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Fünfter Gesang

    Schon hatt ich mich von jenen Schattenleuten
Entfernt und folgte meines Führers Schritte,
Als einer mir nachrief mit Fingerdeuten:

    »Sieh doch, mir scheint, daß nicht der Untre litte,
Daß durch ihn durch linkshin die Strahlen fahren.
Auch tut er ganz nach der Lebendigen Sitte.«

    Den Worten nach, als sie gesprochen waren,
Mich wendend, sah ich staunend mich anblicken,
Nur mich und das gebrochene Licht die Scharen.

    »Was kann dir denn die Seele so umstricken,«
Begann der Meister, »daß du säumst im Gehen?
Was kümmert dich das Tuscheln hier und Nicken?

    Mir nach! und laß die Leute redend stehen.
Du sei ein fester Turm, dem seine Zinnen
Nicht beugen kann des Sturmwinds brausend Wehen.

    Denn der wird nimmermehr das Ziel gewinnen,
Der von Gedanken sieht sich überschwommen,
Die kraftauflösend durcheinanderrinnen.«

     Was sollt ich sagen als: »Ich werde kommen!«
Ich sprachs und fühlte schon auf meinen Wangen
Die Glut, die oft mag zur Verzeihung frommen.

    Indes kam quer den Abhang hergegangen
Ein Haufe Volks, nah vor uns, wo wir gingen,
Die Vers für Vers das Miserere sangen.

    Als die bemerkten, daß sich vorm Durchdringen
Der Sonnenstrahlen meine Glieder wehren,
Da ward ein langes heiseres Oh! ihr Singen.

    Und ihrer zwei gleich Abgesandten kehren
Im Lauf entgegen uns, bittend zu fragen:
»Wollt über euer Wesen uns belehren.«

    Mein Meister drauf: »Kehrt um, und laßt euch sagen,
Euch und den andern, die geschickt euch hatten,
Daß dessen Glieder wirklich Fleisch noch tragen.

    Verweilten sie, zu schauen seinen Schatten,
Wie ichs vermut, mag der Bescheid genügen.
Man ehre ihn, denn ihnen kommts zustatten.«

    Nie sah ich abends hoch aus Wolkenzügen
Sternschnuppen schießen auf geschwinderm Flügel
Noch Blitze im August die Nacht durchpflügen,

    Als die bergaufgestürmt, um gleich vom Hügel
Mit allen dann zu uns zurückzuschwenken,
Alsob ein Trupp hersprengt, verhängt den Zügel.

    Der Dichter sprach: »Viel sinds, die zu uns lenken,
Um dich nun anzuflehen in brünstigem Drange.
Geh nur voran, Gehör im Gehen zu schenken.« –

    »O Seele, welche, daß sie Heil erlange,
Mit angeborenen Gliedern hier darf gehen,«
Kamen sie rufend; »halt etwas im Gange.

    Schau, ob du einen je von uns gesehen,
Kunde von ihm nach drüben hinzutragen.
Ach, warum eilst du? Ach, und bleibst nicht stehen?

     Uns alle hat Gewalttat einst erschlagen,
Der Sünden bis zum Tode uns erfreuend,
Wo wir gewitzigt sahen den Himmel tagen.

    So starben wir, verzeihend und bereuend,
Mit Gott versöhnt, der uns, Ihn zu erschauen,
Mit Sehnsucht füllt, dem Herzen Pein erneuend.«

    Und ich: »Ob ich euch prüfte im Genauen,
Keinen kenn ich. Doch wenn ihr mir erzählet,
Was euch erfreut, Geister voll Gottvertrauen,

    Ich tus, sowahr solch Führer mir erwählet,
Sowahr in dessen Spuren jenen Frieden
Von-Welt-zu-Welt zu suchen, Kraft mich stählet.«

    Und einer sprach: »Daß du es tust danieden,
Wir glaubens schwurlos: Güte ist vorhanden,
Wird Hemmnis gutem Wollen nicht beschieden.

    Drum hör mich, der wortführend aufgestanden.
Kommst du zur Gegend jemals in der Mitte
Von Karlos Reiche und Romagnas Landen,

    So schenke freundlich Fürspruch dieser Bitte:
Laß Fano fromm für mich die Hände falten,
Daß ich die Läuterung schwerer Schuld erstritte.

    Dort stamm ich her. Die tiefen Wundenspalten
Jedoch, draus meines Lebens Strom verblutet,
Hab ich in Antenorens Schoß erhalten,

    Wo ich Verrat am wenigsten vermutet,
Den der von Este wider mich gesponnen.
Sein Haß hat mehr als billig sich gesputet.

    Doch wär ich gegen Mira hin entronnen,
Als man mich überfiel an Oriacs Tore,
Noch atmen würd ich froh im Licht der Sonnen.

    Ich lief zum Sumpf, wo ich in Schlamm und Rohre
Zu Fall kam, und aus meinen Adern sprangen
Blutbäche, mündend in dem dunkeln Moore.« –

     Ein andrer sprach: »Soll je sich dein Verlangen
Erfüllen, das zum Berg dich durfte lenken,
Dein Mitleid kürze dann auch mir das Bangen.

    Giovanna nicht und niemand sonst will denken
Buonconts von Montefeltro, daß ich klagen
Hier muß und meine Stirne trauernd senken.« –

    »Welch Zufall,« rief ich aus, »hat dich verschlagen,
welche Gewalt soweit vom Campaldino,
Daß heut noch keiner weiß dein Grab zu sagen?« –

    »Oh,« sprach er drauf, »den Fuß des Casentino
Durchquert ein Fluß, Archian, der seine Quelle
Hoch ob der Einöd hat im Apennino.

    Wo er den Namen tauscht, zu dieser Stelle
Floh ich zufuße mit durchstochener Kehle,
Den Grund benetzend mit des Blutes Welle.

    Hier lischt mein Augenlicht und ich empfehle
Maria mich mit letztem Wort, fall nieder,
Und laß den Leib dort liegen ohne Seele.

    Nun höre Wahrheit, und der Welt sags wieder!
Schon griff mich Gottes Engel, da fuhr schnelle
Der höllische her und schrie: ›Weil ihm die Lider

    Ein Tränlein netzt, darfst du zur Himmelszelle,
Beraubend mich, sein ewig Teil erheben?
So büß das andre an des andern Stelle!‹

    Du weißt, daß Dünste, die im Luftmeer schweben,
Oft kältere Schichten treffen, und als Regen
Dann wiederum zur Erde niederstreben.

    Der Böse, der nur will das Böse pflegen,
Paart List mit Scharfsinn, Sturm und Dunst zu wecken,
Was von Natur in seiner Macht gelegen.

    Und als die Sonne sank zum Meeresbecken,
Sah man von Pratomagno sich die Fläche
Bis hin zum Hochjoch schwarz mit Dunst bedecken,

     Daß keine Wolke war, die nicht zerbreche
Und Wasser gösse in des Erdreichs Spalten.
Und was der Grund nicht schluckte, wurden Bäche,

    Bis diese gleich den größern Flüssen wallten
Und zu dem königlichen Strom hernieder
Ihr Wasser stürzten, daß es gab kein Halten.

Illustration: Dorè

    An seiner Mündung fand die starren Glieder
Der wütende Archian, der mit dem Funde
Zum Arno stob, das Armkreuz lösend wieder,

    Das ich geschlagen in der Todesstunde;
Ließ längs den Ufern mich hinstrudelnd-gleiten,
Bis seinen Raub er barg im schlammigen Grunde.« –

    »Ach, bist du heimgekehrt zu Erdenweiten
Und ausgeruht vom langen Weg dortoben,«
So schloß ein dritter Geist sich an den zweiten,

    »Gedenke mein. Die Pia hieß ich droben;
Siena gab, Maremma nahm mirs Leben:
Er weiß es, der mir, sich mir zu verloben,

    Als schon Vermählter seinen Ring gegeben.«


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