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Zweites Kapitel

Prinz Harry. Heiratsgedanken

1

Es gab auf der Welt noch eine Person, zu der Warwara Petrowna eine nicht geringere Zuneigung empfand, als zu Stepan Trofimowitsch – das war ihr einziger Sohn, Nikolaj Wsewolodowitsch Stawrogin. Er war es, dessen Erziehung Stepan Trofimowitsch seinerzeit zu übernehmen hatte. Damals war der Knabe acht Jahre alt, und sein Vater, der leichtsinnige General Stawrogin, lebte schon von seiner Frau getrennt, so daß das Kind ausschließlich unter ihrer Obhut aufwuchs. Man muß der Wahrheit die Ehre geben und anerkennen, daß Stepan Trofimowitsch es verstanden hatte, die Zuneigung seines Zöglings zu gewinnen. Das ganze Geheimnis seines Erfolges bestand darin, daß er selbst noch ein Kind war. Mich hatte er damals noch nicht, bedurfte aber beständig eines aufrichtigen Freundes. Und ohne Bedenken machte er den Kleinen, sobald er eben nur ein wenig herangewachsen war, zu seinem Freund. Auf ganz natürliche Weise kam es so, daß sich zwischen ihnen beiden nicht der geringste Abstand fühlbar machte. Nicht selten weckte er seinen zehn- oder elfjährigen Freund in der Nacht auf, einzig und allein, um ihm unter Tränen sein gekränktes Herz auszuschütten, oder ihn in irgendein häusliches Geheimnis einzuweihen, ohne zu bedenken, daß dies schon ganz und gar nicht angängig war. Die beiden fielen einander in die Arme und weinten. Der Knabe wußte, daß seine Mutter ihn sehr liebte, es ist aber kaum anzunehmen, daß er ihr dieses Gefühl mit einem gleichen vergalt. Sie redete wenig mit ihm, ließ ihn nur selten ihre Macht über ihn fühlen, aber ihr Blick, der ihm stets unverwandt folgte, peinigte ihn geradezu. Im übrigen vertraute die Mutter Stepan Trofimowitsch voll und ganz in allem, was sich auf den Unterricht und die moralische Erziehung des Knaben bezog. Damals glaubte sie noch fest und uneingeschränkt an ihn. Man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß der Pädagoge die Nerven seines Zöglings ein wenig zerrüttet hatte. Als man ihn in seinem sechzehnten Lebensjahr in das Lyzeum brachte, war er schwächlich und blaß, auffallend still und nachdenklich. (Später hatte er sich durch eine außerordentliche Körperkraft ausgezeichnet.) Auch muß man annehmen, daß die beiden Freunde, wenn sie sich nachts in die Arme warfen, nicht immer allein der kleinen häuslichen Geschichtchen wegen weinten. Stepan Trofimowitsch hatte es verstanden, in dem Herzen seines Freundes die verborgensten Saiten zum Erklingen zu bringen und in ihm das erste, noch unbestimmte Gefühl jener ewigen, heiligen Sehnsucht zu erwecken, die manche auserwählte Seele, nachdem sie diese einmal gekostet und kennengelernt hat, nie für eine billige Erfüllung hergibt. Es gibt auch solche Liebhaber dieser Sehnsucht, die sie höher schätzen als selbst die uneingeschränkteste Erfüllung, sogar dann, wenn eine solche möglich ist. Jedenfalls war es gut, daß man den Erzieher und seinen Zögling auseinandergebracht hat, wenn es auch eigentlich etwas spät geschah.

In den ersten zwei Jahren kam der junge Mensch zu den Ferien aus dem Lyzeum nach Hause. Während der Zeit, die Warwara Petrowna und Stepan Trofimowitsch in Petersburg verbracht haben, nahm er bisweilen an den literarischen Abenden teil, die bei seiner Mutter stattfanden, hörte zu und beobachtete. Er sprach immer noch wenig und war nach wie vor still und schüchtern. Gegen Stepan Trofimowitsch benahm er sich mit der früheren fast zärtlichen Hochachtung, jedoch etwas zurückhaltender; er vermied es offenbar, mit ihm von hohen Dingen und von Erinnerungen an die Vergangenheit zu reden. Als er mit dem Studium im Lyzeum fertig war, trat er dem Wunsche seiner Mutter gemäß in die Armee ein und wurde bald in eins der vornehmsten Gardekavallerieregimenter eingereiht. Sich seiner Mutter in der Uniform zu zeigen, hatte er nicht für nötig gehalten, kam nicht nach Hause, und auch seine Briefe aus Petersburg begannen selten zu werden. Warwara Petrowna knauserte nicht mit dem Geld und schickte ihm, soviel er gerade brauchte, obwohl nach der Reform ihre Einkünfte von den Gütern so sehr zurückgegangen waren, daß sie in der ersten Zeit nicht einmal die Hälfte der früheren Einnahmen erhielt. Aber sie hatte sich durch lange Sparsamkeit ein nicht unbeachtenswertes Sümmchen zurückgelegt. Die Erfolge ihres Sohnes in der höchsten Petersburger Gesellschaft interessierten sie außerordentlich stark. Was ihr selbst nicht geglückt war, das gelang nun dem jungen, reichen und hoffnungsvollen Offizier. Er erneuerte sogar solche Bekanntschaften, an die sie selbst nicht einmal mehr zu denken gewagt hatte, und war überall mit dem größten Vergnügen aufgenommen worden. Aber sehr bald drangen zu Warwara Petrowna recht seltsame Gerüchte: es hieß, der junge Mensch hätte sich plötzlich einem ganz sinnlosen Lebenswandel ergeben. Nicht etwa, daß er Karten spielte oder übermäßig zu trinken begonnen hätte, nein, man erzählte nur, daß er eine wilde Zügellosigkeit an den Tag legte, man tuschelte von Menschen, die er mit seinen Trabern überfahren hatte, und von seinem brutalen Benehmen gegen eine Dame der guten Gesellschaft, mit der er ein Verhältnis gehabt, und die er dann öffentlich beleidigt haben sollte. Es lag schon etwas gar zu schmutzig Unverhülltes in dieser Geschichte. Man fügte außerdem hinzu, daß er ein Raufbold geworden sei, Händel suche und andere Menschen beleidige und zwar lediglich, weil es ihm ein Vergnügen bereite. Warwara Petrowna war sehr aufgeregt und grämte sich. Stepan Trofimowitsch versicherte ihr, es handle sich dabei nur um die ersten ungestümen Ausbrüche einer allzubegabten Natur, suchte ihr einzureden, daß die Wogen dieses Meeres sich bald von selbst legen würden und bewies ihr, daß alles das große Ähnlichkeit mit der von Shakespeare geschilderten Jugend des Prinzen Harry habe, der mit Falstaff, mit Poins und Mrs. Quickly ein recht lustiges und tolles Leben führte. Diesmal rief Warwara Petrowna nicht »Unsinn, Unsinn!«, wie sie es zu tun in der letzten Zeit sich zur Gewohnheit gemacht hatte, sondern hörte ihn im Gegenteil sehr aufmerksam an, ließ sich alles noch eingehender auseinandersetzen, nahm selbst den Shakespeare zur Hand und las mit außerordentlicher Aufmerksamkeit die von Stepan Trofimowitsch zum Beispiel herangezogene unsterbliche Dichtung. Aber diese hatte sie nicht beruhigt, auch war die Ähnlichkeit ihrem Empfinden nach nicht allzugroß. Fieberhaft erwartete sie die Antwort auf mehrere Briefe, die sie nach Petersburg geschickt hatte. Diese ließen nicht lange auf sich warten; bald erhielt sie die verhängnisvolle Nachricht, daß Prinz Harry fast zu gleicher Zeit zwei Duelle (bei denen er der alleinig Schuldige war), gehabt, einen seiner Gegner auf dem Fleck getötet und den anderen zum Krüppel gemacht habe, was zur Folge hatte, daß er vors Gericht gestellt wurde. Die Angelegenheit endete damit, daß man ihn zum Gemeinen degradierte, ihm alle Rechte aberkannte und ihn strafweise in ein Linieninfanterieregiment versetzte, was auch nur aus besonderer Gnade geschah.

Im Jahre 1863 gelang es ihm irgendwie sich auszuzeichnen; er erhielt das Verdienstkreuz und wurde zum Unteroffizier befördert und daraufhin auch ziemlich schnell zum Offizier. Während dieser ganzen Zeit schickte Warwara Petrowna in die Hauptstadt wohl an die hundert Briefe mit Gesuchen und Bitten. In so einem ungewöhnlichen Fall glaubte sie sich schon eine kleine Demütigung erlauben zu dürfen. Nach seiner Beförderung nahm der junge Mensch plötzlich seinen Abschied, kam aber auch diesmal nicht nach Skworeschniki. Er hörte sogar völlig auf, an seine Mutter zu schreiben. Man erfuhr endlich auf Umwegen, daß er sich wieder in Petersburg befinde, in der früheren Gesellschaft aber überhaupt nicht mehr anzutreffen sei; es war, als hielte er sich irgendwo verborgen. Man stellte schließlich mit großer Mühe fest, daß er von ganz sonderbaren Kumpanen umgeben sei, sich dem Abschaum der Petersburger Bevölkerung angeschlossen habe, mit stiefellosen Beamten verkehre und verabschiedeten Militärs, die in einer vornehmen Art bettelten, daß er ihre schmutzigen Familien besuche, Tag und Nacht in ganz finsteren Spelunken und Gott weiß was für Schlupfwinkeln zubringe, zerlumpt und heruntergekommen sei und offenbar an diesem Leben Gefallen finde. Seine Mutter bat er nicht um Geld; er hatte ein kleines eigenes Gut – ein Dörflein, das er von seinem Vater, dem General Stawrogin geerbt hatte, das wenigstens etwas einbrachte, und das er jetzt, den Gerüchten zufolge, an einen Deutschen aus Sachsen verpachtet hatte. Schließlich gelang es seiner Mutter, ihn durch inständige Bitten zu bewegen, zu ihr zu kommen, und Prinz Harry erschien in unserer Stadt. Da erblickte auch ich ihn zum erstenmal, denn bis dahin war er mir noch nie vor die Augen gekommen.

Er war ein hübscher junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren und überraschte mich, was ich offen gestehe, durch sein Äußeres. Ich hatte mir ihn als einen schmutzigen, zerlumpten, von Ausschweifungen ausgemergelten, nach Schnaps riechenden Menschen vorgestellt. Aber er war ganz im Gegenteil der eleganteste Gentleman, den ich je in meinem Leben gesehen habe, außerordentlich gut gekleidet und mit einer Haltung und einem Benehmen, wie sie nur einem Herrn eigen sein konnten, der an den feinsten Anstand gewöhnt war. Nicht ich allein bin verblüfft gewesen: die ganze Stadt staunte geradezu. Die Biographie des Herrn Stawrogin war nämlich schon fast jedem bekannt, und zwar mit solchen Einzelheiten, daß man sich wundern mußte, wie diese überhaupt in Erfahrung gebracht werden konnten. Das Seltsamste an der Sache war aber, daß diese Details sich zur Hälfte als vollkommen wahr erwiesen hatten. Alle unsere Damen waren seit dem Erscheinen des neuen Gastes wie aus dem Häuschen. Sie hatten sich scharf in zwei Lager gespalten: in dem einen wurde er vergöttert, im anderen bis zur Rachsucht gehaßt; aber wie toll waren sie alle. Die einen reizte besonders die Vermutung, daß auf seiner Seele vielleicht irgendein verhängnisvolles Geheimnis laste; anderen gefiel es ganz entschieden, daß er ein Mörder war. Es stellte sich außerdem heraus, daß er ziemlich gebildet war und sogar über einige wissenschaftliche Kenntnisse verfügte. Man brauchte natürlich nicht allzu gelehrt zu sein, um uns in Verwunderung zu versetzen; aber er besaß auch die Fähigkeit, über interessante Tagesfragen zu sprechen, und zwar mit einer bemerkenswerten Bedachtsamkeit, was daran das Wertvollste war. Es sei hier noch als recht sonderbare Erscheinung erwähnt, daß bei uns fast jedermann beinahe vom ersten Tage an der Ansicht waren, er sei ein sehr vernünftiger Mensch. Er sprach nie viel, legte einen natürlichen, ungekünstelten Geschmack an den Tag und dazu eine erstaunliche Bescheidenheit; und doch trat er dabei so kühn und mit solchem Selbstvertrauen auf, wie sonst niemand bei uns. Unsere Stutzer sahen auf ihn mit Neid und wurden von ihm vollkommen in den Schatten gestellt. Auch sein Gesicht überraschte mich: sein Haar war schon gar zu ungewöhnlich schwarz, die hellen Augen außerordentlich ruhig und klar, die Gesichtsfarbe unglaublich zart und weiß, die Röte der Wangen beinah zu grell und rein, die Zähne wie Perlen, die Lippen wie aus Korallen, – er hatte alles, um als ein wirklich sehr schöner Mann gelten zu können, und doch wirkte er zu gleicher Zeit abstoßend. Manche sagten, sein Gesicht erinnere an eine Maske. Es wurde übrigens viel geredet, unter anderem auch von seiner ungewöhnlichen Körperkraft. Seinen Wuchs konnte man als hoch bezeichnen. Warwara Petrowna blickte auf ihn mit Stolz, zugleich aber mit steter Unruhe. Er verbrachte bei uns etwa ein halbes Jahr und zeigte sich während dieser Zeit matt, still und ziemlich mürrisch; er erschien oft in der Gesellschaft und erfüllte mit steter Achtsamkeit alle Vorschriften der bei uns im Gouvernement geltenden Etikette. Mit dem Gouverneur war er von Vaterseite her verwandt und wurde daher in seinem Hause empfangen. Aber nach Verlauf einiger Monate zeigte die Bestie plötzlich ihre Krallen.

Ich will bei dieser Gelegenheit nicht unerwähnt lassen, daß unser lieber, milder, früherer Gouverneur Iwan Osipowitsch ein wenig einem alten Weibe glich, aber von guter Familie war und wertvolle Verbindungen hatte, wodurch es sich auch erklärt, daß er so viele Jahren in seinem Amte bei uns verblieb, obwohl er sich stets mit Händen und Füßen gegen jede Arbeit sträubte. Seiner Leutseligkeit und Gastfreundlichkeit wegen hätte er ein Adelsmarschall in der Vergangenheit sein sollen und nicht ein Gouverneur in einer so unruhvollen Zeit, wie es die unsere war. In der Stadt hieß es beständig, das Gouvernement werde nicht von ihm verwaltet, sondern von Warwara Petrowna. Natürlich war diese Bemerkung recht geistreich und bissig, beruhte indessen auf vollständiger Unwahrheit. Trotzdem verwandte man bei uns sehr viel Witz auf derartige Aussprüche. Warwara Petrowna hatte sich ganz im Gegenteil in den letzten Jahren besonders stark und bewußt von jeder öffentlichen Tätigkeit fernhalten, trotz der außerordentlichen Hochachtung, die ihr die ganze Gesellschaft entgegenbrachte. Sie beschränkte sich freiwillig auf einen Arbeitskreis in strengen, von ihr selbst gesteckten Grenzen. Statt sich um Verwaltungsangelegenheiten und dergleichen mehr zu kümmern, begann sie plötzlich, sich mit der Wirtschaft auf ihren Gütern zu beschäftigen, und es gelang ihr in zwei oder drei Jahren deren Ertragsfähigkeit fast auf die frühere Höhe zu bringen. Statt der einstigen poetischen Anwandlungen, wie es die Reise nach Petersburg, die beabsichtigte Herausgabe einer Zeitschrift und dergleichen mehr gewesen waren, fing sie nun an zu sparen und zu geizen. Sogar Stepan Trofimowitsch entfernte sie von sich, indem sie ihm die Erlaubnis gab, sich in einem anderen Hause eine Wohnung zu mieten, was er übrigens schon längst und unter den verschiedensten Vorwänden erbeten hatte. Nach und nach fing Stepan Trofimowitsch an, sie eine prosaische Frau oder im Scherz seine »prosaische Freundin« zu nennen. Natürlich erlaubte er sich derartige Scherze nur in der respektvollsten Form und erst, wenn es ihm nach langem Warten gelang, einen geeigneten Augenblick zu finden.

Wir alle, die wir ihr nahe standen, begriffen, daß ihr Sohn für sie jetzt den Grund einer neuen Hoffnung und sogar irgendeines neuen Zukunftstraums bildete. Am deutlichsten fühlte das natürlich Stepan Trofimowitsch heraus. Ihre leidenschaftliche Liebe zu ihrem Sohne entbrannte schon in der Zeit seiner Erfolge in der Petersburger Gesellschaft und hatte sich besonders in jenem Augenblick gesteigert, als sie die Nachricht von seiner Degradation zum Gemeinen erhielt. Gleichzeitig aber fürchtete sie sich offenbar vor ihm, und es hatte den Anschein, als benähme sie sich ihm gegenüber wie eine Sklavin. Man konnte merken, daß sie in ständiger Angst war vor etwas Unbestimmtem und Geheimnisvollem, was sie selbst nicht hätte näher bezeichnen können, und oft sah sie heimlich und unverwandt ihren Nicolas an, schien dabei etwas zu betrachten und zu überlegen ... und da – plötzlich zeigte die Bestie ihre Krallen.

2

Unser Prinz erlaubte sich auf einmal, mir nichts dir nichts, zwei, drei unglaubliche Dreistigkeiten gegen verschiedene Personen. Der springende Punkt war dabei eben, daß seine Ausfälle ganz unerhört waren, sich mit nichts Dagewesenem vergleichen ließen, den üblichen Dreistigkeiten ganz unähnlich waren und vollkommen nichtswürdig und bubenhaft zu sein schienen. Dazu kam noch, daß er sie eigentlich ganz ohne jeden Anlaß begangen hatte, wie wenn ihn der Teufel geritten hätte. Einer der geachtetsten Vorsteher unseres Klubs, Piotr Pawlowitsch Gaganow, ein bejahrter und sogar verdienstvoller Mensch, hatte die harmlose Gewohnheit, nach jedem Satz auszurufen: »Nein, mich kann keiner an der Nase herumführen!« Nun ja, es störte ja weiter keinen! Da geschah es einmal, daß er im Klub aus Anlaß einer recht hitzigen Debatte wieder diesen seinen Aphorismus vor einem ihn umringenden Häufchen von Klubgästen zum besten gab. Die um ihn Stehenden waren alles Männer von Rang und Bedeutung. Nikolaj Wsewolodowitsch stand etwas abseits allein, und an ihn hatte sich überhaupt niemand gewendet. Trotzdem aber näherte er sich plötzlich Piotr Pawlowitsch, faßte ihn unerwartet, aber ziemlich stark mit zwei Fingern an der Nase und zog ihn einige Schritt weit im Saal hinter sich her. Irgendeinen Groll gegen den Herrn Gaganow konnte er bestimmt nicht gehabt haben. Man hätte den Vorfall für einen reinen Bubenstreich halten können, allerdings für einen unverzeihlichen; aber Stawrogin war, wie später erzählt wurde, im Augenblick seiner Untat fast nachdenklich, »wie wenn er von Sinnen gewesen wäre«. Doch daran hatte man sich erst lange nach dem Vorfall erinnert. In der ersten Erregung besannen sich alle nur an den zweiten Augenblick, wo er sicherlich schon alles vollkommen klar begriff, aber statt verlegen zu werden, im Gegenteil sogar boshaft, ja beinah heiter lächelte, und zwar »ohne die geringste Reue«. Es erhob sich ein unbeschreiblicher Lärm; man umringte ihn. Nikolaj Wsewolodowitsch drehte sich nach allen Seiten um, sah alle an, antwortete keinem Menschen und betrachtete neugierig die Gesichter der Zuruf er. Schließlich wurde er wieder so etwas wie nachdenklich – so erzählte man sich wenigstens – machte ein finsteres Gesicht, trat festen Schrittes auf den beleidigten Piotr Pawlowitsch zu und murmelte hastig und mit offenbarem Verdruß:

»Sie entschuldigen natürlich ... Ich weiß wirklich nicht, wie mich auf einmal die Lust dazu überkam ... Es war eine Dummheit ...«

Die Nachlässigkeit seiner Entschuldigung machte sie zu einer neuen Beleidigung. Das Geschrei um ihn wurde noch ärger. Nikolaj Wsewolodowitsch zuckte die Achseln und ging hinaus.

Das war alles sehr dumm. Von der Garstigkeit und Unanständigkeit des Vorfalls will ich schon gar nicht reden, von dieser Unanständigkeit, die auf den ersten Blick wohl überlegt zu sein schien und deshalb als eine beabsichtigte und im höchsten Grade freche Beleidigung unserer ganzen Gesellschaft aufgefaßt wurde. Die Folge war zunächst, daß man unverzüglich und einmütig den Herrn Stawrogin aus dem Klub ausschloß; gleichzeitig entschied man sich dafür, sich im Namen des ganzen Klubs an den Gouverneur zu wenden und ihn zu bitten, er möge sofort, ohne ein formelles Gerichtsverfahren abzuwarten, den schädlichen Händelsucher, diesen »großstädtischen Raufbold mittels der ihm anvertrauten Administrativgewalt« zähmen und »dadurch die Ruhe aller anständigen Menschen in unserer Stadt gegen dreiste Angriffe schützen«. Und mit recht boshafter Unschuld wurde noch hinzugefügt, daß »sich auch gegen den Herrn Stawrogin möglicherweise irgendein Gesetz finden lassen könnte.« Diesen letzten Satz hatte man eigens für den Gouverneur ausgesucht, um ihm seiner Beziehungen zu Warwara Petrowna wegen einen Stich zu versetzen. Lang und breit und mit höchstem Wohlbehagen wurde darüber in der Stadt gesprochen. Der Zufall wollte es, daß der Gouverneur damals gerade nicht anwesend war; er hatte eine kleine Reise angetreten, um der Taufe des Kindes einer netten, kürzlich Witwe gewordenen Dame beizuwohnen, die ihr Mann in anderen Umständen zurückgelassen hatte; man wußte jedoch, daß Iwan Osipowitsch bald zurückkehren werde. Inzwischen aber bereitete man dem allgemein geachteten und so schwer gekränkten Piotr Pawlowitsch eine regelrechte Ovation: man umarmte und küßte ihn; die ganze Stadt hielt sich für verpflichtet, bei ihm Visite zu machen. Man plante sogar ihm zu Ehren ein Diner auf Subskription zu veranstalten und ließ nur auf Grund seiner dringenden Bitten dieses Vorhaben fallen. Vielleicht hat man sich zu guter Letzt auch noch gesagt, daß man ihn schließlich doch an der Nase herumgeführt habe, und daß somit kein besonderer Anlaß vorliege, derlei Feierlichkeiten zu veranstalten.

Wie aber, wie war das nur geschehen? Wie hatte das überhaupt nur geschehen können? Bemerkenswert war namentlich der Umstand, daß bei uns in der Stadt kein einziger Mensch diesen ungereimten Ausfall Stawrogins auf Wahnsinn zurückführte. Also war man anscheinend der Ansicht, daß Nikolaj Wsewolodowitsch auch bei klarem Verstande durchaus zu derartig unvernünftigen Handlungen fähig war. Ich persönlich weiß bis auf den heutigen Tag noch nicht, wie ich die Sache deuten soll, trotz eines andern Vorfalls, der diesem ersten bald folgte, und der alles zu erklären und alle versöhnlicher zu stimmen schien. Ich will noch hinzufügen, daß vier Jahre später Nikolaj Wsewolodowitsch auf meine vorsichtig gestellte Frage, die sich auf jene Begebenheit im Klub bezog, mir mit finsterer Miene erwiderte: »Ja, ich war damals nicht ganz gesund.« Aber ich möchte nicht der Erzählung vorgreifen.

Interessant war für mich auch der Ausbruch des allgemeinen Hasses, mit dem in unserer Stadt damals alle über den »Grobian und großstädtischen Raufbold« herfielen. In seiner Tat wollte man durchaus einen frechen Vorsatz sehen und die wohlüberlegte Absicht, unsere ganze Gesellschaft mit einem Male zu beleidigen. Der Mann hatte sich wirklich gar keine Freunde geschaffen und im Gegenteil sogar alle gegen sich aufgebracht. Wodurch aber eigentlich? Bis zu jenem Vorfall im Klub hatte er nie mit jemand Streit gehabt, keinen Menschen gekränkt und war stets so höflich, wie ein Kavalier auf einem Modebilde gewesen wäre, wenn dieser nur hätte sprechen können. Ich nehme an, daß man ihn seines Stolzes wegen haßte. Selbst unsere Damen, die ihn anfangs vergötterten, erhoben jetzt ein noch schlimmeres Jammergeschrei als die Männer.

Warwara Petrowna war furchtbar überrascht. Sie gestand später Stepan Trofimowitsch, daß sie das alles längst geahnt und während dieses halben Jahres jeden Tag erwartet habe, und zwar gerade etwas »in dieser Art«. Ein solches Geständnis seiner eigenen Mutter war allerdings etwas merkwürdig. – »Nun hat es begonnen!« sagte sie, zusammenfahrend. Am nächsten Morgen nach dem verhängnisvollen Abend im Klub schickte sie sich vorsichtig, aber entschlossen zu einer Aussprache mit ihrem Sohne an; aber trotz ihrer Festigkeit zitterte sie förmlich am ganzen Leibe. Sie hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan und war sogar am frühen Morgen zu Stepan Trofimowitsch gegangen, um mit ihm die Angelegenheit zu beraten. Dabei hatte sie sogar geweint, was bisher in Gegenwart anderer noch nie geschehen war. Sie wünschte, daß Nicolas ihr wenigstens etwas sage, daß er sie einer Erklärung würdige. Nicolas, der sich sonst gegen seine Mutter immer außerordentlich höflich und respektvoll benahm, hörte ihr eine Weile zu, zwar mit einem finsteren Gesicht, aber sehr ernst; dann stand er jedoch plötzlich auf, erwiderte kein Wort, küßte ihr die Hand und ging hinaus. Und noch am Abend desselben Tages, wie wenn es das Schicksal absichtlich so eingerichtet hätte, erfolgte noch eine andere Skandalgeschichte, die zwar erheblich zahmer und gewöhnlicher war als die erste, nichtsdestoweniger aber, infolge der allgemeinen Stimmung, das Jammern und das Gerede in der Stadt erheblich steigerte.

Diesmal war der Leidtragende unser Freund Liputin. Er kam zu Nikolaj Wsewolodowitsch gerade kurz nach dessen »Aussprache« mit der Mutter und bat ihn inständig, ihm die Ehre zu erweisen und ihn an diesem selben Tage, abends, zu besuchen. Es sollte da nämlich der Geburtstag von Liputins Frau gefeiert werden. Warwara Petrowna hatte schon längst mit innerer Unruhe die Beobachtung gemacht, daß ihr Sohn Bekanntschaften in immer tieferen und tieferen Kreisen der Stadtbevölkerung suchte, wagte aber nicht, ihm etwas darüber zu sagen. Er verkehrte ohnehin bereits in dieser dritten Gesellschaftsschicht, und sogar noch tiefer, denn er hatte eben eine Neigung dazu. Bei Liputin war er bisher noch nie im Hause gewesen, obwohl er mit ihm sonst andernorts zusammen kam. Er erriet, daß Liputin ihn jetzt infolge des gestrigen Skandals im Klub einlud, und daß er als einsässiger Liberaler von dem Vorkommnis begeistert sei und aufrichtig glaube, daß man mit allen Klubvorstehern in dieser Weise umgehen müsse, und daß es sehr gut so sei. Nicolaj Wsewolodowitsch konnte sich des Lachens nicht enthalten und versprach zu kommen.

Es hatte sich eine Menge von Gästen eingefunden, lauter unscheinbare, aber geistig rege Menschen. Der selbstsüchtige und neidische Liputin lud nur zweimal im Jahre Bekannte ein, ließ sich aber dann bei diesen Gelegenheiten auch nicht lumpen. Der geachtetste Gast, Stepan Trofimowitsch, war krankheitshalber nicht gekommen. Es wurde Tee gereicht, auch hatte der Hausherr für einen reichlichen kalten Imbiß und für Getränke gesorgt. An drei Tischen spielte man Karten; die Jugend aber begann in Erwartung des Abendbrotes nach dem Klavier zu tanzen. Nikolaj Wsewolodowitsch nahm sich der Frau Liputina an, einer außerordentlich niedlichen Dame, die in seiner Gegenwart furchtbar schüchtern wurde; er tanzte mit ihr einige Touren, setzte sich dann neben sie, unterhielt sie und brachte sie zum Lachen. Als er aber schließlich bemerkte, wie sehr hübsch sie war, wenn sie lachte, faßte er sie plötzlich vor den Augen aller Gäste um die Taille und küßte sie dreimal nacheinander auf den Mund, und zwar nach Herzenslust. Die erschrockene Frau fiel in Ohnmacht. Nikolaj Wsewolodowitsch nahm seinen Hut, näherte sich dem Ehemann, der in der allgemeinen Erregung wie betäubt dastand, wurde, als er ihn anblickte, selbst verlegen, murmelte ihm schnell zu: »Seien Sie mir nicht böse«, und ging hinaus. Liputin lief ihm ins Vorzimmer nach, reichte ihm eigenhändig den Pelz und begleitete ihn unter Verbeugungen die Treppe hinunter. Aber schon am nächsten Morgen erhielt diese eigentlich verhältnismäßig harmlose Geschichte ein ziemlich amüsantes Nachspiel – ein Nachspiel, das seitdem Herrn Liputin in den Augen seiner Mitmenschen gewissermaßen aufsteigen ließ, was er dann zu seinem Vorteil voll auszunutzen verstanden hat.

Etwa um zehn Uhr morgens erschien im Hause der Frau Stawrogina die Aufwartefrau Liputins, Agafja, ein gewandtes, flinkes, rotbäckiges Frauchen von ungefähr dreißig Jahren. Sie war von ihrem Brotherrn mit einem Auftrag zu Nikolaj Wsewolodowitsch geschickt worden und wollte unbedingt »den jungen Herrn persönlich sprechen«. Er hatte heftige Kopfschmerzen, kam aber dennoch heraus. Warwara Petrowna gelang es, bei der Ausrichtung der Bestellung zugegen zu sein.

»Sergej Wasiljewitsch«, begann Agafja, die Liputin meinte, flink zu plappern, »läßt Sie vor allen Dingen bestens grüßen und sich nach Ihrer Gesundheit erkundigen: wie Sie nach dem gestrigen Abend geschlafen haben, und wie Sie sich jetzt nach dem Vorfall fühlen?«

Nikolaj Wsewolodowitsch schmunzelte unwillkürlich.

»Grüße deinen Herrn wieder, Agafja, und bestelle ihm, daß ich bestens danken lasse; sage ihm außerdem von mir, daß er der klügste Mensch in der ganzen Stadt sei.«

»Darauf ist mir befohlen, Ihnen zu erwidern,« fiel ihm Agafja noch flinker ins Wort, »daß der Herr das auch ohne Sie wisse und Ihnen dasselbe wünsche.«

»So? Wie konnte er aber ahnen, was ich dir sagen würde?«

»Ich weiß nicht, wie er das in Erfahrung gebracht hat. Jedenfalls aber, als ich hinausgegangen und schon die ganze Gasse hinuntergegangen war, hörte ich mit einem Male, wie er mir nachgelaufen kam; er war barhaupt. ›Du,‹ sagte er, ›Agafjuschka, wenn Herr Stawrogin dir etwa sagen sollte: Bestelle deinem Herrn, daß er der klügste Mann in der Stadt ist, dann sage ihm nur sogleich: Das wissen wir selbst sehr gut und wünschen Ihnen dasselbe‹ ...«

3

Endlich fand auch die Aussprache mit dem Gouverneur statt. Unser lieber, milder Iwan Osipowitsch war kaum zurückgekehrt, als er schon von der flammenden Beschwerde der Klubmitglieder Kenntnis erhielt. Es war ihm klar, daß unbedingt etwas geschehen mußte; aber er war in Verlegenheit. Es schien, als fürchte sich unser gastfreundlicher alter Herr auch ein wenig vor seinem jungen Verwandten. Trotzdem beschloß er ihm zuzureden, er möchte den Klub und den Beleidigten um Entschuldigung bitten, aber in einer befriedigenden Form, und wenn nötig auch schriftlich; außerdem wollte er ihn in freundlicher Weise dazu bewegen, unsere Stadt zu verlassen und zum Beispiel nach dem interessanten Italien oder sonst irgendwohin ins Ausland zu reisen.

Gewöhnlich wanderte Nikolaj Wsewolodowitsch mit dem Rechte eines Verwandten ungehindert im ganzen Hause umher, diesmal aber wurde er von dem Gouverneur im Saale empfangen. In einer Ecke dieses großen Raumes war Alioscha Teliatnikow, ein wohlerzogener Beamter, der zugleich zu den Hausgenossen des Gouverneurs gehörte, mit dem Öffnen von Briefen beschäftigt; im anstoßenden Zimmer aber saß an dem der Saaltür zunächst liegenden Fenster ein von auswärts kommender dicker und gesund aussehender Oberst, ein Freund und früherer Regimentskamerad Iwan Osipowitschs, und las den »Golos«, natürlich ohne dem, was im Saal vorging, auch nur die geringste Beachtung zu schenken; er hatte ihm sogar den Rücken zugewendet. Iwan Osipowitsch begann von weitem her, sprach fast im Flüsterton und verwirrte sich trotzdem ein wenig. Nicolas sah sehr unfreundlich aus, gar nicht wie ein Verwandter, war sehr blaß, saß da mit gesenkten Augen und hörte mit zusammengezogenen Brauen zu, wie wenn er gegen einen heftigen Schmerz anzukämpfen hätte.

»Sie haben ein gutes Herz, Nicolas, ein edles Herz,« sagte unter anderem der alte Herr, »Sie sind ein hochgebildeter Mensch, haben in der höchsten Gesellschaft verkehrt und sich bisher auch hier ganz mustergültig aufgeführt, was zur Beruhigung des Herzens Ihrer uns allen hier teuern Mutter wesentlich beitrug ... Und nun erscheint alles plötzlich wieder in einer so rätselhaften und für alle gefährlichen Färbung! Ich sage das als Freund Ihres Hauses, als älterer Mann, der Sie aufrichtig liebt und mit Ihnen verwandt ist, dem Sie es nicht verübeln dürfen ... Sagen Sie mir, was veranlaßt Sie zu derartigen ungezügelten Handlungen, die so sehr allen bestehenden Formen und Maßen zuwiderlaufen? Was bedeuten solche Ausfälle, die den Anschein erwecken, daß Sie wie im Fieber handeln?«

Nicolas hörte ärgerlich und ungeduldig zu. Plötzlich aber blitzte in seinem Blicke etwas Listiges und Spöttisches auf.

»Es sei denn, Ihnen will ich schon sagen, was mich dazu veranlaßt«, antwortete er mürrisch, sah sich um und beugte sich dann zum Ohre Iwan Osipowitschs hin. Der wohlerzogene Alioscha Teliatnikow entfernte sich noch drei Schritte weiter zum Fenster, und der Oberst hüstelte hinter seinem »Golos«. Der arme Iwan Osipowitsch beeilte sich vertrauensvoll sein Ohr hinzuhalten; er war über alle Maßen neugierig. Und da geschah plötzlich etwas einerseits ganz Unerhörtes und andererseits wiederum nur zu Klares. Der alte Herr fühlte auf einmal, daß Nicolas, statt ihm irgendein interessantes Geheimnis zuzuflüstern, unvermutet den oberen Teil seines Ohres mit den Zähnen faßte und ziemlich fest zwischen ihnen zusammenklemmte. Der Gouverneur begann zu zittern und mußte nach Atem ringen.

»Nicolas, was sind das für Späße?« stöhnte er mechanisch, und seine Stimme klang ganz fremdartig.

Alioscha und der Oberst hatten noch nicht begriffen, was dort vor sich ging, konnten es auch nicht ordentlich sehen, und es schien ihnen bis zum Schluß, daß der Gouverneur und Nicolas miteinander flüsterten; indessen beunruhigte sie das verzweifelte Gesicht des alten Herrn. Sie sahen sich mit weit geöffneten Augen an und wußten nicht, ob sie, wie verabredet, zu Hilfe eilen oder noch warten sollten! Nicolas bemerkte das vielleicht und kniff das Ohr noch schmerzhafter zusammen.

»Nicolas, Nicolas!« stöhnte das arme Opfer wieder. »Nun ... Sie haben gescherzt und genug jetzt ...«

Noch einen Augenblick und der Arme wäre ohne Zweifel vor Angst gestorben; aber der Unmensch erbarmte sich seiner und ließ das Ohr los. Die Todesangst des Gouverneurs hatte eine volle Minute gedauert, und die Folge war, daß er daraufhin einen nervösen Anfall bekam. Aber eine halbe Stunde später wurde Nicolas verhaftet und vorläufig nach der Hauptwache abgeführt, wo man ihn in eine Einzelzelle sperrte und eine besondere Schildwache vor die Tür stellte. Das war natürlich sehr hart, aber unser milder alter Herr war dermaßen erzürnt, daß er sich sogar entschlossen hatte, selbst die Verantwortung vor Warwara Petrowna auf sich zu nehmen. Zur allgemeinen Verwunderung wurde dieser Dame, als sie in aller Eile und in größter Aufregung zum Gouverneur kam, um unverzüglich Aufklärung zu verlangen, schon am Portal der Eintritt verweigert; so mußte sie denn unverrichtetersache, ohne sogar aus dem Wagen ausgestiegen zu sein, wieder nach Hause fahren und wollte sich selbst nicht glauben, daß so etwas vorgekommen sein konnte.

Und schließlich klärte sich alles auf! Gegen zwei Uhr nachts fing der Verhaftete, der bis dahin erstaunlich ruhig gewesen war und sogar geschlafen hatte, plötzlich zu lärmen an; er schlug wütend mit den Fäusten gegen die Tür, riß mit unnatürlicher Kraft das eiserne Gitter von dem in der Tür angebrachten Fensterchen ab, zerschlug die Scheibe und zerschnitt sich dabei die Hände. Als der wachhabende Offizier in Begleitung von einigen Soldaten herbeigelaufen kam und die Zelle aufschließen ließ, um den Rasenden zu überwältigen und zu fesseln, stellte es sich heraus, daß dieser sich im stärksten Delirium befand; unverzüglich wurde er nach Hause, zu seiner Mutter gebracht. Nun war alles mit einem Schlag klar. Alle unsere drei Ärzte waren der Ansicht, daß der Kranke schon drei Tage vor diesem Anfall wie im Fieberwahn gehandelt haben konnte und meinten, daß er zwar das Bewußtsein und eine gewisse Schlauheit besessen, aber nicht mehr über seine gesunde Vernunft und über seinen Willen verfügt hatte, was übrigens auch durch die Tatsachen bestätigt wurde. Es ergab sich somit, daß Liputin früher als alle anderen hinter des Rätsels Lösung gekommen war. Iwan Osipowitsch, ein sehr zartfühlender und empfindsamer Mensch, wurde furchtbar verlegen; interessant war jedoch, daß auch er also Nikolaj Wsewolodowitsch jeder wahnsinnigen Handlung selbst bei klarem Verstände für fähig gehalten hatte. Auch im Klub begann man sich zu schämen und staunte darüber, daß man das Wichtigste an der Sache übersehen hatte und auf die einzig mögliche Erklärung all dieser Wunderlichkeiten nicht schon früher verfallen war. Es gab natürlich auch Zweifler, aber sie vermochten sich nicht lange zu behaupten.

Mehr als zwei Monate lang mußte Nicolas das Bett hüten. Aus Moskau wurde ein berühmter Arzt zum Konsilium herbeigerufen; die ganze Stadt machte bei Warwara Petrowna Besuche. Sie verzieh allen. Als Nicolas im Frühjahr bereits vollkommen wiederhergestellt war und ohne Widerrede den Vorschlag seiner Mutter, nach Italien zu reisen, angenommen hatte, da bat sie ihn, auch uns allen Abschiedsbesuche zu machen und dabei, wo es nötig tat, sich nach Möglichkeit zu entschuldigen. Nicolas erklärte sich auch dazu gern bereit. Im Klub wurde bekannt, daß er mit Piotr Pawlowitsch Gaganow eine sehr taktvolle Aussprache gehabt, und den gekränkten Herrn vollständig zufriedengestellt habe. Während der Zeit, in der Nicolas seine Besuche machte, war er sehr ernst und sogar etwas finster. Alle empfingen ihn scheinbar mit der größten Teilnahme, fühlten sich aber einigermaßen verlegen und freuten sich alle darüber, daß er nach Italien reiste. Iwan Osipowitsch brach sogar in Tränen aus, konnte sich aber aus irgendeinem Grunde nicht entschließen, ihn selbst im Augenblicke des Abschieds zu umarmen. Wahrhaftig, einige von uns verblieben in der Überzeugung, daß der Taugenichts sich einfach über uns alle lustig gemacht habe und die ganze Krankheit nur simuliert gewesen sei. Auch Liputin hatte er vor der Abreise besucht.

»Sagen Sie mal,« fragte er ihn, »wie konnten Sie das, was ich über Ihren Verstand sagen würde, im voraus erraten und Ihrer Agafja gleich eine Antwort darauf mitgeben?«

»Nun, das kam daher,« erwiderte Liputin lachend, »daß ich auch Sie immer für einen klugen Menschen hielt. Es war mir daher nicht schwer, Ihre Antwort im voraus zu erraten.«

»Immerhin ist es ein merkwürdiges Zusammentreffen. Aber, wie ist denn das: Sie haben mich also, als Sie Agafja zu mir schickten, für einen klugen Menschen und nicht für einen Wahnsinnigen gehalten?«

»Für einen außerordentlich klugen und vernünftigen Menschen; ich tat nur so, als glaubte ich daran, daß Sie nicht ganz bei klarem Verstand waren ... Und Sie haben ja selbst meine Gedanken damals sofort erraten und mir durch Agafja ein Patent über meine Klugheit zugeschickt.«

»Na, da irren Sie sich: ich war in der Tat ... ein wenig krank ...« murmelte Nikolaj Wsewolodowitsch und machte ein finsteres Gesicht. »Bah!« rief er dann, »glauben Sie denn wirklich, daß ich imstande bin, bei vollem Verstande über Menschen herzufallen? Was sollte ich denn dabei für einen Zweck verfolgt haben?«

Liputin schnitt ein Gesicht und konnte keine Antwort finden. Nicolas wurde etwas blaß; wenigstens hatte Liputin diesen Eindruck gehabt.

»Jedenfalls haben Sie eine sehr amüsante Gedankenrichtung«, fuhr Nicolas fort. »Und was die Agafja betrifft, so sehe ich natürlich sehr klar ein, daß Sie sie mir damals geschickt haben, um mich auszuschimpfen.«

»Hätte ich Sie etwa zum Duell fordern sollen?«

»Ach ja, richtig! Ich habe ja bereits gehört, daß Sie ein Gegner des Duells sind ...«

»Weshalb sollen wir unser Leben aus dem Französischen übersetzen!« rief Liputin wieder mit einer Grimasse.

»Sie halten es also mit der Nationalitätsidee?«

Liputins Gesicht verzog sich noch mehr.

»Bah, bah! Was sehe ich!« rief Nicolas, als er plötzlich an der sichtbarsten Stelle des Tisches einen Band von Considérant bemerkte. »Sie sind doch nicht etwa ein Anhänger von Fourier? Möglich ist es schon! Ist das etwa keine Übersetzung aus dem Französischen?« fragte er lachend und klopfte dabei mit dem Finger auf das Buch.

»Nein, das ist keine Übersetzung aus dem Französischen!« rief beinah ingrimmig Liputin und sprang dabei sogar auf. »Das soll eine Übersetzung aus der allmenschlichen Sprache werden, und nicht nur aus dem Französischen! Aus der Sprache der universellen, allmenschlichen sozialen Republik und Harmonie, jawohl, mein Herr! Und nicht nur aus dem Französischen! ...«

»Pfui Teufel! So eine Sprache gibt es ja gar nicht!« erwiderte Nicolas immer noch lachend.

Mitunter kann sogar eine Kleinigkeit unsere Aufmerksamkeit lange und ausschließlich in Anspruch nehmen. Von dem Herrn Stawrogin wird noch im weiteren Verlauf der Erzählung viel zu sagen sein; jetzt aber will ich der Kuriosität halber bemerken, daß von allen Eindrücken, die er während der ganzen Zeit seines Aufenthalts in unserer Stadt gehabt hat, am schärfsten und deutlichsten sich seinem Gedächtnis die unscheinbare, beinah gemeine Gestalt dieses geringen Gouvernementsbeamten eingeprägt hatte, der, ein eifersüchtiger Ehemann und Familiendespot, ein Geizhals und Wucherer, der Überreste vom Mittagessen und selbst die kleinsten Lichtstümpfchen einschloß, zu gleicher Zeit aber ein ganz rasender Anhänger irgendeiner nur Gott allein bekannten »zukünftigen Harmonie« war, sich nachts bis zum Rausch durch phantastische Bilder entzückte, in denen er sich die zukünftigen Gemeindehäuser im kommunistischen Sinne ausmalte, und an deren recht nahe Verwirklichung in Rußland und in unserem Gouvernement er so fest, wie an sein eigenes Dasein glaubte. Und das alles an einem Orte, wo er sich selbst das Geld zu einem »Häuschen« zusammengespart hatte, wo er sich zum zweitenmal verheiratet und dabei eine recht nette Mitgift bekommen hatte, und wo man vielleicht auf hundert Werst im Umkreise, selbst wenn man mit ihm beginnen würde keinen Menschen hätte finden können, der auch nur äußerlich einem zukünftigen Mitglied der »universellen allmenschlichen sozialen Republik und Harmonie« ähnlich gewesen wäre.

»Weiß Gott, wie Menschen dieser Art entstehen!« dachte Nicolas verblüfft, wenn er sich mitunter an diesen überraschenden Fourieristen erinnerte.

4

Über drei Jahre lang reiste unser Prinz in der Welt umher, so daß er hier in der Stadt fast gänzlich vergessen wurde. Uns Näherstehenden war es durch Stepan Trofimowitsch bekannt, daß er ganz Europa bereist hatte, sogar in Ägypten gewesen und auch in Jerusalem eingekehrt war; dann hatte er sich irgendwo einer wissenschaftlichen Expedition nach Island angeschlossen und war tatsächlich auch nach Island gefahren. Es hieß auch, er habe einen Winter über an irgendeiner deutschen Universität Vorlesungen gehört. Der Mutter schrieb er sehr wenig – etwa alle halbe Jahre einmal oder sogar noch seltener; aber Warwara Petrowna war ihm deshalb nicht böse und fühlte sich nicht gekränkt. Da sich ihre Beziehungen zum Sohn nun einmal derart gestaltet hatten, nahm sie diese ohne zu murren und demütig so hin, wie sie eben waren, sehnte sich aber nach ihrem Nicolas und träumte von ihm unablässig. Weder von diesen Träumereien noch von ihren Klagen machte sie irgendeinem Menschen Mitteilung. Selbst von Stepan Trofimowitsch zog sie sich allem Anschein nach etwas zurück. Sie baute sich im stillen gewisse Pläne zurecht, wurde, glaube ich, noch geiziger als vorher und begann, noch eifriger Geld zurückzulegen und sich über die Verluste Stepan Trofimowitschs im Kartenspiel noch mehr aufzuregen.

Endlich erhielt sie im April des laufenden Jahres einen Brief aus Paris, und zwar von der Generalin Praskowia Iwanowna Drosdowa, einer Jugendfreundin von ihr. Warwara Petrowna hatte sie schon bald acht Jahre lang nicht gesehen und während dieser ganzen Zeit nicht einen einzigen Brief mit ihr gewechselt. Nun teilte ihr Praskowia Iwanowna mit, daß Nikolaj Wsewolodowitsch bei ihnen ziemlich intim im Hause verkehre, mit ihrer einzigen Tochter Lisa Freundschaft geschlossen habe und beabsichtige, sie im Sommer nach der Schweiz, nach Vernex-Montreux zu begleiten, obwohl er in der Familie des Grafen K..., der über einen großen Einfluß in Petersburg verfüge und sich augenblicklich in Paris aufhalte, wie ein leiblicher Sohn aufgenommen sei, so daß er beinah ganz beim Grafen lebe. Der Brief war kurz und ließ seinen Zweck deutlich erkennen, obwohl er keine Schlußfolgerungen, sondern lediglich die oben angeführten Tatsachen enthielt. Warwara Petrowna überlegte nicht lange, entschloß sich im Nu, machte sich reisefertig, nahm ihren Zögling Dascha, die Schwester Schatows, mit, fuhr Mitte April nach Paris und dann von dort aus in die Schweiz. Im Juli kehrte sie allein zurück, während Dascha bei Drosdows geblieben war; die Drosdows selbst aber hatten, einer von ihr mitgebrachten Nachricht zufolge, versprochen, gegen Ende August zu uns zu kommen.

Die Drosdows waren ebenfalls eine Gutsbesitzerfamilie unseres Gouvernements; aber der Dienst des Generals Iwan Iwanowitschs, der mit Warwara Petrowna befreundet und ein Regimentskamerad ihres Mannes gewesen war, hatte ihn stets daran gehindert, jemals ihr prächtiges Gut aufzusuchen. Doch nach dem im vorigen Jahre erfolgten Tode des Generals begab sich die untröstliche Praskowia Iwanowna mit ihrer Tochter ins Ausland, unter anderem auch in der Absicht, dort eine Traubenkur durchzumachen, die sie in der zweiten Hälfte des Sommers in Vernex-Montreux vorzunehmen gedachte. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat aber hatte sie vor, sich für dauernd in unserem Gouvernement niederzulassen. In der Stadt besaß sie ein großes Haus, das schon viele Jahre leer stand und dessen Fenster mit Brettern verschlagen waren. Die Drosdows waren reich. Praskowia Iwanowna, die in ihrer ersten Ehe den Namen Tuschina getragen hatte, war genau so wie ihre Pensionatsfreundin Warwara Petrowna die Tochter eines Branntweinpächters aus der noch nicht zu weit zurückliegenden Vergangenheit und hatte ebenfalls bei ihrer Verheiratung eine große Mitgift erhalten. Der Stabsrittmeister außer Dienst Tuschin war auch selbst ein vermögender Mensch gewesen und hatte außerdem gewisse Fähigkeiten besessen. Als er im Sterben lag, vermachte er seinem einzigen, siebenjährigen Töchterchen Lisa ein ganz hübsches Vermögen. Jetzt, da Lisaweta Nikolajewna schon ungefähr zweiundzwanzig Jahre zählte, durfte man ihr eigenes Vermögen ruhig auf etwa zweihunderttausend Rubel schätzen, ungerechnet das Vermögen, das ihr später einmal als Erbschaft von ihrer Mutter zufallen mußte, da diese in ihrer zweiten Ehe keine Kinder gehabt hatte. Warwara Petrowna war allem Anschein nach mit dem Ergebnis ihrer Reise sehr zufrieden. Ihrer Meinung nach hatte sie mit Praskowia Iwanowna eine durchaus befriedigende Einigung erzielt und teilte gleich nach ihrer Ankunft alles Stepan Trofimowitsch mit; dabei war sie ihm gegenüber sogar ziemlich offenherzig, was schon seit langer Zeit bei ihr nicht mehr der Fall gewesen war.

»Hurra!« rief Stepan Trofimowitsch und schnippte mit den Fingern.

Er war geradezu begeistert, um so mehr, da er die ganze Zeit der Trennung von seiner Freundin in höchster Niedergeschlagenheit verbracht hatte. Bei ihrer Abreise ins Ausland hatte sie sich von ihm nicht einmal ordentlich verabschiedet und ihm, »diesem alten Weibe«, nichts von ihren Plänen mitgeteilt, vielleicht weil sie befürchtete, er könnte es weiter ausplaudern. Auch war sie ihm damals wegen eines plötzlich zutage gekommenen, beträchtlichen Verlustes im Kartenspiel böse. Aber schon in der Schweiz begann sie in ihrem Herzen zu fühlen, daß sie den verlassenen Freund bei ihrer Rückkehr irgendwie entschädigen müsse, um so mehr, als sie ihn schon seit längerer Zeit recht roh behandelt hatte. Die so hastig vor sich gegangene und durch geheimnisvolle Gründe verursachte Trennung versetzte Stepan Trofimowitschs auch ohnehin schüchternes Herz in Erstaunen. Und wie vom Schicksal beabsichtigt, drangen zu gleicher Zeit auch noch andere Sorgen auf ihn ein. Es quälte ihn eine ziemlich bedeutende und schon seit langem schwebende Schuldverpflichtung, die ohne Warwara Petrownas Beihilfe keineswegs abgetragen werden konnte. Außerdem hatte im Mai dieses Jahres endlich die Amtstätigkeit unseres guten, milden Iwan Osipowitsch als Gouverneur ein Ende genommen; er wurde durch einen anderen ersetzt und sogar mit Unannehmlichkeiten. Dann, ebenfalls in Warwara Petrownas Abwesenheit, war auch die Ankunft und der Amtsantritt unseres neuen Gouverneurs Andrej Antonowitsch von Lembke erfolgt; damit hatte sich sofort eine merkliche Veränderung in der Stellung vollzogen, die die ganze Gesellschaft unserer Stadt bisher Warwara Petrowna gegenüber eingenommen hatte, worauf natürlich auch die Beziehungen dieser Gesellschaft zu Stepan Trofimowitsch ebenfalls eine unverkennbare Änderung erfuhren. Jedenfalls hatte er bereits einige zwar unangenehme, aber dennoch wertvolle Beobachtungen gemacht und war, wie es schien, allein, ohne Warwara Petrowna, sehr ängstlich geworden. Unruhevoll trug er sich mit dem Verdacht, daß man ihn beim neuen Gouverneur bereits als einen gefährlichen Menschen denunziert hatte. Aus sicherer Quelle erfuhr er, daß einige unserer Damen ihre Besuche bei Warwara Petrowna einzustellen beabsichtigten. Von der Gattin des Gouverneurs, die man erst zum Herbst erwartete, wurde allgemein gesagt, daß sie zwar dem Benehmen nach sehr stolz, dafür aber eine echte Aristokratin sei, etwas ganz anderes als »irgendein Pechvogel, wie unsere Warwara Petrowna«. Alle hatten irgendwie ziemlich glaubwürdig und mit Einzelheiten erfahren, daß unsere neue Gouverneurin und Warwara Petrowna bereits früher einmal in der Gesellschaft einander begegnet, aber in Feindschaft voneinander gegangen waren, so daß schon die bloße Erwähnung des Namens der Frau von Lembke auf Warwara Petrowna einen peinlichen Eindruck machte. Aber Warwara Petrownas mutiges und siegesbewußtes Auftreten und der geringschätzige, verächtliche Gleichmut, mit dem sie die Mitteilung über die Meinung unserer Stadtdamen und über die Aufregung der Gesellschaft entgegengenommen hatte, ließen die gesunkenen Lebensgeister Stepan Trofimowitschs wieder zum neuen Leben erwachen und machten ihn im Nu heiter und fröhlich. Mit einem ganz besonderen, frohen und schmeichlerischen Humor begann er ihr die Ankunft des neuen Gouverneurs zu schildern.

»Es ist Ihnen, excellente amie, ohne Zweifel bekannt,« sagte er, sich zierend und seine Worte in einer stutzerhaften Manier in die Länge ziehend, »was ein russischer Verwaltungsbeamter im allgemeinen zu bedeuten hat und insbesondere ein neuer, das heißt frischgebackener, erst vor kurzem ernannter Verwaltungsbeamter ... Ces interminables mots russes! ... Aber Sie haben wohl kaum bisher aus eigenen Beobachtungen erfahren können, was eigentlich eine Beamtenekstase zu bedeuten hat, und wie die sich äußert.«

»Beamtenekstase? Nein, ich weiß nicht, was es ist.«

»Das heißt ... Vous avez chez nous ... En un mot, stellen Sie irgendeinen ganz geringen Menschen als Verkäufer von Eisenbahnfahrkarten an, und dieser ganz elende und wertlose Kerl wird sich sofort für berechtigt halten, auf Sie wie ein Jupiter herabzusehen, wenn Sie eine Karte lösen wollen, pour vous montrer son pouvoir. ›Warte du,‹ denkt er sich wohl, ›jetzt will ich dir mal meine Macht zeigen!‹ ... Und das steigert sich bei dieser Art Menschen eben bis zu einer Beamtenekstase ... En un mot, da habe ich neulich gelesen, daß irgendein Küster einer unserer Kirchen im Ausland – mais c'est très curieux – eine vornehme englische Familie, les dames charmantes, kurz vor dem Beginn des Fastengottesdienstes, – vous savez ces chants et le livre de Job ... aus dem Gotteshaus hinausgejagt, buchstäblich hinausgejagt hat, und zwar einzig und allein mit der Begründung, daß es nicht anginge, daß sich Fremde in den russischen Kirchen zur Besichtigung umhertrieben, sie könnten zu der dafür angesetzten Zeit kommen ... Er hat die Damen so weit gebracht, daß sie fast in Ohnmacht fielen ... Nun, dieser Küster hatte eben einen Anfall von Beamtenekstase, et il a montré son pouvoir ...«

»Fassen Sie sich kürzer, wenn es Ihnen möglich ist, Stepan Trofimowitsch.«

»Herr von Lembke hat jetzt eine Besichtigungsreise im Gouvernement angetreten. En un mot, dieser Andrej Antonowitsch ist zwar ein orthodoxer Deutschrusse und sogar, was ich bereit bin zuzugeben, ein auffallend hübscher vierzigjähriger Mann ...«

»Wie kommen Sie darauf, daß er ein hübscher Mann ist? Er hat Augen wie ein Hammel.«

»Stimmt im höchsten Grade. Aber ich wollte nur der Ansicht unserer Damen nicht widersprechen ...«

»Bitte, gehen wir zu einem anderen Gesprächsstoff über, Stepan Trofimowitsch. Übrigens tragen Sie jetzt, wie ich sehe, eine rote Halsbinde. Seit wann tun Sie denn das?«

»Das habe ich ... erst heute ...«

»Und wie steht es mit den Bewegungen im Freien? Gehen Sie täglich Ihre sechs Werst spazieren, wie es Ihnen der Arzt verordnet hat?«

»Nicht ... nicht immer.«

»Das habe ich mir schon gedacht! Das habe ich bereits geahnt, als ich noch in der Schweiz war!« rief sie ärgerlich. »Jetzt werden Sie nicht sechs, sondern zehn Werst täglich gehen! Sie sind furchtbar heruntergekommen, furchtbar, ganz ent–setz–lich! Sie sind nicht nur alt geworden, sondern auch gebrechlich und hinfällig ... Ich war verblüfft, als ich Sie vorhin sah, trotz Ihrer roten Halsbinde ... quelle idée rouge! Fahren Sie mit Ihrer Erzählung über den Herrn von Lembke fort, wenn Sie wirklich etwas über ihn mitzuteilen haben, und machen Sie bitte bald ein Ende; ich bin müde.«

»En un mot, ich wollte nur sagen, daß er einer jener Verwaltungsbeamten ist, die erst mit vierzig Jahren eine derartige Tätigkeit beginnen, bis dahin aber ganz ungeachtet vegetieren und dann auf einmal durch eine plötzliche Heirat oder durch irgendein anderes, nicht minder verzweifeltes Mittel Karriere machen ... Das heißt, er ist jetzt verreist ... Das heißt, ich wollte sagen, daß man ihm sofort beide Ohren vollgetutet und mich als den Verderber der Jugend und den Verbreiter des Atheismus im Gouvernement verschrien hat ... Er hat dann auch sofort Erkundigungen eingezogen.«

»Ist das auch wahr?«

»Ich habe sogar meine Maßnahmen ergriffen. Als man ihm über Sie ›gemeldet‹ hat, daß Sie ›das Gouvernement verwaltet haben‹, vous savez – da erlaubte er sich die Bemerkung, daß ›etwas Derartiges nicht mehr vorkommen würde‹. Jawohl.«

»Hat er das gesagt?«

»Ja, das waren seine Worte. ›Es wird nichts Derartiges mehr vorkommen.‹ Und avec cette morgue ... seine Gemahlin Julia Michajlowna werden wir erst Ende August zu sehen bekommen; sie kommt direkt aus Petersburg.«

»Aus dem Auslande. Ich bin ihr dort begegnet.«

»Vraiment?«

»In Paris und in der Schweiz. Sie ist mit den Drosdows verwandt.«

»So! Was für ein merkwürdiges Zusammentreffen! Man sagt, sie sei sehr ehrgeizig und habe sehr einflußreiche Verbindungen ...«

»Unsinn! Ihre Beziehungen zu den führenden Kreisen sind ganz unbedeutend! Bis zum Alter von fünfundvierzig Jahren war sie eine alte Jungfer und hatte keinen Groschen Geld; nun, da es ihr gelungen ist, sich diesen Herrn von Lembke zu angeln, richtet sich natürlich ihr ganzes Tun und Trachten darauf, ihm zu einer Karriere zu verhelfen. Sie sind beide Schleicher und Ränkespinner.«

»Es heißt auch, sie sei zwei Jahre älter als er?«

»Fünf Jahre älter. Ihre Mutter hatte sich, als ich noch in Moskau war, gewaltig um mein Wohlwollen bemüht; sie betrachtete es als eine Gunst, daß ich sie zu Lebzeiten Wsewolod Nikolajewitschs zu den von uns gegebenen Bällen einlud. Ihre Tochter aber saß bisweilen die ganze Nacht verlassen in der Ecke, mit ihrem türkisfarbenen Schönheitspflaster, so daß ich ihr mitunter aus Mitleid in der dritten Nachtstunde den ersten besten Kavalier zum Tanzen hinschickte. Sie war damals schon zwanzig Jahre alt, wurde aber immer noch wie ein kleines Mädchen im kurzen Röckchen ausgeführt. Schließlich mußte man sich einfach schämen, sie zu empfangen.«

»Es ist mir, als ob ich dieses Schönheitspflaster vor mir sähe!«

»Ich kann Ihnen nur sagen, daß ich gleich bei meiner Ankunft sofort auf Ränke stieß. Sie haben doch eben Frau Drosdowas Brief gelesen; was könnte wohl klarer und deutlicher sein? Was aber fand ich vor? Diese Närrin Drosdowa, die immer nur eine Närrin gewesen ist, sieht mich plötzlich ganz verdutzt an und wundert sich, warum ich eigentlich gekommen sei! Sie können sich leicht denken, wie verblüfft ich war! Bald kam ich dahinter, daß diese Lembke um sie herumschwänzelte und mit ihr dieser Vetter, dieser Neffe des alten Drosdow! Nun wurde mir alles klar! Natürlich habe ich sofort alles wieder eingerenkt, und Praskowia ist wieder auf meiner Seite; aber bedenken Sie doch, wie man intrigiert hat, welche Ränke da geschmiedet wurden!«

»Sie haben aber einen glänzenden Sieg davongetragen. Oh, Sie sind ein Bismarck!«

»Auch ohne ein Bismarck zu sein bin ich imstande, Falschheit und Dummheit zu erkennen, wo ich ihnen begegne. Die Lembke ist die verkörperte Falschheit, die Praskowia aber – Fleisch gewordene Dummheit. Selten habe ich eine Frau gesehen, die so wie diese in jeder Beziehung aus dem Leim gegangen wäre, und dazu hat sie noch geschwollene Füße, und obendrein ist sie noch gutmütig! Was kann dümmer sein als gutmütige Dummheit?«

»Ein boshafter Narr, ma bonne amie, ein boshafter Narr ist noch dümmer«, opponierte Stepan Trofimowitsch in vornehmer Weise.

»Sie mögen vielleicht recht haben. Sie besinnen sich doch wohl noch auf Lisa?«

»Charmante enfant!«

»Na, jetzt ist sie kein enfant mehr, sondern ein Weib, eine Frau mit Charakter. Sie ist vornehm in ihrer Denkweise, temperamentvoll, und es gefällt mir an ihr, daß sie sich von ihrer Mutter, dieser vertrauensvollen Närrin, nicht alles gefallen läßt. Es ist da dieses Vetters wegen beinah zu einem Skandal gekommen.«

»Bah, er ist doch mit Lisaweta Nikolajewna eigentlich gar nicht verwandt! Tatsächlich ... Hat er etwa Absichten?«

»Nun, er ist ein junger Offizier, sehr schweigsam und sogar bescheiden. Ich lege viel Wert darauf, stets gerecht zu sein. Ich habe den Eindruck, daß er selbst keine Wünsche nach dieser Richtung hin hegt und mit der ganzen Ränkeschmiederei nichts zu tun hat. Die treibende Kraft war wohl allein die Lembke. Er empfand meinem Nicolas gegenüber große Achtung. Sie begreifen doch, daß schließlich die ganze Sache von Lisa abhängt. Aber als ich abfuhr, waren ihre Beziehungen zu Nicolas die denkbar besten, und er selbst hat mir versprochen, unbedingt im November zu uns zu kommen. Also intrigiert da einzig und allein die Lembke, und Praskowia ist einfach blind. Da sagte sie mir einmal plötzlich, mein ganzer Verdacht wäre nur eine Einbildung; ich aber erwiderte ihr gerade ins Gesicht, daß sie eine Närrin sei. Das bin ich bereit sogar beim Jüngsten Gericht zu beteuern. Und wenn mich Nicolas nicht darum gebeten hätte, die Entlarvung des falschen Weibes vorläufig zu unterlassen, so wäre ich von da nicht weggefahren, ohne sie bloßgestellt zu haben. Sie suchte sich durch die Vermittlung Nicolas auch beim Grafen K... einzuschmeicheln und hat Mutter und Sohn veruneinigen wollen. Aber Lisa ist auf unserer Seite, und mit Praskowia bin ich auch einig geworden. Wissen Sie, daß Karmasinow mit ihr verwandt ist?«

»Wie? Der ist ein Verwandter der Frau von Lembke?«

»Nun ja, allerdings. Ein entfernter Verwandter.«

»Karmasinow, der Novellist?«

»Nun ja doch, der Schriftsteller, weshalb wundern Sie sich so darüber? Er selbst hält sich natürlich für eine Größe. Ein ganz aufgeblasener Kerl! Sie wird mit ihm zusammen hierherkommen; jetzt brüstet sie sich dort mit ihm. Sie beabsichtigt, hier etwas einzuführen, so eine Art von literarischen Abenden. Er wird einen Monat hier bleiben; er will hier sein letztes Gut verkaufen. Ich wäre mit ihm in der Schweiz beinah zusammengetroffen, was durchaus nicht meinen Wünschen entsprochen hätte. Im übrigen hoffe ich, daß er mir hier die Ehre erweisen wird, mich wieder zu erkennen. Früher einmal hatte er Briefe an mich geschrieben, in meinem Hause verkehrt. Es wäre mir lieb, wenn Sie sich besser kleiden würden, Stepan Trofimowitsch; Sie werden von Tag zu Tag unordentlicher ... Oh, wie Sie mich quälen! Was lesen Sie jetzt?«

»Ich ... ich ...«

»Ich verstehe schon. Bei Ihnen ist alles beim alten geblieben: nach wie vor haben Sie Ihre Freunde, Ihre Saufgelage, Ihren Klub, Ihre Karten und Ihren Ruf als Gottesleugner. Dieser Ruf paßt mir nicht, Stepan Trofimowitsch. Es gefällt mir nicht, daß man Sie einen Atheisten nennt; besonders jetzt wäre es mir lieb, wenn darin eine Wandlung einträte. Auch früher ärgerte es mich schon immer, weil das alles schließlich doch nichts weiter als ein unbegründetes Gerede ist. Das mußte ich Ihnen endlich einmal sagen.«

»Mais, ma chère ...«

»Hören Sie mich an, Stepan Trofimowitsch, in allen gelehrten Dingen bin ich natürlich Ihnen gegenüber so gut wie völlig ungebildet, aber während meiner Rückreise habe ich viel an Sie gedacht. Und da bin ich zu einer Überzeugung gekommen.«

»Zu was für einer denn?«

»Zu der, daß nicht wir allein, Sie und ich, meine ich, die klügsten Menschen auf Erden sind und daß es noch klügere gibt als wir beide.«

»Was Sie da sagen, ist ebenso geistreich wie treffend. Es gibt klügere Leute, also solche, die das Richtige besser erkennen als wir, und es ist daher durchaus möglich, daß wir uns im Irrtum befinden; nicht wahr? Mais ma bonne amie, selbst wenn ich annehme, daß ich mich irre, so müssen Sie doch zugeben, daß ich mein allgemein menschliches, immerwährendes, höchstes Recht des freien Gewissens immer noch besitze! Ich habe doch schließlich das Recht, kein Frömmler und kein Fanatiker zu sein, wenn es mir nicht paßt, und natürlich werden mich verschiedene Herren aus diesem Grunde bis an mein Ende hassen. Et puis, comme on trouve toujours plus de moines que de raison, und da ich durchaus dieser Meinung bin ...«

»Wie, wie war das? Was haben Sie gesagt?«

»Ich sagte: on trouve toujours plus de moines que de raison, und da ich völlig ...«

»Dieses Wort hat sicherlich ein anderer geprägt und nicht Sie. Bei wem haben Sie das entlehnt?«

»Das hat Pascal gesagt.«

»Das habe ich mir gleich gedacht ... daß es nicht von Ihnen herrührt! Warum sprechen Sie selbst nie in dieser Weise, so kurz und so treffend, sondern ziehen alles immer in die Länge? Das hier ist weit besser ausgedrückt als das, was Sie mir vorhin von der Beamtenekstase erzählten ...«

»Ma foi, chère ... Warum? Erstens wahrscheinlich, weil ich immerhin doch kein Pascal bin, et puis ... zweitens, weil wir Russen überhaupt nichts in unserer Sprache gut auszudrücken verstehen ... Wenigstens haben wir bisher noch nichts in dieser Art fertiggebracht ...«

»Hm! Das stimmt vielleicht gar nicht. Jedenfalls wäre es gut, wenn Sie sich eine Anzahl derartiger Worte und Aussprüche aufschreiben würden, für den Fall eines Gesprächs, wissen Sie ... Ach, Stepan Trofimowitsch, als ich herfuhr, hatte ich die Absicht, mit Ihnen ernst, sehr ernst zu reden.«

»Chère, chère amie!«

»Jetzt, wo all diese Lembkes, all diese Karmasinows ... O Gott, wie haben Sie sich gehen lassen, wie sind Sie heruntergekommen! Ach, wie Sie mich quälen! ... Ich hätte es so gern gesehen, wenn diese Leute Hochachtung vor Ihnen empfänden, denn sie alle sind nicht soviel wert wie Ihr Finger, wie Ihr kleiner Finger! Aber wie halten Sie sich? Was werden diese Leute zu sehen bekommen? Was kann ich ihnen vorweisen. Statt in edler Weise als Zeuge des Guten und der Ideale Ihrer Zeit dazustehen und schon durch Ihr bloßes Dasein als ein Muster zu wirken, umgeben Sie sich mit allerlei Gesindel, haben ganz unmögliche Gewohnheiten angenommen, sind gebrechlich und schwächlich geworden, können ohne Wein und ohne Karten nicht mehr auskommen, lesen nur noch Paul de Kock und schreiben überhaupt nichts, während die anderen ein Werk nach dem anderen entstehen lassen. Ihre ganze Zeit vergeht mit leerem Geschwätz. Sagen Sie selbst, wie kann man sich nur mit einer solchen Kreatur, wie dieser von Ihnen so unzertrennliche Liputin ist, anfreunden? Ist so etwas möglich, ist es überhaupt erlaubt?«

»Warum nennen Sie ihn denn ›meinen‹, und weshalb sagen Sie, daß er ›unzertrennlich‹ von mir ist?« versuchte Stepan Trofimowitsch schüchtern zu widersprechen.

»Wo ist er jetzt?« fuhr Warwara Petrowna in strengem, schroffem Ton fort.

»Er ... er verehrt Sie grenzenlos und ist jetzt nach S...k gefahren, um dort die Hinterlassenschaft seiner Mutter in Empfang zu nehmen.«

»Er scheint überhaupt nichts anderes zu tun, als in einem fort Geld einzunehmen. Und wie steht es mit Schatow? Ist er immer noch derselbe?«

»Irascible, mais bon.«

»Ich kann Ihren Schatow nicht leiden; er ist schlecht und sehr eingebildet!«

»Wie ist das Befinden Darja Pawlownas?«

»Sie meinen Dascha? Wie kommen Sie darauf?« fragte Warwara Petrowna und warf ihm einen forschenden Blick zu. »Sie ist gesund; ich habe sie bei Drosdows gelassen ... Ich habe in der Schweiz etwas über Ihren Sohn gehört, etwas Schlechtes und nichts Gutes.«

»Oh, c'est une histoire bien bête! Je vous attendais, ma bonne amie, pour vous raconter ...«

»Genug, Stepan Trofimowitsch, gönnen Sie mir jetzt Ruhe; ich bin am Ende meiner Kräfte; wir werden später noch Zeit genug finden, miteinander zu sprechen, besonders über das Schlechte. Übrigens fangen Sie jetzt an, wenn Sie lachen, Speichel aus dem Mund zu spritzen; das ist schon ein Zeichen vollkommener Hinfälligkeit! Und was für eine seltsame Art zu lachen Sie sich jetzt angewöhnt haben ... Mein Gott, was für eine Menge schlechter Gewohnheiten muß ich jetzt an Ihnen feststellen! Karmasinow wird Ihnen sicherlich keinen Besuch machen! Und hier freuen sich die Leute schon ohnehin über alles mögliche ... Sie haben sich jetzt in Ihrer wahren Gestalt gezeigt. Nun, genug, genug, ich bin müde! Man muß den Menschen auch schließlich schonen!«

Stepan Trofimowitsch »schonte den Menschen«, entfernte sich aber in größter Verwirrung.

5

Unser Freund hatte in der Tat besonders in der letzten Zeit nicht wenige schlechte Gewohnheiten angenommen. Er war sichtlich und schnell heruntergekommen, und es stimmte auch, daß er nachlässig und unordentlich geworden war. Er trank mehr, wurde weinerlicher und hatte schwächere Nerven; außerdem verlor er fast gänzlich seine Widerstandskraft gegen das Schöne und Elegante. Sein Gesicht hatte die sonderbare Fähigkeit erlangt, den Ausdruck auffallend schnell zu verändern und zum Beispiel von der feierlichsten Miene unmittelbar zu der lächerlichsten und sogar blödesten überzugehen. Das Alleinsein konnte er gar nicht mehr ertragen und wartete stets mit der größten Ungeduld darauf, daß man ihn zerstreuen würde. Man mußte ihm unbedingt irgendeine Klatschgeschichte erzählen, irgendein Vorkommnis in der Stadt schildern, und zwar jeden Tag etwas Neues. Geschah es aber, daß längere Zeit niemand zu ihm kam, dann trieb er sich traurig in den Zimmern umher, trat an das Fenster, kaute nachdenklich an den Lippen, seufzte tief und war schließlich dem Weinen nahe. Ständig hatte er allerlei Ahnungen und fürchtete immer etwas Unerwartetes und Unabwendbares; er wurde sehr ängstlich und begann auf seine Träume zu achten.

Diesen ganzen Tag sowie den Abend verbrachte er in einer sehr trüben Stimmung, ließ mich holen, war sehr aufgeregt, redete viel, erzählte lange, aber alles sehr zusammenhangslos. Warwara Petrowna wußte schon längst, daß er vor mir keine Geheimnisse hatte. Ich gewann schließlich den Eindruck, daß ihn etwas Besonderes quälte, etwas, was er sich vielleicht selbst nicht ganz klar vorstellen konnte. Wenn wir früher unter vier Augen zusammenkamen, und er mir seine Klagen vortrug, so wurde fast immer nach einiger Zeit ein Fläschchen geholt und die Stimmung bedeutend trostreicher gemacht. Diesmal aber gab es keinen Wein, und ich sah deutlich, daß er den mehrmals sich in ihm regenden Wunsch, welchen holen zu lassen, mit aller Gewalt unterdrückte.

»Und weshalb ist sie nur immer so böse?« klagte er ununterbrochen, wie ein Kind. »Tous les hommes de génie et de progrès en Russie étaient, sont et seront toujours ... Kartenspieler und Trinker, qui boivent quartalsmäßig ... Und ich bin gar kein so arger Spieler und so schlimmer Säufer ... Sie wirft mir vor, daß ich nichts schreibe! Ein sonderbarer Gedanke! ... Warum ich auf der Bärenhaut läge? ›Sie‹, sagte sie, ›müssen durch Ihr bloßes Dasein als ein Muster und ein Vorwurf wirken.‹ Mais, entre nous soit dit, was soll denn ein Mensch, dem es bestimmt ist, als ›Vorwurf‹ dazustehen, anderes tun als liegen? Weiß sie das auch?«

Und schließlich offenbarte sich mir jener hauptsächliche, besondere Kummer, der ihn so unerläßlich peinigte. Viele Male trat er an diesem Abend vor den Spiegel und blieb lange vor ihm stehen. Endlich wandte er sich von ihm ab und sagte mir mit einer seltsamen Verzweiflung in der Stimme:

»Mon cher, je suis un ... heruntergekommener Mensch!«

Ja, in der Tat, bis dahin, bis auf diesen letzten Tag blieb er nur von einem fest überzeugt, nämlich davon, daß er trotz aller »neuen Anschauungen« und aller »Ideenwechsel«, die er an Warwara Petrowna wahrgenommen hatte, immer noch einen Zauber auf ihr weibliches Herz ausübte, und zwar nicht nur als Verbannter oder als berühmter Gelehrter, sondern auch als ein schöner Mann. Zwanzig Jahre lang hatte diese für ihn schmeichelhafte und beruhigende Überzeugung in ihm gewurzelt, und es ist durchaus möglich, daß ihm die Trennung von ihr schwerer fiel als der Verzicht auf alle seine anderen Überzeugungen. Oder hatte er vielleicht an jenem Abend geahnt, was für eine gewaltige Prüfung ihm in der allernächsten Zukunft bevorstand?

6

Jetzt komme ich zu der Schilderung des zum Teil schon vergessenen Ereignisses, mit dem eigentlich meine Geschichte beginnt.

In den allerletzten Tagen des Monats August kehrten endlich auch die Drosdows zurück. Ihre Heimkehr erfolgte ein wenig früher als die von der ganzen Stadt seit langem erwartete Ankunft ihrer Verwandten, unserer neuen Gouverneurin, und hatte überhaupt einen bemerkenswerten Eindruck auf die Gesellschaft gemacht. Aber von allen diesen interessanten Ereignissen wird noch später die Rede sein; jetzt will ich mich auf die Bemerkung beschränken, daß Praskowia Iwanowna der sie mit so großer Ungeduld erwartenden Warwara Petrowna ein sehr beunruhigendes Rätsel mitbrachte: Nicolas hatte sich nämlich von ihnen noch im Juli getrennt und, nachdem er am Rhein mit dem Grafen K... zusammengetroffen war, sich mit diesem und dessen Familie nach Petersburg begeben. (NB. Der Graf hatte drei Töchter im heiratsfähigen Alter.)

»Von Lisaweta selbst konnte ich infolge ihres Stolzes und ihrer Verstocktheit nichts erfahren,« schloß Praskowia Iwanowna ihren Bericht, »aber ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, daß zwischen ihr und Nikolaj Wsewolodowitsch etwas vorgefallen war. Die Gründe kenne ich nicht, glaube aber sagen zu dürfen, daß es wohl zweckmäßig sein würde, wenn Sie, meine liebe Freundin Warwara Petrowna, sich nach den eigentlichen Ursachen des Zerwürfnisses bei ihrer Darja Pawlowna erkundigten. Meiner Ansicht nach ist Lisa gekränkt worden. Ich bin heilfroh, daß ich Ihnen endlich Ihre Favoritin zurückbringen und Ihnen hiermit übergeben kann. Nun bin ich sie gottlob endlich los.«

Diese giftigen Worte sprach sie mit bemerkenswerter Gereiztheit aus. Es war klar, daß die »in jeder Beziehung aus dem Leim gegangene Frau« sie schon längst zuvor zurechtgelegt und sich im voraus auf ihre Wirkung gefreut hatte. Aber Warwara Petrowna war nicht der Mensch, den man durch sentimentale Eindrücke und Rätsel verblüffen konnte. Streng und energisch forderte sie ihre Freundin auf, ihr ganz genaue und ausreichende Erklärungen abzugeben. Praskowia Iwanowna setzte sofort ihren Ton herab und schloß damit, daß sie sogar in Tränen ausbrach und zu den allerfreundschaftlichsten Ergüssen überging. Diese leicht reizbare, aber sehr gefühlvolle Dame hatte nämlich ebenso wie Stepan Trofimowitsch fortwährend das Bedürfnis nach wahrer Freundschaft, und ihre Hauptklage über ihre Tochter Lisaweta Nikolajewna bestand eben darin, daß die »Tochter ihr kein Freund sei«.

Aber aus allen ihren Erklärungen und Ergüssen ergab sich mit Sicherheit nur das eine, daß nämlich tatsächlich zwischen Lisa und Nicolas ein Zerwürfnis stattgefunden hatte; von welcher Art es aber war, darüber hatte sich Praskowia Iwanowna offenbar keine bestimmte Vorstellung machen können. Was nun die Beschuldigungen anbetraf, die sie vorher gegen Darja Pawlowna erhoben hatte, so nahm sie diese nicht nur alle zurück, sondern bat schließlich noch, ihren Worten überhaupt keine Bedeutung beizumessen, weil sie nur »in der Erregung« so gesprochen hatte. Kurz, alles war sehr unklar und sogar verdächtig. Ihrer Darstellung zufolge hatte die Uneinigkeit zwischen den beiden jungen Leuten den eigentlichen Grund in dem »eigensinnigen und spöttischen Wesen« Lisas gehabt; »der stolze Nikolaj Wsewolodowitsch war zwar sehr verliebt, konnte aber keine Spöttereien ertragen und ist schließlich selbst ironisch geworden. Bald darauf machten wir die Bekanntschaft eines jungen Mannes, der, glaube ich, ein Neffe Ihres ›Professors‹ ist; er führt auch denselben Familiennamen.«

»Es ist sein Sohn und nicht sein Neffe«, verbesserte sie Warwara Petrowna. Praskowia Pawlowna hatte auch früher schon Stepan Trofimowitschs Familiennamen niemals behalten können und nannte ihn stets den »Professor«.

»Nun, wenn es sein Sohn ist, so mag er meinetwegen sein Sohn sein. Um so besser, und mir ist es ganz gleich. Es ist ein gewöhnlicher, sehr lebhafter und gewandter junger Mensch, aber irgend etwas Besonderes ist an ihm nicht. Nun, nachdem wir ihn kennenlernten, hatte sich Lisa nicht ganz einwandfrei benommen, indem sie den jungen Menschen an sich heranzog, um Nikolaj Wsewolodowitsch eifersüchtig zu machen. Allzu streng kann ich ihr Verhalten nicht verurteilen, denn junge Mädchen machen es gewöhnlich so, und die Sache ist an sich sogar recht nett. Aber statt eifersüchtig zu werden, befreundete sich Nikolaj Wsewolodowitsch ihr zum Trotz mit dem jungen Menschen, wie wenn er entweder nichts sähe, oder wie wenn ihm alles gleichgültig wäre. Lisa war darüber natürlich empört. Der junge Mensch reiste bald ab, da er irgendwohin eilen mußte, und Lisa suchte nun bei jeder Gelegenheit mit Nikolaj Wsewolodowitsch Händel. Als sie bemerkte, daß er zuweilen mit Dascha sprach, wurde sie rasend. Auch ich konnte es hier nicht mehr mit ihr aushalten, Mütterchen. Die Ärzte haben mir jede Aufregung verboten, und jener gepriesene See war mir schon zuwider geworden: nur Zahnschmerzen und Rheumatismus habe ich dort bekommen. Es ist sogar schwarz auf weiß gedruckt worden, daß man am Genfer See Zahnschmerzen bekommt. Das ist nun einmal so eine Eigenschaft dieses Sees. Und da erhielt gerade Nikolaj Wsewolodowitsch plötzlich einen Brief von der Gräfin und beschloß sofort, uns zu verlassen. An einem einzigen Tage hatte er sich reisefertig gemacht. Verabschiedet haben sich die beiden voneinander in recht freundschaftlicher Weise, und auch Lisa war, als sie ihn begleitete, sehr heiter und vergnügt und tat sehr geschäftig, aber leider nur zum Schein. Als er fort war, wurde sie sehr nachdenklich, hörte auf, von ihm zu sprechen, und erlaubte selbst mir nicht, ihn zu erwähnen. Auch Ihnen, liebe Warwara Petrowna, möchte ich raten, jetzt mit Lisa ja nicht davon zu sprechen, denn dadurch werden Sie der Sache nur noch mehr schaden. Wenn Sie sich aber in Schweigen hüllen, dann kommt sie von selbst zu Ihnen und spricht Sie selbst daraufhin an. Auf diese Weise werden Sie viel mehr erfahren können. Meiner Ansicht nach werden sich die beiden wieder zusammenfinden, falls nur Nikolaj Wsewolodowitsch bald zurückkommt, wie er es versprochen hat.«

»Ich werde ihm sofort schreiben. Wenn alles sich so verhält, wie Sie es erzählen, dann beruht das ganze Zerwürfnis auf Nichtigkeiten. Es ist alles Unsinn! Auch Darja kenne ich nur zu gut. Es ist alles Unsinn!«

»Was Daschenka anbetrifft, so will ich gern gestehen, daß ich da ein wenig gesündigt habe. Sie hatte mit Nikolaj Wsewolodowitsch nur Gespräche der allergewöhnlichsten Art geführt, und auch diese stets ganz laut. Aber es hat mich das alles damals schon gar zu sehr aufgeregt, Mütterchen. Und auch Lisa hat ihr später, wie ich selbst gesehen habe, ihre frühere Freundschaft wieder geschenkt ...«

Warwara Petrowna schrieb noch gleich am selben Tage an Nicolas und flehte ihn an, wenigstens einen Monat vor dem in Aussicht genommenen Tage zurückzukommen. Immerhin blieb ihr in dieser Angelegenheit verschiedenes unklar und unbegreiflich. Den ganzen Abend und die ganze darauffolgende Nacht dachte sie darüber nach. Die Ansicht »Praskowias«, wie sie die Drosdowa bei sich nannte, erschien ihr gar zu harmlos und sentimental. »Praskowia ist ihr ganzes Leben lang, schon von der Pensionszeit an, viel zu gefühlvoll gewesen,« dachte sie, »Nicolas ist nicht der Mann danach, um der Spöttereien eines Mädchens wegen davonzulaufen. Hier muß eine andere Ursache vorliegen, wenn tatsächlich ein Zerwürfnis stattgefunden hat. Dieser Offizier aber ist doch hier, sie haben ihn doch mitgebracht, und er wohnt bei ihnen im Hause wie ein Verwandter. Und auch was Darja anbetrifft, hat sich Praskowia gar zu schnell entschuldigt: anscheinend hat sie doch etwas für sich behalten, was sie mir nicht sagen wollte ...«

Als der Morgen zu grauen begann, war in Warwara Petrownas Kopf der Plan gereift, wenigstens einen Zweifel kurz und endgültig zu erledigen – ein Plan, der ebenso überraschend wie bemerkenswert war. Es ist schwer zu sagen, was in ihrem Herzen vorging, als sie ihn entwarf, und ich fühle mich gar nicht imstande, im voraus all die Widersprüche zu erklären, aus denen er bestand. Als Erzähler begnüge ich mich damit, daß ich die Ereignisse in ihrem richtigen Licht darstelle, genau so, wie sie sich zugetragen haben, und es ist nicht meine Schuld, wenn sie unwahrscheinlich scheinen sollten. Ich muß aber noch einmal bezeugen, daß gegen Morgen bei Warwara Petrowna kein Verdacht mehr gegen Dascha zurückgeblieben war. Und strenggenommen hatte sie überhaupt nie ernstlich einen solchen gehegt: zu sehr war sie sich ihres Pfleglings sicher. Auch hielt sie es für vollkommen undenkbar, daß ihr Nicolas auf ihre ... »Darja« ein Auge geworfen haben könnte. Als Darja Pawlowna am nächsten Morgen am Teetisch den Tee einschenkte, musterte Warwara Petrowna sie lange und unverwandt und sagte sich vielleicht zum zwanzigstenmal seit dem gestrigen Tage aus voller Überzeugung:

»Es ist alles Unsinn!«

Es fiel ihr nur auf, daß Dascha so müde aussah und noch stiller und apathischer als früher war. Nach dem Tee setzten sich die beiden, einer ein für allemal eingeführten Ordnung zufolge, an ihre Handarbeit. Warwara Petrowna forderte Dascha auf, ihr einen vollständigen Bericht über ihre ausländischen Eindrücke zu erstatten, namentlich über die Natur, die Bewohner, die Städte, die Sitten und Gebräuche, die Kunst, die Industrie und überhaupt über alles, was ihr irgendwie aufgefallen sei. Aber sie stellte keine einzige Frage, die sich auf die Drosdows und auf Daschas Leben bei ihnen bezog. Dascha, die neben ihr am Nähtisch saß und ihr beim Sticken half, erzählte bereits eine halbe Stunde lang, mit ihrer gleichmäßigen, eintönigen, aber etwas schwachen Stimme.

»Darja,« unterbrach sie da plötzlich Warwara Petrowna, »hast du nichts Besonderes im Herzen, was du mir mitteilen möchtest?«

»Nein, gar nichts«, erwiderte Dascha, nachdem sie ein klein bißchen nachgedacht hatte, und blickte dabei Warwara Petrowna mit ihren hellen Augen an.

»Hast du nichts auf der Seele, auf dem Herzen, auf dem Gewissen?«

»Nein«, erwiderte Dascha leise, aber mit einer eigenartigen, mürrischen Festigkeit.

»Das wußte ich! Wisse, Darja, daß ich niemals an dir zweifeln werde. Jetzt bleibe ruhig sitzen und höre mich an. Setz dich dorthin auf den anderen Stuhl, mir gegenüber, ich will dich ganz sehen. So ist es gut. Höre also: möchtest du dich verheiraten?«

Dascha antwortete mit einem langen, fragenden Blick, in dem übrigens keine allzu große Verwunderung lag.

»Warte, sei still! Erstens wäre da ein Unterschied in den Jahren, ein sehr bedeutender sogar; aber du weißt ja selbst am besten, daß so etwas Unsinn ist. Du bist vernünftig, und in deinem Leben dürfen keine Fehler vorkommen. Übrigens ist er noch ein hübscher Mann ... Kurz, ich meine Stepan Trofimowitsch, den du immer sehr geschätzt hast. Nun?«

Dascha sah sie noch fragender an, und dieses Mal schien sie sich nicht nur zu wundern, sondern wurde sogar rot.

»Warte, schweig! Keine Überstürzung! Du hast zwar meinem Testament zufolge eine Summe Geldes zu erhalten, aber was soll aus dir werden, selbst wenn du Geld hast, wenn ich sterbe? Man wird dich betrügen und dir das Geld abnehmen, und dann bist du verloren. Heiratest du ihn aber, so bist du die Frau eines berühmten Mannes. Nun, betrachte die Sache einmal von der andern Seite: wenn ich jetzt sterbe, was wird dann aus ihm werden, selbst wenn ich seine Zukunft in materieller Hinsicht gewissermaßen sicherstelle? Auf dich aber kann ich schon meine Hoffnung setzen. Halt, ich bin noch nicht zu Ende: er ist leichtsinnig, willensschwach, mitunter grausam, selbstsüchtig, hat nichtswürdige Gewohnheiten, aber du mußt ihn dennoch schätzen, allein schon deswegen, weil es noch weit schlechtere Männer gibt. Du denkst doch nicht etwa, daß ich dich einfach loswerden möchte und dich irgendeinem Lumpen zur Frau gäbe? Und du wirst ihn schätzen! Hauptsächlich schon deshalb, weil ich dich darum bitte«, brach sie plötzlich gereizt ab. »Verstehst du? Sei doch nicht so starrsinnig!«

Dascha hörte immer noch schweigend zu.

»Halt, warte noch. Er ist ein Waschlappen, aber um so besser für dich. Er ist übrigens ein ganz kläglicher Waschlappen und verdient es gar nicht, von einer Frau geliebt zu werden. Aber man kann ihn seiner Hilflosigkeit wegen lieb haben, also liebe du ihn deshalb. Du verstehst mich doch, nicht wahr?«

Dascha nickte bejahend mit dem Kopf.

»Das dachte ich mir und habe nichts anderes von dir erwartet. Er wird dich lieben, weil er muß. Er muß einfach! Er muß dich vergöttern!« kreischte Warwara Petrowna in besonders gereiztem Ton. »Und übrigens wird er sich auch ohne es zu müssen in dich verlieben; ich kenne ihn ja. Außerdem werde ich selbst nach dem Rechten sehen. Sei unbesorgt: ich werde mich stets bereit halten. Er wird anfangen, sich über dich zu beklagen, dich zu verleumden, dem ersten besten etwas über dich ins Ohr zu flüstern, er wird immer schwermütig sein, wird immer wimmern; er wird dir Briefe schreiben von einem Zimmer nach dem andern, sogar zwei Stück an einem Tag, und wird doch nicht ohne dich leben können, und das ist die Hauptsache. Bringe ihn so weit, daß er dir gehorcht; gelingt es dir nicht, dann bist du dumm. Er wird dir drohen, daß er sich aufhängen wird, glaube ihm nicht: es ist dummes Zeug! Glaube ihm nicht, aber passe dennoch gut auf, alle Stunden sind nicht gleich, am Ende kriegt er es doch noch fertig und hängt sich auf; das kommt bei solchen Menschen nicht selten vor; nicht aus Stärke, sondern aus Schwäche nehmen sie sich das Leben; treibe ihn deshalb nie bis zum äußersten – da hast du das allererste Gesetz der Ehe. Vergiß auch nicht, daß er ein Dichter ist. Höre, Darja: es gibt kein höheres Glück, als sich selbst zu opfern. Und außerdem tust du mir damit einen großen Gefallen, und das ist die Hauptsache. Du darfst nicht denken, daß ich etwa aus Dummheit törichtes Zeug zusammenrede; ich weiß sehr wohl, was ich sage. Ich bin selbstisch; sei du es auch! Ich zwinge dich ja nicht; alles liegt in deiner Macht; wie du sagst, so wird es geschehen. Warum sitzt du denn so da? Sag doch endlich etwas!«

»Mir ist es einerlei, Warwara Petrowna, wenn ich mich nun einmal durchaus verheiraten muß«, erwiderte Darja in festem Tone.

»Durchaus? Was sollen diese Anspielungen? Was willst du damit andeuten?« fragte Warwara Petrowna und sah sie dabei streng und unverwandt an.

Dascha schwieg und stocherte mit der Nadel in ihrer Handarbeit herum.

»Du bist zwar ein kluges Mädchen, hast aber eben Unsinn geredet. Wenn es auch stimmt, daß ich dich jetzt unbedingt verheiraten möchte, so geschieht es nicht etwa, weil es durchaus not tut, sondern lediglich, weil ich mir das so zurechtgelegt habe und nur mit Rücksicht auf Stepan Trofimowitsch. Wäre Stepan Trofimowitsch nicht da, so hätte ich nicht daran gedacht, dich sogleich zu verheiraten, obwohl du auch schon zwanzig Jahre alt bist ... Nun?«

»Ich werde mich vollkommen Ihren Wünschen fügen, Warwara Petrowna!«

»Du bist also einverstanden! Halt, sei still, wozu diese Überstürzung? Ich bin ja noch nicht zu Ende. In meinem Testament habe ich dir fünfzehntausend Rubel ausgesetzt. Ich werde sie dir jetzt schon, gleich nach der Trauung, aushändigen. Davon wirst du achttausend ihm geben, das heißt eigentlich nicht ihm, sondern mir. Er hat nämlich Schulden im Betrage von achttausend Rubel; die will ich dann für ihn bezahlen, aber er muß wissen, daß es mit deinem Gelde geschieht. Siebentausend behältst du bar in Händen; gib ihm ja keinen einzigen Rubel davon. Bezahle nie seine Schulden. Wenn du es einmal tust, so wirst du auch in der Folge nicht davon loskommen können, und dann reicht dein Geld nicht aus. Im übrigen werde ich auch immer noch da sein und nach dem Rechten sehen. Ihr werdet von mir jährlich zwölfhundert Rubel zu eurem Unterhalt bekommen. Mit den Extrazuwendungen werden es fünfzehnhundert sein, außer der Wohnung und der Verpflegung, die ihr ebenfalls von mir erhalten werdet, genau so, wie er das alles jetzt noch von mir bekommt. Nur eure Bedienung werdet ihr euch allein besorgen und bezahlen müssen. Das Jahresgeld werde ich dir jedesmal gleich im voraus geben, und zwar eben dir. Aber du mußt auch gut sein; gib auch ihm mitunter ein wenig Geld und erlaube, daß seine Freunde einmal in der Woche zu ihm kommen; erscheinen sie öfter, dann jage sie fort. Aber wie gesagt, ich werde mich auch selbst darum kümmern. Sollte ich sterben, so werdet ihr euer Jahresgeld bis zu seinem Tode bekommen; verstehst du wohl: bis zu seinem Tode, denn diese Pension gehört ihm und nicht dir. Dir aber werde ich außer den siebentausend Rubel, die dir jetzt, wenn du nicht dumm bist, verbleiben werden, noch achttausend testamentarisch vermachen. Auf mehr hast du nicht zu hoffen, ich sage dir das, damit du es im voraus weißt. Nun, bist du einverstanden, oder nicht? Sag' doch endlich etwas!«

»Ich habe doch bereits meine Meinung geäußert, Warwara Petrowna.«

»Vergiß aber nicht, daß du volle Willensfreiheit hast; wie du willst, so wird es auch geschehen.«

»Gestatten Sie denn, daß ich Ihnen eine Frage vorlege, Warwara Petrowna: hat denn Stepan Trofimowitsch mit Ihnen bereits darüber gesprochen?«

»Nein, das hat er nicht, und er weiß auch gar nichts davon; aber ... er wird gleich reden!«

Sie sprang hastig auf und warf ein schwarzes Tuch um die Schultern. Dascha errötete wieder ein wenig und sah ihr mit einem fragenden Blick nach. Da wandte sich Warwara Petrowna plötzlich zu ihr um:

»Du Närrin«, warf sie sich auf das Mädchen wie ein Habicht, und ihr Gesicht glühte vor Zorn. »Du undankbare Närrin! Was hast du bloß für Gedanken im Kopf? Glaubst du etwa, daß ich dich auch nur im geringsten kompromittieren werde? Er selbst wird auf den Knien herumrutschen und dich anflehen, er soll vor Glückseligkeit vergehen! So will ich das alles einrichten! Du weißt doch selbst, daß ich nichts auf dir sitzen lassen werde! Oder denkst du vielleicht, daß er dich dieser achttausend Rubel wegen heiraten wird, und ich jetzt hinlaufe, um dich zu verkaufen? Du Närrin, Närrin du! Ihr seid alle dumm und undankbar! Gib mir meinen Regenschirm her!«

Und sie lief zu Fuß über die nassen Ziegelbürgersteige und über die hölzernen Brückchen zu Stepan Trofimowitsch hin.

7

Das stimmte schon, daß sie auf ihrer Darja nichts hätte sitzen lassen; sie hielt sich jetzt im Gegenteil sogar erst recht für deren wahre Wohltäterin. Die edelste und makelloseste Empörung flammte in ihrer Seele auf, als sie beim Umnehmen des Tuches den verlegenen und mißtrauischen Blick ihrer Pflegetochter auffing. Sie liebte sie noch von ihrer Kindheit an, und zwar ganz aufrichtig. Praskowia Iwanowna hatte vollkommen recht, als sie Darja Pawlowna als den Liebling ihrer Freundin bezeichnete. Schon längst hatte sich Warwara Petrowna ein für allemal gesagt, daß »Darjas Charakter keine Ähnlichkeit mit dem ihres Bruders« habe (wobei sie natürlich Iwan Schatow meinte), daß sie still sei, sanft und sehr aufopferungsfähig, und sich außerdem durch Anhänglichkeit, außerordentliche Bescheidenheit, eine geradezu seltene Verständigkeit und, was die Hauptsache war, durch tief empfundene Dankbarkeit auszeichne. Bisher hatte Dascha anscheinend alle ihre Anforderungen erfüllt. »In diesem Leben werden keine Fehler vorkommen«, sagte sich Warwara Petrowna, als das Mädchen erst zwölf Jahre alt war. Da sie aber die Eigenschaft besaß, an jeder Idee, die sie fesselte, an jedem neuen Einfall und an jedem ihrer Gedanken, der ihr möglich erschien, leidenschaftlich und hartnäckig festzuhalten, so beschloß sie damals sofort, Dascha wie eine leibliche Tochter zu erziehen. Sie legte für sie unverzüglich eine Summe Geldes beiseite und nahm eine Gouvernante ins Haus, eine Miss Creegs, die auch solange bei ihnen blieb, bis Dascha sechzehn Jahre alt wurde. Dann aber kündigte Warwara Petrowna der Engländerin plötzlich aus irgendeinem Grunde. Nun kamen Gymnasiallehrer ins Haus und unter ihnen ein gebürtiger Franzose, der Dascha das Französische beibrachte. Auch diesem wurde plötzlich gekündigt, und zwar so unerwartet, als ob man ihn einfach wegjagte. Eine arme, von auswärts zugezogene Dame, eine Witwe aus den besseren Ständen, erteilte Dascha Klavierunterricht. Aber der Hauptpädagoge war dennoch Stepan Trofimowitsch. Eigentlich war er der erste gewesen, der Dascha entdeckt hatte: er begann der stillen Kleinen schon zu einer Zeit Unterricht zu erteilen, als Warwara Petrowna sich um sie noch nicht im geringsten kümmerte. Ich wiederhole: es war geradezu erstaunlich, wie leicht er sich die Zuneigung der Kinder gewann! Lisaweta Nikolajewna Tuschina war von ihrem achten bis zu ihrem elften Jahr seine Schülerin gewesen, wobei ihr Stepan Trofimowitsch den Unterricht natürlich ohne Entgelt erteilt hatte, das er von den Drosdows unter keinen Umständen angenommen hätte. Aber er schloß das reizende Kind in sein Herz und erzählte ihm ganze Dichtungen über die Entstehung der Welt und der Erde und über die Geschichte der Menschheit. Die von ihm erteilten Unterrichtsstunden, in denen er über den Urmenschen und die primitiven Völker sprach, verliefen interessanter, als wenn sie mit dem Vorlesen arabischer Märchen ausgefüllt wären. Lisa schwärmte förmlich für diese Erzählungen und kopierte bei sich zu Hause ihren Lehrer in einer außerordentlich komischen Weise. Dieser erfuhr es, und es gelang ihm einmal, sie dabei zu überraschen. Lisa geriet in unbeschreibliche Verwirrung, warf sich in seine Arme und brach in Tränen aus; auch Stepan Trofimowitsch weinte, so sehr entzückt war er gewesen. Aber Lisa reiste bald weg, und es blieb ihm nur Dascha übrig.

Als zu Dascha ins Haus Lehrer zu kommen begannen, hörte Stepan Trofimowitsch auf, sie zu unterrichten und kümmerte sich bald gar nicht mehr um sie. Aber nach vielen Jahren, als sie schon siebzehn Lenze zählte, erblickte er sie einmal und war von ihrem hübschen Äußeren überrascht. Das geschah bei Tisch, in Warwara Petrownas Hause. Er knüpfte mit dem jungen Mädchen ein Gespräch an, war mit ihren Antworten sehr zufrieden und ging so weit, daß er ihr vorschlug, mit ihr einen ernsthaften und umfassenden Kursus der russischen Literatur durchzunehmen. Warwara Petrowna lobte ihn für diesen schönen Gedanken und dankte ihm, Dascha aber war begeistert. Stepan Trofimowitsch traf umfangreiche Vorbereitungen zu seinen Vorlesungen. Endlich begannen sie, und zwar mit der ältesten Periode; die erste Unterrichtsstunde verlief sehr interessant; auch Warwara Petrowna wohnte ihr bei. Als Stepan Trofimowitsch seine Vorlesung geschlossen hatte und der Schülerin beim Fortgehen mitteilte, daß er in der nächsten Stunde über das »Lied vom Heerzuge Igors« sprechen würde, stand Warwara Petrowna auf einmal auf und erklärte, daß eine zweite Unterrichtsstunde überhaupt nicht mehr stattfinden würde. Stepan Trofimowitsch verzog ein Gesicht, sagte aber kein Wort; Dascha wurde feuerrot; damit aber war die Sache abgeschlossen. Das hatte sich genau drei Jahre vor dem jetzigen unerwarteten Einfall Warwara Petrownas begeben.

Der arme Stepan Trofimowitsch saß allein zu Hause und ahnte nichts Schlimmes. In trüber Versonnenheit hielt er schon seit langem durch das Fenster Ausschau, ob nicht irgendein Bekannter komme. Aber es schien keiner kommen zu wollen. Draußen fiel ein feiner Sprühregen, es wurde von Tag zu Tag kälter; man mußte den Ofen heizen; er seufzte. Plötzlich bot sich seinen Augen ein schrecklicher Anblick dar: Warwara Petrowna kam in solchem Wetter und zu einer derart ungewöhnlichen Stunde zu ihm! Und außerdem noch zu Fuß! Er war dermaßen überrascht, daß er vergaß, sich umzuziehen und sie so empfing, wie er war: in seiner ewigen, rosafarbenen, wattierten Hausjacke.

»Ma bonne amie! ...« rief er mit schwacher Stimme und trat ihr entgegen.

»Sie sind allein, das freut mich. Ich kann Ihre Freunde nicht ausstehen! Wie Sie immer die Stuben vollrauchen! Mein Gott, was ist hier für eine Luft! Sie haben auch Ihren Tee noch nicht ausgetrunken, und es ist schon bald zwölf! Ihre Seligkeit liegt in der Unordnung! Ihre Wonnen schöpfen Sie aus dem Schmutz! Was sind das für Papierfetzen auf dem Fußboden? Nastasia! Nastasia! Was macht denn Ihre Nastasia? Mach' mal die Fenster, die Klappfenster und die Türen auf, Mütterchen! Alles sperrangelweit! Und Sie, Stepan Trofimowitsch, begleiten Sie mich bitte in Ihren Salon; ich habe mit Ihnen eine ernste Angelegenheit zu besprechen. Und feg' doch wenigstens einmal im Leben auf, Mütterchen!«

»Der Herr macht soviel Unordnung!« erwiderte Nastasia mit gereizt-kläglicher, dünner Stimme.

»Da mußt du eben fegen! Fege du fünfzehnmal am Tage! Ein elendes Empfangszimmer haben Sie«, sagte sie, als sie in den Salon traten. »Machen Sie die Tür fest zu, denn die wird horchen. Sie müssen unbedingt andere Tapeten ankleben lassen. Ich habe Ihnen doch schon einmal den Tapezierer mit Mustern zugeschickt; warum haben Sie sich da nichts Passendes ausgesucht? Setzen Sie sich und hören Sie mir zu. So setzen Sie sich doch bitte endlich! Wo wollen Sie denn hin? Wo wollen Sie hin? Wo wollen Sie hin?«

»Ich ... sofort«, rief ihr Stepan Trofimowitsch aus dem anstoßenden Zimmer zu. »Da bin ich schon wieder!«

»Ah, Sie haben sich umgezogen!« sagte sie spöttisch und musterte ihn. (Er hatte einen Oberrock über die Hausjacke gezogen.) »Das wird in der Tat besser passen ... zu unserem Gespräch. Also setzen Sie sich endlich, bitte!«

Sie erklärte ihm alles mit einemmal, schroff und eindringlich. Sie deutete auch auf die achttausend Rubel hin, die er so dringend nötig hatte. Ausführlich sprach sie mit ihm von der Mitgift. Stepan Trofimowitsch sperrte die Augen auf und zitterte am ganzen Leibe. Er hörte alles, konnte aber nichts klar verstehen. Ein paarmal schickte er sich an, ihr zu widersprechen, aber immer versagte ihm die Stimme. Er wußte nur, daß alles ganz nach ihrem Wunsch geschehen würde, daß ein Widerspruch zwecklos wäre und er selbst nunmehr ein unwiderruflich verheirateter Mann sei.

»Mais, ma bonne amie ... zum drittenmal, und in meinen Jahren ... und dann, mit so einem Kinde!« sagte er schließlich. »Mais c'est un enfant!«

»Ein Kind, das Gott sei Dank schon zwanzig Jahre alt ist! Verdrehen Sie doch bitte nicht so die Augen, Sie sind nicht im Theater! Sie sind sehr klug und gelehrt, aber Sie verstehen nichts vom Leben und brauchen beständig eine Kinderfrau. Was soll aus Ihnen werden, wenn ich sterbe? Sie aber wird Ihnen eine gute Wärterin sein; sie ist ein bescheidenes, charakterfestes, vernünftiges Mädchen. Außerdem werde ich auch selbst noch nach dem Rechten sehen; ich sterbe doch noch nicht gleich morgen! Sie ist häuslich, sie ist ein Engel der Sanftmut!« schrie sie plötzlich wie rasend. »Bei Ihnen verkommt alles im Schmutz, da wird sie für Reinlichkeit und Ordnung sorgen, und alles wird wie ein Spiegel glänzen ... Ach was, glauben Sie denn wirklich, daß ich mich vor Ihnen noch verbeugen und betteln und Ihnen zureden muß, jetzt wo ich Ihnen ein so kostbares Kleinod anbiete? Sie selbst müßten ja kniefällig ... Oh, Sie hohler, gedankenloser, kleinmütiger Mensch!«

»Aber ... ich bin ja schon ein alter Mann!«

»Was wollen Ihre dreiundfünfzig Jahre besagen! Dreiundfünfzig Jahre sind noch keineswegs das Ende, sondern erst die Mitte des Lebens. Sie sind ein schöner Mann und wissen das selbst. Auch ist Ihnen recht wohl bekannt, wie sehr Darja Sie verehrt. Was soll aus ihr werden, wenn ich sterbe? An Ihrer Seite aber kann sie ruhig sein, und auch ich bin dann beruhigt. Sie haben eine Bedeutung, ein Ansehen, einen Namen und ein liebendes Herz; Sie erhalten eine Pension, die zu zahlen ich für meine Pflicht halte. Sie werden Dascha möglicherweise retten, verstehen Sie? Retten! Jedenfalls wird es für sie eine Ehre sein. Sie werden ihrem Geist die zum Leben notwendigen Formen geben, Sie werden ihr Innenleben entwickeln und ihren Gedanken eine Richtung weisen. Wie viele Menschen gehen heutzutage zugrunde, nur weil ihre Gedanken eine üble Richtung haben! Und zu der Zeit wird auch Ihr Werk fertig werden und Ihren Namen der Welt mit einemmal wieder in Erinnerung bringen.«

»Gerade jetzt,« murmelte er, durch Warwara Petrownas geschickte Schmeichelei angenehm berührt, »gerade jetzt habe ich vor, mich endlich an mein Werk heranzumachen, an die ›Erzählungen aus der spanischen Geschichte‹ ...«

»Nun ja, sehen Sie wohl, das paßt sehr gut.«

»Aber ... sie? Haben Sie schon mit ihr gesprochen?«

»Haben Sie keine Sorge um Dascha, auch brauchen Sie gar nicht so neugierig zu sein. Natürlich müssen Sie selbst mit ihr sprechen und sie bitten, Ihnen die Ehre zu erweisen, verstehen Sie? Aber seien Sie unbesorgt, ich werde auch da nach dem Rechten sehen. Außerdem lieben Sie Darja doch.«

Stepan Trofimowitsch fühlte, daß ihm der Kopf schwindelte: die Wände begannen sich um ihn herumzudrehen. Hier war noch ein ganz entsetzlicher Gedanke, mit dem er durchaus nicht fertig werden konnte.

»Excellente amie!« rief er plötzlich mit zitternder Stimme, »ich ... ich hätte nie geglaubt, daß Sie sich entschließen würden, mich ... mit einer anderen Frau ... zu verheiraten!«

»Sie sind kein junges Mädchen, Stepan Trofimowitsch; nur Mädchen werden verheiratet, Sie aber heiraten selbst«, gab ihm Warwara Petrowna mit einem boshaften Zischen zur Antwort.

»Oui, j'ai pris un mot pour un autre ... Mais ... c'est égal«, erwiderte er und starrte sie mit einem fassungslosen Blick an.

»Ich sehe schon, daß ... c'est égal«, meinte sie und presste die Worte verächtlich durch die Zähne. »O Gott! Er wird ja ohnmächtig! Nastasia! Nastasia! Wasser!«

Aber die Anwendung des Wassers erwies sich als nicht nötig. Er kam von selbst zu sich. Warwara Petrowna griff nach ihrem Regenschirm.

»Ich sehe, daß mit Ihnen jetzt nichts zu reden ist ...«

»Oui, oui, je suis incapable.«

»Aber bis morgen werden Sie sich erholt und die Sache in Ruhe überlegt haben. Bleiben Sie zu Hause. Sollte etwas geschehen, so benachrichtigen Sie mich sofort, auch während der Nacht. Briefe brauchen Sie mir nicht zu schreiben, denn ich werde sie nicht lesen. Morgen um diese Stunde werde ich selbst hierherkommen, und zwar allein, um mir die endgültige Antwort zu holen. Ich hoffe, daß sie befriedigend ausfallen wird. Sorgen Sie dafür, daß Sie zu dieser Zeit keinen Besuch haben, daß alles sauber ist, denn jetzt sieht es bei Ihnen geradezu unmöglich aus! Nastasia, Nastasia!«

Selbstverständlich erklärte er am nächsten Tage sein Einverständnis. Er war gar nicht in der Lage, »nein« zu sagen. Es spielte da noch ein besonderer Umstand mit ...

8

Das kleine Besitztum, das wir unter uns bisher als Stepan Trofimowitschs Gut bezeichnet hatten und das nach alter Rechnung fünfzig Seelen zählte und dicht bei Skworeschniki lag, war überhaupt nicht sein Eigentum, sondern gehörte seiner ersten Frau und somit jetzt ihrem und seinem Sohn, Piotr Stepanowitsch Werchowenskij. Stepan Trofimowitsch verwaltete es nur als Vormund und später, als der junge Vogel flügge geworden war, auf Grund einer von diesem ausgestellten Vollmacht. Die Abmachung war für den jungen Mann recht günstig: er erhielt von seinem Vater jährlich an die tausend Rubel als Einnahme vom Gute, während es nach der Reform auch keine fünfhundert und vielleicht sogar noch viel weniger einbrachte. Gott weiß, wie dies alles zustande gekommen war und geregelt wurde. Im übrigen aber schickte diese tausend Rubel stets Warwara Petrowna, während Stepan Trofimowitsch nicht einen einzigen Groschen dazu beitrug. Er steckte im Gegenteil die ganzen Einnahmen vom Gute stets in seine Tasche und hatte es außerdem noch völlig entwertet, indem er es irgendeinem Geschäftsmann verpachtet und, heimlich vor Warwara Petrowna, den Waldbestand, das heißt den Hauptwert der Liegenschaft, zum Abholzen verkauft hatte. Diesen Waldbestand verkaufte er schon seit langem dann und wann in einzelnen Teilen. Alles in allem war das Holz mindestens achttausend Rubel wert, er aber hatte dafür nur fünftausend bekommen. Doch waren seine Spielverluste mitunter gar zu groß, so daß er sich scheute, Warwara Petrowna um Geld zu bitten. Sie knirschte mit den Zähnen, als sie endlich alles erfuhr. Da kam plötzlich ein Brief, in dem der Sohn mitteilte, er würde selbst kommen, um sein Gut unter allen Umständen zu verkaufen, und den Vater bat, sich unverzüglich um den Verkauf zu bemühen. Es war klar, daß Stepan Trofimowitsch bei seiner edlen Denkweise und Selbstlosigkeit sich vor »ce cher enfant« schämte, den er übrigens zum letztenmal vor vollen neun Jahren in Petersburg als Studenten gesehen hatte. Ursprünglich mochte das ganze Gütchen vielleicht dreizehn- oder sogar vierzehntausend Rubel wert gewesen sein; jetzt aber hätte niemand fünftausend dafür gegeben. Ohne Zweifel war Stepan Trofimowitsch nach dem Wortlaut der ihm ausgestellten Vollmacht durchaus berechtigt, den Waldbestand zu verkaufen. Stellte er dazu noch seinem Sohn in Rechnung, daß ihm jährlich tausend Rubel geschickt worden waren, die das Gut auf keinen Fall hatte einbringen können, so war er durchaus imstande, sich auch damit hinreichend zu verteidigen. Aber Stepan Trofimowitsch war eben ein Mensch von edler Gesinnung mit einem Streben nach Höherem. In seinem Kopf blitzte ein Gedanke auf, der von unvergleichlicher Schönheit war: er wollte, sobald sein Petruscha kommen würde, ihm ohne weiteres den Höchstwert des Besitztums oder vielmehr sogar fünfzehntausend Rubel bar auf den Tisch legen, ohne den geringsten Hinweis auf die bisher übersandten Summen und dann »ce cher fils« fest, ganz fest und unter Tränen an die Brust drücken. Damit gedachte er die Abrechnung für beendet zu erklären.

Ganz vorsichtig und von weitem ausholend begann er nun dieses Bild vor Warwara Petrowna zu entrollen. Er deutete auch an, daß eine solche Handlungsweise ihren freundschaftlichen Beziehungen und ihrer »Idee« eine besondere, edle Färbung verleihen werde. Das hätte die Väter und überhaupt die Menschen der älteren Generation gegenüber der heutigen leichtsinnigen und sozialistisch angehauchten Jugend in ein schönes Licht der Uneigennützigkeit und Hochherzigkeit gerückt. Er sprach noch vieles in dieser Art, aber Warwara Petrowna zog es vor, still zuzuhören und nichts zu erwidern. Schließlich aber erklärte sie ihm ganz trocken, daß sie bereit sei, dieses Besitztum zu erwerben und dafür den allerhöchsten Preis, das heißt etwa sechs- bis siebentausend Rubel zu geben, obwohl auch viertausend durchaus genug wären. Von den übrigen achttausend aber, die mit dem Waldbestand verloren gegangen waren, sagte sie kein Wort.

Diese Besprechung hatte einen Monat vor Warwara Petrownas Heiratsidee stattgefunden. Stepan Trofimowitsch war bestürzt und wurde recht nachdenklich. Früher hatte wenigstens noch die Hoffnung bestanden, daß der liebe Sohn vielleicht überhaupt nicht herkommen würde, das heißt, es war natürlich eine Hoffnung nur vom Standpunkt eines Außenstehenden, eines völlig Unbeteiligten. Stepan Trofimowitsch hätte als Vater schon den bloßen Gedanken an eine solche Hoffnung mit Entrüstung von sich gewiesen. Sei dem aber, wie dem sein mochte, jedenfalls waren uns bisher über seinen Sohn Petruscha recht sonderbare Gerüchte zu Ohren gekommen. Anfangs, nachdem er vor etwa sechs Jahren seine Studien auf der Universität beendet hatte, trieb er sich in Petersburg ohne Beschäftigung herum. Plötzlich erfuhren wir, daß er an der Abfassung irgendeines geheimen Flugblattes beteiligt gewesen sei und wohl vors Gericht kommen werde. Dann stellte es sich heraus, daß er plötzlich im Ausland, in der Schweiz, in Genf gesehen wurde, daß er also am Ende gar ein Flüchtling war.

»Das kommt mir ganz sonderbar vor,« predigte uns damals Stepan Trofimowitsch, der in große Bestürzung geriet, »Petruscha c'est une si pauvre tête! Er ist gutmütig, edel gesinnt, sehr gefühlvoll, und ich habe mich wirklich gefreut, als ich ihn damals in Petersburg mit unserer jetzigen Jugend verglich, aber c'est un pauvre sire tout de même ... Und wissen Sie, das kommt alles von dieser Sentimentalität her, von diesem Unausgebrütetsein! Was sie fesselt, ist nicht der Realismus, sondern das Gefühlsmäßige, das Ideale an dem Sozialismus, sozusagen sein religiöser Unterton, seine Poesie ... die allerdings von Fremden entlehnt ist. Bedenken Sie aber, wie mir jetzt zumute ist! Ich habe hier so viele Feinde und dort noch mehr; man wird das alles dem väterlichen Einfluß zuschreiben ... O Gott! Mein Petruscha als Volksführer! In was für Zeiten leben wir!«

Petruscha teilte ihm übrigens sehr bald seine genaue Schweizer Adresse mit, damit ihm das Geld wie gewöhnlich zugesandt werde: also mußte er doch wohl nicht vollständig ein Emigrant gewesen sein. Und nun, nachdem er etwa vier Jahre im Auslande gelebt hatte, erschien er plötzlich wieder in seiner Heimat und meldete dem Vater seine baldige Ankunft; also hatte damals doch keine Anklage gegen ihn vorgelegen. Ja, es schien sogar, als ob sich jemand für ihn interessiere und ihn in seinen Schutz nehme. Er schrieb jetzt aus Südrußland, wo er sich zur Erledigung irgendeines wichtigen, privaten Auftrags befand. Das war alles recht nett und schön, wo aber sollte Stepan Trofimowitsch noch sieben- bis achttausend Rubel hernehmen, um den Höchstpreis für das Gut in anständiger Weise abzurunden? Wie, wenn der Sohn ein Geschrei erheben, und seine Ankunft statt jenes herrlichen Bildes einen Prozeß zur Folge haben würde? Eine innere Stimme sagte Stepan Trofimowitsch, daß der gefühlvolle Petruscha seine Interessen nicht ohne weiteres preisgeben würde.

»Es ist mir aufgefallen,« flüsterte mir in jener Zeit einmal Stepan Trofimowitsch zu, »daß alle diese verschrienen Sozialisten und Kommunisten gleichzeitig sehr auf ihr eigenes materielles Wohl bedacht und unglaublich geizig sind, und zwar in der Weise, daß, je mehr einer Sozialist ist, je weiter er darin geht, er also auch um so besitzlüsterner ist ... Woher kommt das? Rührt etwa auch das nur von der Sentimentalität her?« Ich weiß nicht, ob diese Bemerkung Stepan Trofimowitschs auch etwas Wahres enthält; ich weiß nur, daß Petruscha von dem Verkauf des Waldbestandes und von manchem anderen irgendwie Nachricht erhalten hatte, und daß auch Stepan Trofimowitsch in Erfahrung brachte, daß sein Sohn darüber orientiert sei. Ich hatte auch gelegentlich die Briefe Petruschas an seinen Vater gelesen. Er schrieb nicht häufig, etwa einmal im Jahr und mitunter noch seltener. Nur in der letzten Zeit, als er seine bevorstehende Ankunft meldete, hatte er zweimal fast unmittelbar nacheinander geschrieben. Alle seine Briefe waren kurz, trocken und bestanden nur aus Anordnungen, und da Vater und Sohn sich noch von Petersburg her der neuen Mode zufolge duzten, so hatten Petruschas Briefe eine entschiedene Ähnlichkeit mit den Verfügungen, die in der früheren Zeit die Gutsbesitzer jenen ihrer Untergebenen sandten, die sie mit der Verwaltung ihrer Güter betraut hatten.

Und da plötzlich kamen diese achttausend Rubel, durch die eine friedliche Lösung der Angelegenheit möglich wurde, aus dem Vorschlag Warwara Petrownas wie herbeigeflogen, wobei sie ihm deutlich genug zu verstehen gab, daß er anderswoher schlechterdings kein Geld erwarten könne. Natürlich erklärte sich Stepan Trofimowitsch mit ihrem Anerbieten einverstanden.

Gleich nach ihrem Fortgehen ließ er mich rufen und war den ganzen Tag über sonst für keinen Menschen zu sprechen. Natürlich weinte er ein bißchen, redete viel und schön, versprach sich dabei aber häufig und machte zufälligerweise ein Wortspiel, mit dem er sehr zufrieden war. Dann folgte ein leichter Cholerineanfall – kurz, alles nahm seinen gewöhnlichen Gang. Später zog er das Bild seiner schon vor zwanzig Jahren verstorbenen Deutschen hervor und begann jämmerlich auszurufen: »Wirst du es mir verzeihen?« Er benahm sich überhaupt, wie wenn er vollkommen verwirrt wäre. Vor Kummer tranken wir auch ein bißchen. Übrigens schlief er bald recht ruhig ein. Am nächsten Morgen zog er sich elegant an, band sich sein Halstuch zu einem äußerst kunstvollen Knoten und trat oft vor den Spiegel, um sich darin zu betrachten. Auch bespritzte er sein Taschentuch mit Parfüm, indessen nur ganz wenig. Sobald er jedoch durch das Fenster Warwara Petrowna erblickte, nahm er sich schleunigst ein anderes Taschentuch und versteckte das parfümierte unter das Kissen.

»Ausgezeichnet!« lobte ihn Warwara Petrowna, als er ihr seine Einwilligung mitteilte. »Erstens haben Sie eine edle Entschlossenheit bekundet, und zweitens haben Sie auf die Stimme der Vernunft gehört, der Sie in ihren Privatangelegenheiten sonst so wenig Gehör schenken. Besonders eilig braucht aber das Ganze nicht gemacht zu werden,« fügte sie noch hinzu, indem sie den Knoten seiner weißen Halsbinde betrachtete, »schweigen Sie vorerst, und auch ich werde desgleichen tun. Demnächst feiern wir Ihren Geburtstag; da werde ich mit ihr zusammen zu Ihnen kommen. Sorgen Sie dafür, daß es Tee gibt, aber bitte, keine alkoholischen Getränke und keinen kalten Imbiß; übrigens werde ich das alles selbst übernehmen. Laden Sie auch Ihre Freunde ein – wir wollen aber die Auswahl lieber zusammen treffen. Tags zuvor können Sie mit ihr sprechen, wenn es nötig sein sollte; auf Ihrer Abendgesellschaft aber werden wir nicht etwa eine Erklärung abgeben oder eine Verlobung feiern, sondern lediglich die Tatsache andeuten, und zwar ohne jede Feierlichkeit. Und dann, etwa zwei Wochen darauf, feiern wir Hochzeit, möglichst ohne viel Lärm und Aufsehen ... Es wäre sogar gut, wenn Ihr beide gleich nach der Trauung auf einige Zeit verreisen würdet, zum Beispiel nach Moskau. Vielleicht fahre ich dann auch mit ... Die Hauptsache ist aber, daß Sie bis dahin schweigen.«

Stepan Trofimowitsch war verblüfft. Er versuchte einzuwenden, daß es doch nicht so ohne weiteres ginge, daß er doch auch mit der Braut reden müßte, aber Warwara Petrowna schrie ihn in gereiztem Ton an:

»Wozu das? Erstens wird aus der Sache vielleicht überhaupt noch nichts werden ...«

»Wieso?« murmelte der nun vollends verdutzte Bräutigam.

»Ganz einfach. Das soll sich noch herausstellen ... Übrigens wird alles so geschehen, wie ich es gesagt habe, und Sie können ganz unbesorgt sein. Ich werde Dascha selbst vorbereiten. Sie brauchen sich gar nicht darum zu bemühen. Alles, was not tut, wird gesagt und getan werden, und Sie brauchen sich da gar nicht hineinzumischen. Wozu? Was für eine Rolle wollen Sie dabei spielen? Kommen Sie selbst nicht und schreiben Sie auch keine Briefe! Und ich bitte mir aus, daß kein Mensch auch das Geringste vor der Zeit erfährt. Ich selbst werde ebenfalls schweigen.«

Sie wollte unter keinen Umständen irgendwelche weiteren Erklärungen geben und war, als sie fortging, offenbar sehr verstimmt. Es schien, daß Stepan Trofimowitschs übermäßige Bereitwilligkeit sie in Erstaunen versetzt hatte. Leider begriff er seine Lage noch keineswegs und betrachtete die ganze Angelegenheit nur noch von einer einzigen Seite, ohne sich um die anderen möglichen Gesichtspunkte zu kümmern. Im Gegenteil, er schlug jetzt sogar einen neuen Ton an, in dem etwas Siegesbewußtes und Leichtsinniges lag. Er tat sich groß:

»Das gefällt mir!« rief er, indem er vor mir stehen blieb und mit den Händen in der Luft herumfuchtelte. »Haben Sie das gehört? Sie will mich jetzt so weit bringen, daß ich schließlich mein Einverständnis zurücknehme. Denn ich kann doch auch die Geduld verlieren und ... ›nein‹ sagen! ›Bleiben Sie zu Hause, denn Sie haben dort nichts zu suchen!‹ meinte sie. Weshalb aber muß ich denn unbedingt heiraten? Etwa nur deshalb, weil ihr plötzlich dieser lächerliche Einfall gekommen ist? Aber ich bin ein ernsthafter Mensch, und es kann sehr leicht sein, daß ich keine Lust haben werde, mich den müßigen Phantasien einer überspannten Frau zu fügen! Ich habe Pflichten meinem Sohn und ... mir selbst gegenüber! Ich bringe doch ein Opfer! Versteht sie denn das gar nicht? Ich habe vielleicht nur deswegen eingewilligt, weil mir das Leben langweilig geworden, und weil mir bereits alles gleichgültig ist. Wenn Sie mich aber so reizt, dann kann es kommen, daß mir nicht alles gleich ist; es wird mich kränken, und ich werde ›nein‹ sagen. Et enfin le ridicule ... Was wird man im Klub reden? Und ... Liputin! Was wird er dazu sagen? ›Vielleicht wird aus der Sache überhaupt nichts werden‹ ... Wie?! Das ist doch die Höhe! Das ist ... ja was ist denn das eigentlich? Je suis un forçat, un Badinguet, un ... ein an die Wand gedrückter Mensch! ...«

Zugleich aber blickte durch all diese kläglichen Jammerreden etwas Launisches und Spielerisches hindurch. Und abends tranken wir wieder ein wenig.


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