ob grundlos auch: so kam der Schwarm gezogen,
Bis ich beim Nahen einzle unterschieden.
Zwar waren mehr und minder sie gebogen,
Wie mehr und minderschwer die Last zu tragen;
Doch der Geduldigste selbst schien bewogen,
Weinenden Tons: »Ich kann nicht mehr,« zu sagen.