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Während ihren Vater die Möglichkeit zukünftiger Sorge beschäftigte, kostete Gretchen selbst die Bitterkeit des Augenblicks. Die Kindheit kennt keine bösen Ahnungen, dafür fehlt ihr freilich auch der Trost der Erinnerung an überwundene Leiden.
Schon am frühen Morgen war es Gretchen übel gegangen. Gegen elf Uhr schon war ihr die Freude über die Anwesenheit Luciens und die Aussicht auf den Nachmittagsbesuch im Tannenhofe, wo sie Onkel Pullet's Spieluhr zu hören hoffte, durch die Ankunft des Friseurs aus der Stadt verleidet, der von dem Zustande ihres Haares in den härtesten Ausdrücken gesprochen, einen zerhackten Streifen nach dem andern in die Höhe gehalten und ihr mit einem Ausdruck von Abscheu und Mitleid gezeigt hatte, der für das arme Gretchen gradezu zerschmetternd war. In dem Augenblicke schien ihr dieser Friseur mit seinen wohlgeölten Locken, die ihm von der Stirn aufwallten wie die Flammen auf einer Grabes-Urne, der allerentsetzlichste Mensch zu sein, und sie nahm sich vor, ihr ganzes Leben lang nie wieder die Straße zu betreten wo er wohnte. Es kam hinzu, daß es mit den Vorbereitungen zu einem Besuch in der Familie Dodson immer sehr ernst genommen wurde. Das Hausmädchen mußte daher Frau Tulliver's Zimmer eine Stunde früher als gewöhnlich in Ordnung bringen, damit die besten Kleider nicht erst im letzten Augenblick heraus genommen zu werden brauchten, wie das wohl bei leichtfertigen Familien der Fall war, wo man die Bänder nie aufrollte, wo man seidnes Zeug wenig oder garnicht in Silberpapier einschlug und vor den Sonntagskleidern so wenig Respekt hatte, daß jeder ohne weiteres dran konnte. Schon um zwölf Uhr hatte Frau Tulliver ihren Sonntagsstaat an, mit einem Ueberzuge natürlich von braunem Kattun, als wäre sie ein seidnes Möbel, das man vor Fliegen schützen muß. Gretchen quälte sich und zog die Schultern auf und ab, um wo möglich ihren steifen Brustlatz wegzuschieben, während die Mutter sie ermahnte: »Mußt nicht, Gretchen, mußt nicht! Mach' nicht so'n böses Gesicht!« Tom's Gesicht strahlte vor Vergnügen so glänzend wie sein bester blauer Anzug, den er mit geziemender Ruhe und mit geziemender Würde trug, nachdem er – freilich nicht ohne einige Mühe – glücklich damit zu Stande gekommen war, den ganzen Inhalt aus den Taschen seiner Alltagskleider in den Sonntagsanzug hinüberzuschaffen – die einzige Operation, die ihn bei seiner Toilette interessirte.
Lucie ihrerseits war so hübsch und niedlich wie alle Tage, ihr passirte nie etwas mit ihren Kleidern und sie fühlte sich nie unbehaglich darin; mit großer Verwunderung sah sie daher, wie Gretchen über den widerwärtigen Brustlatz ganz unglücklich war und immer daran herum zupfte. Hätte sie nicht die Erinnerung an die gestrige Geschichte mit ihrem Haar zurückgehalten, sie hätte ihn gewiß zerrissen; so aber beschränkte sie sich darauf, zu zupfen und zu brummen und bei dem Bauen von Kartenhäusern sehr patzig zu sein, welches ihnen die Mutter als ein unverfängliches Spiel für Kinder in Sonntagskleidern erlaubt hatte. Tom konnte wahre Pyramiden von Karten bauen, aber Gretchen ihre fielen immer ein, wenn man das Dach legen wollte, und da es bei allen Dingen, die Gretchen machte, ähnlich war, so hatte Tom daraus den Schluß gezogen, Mädchen seien überhaupt zu nichts zu gebrauchen. Aber nun zeigte es sich, daß Lucie ganz vortrefflich zu bauen verstand; sie ging mit den Karten so zart und leise um, daß Tom sich herabließ, ihre Häuser ebenso zu bewundern wie seine eigenen, und zwar um so bereitwilliger, als sie ihn gebeten hatte, ihr das Bauen beizubringen. Auch Gretchen hätte wohl Luciens Häuser bewundert und ihr eigenes erfolgloses Bemühen neidlos daran gegeben, wenn der Latz sie nicht so unglücklich gemacht und Tom nicht so schändlich gelacht hätte, sobald ihre Häuser einfielen, wobei er ihr gradezu sagte, sie sei dumm.
»Lach mich nicht aus, Tom«, rief sie ärgerlich; »ich bin nicht dumm; ich weiß manches, was Du nicht weißt.«
»O, gewiß weißt Du das, Fräulein Hitzkopf. Aber ich würde doch nie so böse wie Du, und machte nicht solche Gesichter. Lucie thut sowas nicht; ich mag Lucie viel lieber leiden als Dich. Ich wollte, Lucie wäre meine Schwester.«
»Das ist recht schlecht und hart von Dir, daß Du so was wünschest«, erwiderte Gretchen, indem sie rasch von ihrem Sitze am Fußboden aufsprang und Tom's neuestes Kunstwerk, eine riesenhohe Pagode, zu Falle brachte. Sie hatte es wirklich nicht gewollt, aber der Schein war gegen sie, und Tom wurde blaß vor Zorn. Er sagte indeß kein Wort; er hätte sie schlagen können, wenn er nicht gewußt hätte, es sei feig ein Mädchen zu schlagen, und Tom Tulliver war entschlossen, nie feige zu handeln.
Entsetzt und erschrocken blieb Gretchen stehen, während Tom aufstand und den Trümmern seiner Pagode den Rücken wandte und während Lucie stumm drein sah wie ein kleines Kätzchen, welches einen Augenblick aufhört sich zu lecken.
»O Tom«, sagte Gretchen endlich und ging auf ihn zu, »ich habe die Pagode nicht umwerfen wollen, gewiß nicht, wahrhaftig ich hab's nicht gewollt.«
Tom nahm darauf gar keine Rücksicht, sondern holte gleichgültig ein paar harte Erbsen aus der Tasche und knipste sie gegen das Fenster, wo eine Brummfliege vom vorigen Jahr ihren alten schwachen Leib im Sonnenschein pflegte.
So war der Vormittag dem armen Gretchen verleidet, und Tom's fortdauernde Kälte auf dem Wege nach dem Tannenhofe verdarb ihr selbst die frische Luft und den Sonnenschein. Er zeigte Lucie ein halb fertiges Vogelnest, ohne Gretchen zuzuziehen, und schälte für Lucie und sich Weidenruthen ab, ohne Gretchen auch nur eine anzubieten. Lucie fragte: »Gretchen, möchtest Du auch eine?« Aber auch für diese Frage hatte Tom kein Ohr.
Indeß grade als sie an den Tannenhof kamen, schlug der Pfau auf der Hofmauer sein prächtiges Rad, und dieser Anblick war genug, um für den Augenblick alle persönlichen Leiden zu vergessen. Und das war erst der Anfang von den vielen schönen Sachen, die es auf dem Tannenhofe zu sehen gab. Auf dem Hofe schon eine Fülle von Leben – Geflügel aller Art, Puten, Hühner, Tauben aller Art, ein zahmes Meerschweinchen, eine Ziege und ein prächtiger Hund, eine Art Bulldogge, so groß wie ein Löwe. Dann war alles mit schönen weißen Gittern eingefaßt; Wetterfahnen von allen Sorten glitzerten im Sonnenschein; die Gartenwege waren mit kleinen Steinen in künstlichen Mustern ausgelegt; kurz, auf dem Tannenhofe war alles ungewöhnlich. Auch das Haus selbst war nicht weniger merkwürdig; der mittlere Theil trat etwas zurück, die beiden Flügel trugen kleine Thürme mit Zinnen, das Ganze hatte einen glatten Bewurf von weißem Stuck.
Onkel Pullet hatte die Gesellschaft vom Fenster aus kommen sehen und beeilte sich, die Vorderthür loszuriegeln und aufzuschließen, die aus Furcht vor Dieben in diesem verbarrikadirten Zustande gehalten wurde; auf dem Flur stand nämlich ein Glaskasten mit ausgestopften Vögeln; da konnte leicht einer hereinstürzen und im Nu ihn wegnehmen. Auch Tante Pullet erschien auf der Schwelle, und sobald ihre Schwester nur in die Nähe des Hauses gekommen war, rief sie ihr zu: »Halt die Kinder zurück, Betty; um Gotteswillen, laß sie nicht so auf die Schwelle kommen. Sally bringt schon die alte Strohmatte und den Abstauber, da können sie sich die Füße dran rein machen.«
Die Strohmatten vor Frau Pullet's Hauptthür waren durchaus nicht dazu da, sich die Schuhe drauf abzutreten; der Kratzer sogar hatte seinen Stellvertreter, der für ihn die schmutzige Arbeit that. Ueber dieses Abwischen und Reinigen der Schuhe war besonders Tom immer empört; er sah darin eine Beleidigung gegen sein ganzes Geschlecht. Ueberhaupt hatte ein Besuch bei Tante Pullet für ihn auch seine großen Unannehmlichkeiten; einmal waren ihm Handtücher um seine Stiefeln gewickelt, und das hieß denn für einen jungen Herrn, der sich gern mit Thieren abgab – d. h. der gern Thiere mit Steinen warf – die Freude theuer erkaufen.
Die nächste Unannehmlichkeit traf die weiblichen Besucher allein; es war die Ersteigung der Treppe von blankem Eichenholz. Denn Pullets hatten zwar einen recht hübschen Treppenläufer, aber der wurde geschont und lag aufgerollt in einem leeren Schlafzimmer; die Besteigung der glatten Stufen hätte daher in barbarischen Zeiten als eine Art Gottesgericht dienen können, aus welchem nur die reinste Tugend mit heilen Gliedmaßen hervorgegangen wäre. Schwester Pullet's Schwäche für diese glatte Treppe war für Frau Glegg immer ein Gegenstand sehr bittrer Bemerkungen, aber Frau Tulliver enthielt sich jeder Aeußerung und dachte nur bei sich, sie wolle Gott danken, wenn sie erst glücklich oben wären.
»Die Putzmacherin hat mir meinen neuen Hut geschickt, Betty«, sagte Frau Pullet bedeutungsvoll, als Frau Tulliver sich oben vor dem Spiegel die Haube zurecht rückte.
»Wirklich, Schwester?« rief Frau Tulliver im Tone der höchsten Theilnahme. »Und wie gefällt er Dir?«
»Es macht zwar rechte Mühe mit den Kleidern, das Herausnehmen und Wiederhineinlegen«, erwiderte Frau Pullet, indem sie ein Bund Schlüssel aus ihrer Tasche zog, »aber es wäre doch recht Schade, wenn Du ihn nicht zu sehen kriegtest. Man kann nie wissen, was passirt«, und bei dieser letzten ernsten Erwägung schüttelte die gute Frau langsam mit dem Kopfe.
»Es thut mir leid, Schwester, daß ich Dir so viel Umstände mache«, meinte Frau Tulliver, »aber ich möchte doch gern sehen, was sie Dir für 'nen Kopf dran gemacht hat.«
Mit einem schwermüthigen Blick erhob sich Frau Pullet und schloß die eine Flügelthür eines schönen großen Schrankes auf. Der Leser denkt vielleicht, da sei der neue Hut drin gewesen. Fehlgeschossen! Solch eine Vermuthung läßt sich nur aus einer sehr oberflächlichen Bekanntschaft mit den Gebräuchen der Familie Dodson erklären. In diesem schönen großen Schranke suchte Frau Pullet nur etwas ganz kleines, was sich leicht zwischen das Leinen stecken ließ – einen Thürschlüssel.
»Du mußt mit in die beste Stube kommen«, sagte Frau Pullet.
»Dürfen die Kinder auch mitkommen, Schwester?« fragte Frau Tulliver, welche den beiden Mädchen ihre gespannte Erwartung ansah.
Frau Pullet überlegte einen Augenblick. »Na, 's ist doch wohl 's beste; sie rühren sonst was an, wenn wir sie hier allein lassen.«
So zog man denn in Prozession über den glatten Fußboden des langen Korridors, dessen Fensterladen geschlossen waren; nur oben durch die letzte halbrunde Scheibe fiel etwas Licht herein – eine ganz feierliche Beleuchtung. Tante Pullet blieb stehen und schloß eine Thür auf, und nun wurde die Sache noch feierlicher. Man trat in ein dunkles Zimmer, wo man beim matten Schimmer des wenigen Tageslichts verschiedene Gegenstände erblickte, die wie Leichen von Möbeln in großen weißen Laken aussahen. Was keinen Ueberzug hatte, stand mit den Beinen in die Höhe. Lucie faßte Gretchen beim Kleide, und Gretchen schlug das Herz.
Tante Pullet machte den Laden ein wenig auf und öffnete dann einen Schrank, so schwermüthig und nachdenklich wie es die düstere Feierlichkeit der Scene erforderte. Aus dem Schranke kam ein so köstlicher Duft von Rosenblättern, daß es für die Umstehenden ein wahres Vergnügen war, als ein Bogen Silberpapier nach dem andern langsam herausgenommen wurde. Endlich kam der Hut. Gretchen hatte noch etwas wunderbareres, ganz übernatürliches erwartet und fühlte sich einigermaßen enttäuscht; auf Frau Tulliver aber machte der Anblick den höchsten Eindruck. Einige Augenblicke lang besah sie ihn schweigend von allen Seiten; dann sagte sie mit Nachdruck: »Nun, Schwester, sag' ich nie wieder ein Wort gegen die hohen Hüte!«
Das war ein großes Zugeständniß, und Frau Pullet fühlte das; sie mußte auch ihrerseits wieder ein Opfer bringen.
»Soll ich den Hut aufsetzen, Schwester, damit Du ihn ordentlich siehst?« fragte sie wehmüthig; »ich will den Laden noch etwas weiter öffnen.«
»Ach ja«, erwiderte Frau Tulliver, »wenn's Dir nicht zu viel Mühe macht, Deine Haube abzunehmen.«
Frau Pullet nahm die Haube ab und zeigte eine braunseidene Untermütze, an der seitwärts die Locken saßen, welche damals verständige Frauen im reiferen Alter trugen; dann setzte sie den Hut auf und drehte sich langsam wie eine Gliederpuppe am Schaufenster herum, damit ihre Schwester ihn genau von allen Seiten sähe.
»Es kommt mir beinahe so vor«, sagte sie dabei, »als wenn die Schleife hier an der linken Seite etwas zu dick wäre; was meinst Du, Schwester?«
Frau Tulliver prüfte die Sache sehr ernsthaft, indem sie den Kopf seitwärts hielt. »'s ist doch wohl am besten, Du läßt's wie es ist; wenn Du daran ändertest, thät's Dir vielleicht nachher leid.«
»Da hast Du Recht«, erwiderte Frau Pullet, indem sie ihren Hut abnahm und aufmerksam betrachtete.
»Und wie viel verlangt die Frau für den Hut?« fragte Frau Tulliver, die im stillen schon eifrig an die Möglichkeit dachte, sich aus einem alten Stück Seide, welches sie zu Hause liegen hatte, eine bescheidene Nachahmung dieses Meisterstückes machen zu lassen.
Frau Pullet verzog den Mund, schüttelte den Kopf und flüsterte: »Mein Mann hat mir den Hut geschenkt; er sagte, ich sollte den hübschesten Hut in unserer Kirche haben.«
Damit fing sie an die Bänder zurecht zu legen, ehe sie den Hut wieder in den Schrank stellte, und dabei schienen ihre Gedanken wieder eine schwermüthige Wendung zu nehmen; sie schüttelte bedenklich den Kopf und sagte:
»Ach Schwester, wer weiß ob ich den Hut je wieder aufsetze!«
»Sprich doch nicht so, Schwester«, antwortete Frau Tulliver; »Du bist ja ganz gesund und hast gewiß einen guten Sommer.«
»Ach, wie leicht kann nicht ein Todesfall in unserer Familie vorkommen! Als ich damals grade meinen grünseidenen Hut bekommen hatte, starb auch einer; Vetter Abbot kann sterben, und dann müssen wir doch wenigstens ein halbes Jahr Trauer tragen.«
»Ja, das wäre allerdings unglücklich«, erwiderte Frau Tulliver, welche auf die Möglichkeit eines ungelegenen Todesfalles lebhaft einging. »'s ist nicht das halbe Vergnügen, wenn man einen Hut das zweite Jahr trägt, noch dazu jetzt, wo die Moden so rasch wechseln; sie sind ja nie zwei Sommer hintereinander gleich.«
»Ja, so ist's mal in der Welt«, sagte Frau Pullet und stellte den Hut wieder in den Schrank, den sie sorgfältig verschloß. Dann blieb sie still und schüttelte fortwährend den Kopf, bis sie die feierliche Prozession wieder zurückgemacht hatten und wieder in der gewöhnlichen Stube waren. Da fing sie an zu weinen und sagte:
»Schwester, wenn Du den Hut nicht wiedersehen solltest, als bis ich todt bin, dann erinnre Dich, daß ich ihn Dir heute gezeigt habe.«
Frau Tulliver fühlte wohl, daß sie eigentlich gerührt sein müsse, aber sie war eine Frau von wenig Thränen, zu wohl und gesund, um so viel zu weinen wie ihre Schwester Pullet, und bei Leichenbegängnissen hatte sie diesen Mangel oft lebhaft empfunden. Alle Anstrengung eine Thräne hervorzupressen, war daher vergebens und sie brachte nichts fertig als eine komische Verzerrung ihres Gesichts. Gretchen sah ganz verwundert drein; sie merkte wohl, bei dem Hute sei ein sonderbares trauriges Geheimniß, welches zu begreifen sie noch für zu jung galt, und doch war sie sich dabei mit Entrüstung bewußt, sie würde es eben so gut wie alles andere begriffen haben, wenn man sie nur in's Vertrauen gezogen hätte.
Als die Frauen wieder herunter kamen, bemerkte Onkel Pullet mit einigem Scharfsinn, sie seien gewiß nur so lange ausgeblieben, weil seine Frau ihren neuen Hut gezeigt hätte. Besonders lang war Tom die Zeit geworden; er hatte ungeschickt und verlegen auf dem Rande des Sopha's grade seinem Onkel Pullet gegenüber gesessen, der ihn mit seinen grauen Augen anblinzelte und bisweilen »junger Herr« anredete.
»Na, junger Herr, was lernt ihr denn in der Schule?« war seine stehende Frage, worauf denn Tom immer recht albern aussah, sich mit der Hand über's Gesicht fuhr und antwortete, das wisse er selber nicht. Es war so 'ne verlegene Geschichte, mit Onkel Pullet allein zu sein, daß Tom sich nicht mal die Bilder an den Wänden oder die wunderschönen Blumentöpfe ansehen konnte; er sah immer nur seines Onkels Gamaschen. Und durchaus nicht etwa aus heiliger Scheu vor der geistigen Ueberlegenheit seines Onkels; im Gegentheil, seine Abneigung gegen die Landwirthschaft war nur daher entstanden, daß er nicht so'n dünnbeiniger alberner Kerl werden wollte, wie Onkel Pullet, dieser Weichling. Ueberhaupt ist Verlegenheit bei einem Knaben durchaus kein Beweis, daß er von Ehrfurcht überwältigt ist, und wenn ihm einer in der Meinung, er habe vor seinen Jahren und seiner Weisheit Respekt, freundlich zuspricht und aufmuntert, so ist zehn gegen eins zu wetten, daß der Junge im Stillen sich nichts anderes denkt als: »Was ist das für ein kurioser Kerl!« Dafür giebts keinen Trost, als daß die griechischen Jungen vom Aristoteles eben so dachten. Nur wenn einer ein stetisches Pferd gebändigt oder einen Droschkenkutscher durchgeprügelt hat, oder mit dem Gewehr umzugehen weiß, nur dann bewundern und beneiden ihn diese verlegenen Jungens wirklich. Zum wenigsten bei Tom Tulliver war es so, dessen bin ich gewiß. Schon als ganz kleiner Junge hatte er oft durch's Gatter gesehen und den Schafen mit seinem kleinen Finger gedroht und mit so fürchterlichen Tönen, als er aufbringen konnte, Angst zu machen gesucht. Damit hatte er schon früh seine Herrschsucht über die untergeordnete Thierwelt, die wilde und die zahme, – Maikäfer, Nachbarshunde und kleine Schwestern eingeschlossen – an den Tag gelegt, die zu allen Zeiten für das Glück des Menschengeschlechts so vielversprechend gewesen ist. Onkel Pullet aber ritt nie etwas größeres als ein kleines Pony und war nichts weniger als ein Jäger. Dazu hielt er Feuerwaffen für viel zu gefährlich; sie könnten ja von selbst losgehen, wenn's grade niemand verlangte. Es war daher nicht ohne guten Grund, daß ihn Tom einmal gegen einen guten Freund einen Einfaltspinsel genannt hatte, der aber, wie er nicht unterließ hinzuzufügen, ein sehr reicher Kerl sei. Der einzige Trost bei einem Zwiegespräch mit Onkel Pullet war, daß er eine Menge Bonbons und Pfeffermünz hatte und jede Pause in der Unterhaltung damit ausfüllte, daß er sie anbot und selbst davon nahm.
»Ißt Du gern Pfeffermünz, junger Herr?« war eine häufig wiederholte Frage, die man nur schweigend zu beantworten brauchte, indem man einfach zugriff.
Als die kleinen Mädchen eintraten, fügte Onkel Pullet noch die weitere Tröstung von süßem Backwerk hinzu, wovon er sich einen großen Vorrath zum Privatgebrauch an Regentagen hielt; aber kaum hatten die drei Kinder die verführerischen Leckerbissen in der Hand, als Tante Pullet dazwischen fuhr, sie sollten nicht eher essen, als bis sie kleine Tellerchen hätten; die Kuchen krümelten so stark und die ganze Stube würde voll werden. Lucien war dieser Aufschub ziemlich gleichgültig; das Stück Kuchen war so hübsch, sie fand es ordentlich schade, ihn zu essen; Tom dagegen benutzte eine günstige Gelegenheit, wo die großen Leute mit einander sprachen, steckte sein Stück mit zwei mächtigen Bissen in den Mund und schluckte es heimlich hinunter. Gretchen hatte sich nach ihrer Weise ganz in den Anblick eines Bildes verloren – es stellte Odysseus und Nausikaa vor, und der gute Pullet hatte es als eine recht hübsche biblische Geschichte gekauft – und in der Zerstreuung ließ sie ihr Stück fallen, und machte dann vor Schreck eine ungeschickte Bewegung, daß sie es mit dem Fuße zertrat. Darüber war Tante Pullet so außer sich, daß Gretchen sich in tiefster Ungnade fühlte und schon verzweifelte, die Spieldose würde sie wohl heute nicht spielen hören, bis ihr nach einigem Bedenken glücklich einfiel, Lucie sei ja der Liebling ihres Onkels und könne ihn wohl drum bitten. Leise flüsterte sie es ihr zu, und Lucie, die immer gern gefällig war, ging zu ihrem Onkel und bat ihn, über und über roth, ob er ihnen nicht etwas vorspielen wolle.
Die kleine Lucie hielt es für ein ganz besonderes Talent ihres Onkels, daß die Spieldose so wunderschön spielte, und die meisten Nachbarn theilten diese Ansicht. Und doch hatte Pullet die Dose nur gekauft, verstand sie aufzuziehen und wußte immer vorher, welche Melodie kam. Alles in Allem war der Besitz dieses einzigen Instruments ein vollgültiger Beweis, Pullet sei doch nicht ganz so unbedeutend, wie man hätte meinen sollen. Wenn ihn einer bat, er möge doch etwas darauf spielen, so hütete er sich wohl, den Werth seines Instrumentes durch eine übereilte Zusage herabzusetzen. »Na, wir wollen sehen«, war seine stehende Antwort, und niemals ging er wirklich an's Werk, als bis eine ziemliche Zeit vorüber war.
Die gespannte Erwartung erhöhte Gretchens Freude, und als nun wirklich die geheimnißvolle Musik begann, da vergaß sie zum ersten Male, wie schwer es ihr auf dem Herzen lag, daß Tom mit ihr böse sei, und als erst die Melodie »Still Du lust'ger Vögelchor« zu Ende gespielt hatte, da strahlte ihr Gesicht von Glück, während sie mit geschlossenen Händen unbeweglich da saß. Das war ein Anblick, bei dem ihre Mutter oft die beruhigende Empfindung hatte, Gretchen könne trotz ihrer braunen Farbe doch bisweilen hübsch aussehen. Aber als die zauberische Musik aufhörte, sprang sie auf, lief auf Tom zu, faßte ihn um den Hals und sagte: »O, Tom, ist das nicht hübsch?«
Aber leider machte diese unerwartete und für Tom ganz unerklärliche Liebkosung ihn nur noch böser auf Gretchen; er hatte nämlich grade sein Glas Obstwein in der Hand, und ihre Umarmung war so stürmisch, daß er es halb verschüttete. Sanftmuth war überhaupt nicht seine Sache, und so sagte er denn sehr ärgerlich: »Da sieh, was Du wieder gemacht hast!« Unglücklicher Weise für das arme Gretchen stimmte ihm der allgemeine Tadel der Gesellschaft bei, der sofort von allen Seiten auf sie einstürmte.
»Warum sitzt Du auch nicht still, Gretchen?« rief ihre Mutter.
»Kleine Mädchen, die mich besuchen wollen, dürfen so was nicht thun«, bemerkte Tante Pullet.
»Du bist gar zu wild, kleines Ding«, sagte der Onkel.
Das arme Gretchen setzte sich wieder, aber alle Musik war fort aus ihrem Herzen, und alle sieben Teufel waren wieder eingezogen.
Da Frau Tulliver nur Unheil voraussah, wenn die Kinder noch länger im Zimmer blieben, so schlug sie bei erster Gelegenheit vor, sie könnten nun wohl draußen spielen, da sie sich von dem Wege hinlänglich erholt hätten. Tante Pullet gab gern die Erlaubniß, nur schärfte sie ihnen ein, im Garten hübsch auf den gepflasterten Wegen zu bleiben, und wenn sie die Hühner futtern sehen wollten, nicht gar zu nahe heran zu gehen – eine Bedingung, die den Kindern immer aufgelegt wurde, seit Tom einmal den Pfau gescheucht hatte in der thörichten Hoffnung, er würde aus bloßer Angst eine Feder fallen lassen.
Nunmehr konnte Frau Tulliver an den eigentlichen Zweck ihres Besuches denken, der bisher vor der großen Hutfrage und vor der Sorge für die Kinder zurückgetreten war.
»Es liegt mir schwer auf der Seele«, fing sie an, »daß Schwester Glegg so von uns weggegangen ist. Ich habe ihr gewiß nicht zu nahe treten wollen.«
»Oh«, erwiderte Schwester Pullet, »Hannchen ist zu allem fähig. Ich spreche nicht gern zu einem Fremden davon, höchstens zu unserm Doktor, aber ich glaube bestimmt, Hannchen führt ein trauriges Leben. Manch liebes Mal habe ich das meinem Manne schon gesagt, er kann's bezeugen.«
»Ja wohl, noch vorigen Montag vor acht Tagen hast Du's gesagt, als wir bei Glegg's zum Thee gewesen waren«, erwiderte der Mann und zog sein Taschentuch über's Knie; das war so seine Gewohnheit, wenn ihm das Gespräch interessant wurde.
»Das mag wohl sein«, sagte Frau Pullet; »Du behältst immer alles, was ich sage, besser als ich selbst. Mein Mann hat ein ganz wunderbares Gedächtniß, wirklich ganz wunderbar«, fuhr sie fort und sah ihre Schwester groß an. »Ich wäre übel dran, wenn er mal den Schlag kriegte; er weiß immer, wenn ich meine Medizin einnehmen muß, und jetzt hab' ich dreierlei.«
Und zur Bestätigung nannte Pullet sie gleich alle drei her: Zuerst die »Pillen wie bisher« einen Abend um den andern, dann die neuen Tropfen, um elf und vier, und der stärkende Trank »je nach Bedürfniß.«
»Na, für Schwester Glegg wär's auch wohl besser, wenn sie bisweilen zum Doktor schickte, statt immer Rhabarber zu kauen, wenn ihr mal was fehlt«, meinte Frau Tulliver, die natürlich die große Frage des Medizinirens hauptsächlich darauf ansah, in welcher Beziehung sie wohl zu Schwester Glegg stehe.
»Es ist schrecklich, wenn man dran denkt«, erwiderte Frau Pullet, indem sie die Hand erhob und wieder sinken ließ, »wie Leute mit ihrem Innern so spielen können! Und es heißt gradezu der Vorsehung ins Gesicht schlagen, denn wozu wären die Doktors da, wenn man sie nicht gebrauchte? Und wenn man Geld genug hat, den Doktor zu bezahlen, dann ist's nicht mal anständig, das hab' ich Hannchen oft genug gesagt. Ich würde mich ordentlich schämen, wenn's die Leute erführen.«
»Na, wir brauchen uns nicht zu schämen«, meinte der Mann; »so 'nen Patienten wie Du bist, hat Doktor Turnbull im ganzen Kirchspiel nicht, seit die alte Frau Sutton todt ist.«
»Pullet hebt alle meine Medizinflaschen auf«, sagte die Frau – »hab' ich Dir das schon gesagt, Betty? Er verkauft keine einzige; er meint, es sei nicht mehr als billig, daß die Leute sie sähen, wenn ich mal todt bin. Zwei Börte in der großen Vorrathskammer stehen schon voll, aber« – und hier begann sie wieder zu weinen – »die dritte werd' ich wohl nicht mehr voll kriegen. Ich werde wohl hinüber sein, ehe das Dutzend von meinen jetzigen Flaschen voll ist. Die Pillenschachteln stehen in der Kommode in meiner Stube – vergiß das nicht, Schwester – aber von den Pülverchen sind blos noch die Rechnungen da.«
»Sprich nicht so vom Sterben«, erwiderte Frau Tulliver; »ich hätte ja niemand, der Schwester Glegg mit mir aussöhnte, wenn Du mal stirbst; keiner als Du kann die Geschichte mit ihr und meinem Manne in Ordnung bringen, denn Schwester Deane, weißt Du, ist immer gegen mich, und wenn sie mal ein Wort für mich einlegt, so gilt es doch nicht so viel, weil sie kein unabhängiges Vermögen hat.«
»Nun, Dein Mann ist wirklich ein bischen patzig, Betty«, sagte Frau Pullet; »er hat sich durchaus nicht so hübsch gegen unsre Familie benommen, wie er wohl müßte, und die Kinder arten auch nach ihm; der Junge steckt voller Streiche und läuft vor Onkel und Tanten weg, und das Mädchen ist ganz wild und braun. 's ist ein Malheur, und es thut mir leid für Dich, Betty; Du warst immer meine Lieblingsschwester, und wir hatten immer dieselben Muster gern.«
»Ja, ja, Tulliver ist hitzig, das weiß ich, und redet gleich drauf los«, erwiderte Frau Tulliver und wischte sich eine kleine Thräne aus dem Auge, »aber das muß ich ihm doch lassen, er hat nie was dagegen gehabt, daß ich meine Freunde und Verwandten freundlich bei mir aufgenommen habe.«
»Ich will ja auch nicht hart gegen Dich sein, Betty«, sagte Frau Pullet mitleidig; »ich fürchte, Du hast ohnedies schon Last genug mit Deiner armen Schwägerin und ihren Kindern, die Dein Mann auf dem Halse hat, und mit seinem ewigen Prozessiren. Wenn er mal stirbt, wirst Du wohl in recht betrübten Umständen sein. Das bleibt aber unter uns; ich möchte nicht gern, daß Fremde etwas davon erführen.«
Diese Ansicht von ihrer Lage war natürlich durchaus nicht geeignet, Frau Tulliver aufzuheitern. Ihre Einbildungskraft war nicht leicht erregbar, aber sie konnte doch nicht umhin, zu glauben, ihr Schicksal sei recht hart, da es ja andre Leute offenbar auch glaubten.
»Ich kann nicht dafür«, erwiderte sie, und zum Beweise erging sie sich in einem umfassenden Rechenschaftsberichte über ihre Vergangenheit. »Ich möchte die Frau sehen, die mehr für ihre Kinder thut als ich, und bei der großen Wäsche neulich, wo wir alle Bettvorhänge mit in der Wäsche hatten, da hab' ich alleine so viel gethan, wie die beiden Mädchen zusammen, und der letzte Obstwein, den ich gemacht habe – wunderschön, sag' ich Dir! Ich gebe ihn immer mit dem Sherry herum, und doch sagt Schwester Glegg, ich wäre so verschwenderisch, und was das angeht, daß ich meine Kleider gern nett habe und im Hause ordentlich gehe, da soll mir doch noch kein Mensch im Kirchspiel nachsagen können, daß ich den Leuten Böses nachrede und Unfrieden stifte, denn ich wünsche keinem Böses, und wenn mir einer eine Fleischpastete schickt, dann ist's nicht sein Schade; meine Pasteten können sich bei jeder sehen lassen, und mein Leinenzeug ist so gut in Ordnung – wenn ich morgen die Augen zumachte, ich brauchte mich nicht zu schämen. Eine Frau kann doch nicht mehr thun, als sie thun kann.«
»Aber was hilft das alles«, erwiderte Frau Pullet, indem sie den Kopf auf die Seite neigte und ihre Schwester wieder groß ansah, »was hilft das, wenn Dein Mann so schlecht mit dem Gelde wirthschaftet? Es ist zwar immer ein Trost, wenn eure Sachen mal unter den Hammer kämen, daß ihr die Möbel gut gehalten habt, und das Leinenzeug, was auf Deinen Mädchen-Namen gezeichnet ist, würde im ganzen Lande herumkommen. Das wäre doch recht traurig für die Familie«, – und dabei schüttelte Frau Pullet langsam den Kopf.
»Aber was soll ich machen?« fragte Frau Tulliver; »mein Mann läßt sich nichts sagen, und wenn ich auch zum Pastor ginge, und mir sagen ließe und auswendig lernte, was für ihn das beste wäre! Und ich verstehe doch auch nichts davon, wie man Geld anlegen muß und so was. Ich habe mich nie in die Geschäfte finden können, wie Schwester Glegg.«
»Ja, darin bist Du wie ich«, antwortete ihre Schwester, »und ich glaube, es paßte sich auch für Schwester Hannchen besser, wenn sie ihren großen Wandspiegel öfter putzen ließe – vorige Woche war er ganz voll Flecken – statt andern Leuten was vorzuschreiben, die mehr Einkünfte haben, als sie je gehabt hat, und ihnen zu sagen, was sie mit ihrem Gelde thun müßten. Aber Hannchen und ich waren immer verschieden, sie trug immer gestreifte Sachen und ich hatte am liebsten kleine Punkte. Du magst auch gern Punkte, liebe Betty, darin waren wir immer überein« – und bei dieser bedeutsamen Jugend-Erinnerung sah Frau Tulliver ihre Schwester gefühlvoll an.
»Ja wohl, Sophie«, erwiderte diese. »Ich erinnere mich, wir trugen mal ganz dasselbe Kleid, blauer Grund mit weißen Punkten; ich habe noch jetzt ein Stück davon in einer Bettdecke, und wenn Du nun blos hingehen wolltest und Schwester Glegg besuchen und ihr zureden, daß sie sich mit meinem Manne aussöhnt, das wäre recht freundlich von Dir, Du bist immer so gut gegen mich gewesen, Schwester.«
»Aber es wäre wohl in der Ordnung, wenn Tulliver selbst hinginge und sich mit ihr aussöhnte und ihr sagte, daß ihm seine harten Worte leid thäten. Da er Geld von ihr geborgt hat, so muß ihm das nicht zu viel sein«, meinte Frau Pullet, die sich in dieser Prinzipienfrage nicht durch persönliche Theilnahme beirren ließ; sie durfte doch nicht vergessen, welche Rücksichten man Leuten von unabhängigem Vermögen schuldig ist.
»Daran dürfen wir garnicht denken«, erwiderte die arme Frau Tulliver kläglich. »Und wenn ich vor meinem Manne auf die Kniee ginge, er würde sich nicht beugen.«
»Nun, Du erwartest doch aber nicht, daß ich Schwester Hannchen zureden soll, Deinen Mann um Verzeihung zu bitten?« rief Frau Pullet. »Sie hat ein ganz fürchterliches Temperament, und wir können noch von Glück sagen, wenn sie nicht noch mal verrückt wird; sie wäre freilich in unsrer Familie die erste.«
»Ach, daran denke ich garnicht, daß sie ihn um Verzeihung bitten soll«, sagte Frau Tulliver; »blos wenn sie ein Auge zudrücken möchte und das Geld nicht kündigen; das kann doch eine Schwester wohl von der andern bitten; mit der Zeit käme schon wieder alles in Ordnung, und mein Mann und Schwester Hannchen söhnten sich aus.«
Wie man sieht, wußte Frau Tulliver nicht, daß ihr Mann unwiderruflich entschlossen war, die fünfhundert Pfund zurück zu zahlen, oder wenn sie davon wußte, so ging ein solcher Entschluß wenigstens über ihr Glauben und Verstehen.
»Nun, Betty«, erwiderte Frau Pullet wehmüthig, »ich will an eurem Ruin nicht mit schuld sein, sondern Dir lieber helfen wo ich kann; auch möcht' ich nicht gern, daß es hieße, wir hätten Streit in der Familie. Das will ich Hannchen auch sagen; ich will ganz gern morgen zu ihr fahren, wenn mein Mann nichts dagegen hat. Was meinst Du, Pullet?«
»Mir ist's ganz recht«, antwortete der Mann, der mit allem zufrieden war, wenn nur sein Schwager von ihm kein Geld verlangte. Pullet war etwas ängstlich mit dem Ausleihen und konnte nicht begreifen, wie jemand eine andere Sicherheit annehmen könnte als Grundbesitz.
Nach einer weitern Erörterung, ob es nicht besser sei, wenn Frau Tulliver zu Schwester Glegg mitginge, bemerkte Frau Pullet, es sei wohl Zeit zum Theetrinken, und holte eine feine Damast-Serviette hervor, die sie sich als Schürze vorsteckte. Bald ging auch die Thür auf, wie sie mußte, aber statt des Theebretts brachte das Dienstmädchen etwas so fürchterliches herein, daß beide Frauen laut aufschrieen und Onkel Pullet vor Schreck sein Bonbon hinunterschluckte – zum fünften Male in seinem Leben, wie er später bemerkte.