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Während Horst sich anzog und dann mit Peter frühstückte, und während der Förster eine Pfeife nach der anderen rauchte, wurden alle Erlebnisse und Erinnerungen von dem langen Aufenthalt der Jungen auf der Insel erzählt und besprochen. Der Förster schüttelte ab und zu mit dem Kopf und brummte:
»Na, seid ihr aber braun dabei geworden« – »na, gehalten habt ihr euch brav, das sieht man«, und »na, sieh mal an, das war gar nicht so dumm.« Und als Klaus einmal fragte: »Habt ihr denn wirklich geglaubt, wir seien tot?« da machte er ein ganz ernstes Gesicht und sagte dann bloß: »Na, wir wollten aber doch die Hoffnung nicht aufgeben.«
Peter hatte Horst richtig in der Hütte beim Wasserfall gefunden – dorthin hatte er sich geflüchtet, als es ihm in der Nähe des reißenden Wassers zu kalt wurde.
Der Förster begann nun von der Suche nach ihnen zu erzählen, und während er erzählte, hockten die drei Insulaner dicht beisammen und starrten ihn mit offenen und gespannten Gesichtern an – nein, wahrhaftig, Ursache von so viel Anstrengung, so viel Enttäuschung, so viel Aufregung gewesen zu sein – es kribbelte ihnen wohlig und gruselig zugleich über den Rücken. Nun waren sie auf einmal bekannt und berühmt geworden.
Der Förster hatte bald erfahren, daß die Jungen nicht zu der Zeit, wie angenommen wurde, an den Bergseen eingetroffen waren. Das hatte ihn zuerst nicht weiter gewundert und beunruhigt – es konnte sie ein Unwetter überrascht haben, so daß sie irgendwo eingekehrt waren, oder in einer Hütte oder Scheune Schutz gesucht hatten. Das war noch kein Anlaß, irgendwie besorgt zu sein. Es waren ja starke, abgehärtete Jungen, und das schlechte Wetter konnte nicht ewig dauern. Der Weg war ja eigentlich gut – hier räusperte sich Gerd laut und Horst blickte wie geistesabwesend auf das Wasser hinaus. Heute abend oder morgen würden sie gewiß an Ort und Stelle sein, meinte man.
Nichtsdestoweniger machte sich der Förster sofort auf nach den Bergseen, die ja in seinem Revier lagen. Dort begegnete er zwei Männern, die von einer Weide kamen, welche gerade an dem Wege lag, den die Jungen benützen mußten. – Aber die beiden Männer hatten keine Jungen gesehen. Nun begann er ernstlich zu suchen. – Seltsamerweise ging er aber mehr nach Süden. Ab und zu feuerte er aus seiner Büchse Signalschüsse ab – die hatten die Jungen einmal gehört. Nie hätte der Förster angenommen, daß sie so weit von der Richtung abgekommen sein könnten – wieder räusperte sich Gerd und Horst blickte harmlos zerstreut in die Luft.
Er wandte sich dann wieder nach Osten, durchstreifte das Flußtal und einige Berge. Am schrecklichsten war der Gedanke, sie könnten sich in die großen Sümpfe verirrt und dort ihr Ende gefunden haben. Aber das Auffallende war, daß man gar keine Spuren fand, auch keinen Rucksack, keine Angelrute. Nicht einmal drei so alberne, unerfahrene, tölpelhafte Lausbuben – hier rollte die Stimme des Försters wie Donner – versinken samt Rucksäcken und Angelrute im Moor. Dann berichtete jemand, ein paar Jungen seien an einer langsam fließenden Stelle des Flusses gesehen worden, und tatsächlich stellte sich heraus, daß jemand dort ein Boot genommen und an dieser Stelle über den Fluß gerudert war. Als schließlich doch alles vergebens war, suchte er in den Bergen.
Einige Tage später erzählte ein Holzfäller, er habe in einer Schlucht Menschen gesehen, ob es junge oder erwachsene gewesen seien, könne er nicht sagen – und so hatte er das Suchen in den Bergen fortgesetzt. Erst als er erfuhr, daß ein paar Touristen diesen Weg über das Gebirge gemacht hatten, begann er weiter nach Süden hin zu suchen. Irgendwo mußte doch eine Spur, ein Anhaltspunkt zu finden sein. Zuallerletzt kam er an den Sandsee – an die Insel dachte keiner – zum Übersetzen brauchte man ein Boot, und wenn man das hatte, konnte man ja auch wieder zurückrudern. Denn zu was sollten die Jungen auf der Insel bleiben. – Vom Sandsee aus hatte man einen guten Weg längs des Flusses nach den ersten Weideplätzen. Es war ausgeschlossen, daß jemand vom Sandsee aus den Rückweg nicht fand. »Wer konnte auch denken, daß ihr doch auf dieser Insel mitten im Wasser saßet und nicht wieder fort konntet! Da hättet ihr noch lange festsitzen können, denn es war ein reiner Zufall, daß Leute hier vorbeikamen, in diese abgelegene Gegend, wo das Weideland obendrein schlecht ist«, bemerkte der Förster.
Ob sie wohl daran gedacht hätten, was es für die zu Hause für eine Aufregung und Sorge gewesen sei, über vierzehn Tage auf das Ergebnis des Nachforschens zu warten? Ob sie sich denken könnten, wie das für Mütter und Väter gewesen wäre, wenn ihnen immer wieder berichtet werden mußte, daß bis jetzt alles Suchen umsonst gewesen sei? Er hatte höchstens trösten können: »Nicht die Hoffnung aufgeben – es wird ihnen nichts passiert sein –«
Die Jungen antworteten nicht, sie sahen von dem Förster fort und über das Wasser hinaus. Bis Gerd die Spannung löste mit der Bemerkung: »Es ist auch nichts passiert!« – Wieder wurde der Förster ernst und sagte: »Nein, aber denkt mal darüber nach, wenn euch wirklich etwas passiert wäre.«
Es kamen selten Menschen an den Sandsee, und die Weiden waren ziemlich entfernt; kaum kam es vor, daß eine Herde hierherzog. Einmal war es doch geschehen, an jenem Abend nämlich, als sie die Kühe sahen, und einige Tage später waren einige Hirten hier, um nach einem verlaufenen Kälbchen zu suchen. Die hatten in der Hütte beim Wasserfall genächtigt und waren mit einem Boot am Ufer entlanggefahren – es war an dem Morgen gewesen, da der Nebel so dicht war, – und hatten das Kalb gelockt und gerufen. Auch sie waren der Meinung, eine Antwort gehört zu haben, aber ob es ein Mensch oder ein Tier war, konnten sie nicht unterscheiden. Einige Tage später waren sie noch einmal gekommen und über das Wasser gerudert, um bei der Insel zu fischen – sie also waren es, die von den Jungen bemerkt wurden – und dann waren sie nachts über das Wasser zurückgefahren, hatten das Boot am Ufer angekettet und die Ruder mitgenommen. Als sie wieder zu der Herde kamen, erzählten sie, sie hätten auf der Insel etwas gesehen, was einem Signal gleiche und was bestimmt früher nicht dagewesen wäre, und da hätte man den Förster geholt, der nicht weit davon Holzarbeiter beaufsichtigte. Und der hatte sich mit Peter sofort auf den Weg gemacht.
»Und endlich habe ich das Glück, euch gesund und munter hier zu finden«, schloß der Förster und mußte sie wieder ein bißchen zurechtschütteln. »Und jetzt ist's Zeit, daß wir von hier fort kommen – es warten doch einige Menschen auf euch.«
Fort von hier? Die Jungen sahen sich um – fort von der Insel, ihrer Insel? Schön, wunderbar war es, gerettet zu sein, heim zu dürfen – aber es galt dennoch Abschied zu nehmen von der einsamen Insel. Sie waren so glücklich, sie wußten nicht, auf welchem Bein sie stehen sollten, und dennoch war es ihnen weh ums Herz, nun sie ihrer Insel Lebewohl sagen mußten, ihrem Reich –!
Horst reckte die Hände nach dem blauen Himmel und schmetterte einige Jodler hinaus, und die anderen machten es nach. Dann liefen sie hinauf auf den Flaggenhügel, rannten so geschwind wie Wiesel im Gras – der Förster verzichtete darauf, ihnen zu folgen. Dort oben, bei dem Steinhügel mit der Flagge, da blieben sie stehen und blickten noch einmal über die Insel, die im schönsten Sonnenschein erstrahlte; duftend von Heidekraut und Föhre, von Zwergbirke und würzigen Kräutern lag sie da. Sie hörten die Vögel singen, die Drossel und die Lerche, die Enten schwammen auf dem Deich und standen im Schilfe auf dem Kopf, die Schnepfen flatterten über dem Moore, vor dem »Kap der Enttäuschung« tummelten sich schwimmende Tauchenten, und hoch oben in der Luft, ohne die Schwingen zu rühren, schwebte ein Habicht. Ach, alles war so schön hier, ach, alles war wie am ersten Tag, wie alle Tage, und jetzt war es die letzte Stunde.
Sie hörten die mächtige Stimme des Försters nach ihnen rufen. Still zog Horst die Fahnenstange aus dem Steinhaufen und legte sie daneben – »bis wir wieder hierherkommen«, sagte er. Und die drei Jungen reichten einander kurz die Hände, sahen sich noch einmal in die Augen und rannten den Berg hinab.
Dann hieß es einpacken und aufräumen, schmutzige Kleider, Tassen und Kannen, Angelruten, Rollen und Fliegen. Die Hütte mußte in Ordnung gebracht werden, anständig sollte es nach ihnen hier aussehen. Klaus putzte und scheuerte, trug neues Holz herbei und eine große Kienwurzel. Dann war das auch geschehen, und Horst verschloß die Türe, so gut es ging. Und sie standen vor der verschlossenen Türe und starrten sie in Gedanken versunken an.
»Los, Jungens!« – kommandierte der Förster; er trug Gerds großen Fisch, von dem bloß das Schwanzstück verspeist worden war, »könnt ihr euch gar nicht von eurer Insel trennen?«
Sie ruderten nach Westen, wollten hier über die Berge, es war der kürzeste Weg nach Hause. »Ihr habt da wirklich eine nette Irrfahrt gemacht«, meinte lachend der Förster, und Horst wurde rot. Peter ruderte über das stille Wasser heimwärts, die Insel wurde immer kleiner, noch sahen sie die »Gerdhöhe« und die Landzunge bei der »Klausenbucht«, dann drehte Peter das Boot in eine enge Bucht und die Insel war nicht mehr zu sehen. Klaus tat einen tiefen Atemzug.
In dieser Bucht landeten sie, zogen das Boot ans Ufer und ketteten es an den nächsten Baum. Während sie damit beschäftigt waren, schrie Horst plötzlich: »Gebt mir doch mal ein Ruder!« Er angelte damit im Schilf herum und holte eine Flasche heran – »kennst du sie, Klaus?« Es war ihre Flaschenpost – Horst hielt sie hoch, sie war halb voll Wasser und darin schwamm ein kleiner Papierzettel. Hier in diese Bucht war also die Flasche getrieben worden. Gefunden hatte sie aber noch niemand. »Ja, hier ist alles sonderbar«, meinte Klaus. Horst schwang die Flasche über seinem Kopfe und schleuderte sie weit hinaus ins Wasser: »Grüß die einsame Insel!« rief er.
Sie erreichten nachmittags die Viehweide und blieben hier über Nacht, da es noch ein guter Tagesmarsch bis nach Hause war, und die Jungen in ihren abgerissenen Schuhen kaum noch laufen konnten. Aber Peter meinte zögernd, er wolle lieber gleich weitergehen, um die Auffindung und Ankunft der Jungen zu melden. Und dann sprang er mit einem Jodler den Hang hinunter und verschwand im Wald. Er kannte einen kleinen Steig, der ihn rasch ins Dorf führte, und er erreichte im Morgengrauen die Bürgermeisterei. Er klopfte an ein Fenster und war ganz erschrocken, als er sah, wen er da geweckt hatte, denn der Bürgermeister schaute selbst heraus, um zu sehen, was los war. Ins halboffene Fenster hinein erstattete Peter dem sich im Nachthemd befindlichen Bürgermeister Bericht, daß die drei Jungen gefunden seien und daß es ihnen gut gehe. Auch bestellte er die aufgetragenen Grüße.
Stramm wie junge Helden marschierten die drei so lange Vermißten am anderen Tag ins Dorf zur Bürgermeisterei, wo sich bereits zahlreiche Menschen versammelt hatten, um die Heimkehrer zu empfangen. Sie waren tatsächlich anfangs ganz mannhaft und grüßten stolz ihre Angehörigen, bis Klaus, der Jüngste, die Haltung verlor und in Muttis Arm sank, worauf auch die anderen plötzlich eine etwas belegte und wenig heldenhafte Stimme bekamen.
Als sie dann in des Bürgermeisters Zimmer saßen und essen sollten, da hatten sie die Schwächeanwandlung überwunden, vor allem Klaus, und sie sprachen alle drei durcheinander, daß man nicht verstehen konnte, was sie berichteten.
Es kam ihnen sonderbar vor, nach langer Zeit wieder tadellos angezogen, an einem ordentlich gedeckten Tisch zu sitzen – sie sahen einander an und lachten. An den richtigen Gebrauch von Bestecken, Servietten usw. mußten sie sich erst wieder gewöhnen. »Das hatten wir auf unserer Insel nicht nötig, da waren wir freier. Es war doch schön dort!«
»Ich wäre gern den ganzen Sommer dort geblieben«, meinte Klaus. »Es war doch trotz allem sehr schön!«
»Aber es ist doch auch nicht ganz so schlimm, wieder daheim bei der Mutter zu sein«, sagte da eine gütige Stimme, und er fühlte eine weiche Hand liebevoll über sein Haar streichen.
Er war nicht weit davon, wieder zusammenzuklappen und sich unmännlich zu benehmen. Aber da kam das Festessen, und er riß sich zusammen und sagte mit fester Stimme:
»Na – weißt du – wenn es gerade Fleischkuchen gibt – dann wäre es zu überlegen!«