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Kaum hatte der Gondolier Giacomo seine Gondel an den Stufen der Guidecca in der Nähe des Hotels, welches Maximilian Morel bewohnte, angelegt, als er mit einer Leichtigkeit, welche ihm Ehre machte, eine enge Gasse entlang lief, die neben dem Kanal hinführte, und an die Tür eines Häuschens klopfte, das nur aus einem einzigen Stockwerke bestand.
» Madre de Dio!« rief im Innern eine weibliche Stimme, »wenn ich nicht den Schelm von Giacomo erwartete, so würde ich darauf wetten, daß es ein Besuch der Douane ist, die auf die Anzeige irgend eines Neidischen unsere Tür einstoßen will. – Bist Du es, Giacomo?«
»Ja! ja! Oeffne! Schnell!«
» Sapristi! wie Du es eilig hast! Gleichwohl mußt Du Dich darein ergeben, zu warten; denn wenn Du herein willst, so mußt Du das mit mehr Artigkeit fordern. Uebrigens ziehen sich auch die Riegel der Tür schwer zurück, besonders für meine Hände, die nicht wie die Deinigen mit Pergament überzogen sind.«
»Oh, laß uns nicht eine kostbare Zeit mit Kleinigkeiten verlieren!« rief Giacomo mit immer wachsender Ungeduld.
»Ei, seht doch! – Der Herr kommt gewiß, um mir den Vorschlag zu machen, den Tag unserer Trauung in der alten Kathedrale von St. Marcus festzusetzen. – Sag, Giacomo, ist es nicht so?«
»Du spottest – und dennoch fehlt nicht viel, so hast Du es richtig getroffen.«
»Wirklich?« erwiderte das Mädchen mit einem spöttischen Gelächter, bei dem das ohnehin schon stark aufgeregte Herz des Gondoliers erbebte.
»Nun!« rief er, »wirst Du die Tür öffnen? Ja oder nein!«
»So! – Nun laß hören, was willst Du?«
Die Tür öffnete sich, und Giacomo stand einem schönen Mädchen von 20 bis 22 Jahren gegenüber, dessen bis zu den Ellenbogen bloße Arme durch ihren Muskelbau die große Kraft der schönen Venetianerin verrieten.
»Wo ist Dein Bruder Pietro?«
»So, das ist also der gute Abend, den Du mir wünschest? – Mach mir das Vergnügen, Dich vor mir achtungsvoll zu verneigen und dann so schnell wie möglich wieder fortzugehen, denn ich will mich zu Bett legen. – Da soll man auch noch seine Zeit verlieren, ein solches Ungeheuer zu erwarten!«
»Du hast keinen Grund so zu sprechen, meine gute Rosina! Wenn Du wüßtest, um was es sich handelt, so würdest Du Dich nicht darüber wundern, daß ich vergaß, Dir einen guten Abend zu wünschen.«
»Wirklich? Der Signor bildet sich ohne Zweifel ein, er sei in einer jener verrufenen Schenken, wo man noch ein Gläschen zu bekommt! Man muß gestehen, daß Du nichts bist und nie etwas anderes sein wirst als ein großer Taugenichts.«
»Rosina!« rief Giacomo, als er sah, daß sie einen Zipfel ihrer Schürze an die Augen drückte, um ihre Tränen zu trocknen, »sei doch nicht so eifersüchtig, denn ich schwöre Dir, daß Dein Giacomo das nicht verdient! – Willst Du wissen, warum ich gleich nach Deinem Bruder gefragt habe? Nun sage, willst Du es wissen?«
»Nein, ich will nichts wissen! – Ich will nur eines – daß Du mich sogleich verläßt!«
»Aber so höre mich doch; sei doch nicht so! Ich fragte Dich zuerst, wo Pietro ist, weil –«
»Ich habe Ihnen schon gesagt, Signor Giacomo,« rief Rosina, indem sie sich hastig neben einen Tisch, auf dem ein Krug und ein Glas standen, auf einen Stuhl warf, »ich will nichts wissen – durchaus gar nichts! – Verstehen Sie mich?«
»Ach, was ist doch die Eifersucht für eine böse Sache!«
»Die Eifersucht!« entgegnete sie, indem sie aufstand und mit dem Ausdrucke der höchsten Geringschätzung die Hände auf die Hüften stemmte. »Die Eifersucht! – Haben Sie denn den Kopf verloren? Um auf Sie eifersüchtig zu sein, müßte ich erst in Sie verliebt sein, aber davon will ich durchaus gar nichts wissen.«
»Wie, Du, ein verständiges Mädchen kannst solche Gedanken hegen? – Nun komm, laß uns wieder gut Freund sein, und ich will Dir erzählen, was mir den Kopf so verdreht hat, daß ich darüber vergaß, Dich gleich bei meinem Eintritt zu umarmen!«
»Mich umarmen! – Das möchte ich doch wohl sehen!« sagte Rosina, indem sie wieder laut auflachte. »Sie müssen ein für allemal wissen, Signor Giacomo, daß meine Küsse nicht für Leute Ihrer Art sind.«
»Nun, das ist allzuviel Bescheidenheit.«
»Und Du bist allzu keck. Sieh Dich vor, daß Du mich nicht zum Aeußersten bringst, sonst werfe ich Feuer in das Pulver! – Wäge daher Deine Worte wohl ab, denn Du kennst Rosina!«
Giacomo sah wohl ein, daß das Gespräch einen Ton angenommen hatte, der nicht zu seinem Vorteil gereichen konnte, und faßte den klügsten Entschluß, den, zu schweigen. Er begnügte sich daher, seiner hübschen Gegnerin nur durch ein Lächeln zu antworten, welches er so zärtlich wie möglich zu machen suchte und setzte sich dann, um seine Pfeife zu stopfen. Als dies geschehen war, zündete er sie an einer alten Kupferlampe an, aber in eben dem Augenblicke zog Rosina die Lampe zu sich und machte den Docht zurück, indem es schien, als wollte sie ihn putzen; das alles tat sie mit einer verzweiflungsvollen Langsamkeit, einer Langsamkeit, über die ein Heiliger hätte in Verzweiflung geraten können, geschweige denn ein ungeduldiger Gondolier.
Dies Benehmen verfehlte gleichwohl seinen Zweck; Giacomo sagte kein Wort, er legte indes die Pfeife auf den Tisch und stand auf wie ein Mensch, der entschlossen ist, eine Sache zu ertragen, ohne darüber ärgerlich zu werden.
»Der Teufel,« sagte er, indem er im Zimmer umherging, »ich hatte sehr darauf gehofft, Pietro zu treffen. Die Sache erfordert Eile – jede Verzögerung ist sehr unangenehm – und das Geschäft läßt sich durchaus nicht verachten. Nun, ich muß warten! – Pietro wird doch wohl bald zurückkehren.«
Indem Giacomo so sprach, näherte er sich wieder dem Tisch, nahm das Glas in die Hand und streckte die andere nach dem Kruge aus, aber Rosina tat in eben diesem Augenblick, als wäre sie sehr zerstreut, drückte mit dem ganzen Gewicht ihres Körpers auf die eine Seite des Tisches, so daß dieser aufkippte, der Krug umschlug und der Wein aus demselben herauslief. Giacomo setzte augenblicklich das Glas nieder auf den Tisch, begnügte sich, mit der Zunge zu schnalzen, und wendete Rosina den Rücken.
Die Geduld und die Ergebung, mit welcher der arme Gondolier die interessanten Bosheiten seiner hübschen Tyrannin erduldete, trugen viel dazu bei, um über die böse Laune des Mädchens zu triumphieren.
Sie war es, welche zuerst das Stillschweigen brach.
»Also,« sagte Rosina, »ist Signor Giacomo, der Gondolier des Rialto, geneigt, die Nacht hier bei mir zuzubringen?«
»Da Du nicht gewöhnt bist, eher schlafen zu gehen, ehe Dein Bruder nach Hause kommt, glaube ich Dir nicht im Wege zu sein.«
»Aber wenn nun mein Bruder diese Nacht nicht nach Hause kommen sollte?«
»Ach, das wäre ein großes Unglück, Rosina,« entgegnete Giacomo, »ich muß durchaus mit ihm sprechen, und zwar noch heute.«
»Was geht denn mich das an? – Indes gleichviel, ich würde nicht bös sein, zu erfahren, um was es sich handelt.«
»Bilde Dir einmal ein, man hätte einen verzauberten Schatz entdeckt – auf einer Insel, die nur Dein Bruder allein aufzufinden vermag!«
»Ei, es handelt sich also um Wundergeschichten? Um Erzählungen zum Einschläfern? Mach, daß Du fortkommst, mein Freund. Die Milchzähne sind mir schon ausgefallen. Bei mir haben die Ammen keine gute Zeit.«
»Rosina,« sagte Giacomo, indem er sie mit dem ernsthaftesten Blicke von der Welt ansah, »ich bin kein Kind, das man durch Ammenmärchen unterhalten kann. Ich weiß, was ich sage, und ich denke ebensogut, ebenso verständig wie der Klügste!«
»Ei ja – das wissen wir; Du bist immer so eine Art von Superklug gewesen,« entgegnete Rosina mit lautem Gelächter.
Giacomo errötete vor Unwillen, ließ sich indessen nicht irre machen.
»Lache, scherze, verspotte mich, soviel Du willst,« sagte er, »aber glaube mir, Rosina. Vor einem Jahre habe ich Dir die Ehe versprochen, und seitdem ist nicht ein einziger Augenblick vergangen, ohne daß ich daran dachte, wie ich reich werden soll.«
»Ei, seht doch!« unterbrach ihn Rosina mit dem unbefangensten Wesen von der Welt, »wie kommt es denn, daß Du, der Du doch so klug sein willst, noch nicht das Mittel ausfindig gemacht hast, reich zu werden?«
»O, wenn unser heiliger Schutzpatron mir nicht die beispiellose Geduld verliehen hätte, von Dir alles zu ertragen – dann hätte ich schon irgend eine Torheit begangen, nur um Dich zum Schweigen zu bringen! – Aber,« fuhr Giacomo fort, indem er einen tiefen Seufzer ausstieß, »das Glück, welches man uns unter der Gestalt eines Weibes mit einer Binde über den Augen darstellt, erscheint mir in der Gestalt eines schönen Vogels mit goldigem Gefieder, der stets vor den Armen herflattert, ohne daß sie ihn jemals auch nur mit einer Fingerspitze erreichen können. Aber diesmal habe ich ihn gefaßt! Ich bin so überzeugt davon, den Vogel in der Hand zu halten, als es wahr ist, daß der geflügelte Löwe zu den Füßen des heiligen Marcus liegt.«
Das Wesen der Ueberzeugung, mit welchem der Gondolier diesen Satz sprach, reizte lebhaft die Neugier der schönen Rosina, welche sonst ihre geringste Sünde war. Deshalb richtete sie ihre schwarzen Augen auf das ausdrucksvolle Gesicht Giacomos, und indem sie jedes ihrer Worte mit dem liebenswürdigsten Lächeln begleitete, sagte sie:
»Du wirst gewiß Durst haben, Giacomo? Schon längst hätte ich Dir ein Glas Wein vorsetzen sollen, weil jetzt nichts mehr in dem Kruge ist – aber das bleibt sich gleich. Die Zögerung wird Deinen Durst nur gesteigert haben, und folglich wird das Vergnügen, ihn zu stillen, um so größer sein.«
Indem die liebenswürdige Rosina so sprach, öffnete sie einen Wandschrank und nahm daraus eine Flasche mit Wein, die sie dem Gondolier reichte.
»Nun, das lasse ich mir gefallen,« sagte Giacomo. »Auf Deine Gesundheit, meine Rosina! Ein andermal sei nicht so boshaft!«
»Boshaft! Ich!« entgegnete sie mit erzwungener Gutmütigkeit. »Boshaft! Das ist Deine ewige Beschuldigung! – Aber lassen wir das und plaudern wir miteinander. Sagtest Du nicht, daß das Glück, der Vogel mit dem schönen, reichen Gefieder, Dich beständig fliehend, vor Dir herflattert?«
»Ich sagte Dir, daß ich den Vogel in der Hand halte,« entgegnete rasch der Gondolier, indem er sich an die Seite Rosinas setzte und seinen kräftigen Arm um die schlanke Taille der liebenswürdigen Tochter des Lido legte.
»Wieso denn das?« fragte sie.
»Ich bin aufgefordert, einen ungeheueren Schatz aufsuchen zu helfen, der auf einer von den Inseln des Mittelländischen Meeres verborgen liegt.«
Rosina runzelte die Stirn und machte eine Bewegung des Zweifels.
»Auf welcher Insel?« fragte sie.
»Wenn ich Dir das Geheimnis mitteile, wirst Du es dann unverletzt bewahren?«
»Eine schöne Frage!«
»Verzeihung, meine Rosina; aber, siehst Du wohl, ich habe oft sagen hören – und das ist eine so allgemein verbreitete Meinung: ein Geheimnis in dem Munde eines Weibes ist Kork auf dem Meere.«
»Ei, sieh einmal! – Das ist sehr geistreich gesagt!« meinte Rosina, indem sie sich von dem Gondolier einen Kuß rauben ließ. »Nun, trink doch noch einen Schluck – man sollte wahrlich glauben, mein Wein schmeckte Dir nicht.«
»Es ist mit Deinem Wein gerade wie mit Dir!« sagte Giacomo, indem er ein Glas auf einen Zug leerte und dann seiner Geliebten einen zweiten Kuß raubte.
»Also ist die Insel weit von hier entfernt?«
»Es ist die Insel Monte Christo,« sagte der Gondolier.
»Was sagst Du?« rief Rosina und machte eine Bewegung, um aufzustehen.
»Kennst Du denn die Insel?« fragte Giacomo voll Besorgnis.
»Ich! Nicht im geringsten von der Welt! – Aber der Name klang mir so hübsch – wiederhole ihn mir doch O noch einmal.«
»Monte Christo!« wiederholte der Gondolier.
»Monte Christo! Sag einmal, Giacomo, zu welchem Lande gehört denn die Insel?«
»Meiner Treu, davon weiß ich nichts; aber soviel ist gewiß, daß sie einen großen Schatz enthält, der den Armen gehört, weil er aus dem Schweiße der Armen entsprungen ist. Du siehst also wohl, da wir Anspruch auf einen Teil von diesen Reichtümern haben, denn wir sind sehr weit davon entfernt, im Wohlstand zu schwimmen – und haben wir unseren Anteil dann in den Händen, meine Rosina, nun – dann ist hier ganz in der Nähe die alte Kathedrale des heiligen Marcus, die uns ihre Arme entgegenstreckt! Für den Augenblick erwarte ich nur noch Deinen Bruder Pietro, der mir sagt, wo die Insel liegt; denn nur er kennt das Mittelländische Meer ebensogut, wie ich den Lido kenne.«
»Pietro kehrt diese Nacht nicht nach Haus zurück,« sagte Rosina nach einem Augenblick des Schweigens.
»Weshalb denn nicht? – Oho – es ist also wohl dort etwas Großes los?«
»Das ist wahr. Es handelt sich um eine Ladung guten Cyper- und Constanzia-Weines für den Grafen Gradenigo, der nächstens die Ankunft eines seiner Freunde durch einen Ball feiern will.«
»Der Teufel hole den Ball und den Freund des Grafen Gradenigo!« rief der Gondolier, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug.
Rosina warf ihm einen zornigen Seitenblick zu, als wollte sie ihm seine Heftigkeit zum Vorwurf machen, und entfernte sich dann, indem sie eine Volksmelodie trällerte.
Giacomo blieb schweigend sitzen, die Arme auf den Tisch gestützt und den Kopf auf die Brust herabgesenkt; er schien nachzudenken, auf welche Weise er ein Auskunftsmittel für die Abwesenheit Pietros finden könnte.
»Giacomo,« sagte Rosina, indem sie den Zeigefinger gegen ihn erhob, als wollte sie ihn zum Schweigen auffordern, und die langsamen, abgemessenen Schläge der Uhr der Kathedrale zählend, welche Mitternacht verkündete, »Dein Besuch darf heute nicht länger dauern. Es ist Mitternacht, und ich muß mit der Sonne aufstehen.«
»Es ist also wirklich wahr, daß Dein Bruder Pietro heute nicht zurückkehrt?«
» Santa Madre de Dio! vielleicht auch morgen noch nicht und um so weniger heute.«
»Das genügt,« sagte der Gondolier, indem er sich mit der Hand über die Stirn fuhr. »In diesem Falle ziehe ich mich zurück. Gute Nacht, meine Rosina, und erinnere Dich an das, was Dir Dein Giacomo gesagt hat: Der Tag zu unserer Hochzeit ist bereits festgesetzt!«
Rosina antwortete durch eine anmutige und liebevolle Bewegung auf diese Erklärung Giacomos und schloß, sobald er zum Hause hinaus war, gewissenhaft hinter ihm die Tür, aufmerksam auf das Geräusch seiner Schritte lauschend, um sich zu überzeugen, daß er sich auch wirklich entfernte. Als sie dann versichert war, daß er schon weit fort sei, eilte die hübsche Venetianerin zu der Tür eines Gemaches im Hintergrunde des Hauses, klopfte an und rief mehrmals:
»Pietro! Pietro!«
»Was gibt es?« fragte die rauhe Stimme eines Mannes, der gähnte, um sich die Kinnbacken zu sprengen, als wäre er ganz in Schlaf versunken.
»Steh auf, mein teurer Pietro,« sagte das Mädchen, »denn ich glaube, es ist der Augenblick gekommen, unserm Beschützer nützlich zu sein.«
Rosina wiederholte diese Worte zwei- oder dreimal, bis ihr Bruder den Sinn derselben deutlich verstand, endlich aus dem Bette sprang, sich in eine Decke hüllte und Rosina entgegentrat.
Pietro war ein Bursche von 24 bis 25 Jahren und von mittlerem Wuchs; übrigens hatte er ein braunes, ausdrucksvolles Gesicht, ein entschlossenes Wesen, und seine ganze Erscheinung verriet zugleich Sanftmut und Tatkräftigkeit, wie dies bei allen Söhnen Italiens der Fall zu sein pflegt.
»Nun, was willst Du denn eigentlich sagen, Rosina?« fragte er, indem er sich noch immer die Augen rieb.
»Pietro,« entgegnete Rosina, »ehe unser Vater starb, verlangte er von uns das eidliche Versprechen, den Mann zu ehren und zu achten, der unsern Weinhandel beschützte.«
»Ja; – und was weiter?«
»Die Insel Monte Christo, auf der er gewöhnlich seine Ladungen einnahm, war, wie Du weißt, das Eigentum Sindbads des Seemanns, und alle Kontrebandierer haben diesem Manne eine ewige Ergebenheit gelobt. – Nun weißt Du auch, daß Sindbad, der Seemann, auf jener Insel einen unterirdischen Palast hat, den unser Vater, wie er uns versicherte, selbst gesehen hat, und daß in diesem Palaste große Reichtümer aufgehäuft sind.«
»Ja, sehr oft habe ich meine Kameraden von diesem Wunder sprechen hören, obgleich ich selbst es für Betrug halte, wenn ich an dem Ufer sitzend die nackten, unfruchtbaren, steilen Felsen betrachte, die auf dem Mittelpunkte der Insel emporragen.«
»Denke davon, was Du willst, Pietro,« erwiderte Rosina. »Die Sache ist, daß in diesem Augenblick jemand darauf sinnt, den Palast zu plündern.«
»Das ist etwas anderes – nur gibt es dabei einen kleinen Uebelstand – nämlich, daß der, welcher hineindringen will, ein gewisses Geheimnis kennen muß.«
»Geheimnis oder nicht – ich fühle mich dadurch nicht beruhigt, sondern fürchte etwas! Giacomo war hier, eben erst, und er sprach zu mir auf eine solche Weise, daß ich glauben muß, es hat sich eine Bande von Flibustiern gebildet, um die Insel auszuplündern. Glaube mir, Pietro, es würde nicht übel sein, sich mit irgend jemand zu verständigen, um darüber zu beraten, was zu tun ist, denn wir haben geschworen, den Vorteil Sindbads des Seemanns zu wahren, wie er den unsrigen gewahrt hat! – Giacomo fragte nach Dir, und ich sagte ihm, Du wärest mit einer Weinsendung für den Grafen Gradenigo beschäftigt.«
»Die Sache ist glücklicherweise schon abgemacht,« erwiderte Pietro, »bleibe ganz ruhig, Rosina; morgen wollen wir sehen, was zu tun ist, um den Raub zu verhindern, den man Deiner Meinung nach an dem unterirdischen Palaste der Insel Monte Christo auszuführen beabsichtigt.«
»Ach,« flüsterte Rosina einige Minuten darauf, indem sie sich zu Bett legte, »ich büße dadurch vielleicht mein Glück ein, aber ich bleibe treu dem Versprechen, das wir alle geleistet haben, den Vorteil dessen zu wahren, der nicht nur den unsrigen unterstützte, sondern auch unsere Leute beschützte.«
Am nächsten Morgen verrichtete Pietro ein kurzes Gebet vor dem Altare seines Schutzheiligen in der Kathedrale von St. Marcus, schritt dann über die Piazza und ging dem Quai zu, indem er sich nach allen Seiten umsah, wie jemand, der in der umgebenden Menge irgend einen Menschen zu entdecken bemüht ist.
Einige Minuten, nachdem sein Blick den lebendigen Strom, der auf dem Quai hin und her flutete, durchdrungen hatte, bemerkte Pietro den Gondolier Giacomo, der damit beschäftigt zu sein schien, seine Gondel an dem Eisenring zu befestigen, der in den Steinen eingelassen war.
Er eilte auf ihn zu.
»Holla, Giacomo!« rief er.
»Ei, sieh! – Du bist es, Pietro? In dieser Stunde hier? Wie kommt denn das?«
»Ich bin soeben angelangt.«
»Ich glaubte, Du wärest noch mit der Weinsendung für den Grafen Gradenigo beschäftigt,« sagte Giacomo mit leiser Stimme, indem er die Kette seiner Gondel vollends befestigte und sich dann zu seinem Freunde umwendete.
»Ich bin schneller damit fertig geworden, als ich dachte.«
»Vortrefflich, Pietro, denn ich habe Dir ein anderes Geschäft vorzuschlagen.«
»Das sagte mir Rosina und deshalb bin ich sogleich hergeeilt, weil ich überzeugt war, Du würdest nirgend anders zu finden sein als hier auf dem Quai.«
Indem Pietro und Giacomo so miteinander sprachen, entfernten sie sich von der Menge und näherten sich allmählich der Riesentreppe, welche in diesem Augenblicke noch ganz öde war, so früh war es noch am Tage.
»Nun, was ist das für ein Geschäft?«
»Ein ganz einfaches. Ich bin beauftragt, ein kleines Fahrzeug von hier nach dem Mittelländischen Meere auf eine Insel zu leiten, die Monte Christo heißt. Ich bin zwar nicht ohne Kenntnis des Mittelländischen Meeres, wie Du weißt, aber ich kenne doch die Lage dieser Insel nicht, und dabei ist eben nichts zu verwundern, denn ich glaube, daß sie sehr selten besucht wird.«
»Erst vor kurzer Zeit bin ich dort gewesen, um einige Fässer Malaga an Bord zu nehmen, die ich hierher nach Venedig brachte,« entgegnete Pietro hastig.
»Freilich, freilich,« erwiderte der Gondolier, »ich weiß, daß die Söhne des Bando diese Insel kennen, wie ich meine Finger. Du würdest deshalb sehr liebenswürdig sein, wenn Du mir den einzuschlagenden Weg und die Höhe der Insel beschreiben wolltest.«
»Weiter nichts?« sagte Pietro, indem er spöttisch lachte.
»Denke nur daran, Pietro, daß das keineswegs eine bloße Geschichte von Worten ist, eine Windbeutelei –«
»Sie trägt also Geld ein?«
»Das ist so gewiß, wie St. Marcus nie etwas von den Türken wissen wollte, solange Venedig Venedig war. Willst Du mich heute an einen gewissen Ort begleiten, so wirst Du den Beweis für die Wahrheit dessen empfangen, was ich Dir sage.«
»Ich bin dazu bereit.«
»Nun gut – dann werde ich Dich nach dem angelus in meiner Gondel erwarten, am Landungsplatze des Kanals Orfano.«
»Der Teufel! Was gibt es? Du hast da einen sehr schlechten Gedanken gehabt.«
»Weshalb?«
»Weil mir bei dem Namen des Kanals Orfano allerhand finstere Dinge in den Kopf kommen, so daß ich zittern muß.«
»Du scherzest ohne Zweifel? Bist Du etwa zufällig ein Geisterseher?«
»Nein – und der Beweis ist, daß Du auf mich zählen darfst! Ich werde mich pünktlich einstellen.«
»Auf Wiedersehen denn!«
»Gott nehme Dich in seinen heiligen und würdigen Schutz, Giacomo!«
Pietro und Giacomo tauschten, ehe sie sich trennten, einen Händedruck und verloren sich dann bald unter der Menge.
Beinahe augenblicklich trat hinter einem Pfeiler, der in geringer Entfernung stand, ein Mann hervor. Dieser Mann hatte keine Bewegung, keine Miene der beiden Venetianer verloren, solange ihre Unterhaltung dauerte. Er eilte dem Gondolier nach und berührte dessen Schulter.
»Ha!« rief der Gondolier, indem er sich lebhaft umwendete, »Sie hier?«
»Ja, ich, und das darf nicht überraschen, denn ich bin immer da, wo ich sein soll, oder mit andern Worten, ich bin überall und sehe alles.«
» Dio!« rief der Gondolier, »soviel erwartete ich nicht von einem einfachen Kapitän einer Yacht.«
»Das kommt daher, weil Du ohne Zweifel vergessen hast, daß die Yacht der Sturm heißt, und weil Du nicht weißt, daß ihr Kapitän der Wille Gottes ist!«
Der Gondolier sah voll Staunen den Mann an, dessen Worte ihm immer sonderbarer erschienen.
»Betrachte mich nicht so verdutzt, Giacomo. – Ja, seitdem Du mein Fahrzeug verließest, hat mein Blick nicht aufgehört, Dir überallhin zu folgen, wohin Du gingst. Ich beobachtete Dich, während Du schliefst, und sah, daß Du durch einen köstlichen Traum entzückt warst, durch den Traum an die Schätze, die auf der Insel Monte Christo verborgen liegen!«
»Das ist wahr, Signor, das ist wahr! Obgleich ich nicht neidisch bin, gestehe ich doch, daß ich nicht böse sein würde, diesen Schatz in der Nähe zu sehen!«
»Ich habe schon ein Mittel ausfindig gemacht, um den Weg dahin und die Höhe der Insel kennen zu lernen.«
»Du sollst ihn sehen!«
»Diesen Abend, wenn das angelus von der Kathedrale des heiligen Marcus ertönt, erwarten Sie mich an Bord des Sturmes.«
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