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Zwölfter Abschnitt.
Der Onkel und Tante Glegg

Um Onkel und Tante Glegg in ihrem Hause zu sehen, müssen wir uns nach St. Ogg begeben, der ehrwürdigen Stadt mit den rothen Ziegeldächern und den breit gegiebelten Packhäusern, wo die schwarzen Schiffe sich ihrer Last aus dem fernen Norden entladen und kostbare Erzeugnisse unserer Heimath dafür eintauschen, den wohlgepreßten Käse und die weiche Wolle, womit meine feinen Leser durch Vermittlung der besten Idyllen unzweifelhaft schon bekannt sind. St. Ogg ist eine von den uralten Städten, die einen durchaus naturwüchsigen Eindruck machen. Sie trägt die Spuren ihres langen Wachsthums und ihrer Jahrhunderte alten Geschichte ganz so wie ein tausendjähriger Baum, und hat sich auf der Stelle zwischen dem Floß und der niedrigen Hügelreihe seit der Zeit entwickelt, wo die römischen Legionen am Rande des Hügels ihr Lager hatten und die langhaarigen Seekönige den Fluß hinauf gefahren kamen und mit gierigen Blicken sahen, wie reich das Land sei. Es ist eine Stadt, die an vergangene Zeiten mahnt. Der Schatten des sächsischen Heldenkönigs wandelt noch immer da und besieht sich den Schauplatz seiner Jugend und seiner Jugendliebe; dann begegnet ihm wohl der düstre Schatten des furchtbaren Dänen, der in der Mitte seiner Krieger von dem Schwerte eines unsichtbaren Rächers erschlagen wurde und der nun an Herbstabenden wie ein weißer Nebel aus seinem Hünengrabe auf dem Hügel aufsteigt und in dem Hofe der alten Halle am Flusse spukt; denn an der Stelle wurde er so wunderbar erschlagen, lange ehe die alte Halle gebaut war. Es waren die Normannen, welche das schöne alte Gebäude anlegten, das gleich der Stadt selbst von dem Denken und Thun weit entlegener Geschlechter erzählt.

Aber noch älter als dieses Gebäude ist vielleicht ein Theil der Kirchenmauer, die noch von der ursprünglichen Kapelle des heiligen Ogg herstammen soll, des Schutzpatrons der alten Stadt. Die Geschichte dieses Heiligen wird verschiedentlich erzählt; ich theile die kürzeste Legende mit, weil sie, wenn auch vielleicht nicht völlig wahr, doch sicher weniger Lügen enthält als die andern. »Ogg, der Sohn von Beorl, war ein Fährmann, der sich kümmerlich davon nährte, die Leute über den Fluß zu setzen. Eines Abends, als der Wind sehr hoch ging, saß am Ufer eine Frau mit einem Kinde auf dem Arm; sie war in Lumpen gekleidet und sah ganz abgemagert und elend aus, und sie bat und flehte, man möge sie doch über den Fluß setzen. Aber die Leute am Fluß fragten sie und sagten: ›Warum willst Du heut Abend über den Fluß? Warte bis zum Morgen und nimm Obdach für die Nacht, so wirst Du weise sein und nicht thöricht‹. Aber sie fuhr fort zu wehklagen und zu bitten. Da trat Ogg, der Sohn von Beorl heran und sagte: ›ich will Dich übersetzen, wenn Dein Herz so danach verlangt‹, und er setzte sie über. Und es begab sich, als sie an's Ufer trat, daß ihre Lumpen in glänzende weiße Gewänder verwandelt wurden, und ihr Antlitz strahlte von himmlischer Schönheit, und eine Glorie umgab sie, so daß sie ein Licht ausstrahlte auf das Wasser gleich dem Monde in voller Pracht. Und sie sprach: ›Ogg, Du Sohn des Beorl, Du bist gesegnet, daß Du nicht fragtest und strittest gegen meines Herzens Verlangen, sondern Mitleid hegtest und sogleich meinen Wunsch erfülltest. Darum, wer von jetzt an Dein Boot betritt, dem soll der Sturm nicht schaden, und wenn Du hinausfährst zur Rettung, so soll es das Leben retten, beides Menschen und Thieren.‹

Und wenn nun Ueberschwemmungen kamen, so wurden viele gerettet durch den Segen, der auf diesem Boote war. Als aber Ogg, der Sohn Beorl's starb, siehe, da lösete sich das Boot von selbst von der Kette und trieb mit der Ebbe mächtig schnell in das Meer hinaus und wurde nicht mehr gesehen. Wenn aber in späteren Zeiten wieder Ueberschwemmungen kamen, so sah man immer wenn der Abend graute, Ogg, den Sohn Beorls, in seinem Boote auf der weiten Wasserfläche, und die heilige Jungfrau saß am Steuer und strahlte ringsum ein Licht aus, wie der Mond in voller Pracht, so daß die Schiffsleute in der Dunkelheit neuen Muth faßten und tüchtig arbeiteten.«

Diese Legende erzählt, wie man sieht, schon aus alter Zeit von Ueberschwemmungen, die, wenn sie auch kein Menschenleben forderten, doch weithin verderblich waren für das hülflose Vieh und über alle kleineren Thiere plötzlichen Tod brachten. Aber die Stadt kannte noch schlimmere Uebel als Ueberschwemmungen, die Uebel der Bürgerkriege, wo dort unaufhörlich gekämpft wurde und heute die Puritaner Gott lobten und dankten für das Blut der Royalisten, und morgen die Royalisten für das Blut der Puritaner. Damals verlor manch ehrlicher Bürger um des Gewissens willen Hab und Gut und verließ seinen Geburtsort als Bettler. Gewiß steht heute noch manches Haus, von dem damals ehrliche Leute in Kummer schieden, – Häuser mit seltsamen Giebeln am Flusse entlang, zwischen großen Packhäusern eingepreßt und mit ganz überraschenden Durchgängen versehen, die sich in scharfen Wendungen hin und her drehen, bis sie plötzlich an einen sumpfigen Strand führen, den immer die Fluth überströmt. Die Häuser aus Backsteinen haben durchweg ein mattes Aussehn, und zu Frau Glegg's Zeit gab es noch keinen unharmonischen neumodischen Aufputz, keine Spiegelscheiben an den Ladenfenstern, keinen Bewurf von frischem Stuck, oder sonst dergleichen Täuschungen, welche der alten rothen Stadt den trügerischen Schein hätten leihen können, sie sei erst von gestern. Die Ladenfenster waren klein und anspruchslos, denn die Pachterfrauen und Töchter, die ihre Einkäufe an Markttagen machten, ließen sich von ihren gewohnten Kaufläden nicht abbringen, und die Kaufleute hatten keine Waaren, die für Kunden berechnet gewesen wären, welche einmal kommen, dann ihrer Wege gehen und sich nicht mehr blicken lassen. Ach, selbst die Zeit von Frau Glegg scheint jetzt weit hinter uns zu liegen und durch Veränderungen von uns getrennt, welche die Jahre dehnen. Krieg und Kriegsgeschrei war damals verschollen im Gedächtniß der Menschen, und wenn die Pachter in ihren dicken Oberröcken beim Kornhandel daran zurückdachten, so war es wie an ein goldnes Zeitalter, wo die Kornpreise hoch standen.

So sah es in St. Ogg zu Frau Glegg's Zeit im allgemeinen und in der Periode insbesondere aus, wo sie ihren Streit mit Schwager Tulliver hatte. Es war eine Zeit, wo die Unwissenheit noch viel besser daran war als jetzt und mit allen Ehren in sehr guter Gesellschaft aufgenommen wurde, ohne verpflichtet zu sein, sich in eine ausgesuchte Form von Bildung zu hüllen; eine Zeit, wo es noch keine billige Tagesliteratur gab und wo Landärzte nicht dran dachten, ihre Patientinnen zu fragen, ob sie viel läsen, sondern ohne weiteres annahmen, daß sie lieber plauderten, – eine Zeit, wo Damen in schweren Seidenstoffen große Taschen im Kleide hatten, in denen sie den Knochen von einer Hammelkeule trugen, damit ihre Kleider nicht kraus würden. Auch Frau Glegg trug einen solchen Knochen. Sie hatte ihn mit einem Brokat-Kleide, das von selbst stand wie eine Rüstung, und einem Spazierstocke mit silbernem Knopf von ihrer Großmutter geerbt; die Dodsons waren nämlich schon seit mehreren Generationen eine wohlhabende und achtbare Familie.

Frau Glegg hatte in ihrem hübschen Hause zwei Wohnzimmer, eins vorn heraus und eins nach hinten, so daß sie über zwei Standpunkte verfügte, von denen sie die Schwächen ihrer Mitmenschen beobachten und ihre Dankbarkeit für ihre eigene beispiellose Geistesstärke steigern konnte. Aus dem Vorderfenster konnte sie die Thorstraße hinab sehen und die zunehmende Neigung zum Klatschen an den Frauen aller Männer, die sich noch nicht vom Geschäft zurückgezogen hatten, wahrnehmen, sowie den steigenden Gebrauch von gewebten baumwollenen Strümpfen, von denen sie für die Gesundheit kommender Geschlechter viel Unheil befürchtete; aus dem Hinterfenster übersah sie den hübschen Blumen- und Obstgarten, der sich bis an den Fluß hinzog, und beobachtete die Thorheit ihres Mannes, der seine Zeit unter Blumen und Gemüsen hinbrachte. Ihr Mann hatte sich nämlich von dem Geschäft eines Wollmaklers zurückgezogen, um den Rest seines Lebens recht zu genießen, hatte dann aber diese letztere Beschäftigung so viel schwerer gefunden als seine frühere Arbeit, daß er zur Erholung sein eigener Tagelöhner wurde und meist darin schwelgte, soviel zu arbeiten, wie zwei gewöhnliche Gärtner. Diese Ersparniß am Gärtnerlohn hätte vielleicht Frau Glegg bewegen können, zu seiner Thorheit ein Auge zuzudrücken, wenn es einem gesunden weiblichen Sinne überhaupt möglich wäre, für die Schwächen des Mannes Achtung auch nur zu heucheln. Aber es ist ja bekannt, daß diese Nachsicht in der Ehe nur den schwachen Frauen eigen ist, die sich kaum der Verantwortlichkeit eines Weibes als des natürlichen Dämpfers für die Vergnügungen des Mannes bewußt sind – Vergnügungen, die nur selten oder nie das Lob der Verständigkeit verdienen.

Auch ihr Mann hatte seinerseits eine zwiefache Quelle geistiger Beschäftigung, und diese versprach unerschöpflich zu sein. Einerseits überraschte er sich selbst durch naturwissenschaftliche Entdeckungen; sein Stück Gartenland, fand er, enthielt wunderbare Raupen, Schnecken und Käfer, die seines Wissens noch von keinem beobachtet waren, und zwischen diesen zoologischen Erscheinungen und den großen Zeitereignissen bemerkte er höchst auffallende Beziehungen. So z. B. waren vor dem Brande der Münster-Kirche in York geheimnißvolle Schlangenlinien auf den Rosenblättern gewesen, und die Schnecken hatten sich so ungewöhnlich vermehrt, daß er es sich garnicht erklären konnte, bis ihm bei jenem traurigen Brande ein Licht darüber aufging. Der zweite Gegenstand seines Nachdenkens war das Geheimniß des weiblichen Charakters, wie er sich in seiner eigenen Frau darstellte. Daß für ein Wesen, welches seiner Abstammung nach aus einer Rippe des Mannes gemacht war und in diesem besondern Falle ohne die geringste eigene Anstrengung sich der höchsten Behaglichkeit erfreute, der Normal-Zustand der sein sollte, den freundlichsten Vorschlägen und selbst den nachgiebigsten Konzessionen stets zu widersprechen, das war für Herrn Glegg ein Geheimniß im Weltenplane, für welches er oft – und vergebens – in den ersten Kapiteln der Genesis nach einem Schlüssel suchte.

Glegg hatte das älteste Fräulein Dodson zur Frau genommen als eine hübsche Verkörperung weiblicher Umsicht und Sparsamkeit, und da er selbst auch sehr darauf bedacht war, Geld zu erwerben und nicht wieder auszugeben, so hatte er auf eine innige Harmonie der Seelen in der Ehe gerechnet. Indeß bei einer so seltsamen Mischung wie der weibliche Charakter ist, kann es leicht vorkommen, daß alle Zuthaten vorzüglich sind und das ganze doch nicht munden will, und ein guter systematischer Geiz z. B. kann einen Beigeschmack haben, der ihm alle Würze nimmt. Nun war der gute Glegg selbst in der liebenswürdigsten Weise geizig, bei seinen Nachbarn hieß er »genau«, und das bedeutet allemal einen gründlichen Filz. Hätte jemand eine Neigung für Käserinde geäußert, so hätte Glegg gewiß daran gedacht, alle seine Käserinden zu sammeln, und sich recht gefreut, einem Mitmenschen diesen Liebesdienst zu thun, und dem entsprechend liebte er auch alle Thiere, die zu halten nicht viel kostet. Dabei war er ganz aufrichtig und ehrlich; er hätte aus wahrem Mitgefühl Thränen vergossen, wenn einer Wittwe ihre Möbeln verkauft wären, der mit einer Fünfpfundnote aus seiner Tasche hätte geholfen werden können; aber ein Geschenk von fünf Pfund an eine Person in kleinen Verhältnissen hätte er eher für einen Wahnsinn von Verschwendung als für einen Akt der Nächstenliebe gehalten; denn Nächstenliebe hieß für ihn nur, kleine Almosen geben, aber nicht dem Elend gründlich abhelfen. Außerdem sparte Glegg eben so gern andrer Leute Geld wie sein eignes; er hätte einen eben so großen Umweg gemacht, um kein Chausseegeld zu bezahlen, mochte es aus seiner eignen Tasche gehen oder aus andrer Leute Tasche, und er war eifrig dahinter her, alle seine Bekannten zu überreden, sie möchten doch die Wichse durch etwas billigeres ersetzen. Diese unveräußerliche Gewohnheit zu sparen, blos um zu sparen, gehörte so mit zu dem fleißigen Geschäftsmann früherer Zeiten, wo man sein Vermögen nur langsam machte; die Leute von damals waren – beinahe wie die Spürhunde, welche meilenweit die Fährte eines Fuchses verfolgen – eine besondere Race, die in unsern Tagen, wo man so rasch verdient und wo Verschwendung und Dürftigkeit nahe an einander grenzen, so gut wie ganz ausgestorben ist. In der guten alten Zeit ließ sich ein unabhängiges Vermögen kaum ohne einen kleinen Zusatz von karger Sparsamkeit gewinnen, und diese Eigenschaft war in jeder Provinz zu Hause und fand sich bei so verschiedenartigen Charakteren, wie die Früchte verschieden sind, aus denen man Essig gewinnt. Die ächten Harpagons waren auch damals in Mißkredit; aber nicht jene würdigen Steuerzahler, die sich von unten herauf gearbeitet hatten und mitten in ihrer mühsam errungenen Behaglichkeit, in wohlversorgtem Hause und wohlgehegtem Garten die Erinnerung bewahrten, mit wie kleinen Schritten sie emporgekommen waren, und auf einen Luxus, der mit einer neuen Steuer belegt wurde, bei fünfhundert Pfund jährlicher Zinsen noch ebenso bereitwillig verzichteten als früher, wo sie nur fünfhundert Pfund Kapital gehabt hatten. Zu diesen Leuten, mit denen ein Finanz-Minister und seine Steuerbeamten schlecht auskommen, gehörte auch Glegg, und nun wir das wissen, werden wir um so besser begreifen, warum er, trotz des etwas zu scharfen Beigeschmacks, den die Natur den Tugenden des ältesten Fräulein Dodson gegeben hatte, in seiner Ueberzeugung nicht wankend geworden war, er habe eine gute Heirath gemacht. Ein Mann mit weich gestimmtem Herzen, der mit seiner Frau in den Grundanschauungen des Lebens übereinstimmt, redet sich leicht ein, keine andre Frau hätte für ihn so gut gepaßt, und macht den täglichen kleinen Krieg ohne besondere Bitterkeit durch. Glegg war von Natur zum Nachdenken geneigt, und da er nicht mehr über Wolle nachzudenken hatte, so verfiel er auf ein tiefes Nachsinnen über die Eigenthümlichkeiten der weiblichen Natur, wie sie sich ihm in seiner Häuslichkeit zeigte, und doch schienen ihm die häuslichen Gebräuche seiner Frau ein wahres Muster für ihr ganzes Geschlecht: wenn andre Frauen ihre Servietten nicht so fest aufrollten wie Frau Glegg, wenn ihr Kuchenteig nicht ganz so ledern und zähe war, ihr Käse nicht ganz so trocken und hart, so sah er darin eine traurige Verirrung, und ich glaube beinahe, wenn der kleine Krieg mal eine ganze Woche aufgehört hätte, ihm hätte was gefehlt; ganz sicher aber wäre durch eine nachgiebige sanfte Frau in seine tiefsinnigen Grübeleien über die Geheimnisse des menschlichen Lebens eine böse Lücke gekommen.

Wie herzensgut der Mann im Grunde war, sehen wir daran, daß es ihn mehr schmerzte, wenn seine Frau mit andern Streit hatte, z. B. mit Dorchen, ihrem Dienstmädchen, als wenn sie ihre böse Laune an ihm selbst ausließ, und der Streit zwischen ihr und Schwager Tulliver hatte ihn so geärgert, daß es ihm ganz die Freude an seinen frühen Kohlpflanzen verdarb, als er am andern Morgen vor dem Frühstück in seinem Garten spazierte. Doch hegte er, als er zum Frühstück wieder hineinging, die stille Hoffnung, jetzt werde seine Frau den schlimmsten Aerger wohl verschlafen und wieder Sinn haben für die nöthigen Rücksichten auf die Familie. Bisher hatte sie sich immer damit gerühmt, unter den Dodsons habe es nie solche Todfeindschaften gegeben, wie sie andre Familien geschändet hätten; kein Dodson sei je enterbt, und kein noch so weitläufiger Vetter aus der Familie ausgestoßen worden. Freilich, wie wäre das auch möglich gewesen? Die Dodsons hatten ja keinen Vetter, der nicht Geld ausstehen hatte oder wenigstens ein paar Häuser besaß.

Frau Glegg hatte auf ihrer Stirn eine Abendwolke, die, wenn sie sich des Morgens zum Frühstück setzte, immer verschwunden war; das war ihr falscher Scheitel mit leichten Locken. Da sie sich nämlich des Morgens mit Haushaltungssachen beschäftigte, so wäre es reine Verschwendung gewesen, etwas für die Bereitung eines zähen Kuchenteiges so überflüssiges zu tragen, wie falsche Locken. Erst um halb eilf verlangte der Anstand den Scheitel; bis dahin konnte ihn Frau Glegg sparen. Heute indeß zeigte die Abwesenheit dieser Wolke um so deutlicher, daß die Wolke der bösen Laune da war, und da ihr Mann dies bemerkte, als er sich an sein altes frugales Frühstück, die Milchsuppe, setzte, so beschloß er wohlweislich, seiner Frau die Einleitung eines Gesprächs zu überlassen; denn Frauenlaune ist so zart, daß die leiseste Berührung sie verletzen kann. Wer seine böse Laune recht genießen will, der versteht sich drauf, sie durch Selbstquälerei förmlich zu hegen und zu pflegen. Auch Frau Glegg verstand das; sie machte ihren Thee heut schwächer als sonst und nahm keine Butter. Es war auch zu hart, daß einem tapfern Kampfesmuthe, der so ausgezeichnet befähigt war, jede Gelegenheit zu benutzen, keine einzige Bemerkung des Mannes entgegenkam, woran er sich hätte erproben können. Aber allmälich schien es, als ob sich auch sein Stillschweigen nützlich verwenden ließe, denn plötzlich hörte er sich in dem Tone anreden, der dem Weibe unseres Herzens eigenthümlich ist.

»Nun, Mr. Glegg, ist das der Dank dafür, daß ich Dir alle diese Jahre her eine so gute Frau gewesen bin? Wenn das die Art ist, wie Du mich behandeln willst, dann ist's schade, daß ich es nicht früher gewußt habe, ehe mein armer Vater starb; denn hätt' ich mir wohl einen andern Heerd gründen können, – die Wahl hatte ich ja.«

Glegg legte den Löffel hin und blickte auf, nicht neugierig erstaunt, sondern nur mit der ruhigen gewohnten Verwunderung, mit der man ein altes Geheimniß betrachtet.

»Nun, Frau, was hab' ich denn wieder gethan?«

»Wieder gethan, Mr. Glegg, wieder gethan? … Du thust mir leid.«

Der Mann fand nicht gleich die richtige Antwort und wandte sich wieder zu seiner Suppe.

»Es giebt Männer in der Welt«, fuhr Frau Glegg nach einer Pause fort, »die wohl etwas andres thäten, als fremden Leuten ihre Partie gegen ihre eigne Frau zu nehmen. Vielleicht irre ich mich, und Du kannst mich eines bessern belehren, aber ich habe immer gehört, es sei die Pflicht des Mannes, seiner Frau beizustehen, statt sich darüber zu freuen und zu triumphiren, wenn andre sie beleidigen.«

»Aber, Frau, wie kannst Du das sagen?« erwiderte der Mann ein wenig aufgebracht; »wann hab' ich mich so gefreut oder triumphirt?«

»Man braucht so was nicht grade heraus zu sagen und kann einen doch sehr verletzen. Ich wollte lieber, Du sagtest's mir grade in's Gesicht, daß Du Dir nichts aus mir machst, als daß Du hinter meinem Rücken jedem Recht giebst, nur mir nicht, und am andern Morgen zum Frühstück kommst, wenn ich die Nacht kaum eine Stunde geschlafen habe, und mit mir brummst, als wär' ich der Schmutz unter Deinen Füßen.«

»Ich mit Dir brummen?« erwiderte der Mann ärgerlich. »Du bist wie'n Betrunkener, der glaubt, alle Leute hätten zu viel, nur er selbst nicht.«

»Du solltest Dich doch nicht so erniedrigen und so gemeine Aeußerungen gegen mich in den Mund nehmen! Wirklich, Du bist förmlich klein in meinen Augen, obschon Du Dich selbst nicht sehen kannst«, erwiderte die Frau im Tone des höchsten Mitleids. »Ein Mann wie Du sollte doch andern ein Beispiel geben und verständiger sprechen.«

»Ja wohl, aber nimmst Du denn Verstand an?« entgegnete der Mann in scharfem Tone; »das Verständigste was ich Dir sagen kann, habe ich Dir schon gestern Abend gesagt, daß Du Unrecht hast, Dein Geld zu kündigen, das doch sicher genug steht, wenn Du Tulliver nur nicht drängst, und noch dazu blos wegen eines kleinen Wortwechsels. Ich hoffte auch schon, Du wärst diesen Morgen anderes Sinnes; willst Du's aber doch kündigen, dann thu's wenigstens nicht jetzt und mache die Feindschaft in der Familie noch größer, sondern warte lieber, bis Du ohne viel Mühe eine gute Hypothek findest. Jetzt müßtest Du Dich an 'nen Advokaten wenden, damit der Dir eine suchte, und das würde ein hübsch Stück Geld kosten.«

Frau Glegg erkannte, darin sei allerdings etwas wahres, aber sie warf den Kopf zurück und brummte etwas zwischen den Zähnen, als wolle sie sagen, ihr Schweigen bedeute nur Waffenstillstand, aber nicht Frieden. Und wirklich brachen die Feindseligkeiten bald wieder aus.

»Ich würde Dir sehr danken, wenn Du mir eine Tasse Thee gäbest«, sagte der Mann, als seine Frau keine Anstalt machte, sie ihm von selbst zu geben.

Mit leisem Kopfschütteln nahm sie den Theetopf und sagte: »Ei, das ist ja sehr viel, daß Du von Dank sprichst. Sonst wird mir wenig gedankt, was ich für andre in dieser Welt thue. Und doch ist in Deiner Familie nicht 'ne einzige Frau, die sich mit mir vergleichen könnte – ja, das muß ich sagen, und wenn ich auf meinem Sterbebette läge. Aber höflich bin ich doch immer gegen Deine Verwandten gewesen, das soll mir keiner anders nachsagen, obschon sie meinesgleichen nicht sind, dabei bleib' ich.«

»Du solltest meine Verwandten doch lieber in Ruhe lassen, bis Du Dich mit Deinen eigenen nicht mehr zankst«, erwiderte der Mann mit boshaftem Spott. »Bitte, etwas Milch.«

»Das ist so falsch, wie Du je was gesagt hast«, erwiderte die Frau und goß ihm dabei ungewöhnlich viel Milch ein, als wollte sie sagen, wenn er mal Milch haben wolle, dann solle er sie auch vollauf haben – »und Du weißt selbst, daß es nicht wahr ist. Ich bin nicht die Frau, mich mit meinen eigenen Verwandten zu zanken, das magst Du wohl selbst thun, ich kenne Dich ja.«

»Na, was war denn das gestern anders, daß Du Deiner Schwester so wüthend aus dem Hause liefest?«

»Mit meiner Schwester hab' ich keinen Streit gehabt, und's ist nicht wahr, wenn Du das sagst. Herr Tulliver ist gar kein Verwandter von mir, und er hat mit mir gezankt und mich aus dem Hause getrieben. Aber Du bist im Stande und hättest gewünscht, ich wäre noch geblieben und hätte mich auswettern lassen; und Du bist im Stande und ärgerst Dich, daß man Deine eigene Frau nicht noch schlechter behandelt und noch mehr beleidigt hat. Aber das muß ich Dir sagen, die Schande fällt auf Dich und keinen andern.«

»Hat man je in der Welt so was erlebt!?« rief der Mann und das Blut stieg ihm zu Kopf. »Eine Frau, die alles hat, was sie gebraucht, und die ihr eigenes Vermögen in Händen behalten hat, als wär's ihr so ausgemacht, und die ihren Einspänner hat, neu gepolstert und überzogen – ein gut Stück Geld hat's gekostet – und die ich nach meinem Tode viel besser bedacht habe, als sie je erwarten konnte … die geht so gegen mich los und beißt und schnappt nach mir wie'n toller Hund! Es ist garnicht zu glauben, daß Gott der Allmächtige die Weiber so geschaffen hat.«

Diese letzten Worte sprach Glegg mit höchster Erregung und Betrübniß, dann schob er seine Theetasse von sich und trommelte mit beiden Händen auf den Tisch.

»Nun, Mr. Glegg, wenn das wirklich Deine Ansicht ist, dann ist's mir allerdings lieb, daß ich sie kenne«, erwiderte die Frau, und dabei nahm sie ihre Serviette auf und legte sie mit zitternden Händen zusammen. »Wenn Du aber davon sprichst, es ginge mir viel besser, als ich hätte erwarten dürfen, da muß ich mir doch erlauben zu bemerken, daß ich manche Dinge zu erwarten berechtigt war, die ich leider bei Dir nicht finde, und wenn Du mich mit einem tollen Hunde vergleichst, dann kannst Du noch von Glück sagen, wenn das ganze Land nicht Schande über Dich ruft, daß Du mich so behandelst. Das kann ich nicht ertragen, und ich will's auch nicht ertragen.«

Bei diesen Worten hörte man es der Frau an, daß sie im Begriff war zu weinen; sie brach ab und zog heftig die Glocke.

»Dorchen«, sagte sie mit halberstickter Stimme, »heize oben bei mir ein und laß die Vorhänge 'runter. Glegg, bestelle Dir selbst, was Du zu essen haben willst. Ich nehme Haferschleim.«

Damit ging Frau Glegg quer durch's Zimmer an das kleine Bücherbrett und nahm Baxter's »ewige Ruhe der Heiligen« mit nach oben. Dieses Buch pflegte sie immer bei besondern Gelegenheiten offen vor sich hinzulegen, – wenn es Sonntags Morgens regnete, oder wenn jemand in der Familie gestorben war, oder wenn, wie im vorliegenden Falle, sie sich mit ihrem Manne eine Oktave höher gezankt hatte als gewöhnlich.

Aber heute nahm Frau Glegg noch etwas anderes mit hinauf, welches zusammen mit der Ruhe der Heiligen und dem Haferschleim ihre Aufregung allmälich beruhigte und es ihr möglich machte, kurz vor dem Theetrinken wieder im Wohnzimmer zu erscheinen. Dieses Etwas war theils die Andeutung ihres Mannes, sie solle doch ihre fünfhundert Pfund erst kündigen, wenn sich eine gute Hypothek dafür fände, und ferner sein beiläufiger Wink, wie gut er sie für den Fall seines Todes bedacht habe. Wie alle Leute seines Schlages, war Glegg über sein Testament sehr schweigsam, und in ihren düsteren Augenblicken quälte sich Frau Glegg mit der trüben Ahnung, er hege vielleicht, wie sie wohl von andern Männern gehört hatte, die gemeine Absicht, ihren Schmerz über seinen Tod dadurch zu erhöhen, daß er sein Vermögen andern hinterließe, – für welchen Fall sie freilich sofort entschlossen war, kaum einen Trauerflor am Hute zu tragen und nicht mehr um ihn zu weinen, als wenn er ihr zweiter Mann gewesen wäre. Wenn er ihr aber wirklich einige letztwillige Zärtlichkeit bewiese, dann würde es ja ergreifend sein, nach seinem Tode an den guten lieben Mann zu denken, und selbst seine thörichte Wirthschaft mit den Blumen und dem andern Gartenkram, und seine Hartnäckigkeit in Betreff der Schnecken würde rührend sein, wenn es mal glücklich damit zu Ende wäre. Ihren Mann zu überleben und mit wohlwollendem Lobe von ihm zu reden, als von einem Manne, der wohl seine Schwächen gehabt, aber doch gegen sie rechtschaffen gehandelt habe, und zwar trotz seiner vielen armen Verwandten, – manch hübsches Sümmchen an Zinsen einzunehmen, und das Geld in verschiedenen Winkeln zu verstecken, wo es auch die geriebensten Spitzbuben nicht finden könnten; (in Frau Glegg's Augen würden nämlich Banken und feste Geldschränke die Freude am Eigenthum vernichtet haben; ebensogut hätte sie ihre Nahrung in Pillen zu sich nehmen können) – endlich, bei ihrer eigenen Familie und der ganzen Umgegend möglichst viel zu gelten, wie eine Frau nur dann hoffen kann, wenn ihre vergangene und gegenwärtige Würde in der inhaltschweren Bezeichnung zusammengefaßt ist: »eine wohlhabende Wittwe« – das alles ließ die Zukunft in einem freundlichen und versöhnenden Lichte erscheinen. Als daher der gute Glegg, der allmälich seine gute Laune wiedergefunden hatte und dem der Anblick des leeren Stuhles seiner Frau und ihres Strickzeuges in der Ecke zu Herzen ging, sie oben in ihrem Zimmer aufsuchte und dabei äußerte, man habe eben dem armen Morton zu Grabe geläutet, so gab Frau Glegg, großmüthig als habe sie ihren Mann niemals beleidigt, zur Antwort: »Aha, dann weiß ich jemand, der ein gutes Geschäft macht.«

Die Ruhe der Heiligen hatte inzwischen mindestens acht Stunden offen dagelegen, denn nun war's fast fünf Uhr, und wenn Leute sich oft zanken, so folgt mit Nothwendigkeit, daß ihre Streitigkeiten sich nicht über gewisse Grenzen hinaus verlängern können.

Den Abend verhandelten Glegg und seine Frau über die Tulliver'sche Angelegenheit ganz freundschaftlich. Der Mann seinerseits gab vollkommen zu, Tulliver bringe sich leicht in die Patsche und werde wahrscheinlich sein Vermögen noch ganz durchbringen; die Frau ihrerseits kam diesem Zugeständnisse halbweges mit der Erklärung entgegen, es sei unter ihrer Würde, von dem Benehmen eines solchen Menschen Notiz zu nehmen, und aus Rücksicht für ihre Schwester wolle sie ihm die fünfhundert Pfund noch etwas länger lassen; denn wenn sie es auf Hypothek gäbe, so bekäme sie nur vier Prozent Zinsen.


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