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Wilhelm Waldeyer

(1836-1921)

Begrüßungsrede an Robert Koch, gehalten am 1. Juni 1909 in der Akademie der Wissenschaften in Berlin

Sie nannten, Herr Koch, unter den Männern, deren Einfluß auf Ihre wissenschaftliche Durchbildung Sie dankbar anerkennen, unter wenigen anderen Jacob Henle, seinerzeit unser korrespondierendes Mitglied. Will man Ihr bisheriges Lebenswerk in kurzen Strichen zeichnen, so könnte man sagen, das, was Henle durch theoretische Deduktion erschlossen und in seinem 1840 erschienenen Werke »Von den Miasmen und Kontagien und von den miasmatisch-kontagiösen Krankheiten« dargelegt hatte, daß nämlich die seuchenartigen Krankheiten durch besondere pathogene Lebewesen als Erreger hervorgebracht werden müßten, sei Ihnen gelungen, tatsächlich und einwandfrei bei den wichtigsten Infektionskrankheiten festzustellen. Ich nenne den Milzbrand, die Wundinfektionskrankheiten, die Tuberkulose und die Cholera. Nicht, als ob ich mit dieser Erinnerung an Henle sagen wollte, er habe Ihnen die Wege zu Ihren glänzenden Entdeckungen gewiesen: Als Sie und ich unserer Zeit bei Henle hörten, erfuhren wir nichts weiter von diesen Pathologicis mehr. Henle hatte sich längst auf die Anatomie beschränkt, und Sie, Herr Koch, sind Ihr eigener Pfadfinder!

Völlig überflüssig erscheint es in dieser Stadt, in der Sie den Kern Ihrer Forschungen enthüllt haben, und an dieser Stelle, von der aus man gern die Aufmerksamkeit auf alle Wissensgebiete lenkt, von der Bedeutung Ihrer Entdeckungen zu sprechen. Diese Bedeutung ist nach den verschiedensten Seiten hin, nach der speziell medizinischen, nach der hygienischen, aber auch nach der sozialen und kulturellen, eine so große, daß man die Tragweite nur weniger Entdeckungen damit vergleichen kann. Was sich heute und hier an dieser Stätte wohl zu sagen ziemen dürfte, ist ein Hinweis auf die wissenschaftliche Bedeutung Ihrer Arbeit, eine Bedeutung, die bei der großen Wertung Ihrer Forschertätigkeit in praktisch-medizinischer und sozialer Hinsicht mehr in den Schatten zu treten pflegt. Ferner möchte ein Hinweis auf Ihre beiden ersten Arbeiten über die Wundinfektionskrankheiten und den Milzbrand und auf Ihre neuesten Untersuchungen über die Schlafkrankheit, über die Sie uns in unseren Sitzungen auch einiges mitgeteilt haben, am Platze sein.

Kurz gefaßt, kann man sagen, daß Ihre Untersuchungen, als sie vor 30 Jahren in die Arena traten, eine wissenschaftliche Bakteriologie erst geschaffen haben. Und dies große Gebiet unserer Kenntnis birgt soviel Probleme rein naturwissenschaftlicher Art, daß das Ende der Forschungsarbeit nicht abzusehen ist. Damals, vor 30 Jahren, war man noch nicht im reinen darüber, ob die kleinsten, mit den Namen Kokken, Bazillen und Bakterien belegten Mikrophyten auch strikte in abgeschlossene Arten zerfielen; man kannte nur wenig über ihre Fortpflanzung und über ihre Lebensbedingungen, obwohl die rühmenswerten Arbeiten de Barys und Ferdinand Cohns, unserer Korrespondenten, bereits vorlagen. Man stritt unter anderem noch darüber, ob die stäbchenförmigen bewegungslosen Bildungen, welche Pollender, Rayer und Davaine im Blute an Milzbrand verendeter Tiere gefunden hatten, Lebewesen seien, und ob sie die Erreger des Milzbrands seien. Man bezweifelte zwar nicht mehr, daß die infektiösen Wundkrankheiten auf bakterienartige Erreger zurückzuführen wären, zumal die Erfolge der Listerschen Operationsweise und Wundbehandlung gebieterisch darauf hinwiesen; aber man kannte diese Erreger nicht; von einem wurde diese, von anderen jene Form dafür ausgegeben. Da erschien 1876 Ihr Werk: »Zur Ätiologie des Milzbrandes« und zwei Jahre später Ihre Schrift: »Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten«. Ich weiß es von mir selbst und aus Besprechungen mit meinem Schüler und Freunde Karl Weigert, welchen Eindruck diese Veröffentlichungen derzeit machten. Sie lieferten durch ebenso einfache wie ingeniöse Methoden uns die Wege einer Reinkultur der Bakterien und somit die sichere Erkenntnis ihrer Arten. Sie brachten uns die Gelatine-Nährböden, welche sowohl im festen wie flüssigen Aggregatstande verwendet werden konnten und zeigten klar die Wege experimenteller Forschung auf diesem Gebiete. Sie wiesen nach, daß die Pollenderschen Stäbchen im Blute lebender Versuchstiere wachsen und eine Art Sporen bilden, die wieder zu den Stäbchen, den Milzbrandbazillen heranwachsen. Endlich zeigten Sie, daß durch Impfung der Sporenkörper auf ein gesundes Tier in diesem die Stäbchen sich heranbilden, und daß dann das Tier an Milzbrand erkrankt erscheint. In derselben Weise wiesen Sie nach, daß der Wundinfektion spezifische pathogene Bakterien zugrunde liegen.

Jetzt war der Weg gewiesen, auf dem man gegen die verschiedenen Infektionskrankheiten vorrücken konnte. Man darf zweifellos sagen, daß alle weiteren Untersuchungen im Grunde von diesem Ihrem Wege ausgehen, und Sie selbst haben ihn im Verein mit zahlreichen Schülern weiter ausgebaut. Dieser Weg führte Sie dann zur Entdeckung des Tuberkelbazillus und des Cholerabazillus.

Sie begnügen sich aber nicht damit, die Krankheitserreger nachgewiesen zu haben, sondern gehen ihren Lebensbedingungen nach und den Mitteln und Wegen, durch die und auf denen sie zu bekämpfen sind, wobei mancher hohe Erfolg zu verzeichnen ist.

Eines muß aber hier besonders hervorgehoben werden, das ist die streng wissenschaftliche Methodik, mit der Sie vorgehen. Alle Ihre Schlußfolgerungen stützen Sie auf eine feste Basis, sodaß auch hierin Ihre Arbeit eine vorbildliche genannt werden darf.

Ich übergehe die unzweifelhaft hohen Verdienste, welche Sie sich um die Erforschung der Malaria, der Lepra, der Rinderpest und der Menschenpest, der Ruhr und des Typhus abdominalis erworben haben, um noch kurz auf Ihre letzten Arbeiten über die Schlafkrankheit, welche jüngst in Afrika eine so schreckenerregende Ausbreitung genommen hat, zurückzukommen. Sie haben hier sowohl Ihre Aufmerksamkeit auf die Mittel zu deren Bekämpfung als auch auf den Lebensweg des Erregers derselben, des Trypanosoma gambiense, gerichtet. Der Zwischenwirt dieses Trypanosoma, die Glossina palpalis, ist leider nicht auszurotten, daher mußte das Bestreben sein, ein Mittel zu finden, welches das Trypanosoma im Blute des Menschen beseitigt, damit die Glossinen sich nicht das Trypanosoma vom Menschen immer wieder aufs neue holen können. Diese Versuche werden fortgesetzt.

Was den Lebensgang des Trypanosoma gambiense anlangt, so haben Sie bereits vor einigen Jahren im Blute des Zwischenwirtes, der Glossina palpalis, männliche und weibliche Formen des Trypanosoma beschrieben; ähnliche Befunde haben Gray und Tulloch gemacht. Die Akademie spricht den Wunsch aus, daß Ihnen auch bei diesen Untersuchungen ein voller Erfolg beschieden sein möge, den neueste Untersuchungen von Kleine in Ostafrika wohl in Aussicht stellen.

Indem die Akademie Sie, Herr Koch, in ihre Mitte berief, wollte sie Ihnen ein Zeichen hoher Anerkennung Ihrer wissenschaftlichen Arbeit geben. Sie hofft und wünscht, daß Sie sich bei ihr heimisch fühlen und in frischer gewohnter Arbeitskraft die Befriedigung auch in ihrer Mitte finden, welche Ihnen immer die liebste und größte war, die, welche eine rastlose Tätigkeit im Dienste der Wissenschaft und Menschheit gewährt.


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