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Es war noch Nacht, als der Wagen Vampas die Via Appia erreichte und dem Zirkus des Caracalla gegenüber halten blieb, jenem Orte, der unheimlich war durch die Fabeln, welche mit ihm im Zusammenhange standen, besonders durch den entsetzlichen Namen Vampas, der in dem Schweigen der Nacht und in der Stunde des Verbrechens unter den finstern geheimnisvollen Gewölben widertönte.
Vampa, der ganz von dem ihn beherrschenden Gefühle ergriffen war, hatte nicht bemerkt, daß keine einzige Schildwache ihn nach dem Losungswort fragte, seitdem sein Wagen zwischen den finstern Denkmälern der Via Appia hinrollte. Er nahm den zarten Körper Eugenies auf seine kräftigen Arme, und gleich einem neuen Pluto, stieg er mit seiner süßen Last in die dichte Finsternis bis zu dem Eingange seines abscheulichen Aufenthaltsortes hinab.
Hier blieb Vampa einen Augenblick stehen, wie um auszuruhen. Keine menschliche Stimme traf sein Ohr; um ihn her schwirrten die Fledermäuse, deren kalte Flügel seine fieberhaft brennenden Wangen berührten. Kein Licht leuchtete ihm durch den unterirdischen Gang; gleichwohl ging er mit festem, sicherem Schritt bis zu der geräumigen Halle, wo die Trümmer des altertümlichen Altars standen, sowie das Cenotaphium, welches einst den Festen und Saturnalien der Banditen zum Tabernakel diente.
Vampa wußte, wo dieses Cenotaphium stand, ging darauf zu, legte den Körper Eugenies darauf nieder und heftete seine in Wollust glühenden Lippen auf die eisigkalten seines Opfers.
*
Das Entsetzliche dieser finstern Tat des Verbrechens zeigte sich der Einbildungskraft des Banditen, sobald er unter den bittern Seufzern des geschändeten Weibes den glühenden Durst gesättigt hatte, der ihn verzehrte. Ein langer, rauher, unheimlicher Schrei, wie das Gebrüll eines wilden Tieres, entrang sich seiner Brust. Er ließ einen glühenden, wilden Blick um sich her schweifen, indem er jetzt erst die Finsternis und das Schweigen bemerkte, von denen er umgeben war.
Nicht einer seiner berüchtigten Genossen kam zu ihm; kein Fackellicht beleuchtete das Bild der Gewalttat; kein Ruf verlangte im Namen seiner Genossen den Anteil, der ihnen von dieser Missetat zufiel.
»Nein!« heulte Vampa, »keiner von Euch soll sie berühren! – Dieses Weib ist mein und es soll nur allein mein sein – wehe dem ersten, der es wagen würde, sie mir streitig zu machen!«
Und mit einer seiner bebenden Hände preßte er die eiskalten Eugenies, während er mit der andern nach dem Kolben des Pistols griff, das in seinem Gürtel steckte.
»Rocca Priori!« Dies war der Beiname Peppinos, wie man sich aus dem Grafen von Monte Christo erinnern wird. schrie er. Nur das Echo der finstern Gewölbe antwortete ihm.
»Rocca Priori!« schrie er noch lauter. »Ist denn Euer Schlaf so fest, daß die Stimme Eures Hauptmanns Euch nicht zu wecken vermag? Verfluchte, die Ihr Euch durch den Schlaf besiegen laßt und die Wachsamkeit vergeßt, welche zu der Sicherheit Eures einzigen Zufluchtsortes erforderlich ist! – Erwacht! – Erwacht!«
Vampa zog das Pistol aus dem Gürtel und schoß die beiden Schüsse ab, deren zuckender Blitz einen Augenblick das Gesicht Eugenies beleuchtete, welche noch immer auf der verhängnisvollen Marmortafel ausgestreckt lag.
Der Lärm verlor sich nach und nach. Vampa vernahm mit gespanntem Ohr das letzte Murmeln, welches dem Echo der Felsen folgte, das schwächer und schwächer den gewaltigen Knall der Feuerwaffe wiederholte.
Der Bandit erkannte jetzt, daß er allein sei und fing an zu zittern. Seine bebende eiskalte Hand umfaßte krampfhaft den Griff des abgeschossenen Pistols.
Er sah sich entwaffnet.
Das Gefühl einer unbestimmten Furcht bemächtigte sich seiner. Kalter Schweiß bedeckte sein Gesicht; zum ersten Male in seinem Leben lernte Luigi Vampa die Furcht kennen. Sein ganzer Körper erbebte: Todeskälte durchrieselte seine Adern.
»Peppino!« murmelte er, »sollst Du mich verraten haben? – Bin ich vielleicht das Opfer irgend einer unerwarteten Schlinge? – Nein, das ist unglaublich! – Peppino ist vielleicht mit allen meinen Leuten ausgezogen, um irgend einen guten Streich auszuführen, indem er darauf rechnete, daß ich nicht sobald zurückkehren würde! – Aber – die Katakomben scheinen ganz verödet zu sein.«
»Peppino,« sagte er nach einer kurzen Pause, »hätte nicht fortziehen sollen, ohne wenigstens zwei Schildwachen zurückzulassen; seit längerer Zeit schon ist ein Preis auf meinen Kopf gesetzt, und obgleich es viele Personen gibt, in deren Interesse es liegt, für meine Sicherheit zu sorgen – habe ich doch auch zahlreiche Feinde.«
Wieder nach einer Pause sagte er: »Indes kennt die Polizei den geheimen Eingang zu den Katakomben nicht, und sie wagt es sogar nicht, ihn aufzusuchen, denn schon oft sind ihre elenden Agenten, welche in den Zirkus Caracalla zu dringen oder den Eingang zu erforschen suchten, von den Kugeln gefallen, die hinter den Denkmälern abgeschossen wurden, welche meinen Leuten zum Hinterhalte dienten. – Ich will daher warten! Peppino wird zurückkehren.«
Vampa setzte sich neben Eugenie, getäuscht durch diesen letzten Strahl der Hoffnung, welche seine Einbildungskraft hervorrief, wie es oft den schwachen und feigen Menschen zu gehen pflegt, die sich nicht von der allmächtigen Gewalt der Worte überzeugen können:
Alles ist zu Ende!
Vampa war auf alles gefaßt, nur nicht auf seinen Untergang.
Langsam verflossen die Stunden, und der Bandit erwartete vergebens die Rückkehr Peppinos. Seine Gedanken, welche durch die Zeit und die Macht der Wahrheit von Illusion zu Illusion getrieben wurden, langten endlich bei der letzten an.
Auch diese verschwand allmählich wie die anderen.
Vampa stieß einen wilden Schrei aus. Er bemerkte zum ersten Male den tiefen Schlaf, in welchen Eugenie versunken war. Der Körper, welcher dort ausgestreckt auf der Tafel lag, auf der einst die Toten ruhten, auf eben dem Marmortische, welchen er und seine Banditen so oft durch ihre Bacchanalien entweiht hatten, erfüllte ihn mit Entsetzen. Er erhob den Arm in der Richtung nach dem Cenotaphium, als wollte er Eugenie erwecken, aber der Arm berührte den Körper seines Opfers nicht und ein bitteres Lächeln verzerrte die Lippen des Henkers.
»Sie erwecken?« sagte er, »und wozu? Was sollte mir das nützen? Würden nicht ihr Geschrei, ihre Klagen, sogleich unter diesen einsamen finsteren Gewölben ertönen? Würde dies nicht das Entsetzen steigern, welches sie mir in diesem Augenblicke ohnedies schon einflößen? Ach, wenn aber der Schlaf, der ihr Auge schließt, der Tod wäre? – Wenn ich neben einer Leiche säße! – Nein, nein – ich fühle es – hier – ihr Herz klopfte – sie lebt – sie schläft – erschöpft durch Schrecken und Vergnügen! – Sie möge schlafen – morgen wird sie erwachen.«
Er schwieg. Einige Augenblicke darauf fuhr er mit noch größerer Angst fort: »Soll denn diese Nacht ewig währen? Wäre ich für immer zu der Finsternis und dem Entsetzen verurteilt? – Sollte es die Laune einer höllischen Macht sein, mir zur ewigen Gefährtin dieses Weib zu geben, das schläft, als wäre es tot? – Dieses Weib, dessen Arme mich nicht umschlingen, dessen Lippen regungslos bleiben, wenn ich sie mit Küssen bedecke? – Dieses Weib, das unter meinen Liebkosungen gefühllos und eiskalt bleibt? – Ha! was ist ihr Körper mir, wenn er dem Marmor gleicht? – Was ich verlange, ist, in meinen Armen sich zu regen, an meinem Busen sich zu bewegen und zu fühlen! – O, Eugenie, Eugenie! bist Du es wirklich? Bist Du wirklich die, welche ich gestern noch mit Wahnsinn liebte? Die, welche mich bezauberte, die mich durch ihren Künstlerstolz wahnsinnig machte? Eugenie, wo ist die Bewegung und die Anmut Deines Körpers? – Da liegt sie, schwer und regungslos wie eine Leiche! – Was ist aus dem göttlichen Feuer geworden, das sich in dem erhabenen Ausdrucke Deines leidenschaftlichen Blickes, in dem kräftigen, lebhaften Spiele Deiner Physiognomie offenbarte? Dieses Feuer, welches Deine Brust hob, welches Dich über Dich selbst zu erheben schien, wo ist es geblieben? – Ha, jetzt – nichts – nichts mehr! Kalt! – Leblos! – Ist es die eisige Luft, die in diesen feuchten, unterirdischen Gewölben herrscht, welche Dich erstickt und vernichtet? – Sprich zu mir, Eugenie, laß mich wenigstens Deine Stimme vernehmen! – O mein Gott! Wäre es denn nicht möglich, daß Du hier lebtest an meiner Seite, sowie ich Dich außerhalb dieses Raumes erblickte? – Ach, auch die Erde umschließt Schätze, und Du, Du wirst hinfort der kostbarste von allen sein, welchen sie vor den Augen der Welt verbirgt! – Aber was ist mir Deine Schönheit, wenn diese Nacht ewig dauern soll? – Wie kann ich Dich sehen und mich an Deinen verliebten Klagen berauschen? – O Verzweiflung! – Komme vielmehr der Tod – aber es komme auch das Licht, und wäre es nur für einen Augenblick! – Die Finsternis erstickt mich: diese Luft, feucht wie die eines Grabes, macht das Blut in meinen Adern gerinnen!
Diese Gewölbe sind jetzt nichts weiter, als was sie immer gewesen sind – ein Grab! Dort in jenen Vertiefungen ruhen die Skelette, die ihren ewigen Schlaf schlummern! – Ach, wie oft habe ich durch meine Orgien und meine Verbrechen hier die erhabene Ruhe der Toten gestört! Und jetzt störte ich sie wieder durch die letzte meiner Missetaten! – Ha, die letzte! –« rief er hastig wie ergriffen durch das, was er soeben gesprochen; »und weshalb sollte es die letzte sein? – Ach ja, dennoch! Nähre ich nicht schon seit längerer Zeit die Absicht, das mörderische Eisen von mir zu schleudern, mit dem ich bis zu dem heutigen Tage gotteslästerlich meine Hand bewaffnete? – Mut!«
Er schleuderte das abgeschossene Pistol, das er unwillkürlich wieder in den Gürtel gesteckt hatte, weit von sich.
»Fort von mir, mörderische und verhängnisvolle Waffe!« rief er. »Jetzt, Eugenie, wirst Du erwachen, um mich dem wahren Glücke entgegenzuführen!
Aber ich Unsinniger, der ich bin! Kann denn jemals irgend ein Mensch ohne Entsetzen und Wut den Namen des Banditen aussprechen, der so lange erbarmungslos Greise, Kinder und Weiber beraubte, ermordete und mißhandelte, um seinen Ehrgeiz und seine rohe Sinnlichkeit zu befriedigen? – Nein, der Fluch der Schmach wird mir überall hin folgen; ich bin verdammt in den Augen der Menschen, wie in denen Gottes! Elender! Ich erbitte und hoffe, daß dieses Weib erwache, daß ihre Lippen sprechen, daß ihre Augen sehen, ohne daran zu denken, daß ihr erster Schrei, ihr erster Blick, der der Ueberraschung und des Fluches sein würden! Eugenie – Verzeihung – ach, Verzeihung!«
Vampa sank zu den Füßen des Cenotaphiums auf die Knie und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
Einige Augenblicke darauf wurde er durch einen rötlichen Strahl, der sich in dem unterirdischen Gange zeigte, überrascht.
Er stand entschlossen auf und atmete, als sei in seine Brust eine neue Existenz eingezogen. Er rief laut: »Peppino!«
Niemand antwortete.
Das Licht kam näher.
»Peppino!« wiederholte er.
Jetzt erbebte er. Er war entwaffnet, allein, er konnte sich nicht gegen einen Ueberfall verteidigen. Der Gedanke, sich zu verbergen, fuhr ihm schnell durch den Kopf. Er kannte das ganze unterirdische Gewölbe; er wollte sich in einen der tiefsten Winkel flüchten, als plötzlich ein Mensch an dem Ende des Ganges erschien und ihn zurückhielt, indem er ihm die Worte zurief:
»Ich habe Dich erkannt! – Es ist vergeblich zu entfliehen!«
Das Licht der Fackel, welche der Mann trug, beleuchtete den finstern Raum.
Vampa blieb regungslos stehen.
Der Unbekannte trat einige Schritte vor; in seiner rechten Hand funkelte der Lauf eines Pistols.
»Benedetto!« murmelte Vampa, indem er erschrocken zurückwich.
»Schweig, Vampa, oder Du bist des Todes!« sagte er, indem er mit dem Pistol auf ihn zielte und die Fackel über dem Kopfe erhob, um die Gestalt des Banditen besser unterscheiden zu können.
»Ist denn heute die Auferstehung der Toten, welche aus ihrem ewigen Schlafe erwachen, um mich zu martern?« dachte Vampa.
»Du hast Deine abscheuliche Leidenschaft gesättigt,« sagte Benedetto. »Ich komme deshalb, um den Teil in Anspruch zu nehmen, der mir gebührt.«
»Peppino hat mich verraten,« murmelte Vampa und fügte dann mit lauter Stimme hinzu: »So, deshalb kommst Du? – Du verlierst Deine Zeit nicht, Benedetto – ich habe die Entführung vollbracht; was das Lösegeld betrifft – so ist das ein Preis, den ich erst später empfangen werde.«
»Indes bedarf ich noch heute dieses Geldes.«
»Unmöglich!«
»Nicht so sehr, als Du meinst.«
»Wieso?«
»Ich will ihn und ich verlange ihn im Augenblick?«
»Es wird Dein Leben kümmern, Freund Vampa! Bei mir folgt die Tat rasch auf das Wort. Du siehst wohl, daß ich bewaffnet bin –«
»Und ich?«
»Du? – Du bist es nicht.«
»Du hast mich belauscht!« murmelte Vampa wütend, indem er die größte Ruhe zu erzwingen strebte, obgleich er sich in diesem Augenblicke an die Warnung erinnerte, welche Pastrini ihm im Namen des Hauses Thomson und French zugeflüstert hatte.
»Wenn ich auch entwaffnet bin,« sagte er, »bedarf ich denn etwa noch der Waffen, wenn auf den geringsten Ruf von mir hier zwanzig Personen herbeieilen, um meine Befehle zu vollziehen?«
Benedetto zuckte mit verächtlichem Lachen die Achseln und begnügte sich damit, zu sagen: »Versuche es!«
Vampa erbebte unwillkürlich. Er gewann jedoch seine Entschlossenheit augenblicklich wieder und rief keck: »Elender!«
Benedetto brach in ein schallendes Gelächter aus, wie jemand, der sich über die ohnmächtige Wut eines Kindes lustig macht.
»Elender, der Du bist!« sagte er; »Du, der Du Dich durch eine rohe Leidenschaft fortreißen ließest, mit Augen, ohne zu sehen, mit Ohren, ohne zu hören! Vampa, ist es Dir denn nicht bekannt, daß ich alles weiß? Du bist entwaffnet und allein in diesem Gewölbe; Du hast keine andere Gesellschaft als das Opfer Deiner Lüsternheit! Von dem Augenblicke an, wo Du in diese Gewölbe hinabstiegest, habe ich auf die Gelegenheit gelauert, mich Dir zu zeigen, um Dir, gleich einem guten Leichenräuber, Dein Leichentuch zu nehmen. Ich hörte die Schüsse Deiner Pistolen und dann erst stieg ich herab, denn der Drache hatte keine Zähne mehr, und konnte deshalb nicht mehr beißen. Es bleibt Dir vielleicht noch ein Dolch – aber ich habe hier in den Läufen dieses Pistols zwei gute und sichere Kugeln, um Dich zu Boden zu strecken! Auf, Freund Vampa! Erspare mir wenigstens die Arbeit, Dich mit meinen eigenen Händen auszuplündern, oder mit anderen Worten, schone den Rest Deines Lebens, den Du noch in der Brust hast. Ich weiß, daß Du Dich all des Geldes bemächtigtest, welches hier in der Kasse der Bande lag: weiter verlange ich nichts. Vampa, Deinen Gürtel oder Dein Leben!«
»Verräter!« stieß Vampa wild hervor.
»Du weißt besser als ich, was das sagen will! – Ich tue weder mehr noch weniger, als was Du selbst tausend Male schon tatest: ich raube. – Schnell, Vampa! Keine Zögerung! – Die Börse oder das Leben!«
»Aber ich habe das Geld nicht!«
»Vampa – Vampa!«
»Höre,« sagte Vampa, indem er voll Verzweiflung umherblickte, »Du bist der Franzose, welcher der römischen Polizei meinen Kopf zu liefern versprochen hat! Du siehst wohl, daß auch ich alles weiß! Damit ist es nichts. Benedetto, Du willst mich berauben und dann verkaufen. Wo bleibt denn Dein Glaube? Was ist das für eine neue Schule des Verbrechens, der Du angehörst? – Woher kommst Du, treuloser, verräterischer Dämon, der Du so unternehmend und entschlossen bist? – O, erinnere Dich daran, daß ich die Reisenden beraubte, daß ich selbst einige derselben ermordete – daß ich zahllose Verbrechen beging, aber daß ich nie – nie, niemals den Kopf irgend eines Menschen verräterisch verkaufte!«
»Was soll denn diese Strafpredigt heißen? – Höre. Vampa, ich habe davon hinlänglich genug! – Denn ich sage Dir, ich weiß nicht, was bei Dir den Glauben erweckt haben kann, ich hätte Deinen Kopf schon verkauft. – Ich handle nicht mit Köpfen: Schnell, ergib Dich in Dein Los, denn Du selbst hast Dir die Lage bereitet, in welcher Du Dich befindest! – Fortgerissen, wie ich bereits sagte, durch Deine Leidenschaft, durch Deinen Wahnsinn, bist Du zu dem Orte gelangt, der Campi Lugentes genannt wird und den die Fabel uns beschreibt; laß jetzt Deine Tränen auf das verhängnisvolle Feld rinnen; leide, weil Deine Reihe gekommen, wie ich schon die meinige gehabt habe. Du wirst arm sein! – Desto besser für Deine Seele; Du wirst, wenn Du kannst, von Tür zu Tür, von Straße zu Straße, von einem Menschen zum andern, demütig um Almosen flehen! – Vampa, das alles ist ganz vortrefflich für Dein Seelenheil!«
Vampa machte eine Bewegung der Wut, als wollte er sich auf seinen Feind stürzen. Aber Benedetto erhob langsam die Mündung seines Pistols gegen die Brust des Banditen, der sich dadurch gezwungen sah, bleich, bebend und mit gesenktem Kopfe das anzuhören, was dem Sohne Villeforts gefällig war, ihm zu sagen.
»Ich,« fuhr dieser fort, »beraube den Räuber und deshalb werde ich mehr Jahre des Ablasses gewinnen, als mir zu leben bleiben; Du wirst Deine Verbrechen büßen und dadurch auch Deine Verzeihung erlangen. Indes, Vampa, laß uns die Zeit nicht länger verlieren. Dein Geld oder Dein Leben! Du weißt, was diese Worte zu bedeuten haben, denn Du bist in diesem Geschäft Meister.«
»Und wer steht mir dafür, daß Du mich nicht ermorden wirst, wenn ich Dir mein Geld gegeben habe?«
»Ich hätte das schon tun können und werde es auch tun, wenn Du nur noch eine einzige Minute länger zögerst.«
»Gut denn, so sei es; komm näher.«
»Lege es auf die Marmortafel neben Dein Opfer, und entferne Dich. – Ach, Eugenie!« fuhr Benedetto fort, »auch Du hast eine bittere Schmach erduldet! – Du, die Du dem Schutze Deiner Mutter entsagtest, die Du Dich allein in die Wirbel der Welt stürztest! – O Du, die dies tat, während so viele andere glücklich über diesen Schutz und über die Liebkosungen sein würden, die Du verschmähtest – Eugenie, wenn Dein Schlaf nicht der des Todes ist – leide, denn Du hast es verdient!«
Vampa, welcher seinen Gürtel auf den Marmortisch gelegt hatte, trat einige Schritte zurück. Benedetto sah nach dem Gelde und steckte es dann zu sich.
Der römische Bandit beobachtete scharf jede Bewegung Benedettos, in der Absicht, ihn unerwartet zu überfallen; aber dieser wendete nicht einen einzigen Augenblick die Mündung seiner Waffe von der Brust Vampas, und als er das Geld in Sicherheit gebracht hatte, ging er rückwärts nach dem Eingange der Galerie und nahm die Fackel mit sich, so daß der Bandit aufs neue in Finsternis versenkt und dem Märtyrertode überliefert war.
Vampa stürzte zu den Füßen des Cenotaphiums nieder und raufte sich das Haar.
Der Sohn Villeforts gelangte zu dem Ende des Ganges, schritt durch die in den Felsen gehauene Oeffnung und traf hier eine Gruppe, die aus zehn oder zwölf bewaffneten Männern bestand. Etwas weiterhin zeigte sich ein Piquet Kavallerie.
»Signor,« sagte Benedetto zu einem der Männer, »der Bandit ist allein.«
»Sie haben ihn gesehen?«
»Ja.«
Sie zogen sich geheimnisvoll in eine Ecke des Weges zurück und setzten hier ihr Gespräch fort.
»Signor,« sagte Benedetto, »ich leiste ohne allen Zweifel ganz Rom einen wichtigen Dienst: gleichwohl denke ich, daß Sie mich nicht gehen lassen, ohne mich durch einige Ihrer Soldaten eskortieren zu lassen, obgleich die Polizei keine Ursache hat, mir zu mißtrauen. Indes empfing ich bereits den Preis, der auf den Kopf des Banditen gesetzt ist, und das genügt.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Empfangen Sie den vierten Teil dieser Summe und sagen Sie, daß ich durch einen geheimen Gang der Katakomben entflohen sei.«
»Ihre Furcht könnte vielleicht nicht ganz ohne Grund sein. – Da Sie indes wünschen, mit der Polizei nicht weiter in Berührung zu kommen, müssen Sie besser als irgend jemand sonst kennen, was auf Ihrem Gewissen lastet. Händigen Sie mir daher das Viertel des Preises ein, den Sie empfangen haben, nicht etwa, daß ich dafür die Erfüllung der mir erteilten Befehle vernachlässigte, sondern dafür, daß ich Sie nach dem, was Sie mir eben sagten, gehen lasse. Erfahren Sie aber zugleich, daß meine Instruktion war, Sie vollkommen in Freiheit zu setzen, sobald wir uns Vampas bemächtigt hätten.«
Benedetto machte eine Bewegung der Ueberraschung und drückte dann dem Polizeibeamten eine kleine Rolle in die Hand.
»Ist das Gold?«
»Ueberzeugen Sie sich.«
»Einverstanden. Jetzt warten Sie noch einen Augenblick, bis meine Leute sich Vampas bemächtigt haben. Dann dürfen Sie sich entfernen.«
Der Polizeibeamte begab sich zu der Gruppe seiner Leute und rief: »Zündet die Fackeln an und steigt hinab. Holla, Kameraden! Auf, auf zum Werk!«
Die Lichter funkelten sogleich, und das Piquet Kavallerie näherte sich rasch dem Eingang der Katakomben; die Säbel flogen aus den Scheiden und die Polizeidiener stiegen hinab, um Vampa aufzusuchen.
Ein verzweiflungsvoller Schrei, ein wahnsinniger, rasender, von Wut erfüllter Schrei, ertönte einige Minuten darauf in dem Innern des unterirdischen Gewölbes.
»Hören Sie?«
»Ja.«
»Das ist das Gebrüll des Löwen, der niederstürzt, um sich nicht mehr zu erheben. Es ist der berüchtigte Luigi Vampa, der sich jetzt in der Gewalt der römischen Justiz befindet.«
»Gehen Sie; Sie sind frei!«
Der Sohn Villeforts verschwand in der Dunkelheit der Nacht.
*