Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

 

Dreiundzwanzigster Gesang

    Dem Vogel gleich – im trauten Laubverstecke
Schlafend im Nest bei seinen holden Kleinen,
Wenn alles hüllt die Nacht in ihre Decke,

    Der – sich am Anblick zu erfreuen der Seinen,
Die er mit neuer Atzung muß versorgen,
Ein saurer Dienst, der süß ihm will erscheinen –

    Nun länger nicht die Sehnsucht hält verborgen,
Auf offenem Aste auslugt nach der Quelle
Des Lichts, und so vorauseilt schon dem Morgen:

    So stand jetzt meine Herrin, in die Helle
Des Himmels dahin ihre Augen hebend,
wo unsere Sonne eilt mit mindrer Schnelle.

    Als ich sie sah, so in Erwartung schwebend,
Glich dem ich, der nach andern, trägt Verlangen
Und jetzt sich tröstet, neuer Hoffnung lebend.

    Doch als nur kurze Zeit indes vergangen,
Ich meine zwischen Wünschen und Gewähren,
Sah ich den Himmel hell und heller prangen.

    »Sieh Christi Heere siegreich sich verklären,«
Sprach Beatrice, »und reich-eingefahren
Die Frucht voll Wucht vom Kreislauf dieser Sphären!«

    Ihr ganz Gesicht schien Glut. Die Augen waren
Von Wonne so erfüllt: nicht Worte brächten
Ein Bild davon. Drum will ich Worte sparen.

    Wie Trivia lacht in heitern Vollmondnächten
Im Kranz der ewigen Nymphen, ausgesendet,
Daß sie den Himmel rings mit Schmuck bedächten,

    So sah ich tausend Leuchten überblendet
Von einer Sonne, die hier allen Schimmer,
Wie unsere rings den Himmelsaugen, spendet.

     Und durchs lebendige Licht warf im Geflimmer
Die Leuchtende Substanz mir Flammengrüße
So hell ins Auge, daß ichs aushielt nimmer.

    »O Beatrice, Leiterin, teure, süße...!«
Sie sprach zu mir: »Kraft ists, die dich bezwungen,
So stark, daß jeder Widerstand es büße.

    Hier ists der Weisheit und der Macht gelungen,
Bahn zwischen Erd und Himmel zu bereiten,
Wonach solang die Sehnsucht hat gerungen.«

    Wie Glut sich losreißt aus des Himmels Weiten,
Im Zickzack sprengt, was sie zu eng umsponnen,
Um erdwärts gegen ihre Art zu gleiten,

    So durfte sich bei dieses Festmahls Wonnen
Vergrößert aus sichselbst mein Geist erraffen.
Und seines Tuns hat er sich nie entsonnen.

    »Öffne die Augen! Schau, wie ich beschaffen!
Dinge sahst du, die Kraft dir eingetragen,
Vor meinem Lächeln nichtmehr zu erschlaffen.«

    Mir war gleich dem, der plötzlich wieder tagen
Vergessenes Traumbild fühlt und nun vergebens
Versucht, Erinnerungswege einzuschlagen,

    Als ich den Ruf vernahm, der Dankbestrebens
So wert ist, daß er, nimmer zu verjähren,
Im Buch der Überlieferung steh zeitlebens.

    Wenn hilfsbereit mir alle Zungen wären,
Die Polyhymnia nebst den Gespielen
Mit süßevollster Milch gewußt zu nähren,

    Sie würden von den Reizen all, den vielen,
Vom heiligen Lächeln, das ihr Antlitz schmückte,
Mit ihrem Sang kein Tausendstel erzielen.

    So muß der Weihgesang, der sich entzückte
Am Paradies, auch manches überspringen
Als hindernd, daß der Weg dem Wandrer glückte.

     Doch wer des Stoffes Wucht wägt, der zu zwingen,
Und daß die Schulter sterblich, die ihm fronet,
Der rügt es nicht, sieht er sie zitternd ringen.

    Hier hilft kein kleiner Kahn, der nicht gewohnet
Solch Wasser, das mein kühner Kiel trotz Mühen
Durchfurcht. Hier frommt kein Fährmann, der sich schonet.

    »Was macht mein Antlitz so entzückt dich glühen,
Daß keinen Blick dem schönen Garten spendet
Dein Aug, den Christi Sonne läßt erblühen?

    Hier ist die Rose, drin, von Gott gesendet,
Sein Wort zum Fleisch ward. Hier die Lilien, deren
Gedüft uns hin zum rechten Weg gewendet.«

    So Beatrice. Und ich, ihren Lehren
Gehorsam, habe wiederum begonnen,
Zum Kampf die schwachen Augen hinzukehren.

    Wie ich auf Blumenwiesen schon sich sonnen
Den Himmel sah aus wolkenfreier Stelle,
Indes mein Aug im Schatten Schutz gewonnen,

    So sah ich vieler Glanzgestalten Helle,
Auf die Blitzstrahlen glühend niedergingen,
Ohne zu sehn des Lichtes Ursprungsquelle.

    O gütige Kraft, die du sie kannst durchdringen,
Du hobst sohoch dich, weil dies Blitzgeflimmer
Die schwachen Augen müßte sonst bezwingen.

    Der schönen Blume Namen, den ich immer
Anrufe früh und spät, zog kraftbezwungen
Den Geist mir zu des größten Feuers Schimmer.

    Und als in beide Augen mir gedrungen
Des Sternes Kraft und Größe, dem im Glanze
Droben der Sieg und drunten stets gelungen,

    Stieg her vom Himmel eine wie zum Kranze
Gewundene Fackel, diesen Stern zu krönen
Und zu umgürten dann mit ihrem Tanze.

     Was hier auch säuseln mag in sanften Tönen,
Daß sich die Seele süßgefesselt schaute:
Es wär ein wolkensprengend Donnerdröhnen,

    Verglichen mit der Leier süßem Laute,
Dem schönen Saphir eine Krone webend,
Daß blauer noch der Saphirhimmel blaute.

    »Die Engelsliebe bin ich, treu-umschwebend
Die hohe Wonne, die der Schoß zu nähren
Vermocht, einst Herberg unserer Sehnsucht gebend.

    Auch wird mein Kreisen, Himmelskönigin, währen
Bis du dich deinem Sohne nachgeschwungen,
Vergöttlichend die höchste aller Sphären.«

    So ward besiegelt, was der Kreis gesungen
Zuletzt. Und aus den andern Lichtgestalten
Ist dann Marias Name rings erklungen.

    Der Königsmantel, der mit seinen Falten
Die Welten einhüllt und im höchsten Grade
Vollkommenes Sein und Gotteshauch erhalten,

    Wölbte ob uns sein inneres Gestade
Sohoch, daß meine Augen nicht bekamen
Dort, wo ich weilte, seines Anblicks Gnade.

    Drum fühlt ich ihre Sehkraft bald erlahmen,
Der glanzgekrönten Flamme nachzustreben,
Die aufwärts sich erhob zu ihrem Samen.

    Und wie das Kind zur Mutter pflegt zu heben
Die Ärmchen, wenn die Milch ihm lieblich schmeckte,
Die innere Liebe dankbar kundzugeben,

    So jedes dieser Lichter aufwärtsreckte
Sein flammend Haupt, daß ich, wie zu Marieen
Sie hohe Inbrunst hegten, wohl entdeckte.

    Und ohne meinem Blick sich zu entziehen,
Sangen »Regina coeli« diese Feuer
In unvergeßlich-wonnigen Melodieen.

     O welche Fülle häufen in der Scheuer
Reichsten Behältern hier an, die hienieden
Als Ackerer waren wackere Samenstreuer!

    Hier lebt man im Genuß vom Schatz zufrieden,
Den man in Erdenbabels Bann und Frone
Weinend erwarb, wo man das Gold gemieden.

    Hier jauchzt frohlockend unterm hohen Sohne
Gottes und der Maria mit dem alten
Und neuen Bund in seiner Siegeskrone,

    Der solcher Glorie Schlüssel hat erhalten.


 << zurück weiter >>