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Vespasian

. Es war allmählich warm geworden im Zimmer. Aber zur Behaglichkeit fehlte doch noch vieles.

Zelewski lag in herzlich schlechter Stimmung auf dem Kanapee. Er hatte Kopfschmerzen. Wahrscheinlich von diesen greulichen Schnäpsen, die Sankt Satan in seinem Zorn erfunden hat.

Er bemühte sich, die Chaiselongue-Decke fester um seine Beine zu wickeln, und langte nach der ausgeschnittenen Broschüre da auf dem Tisch. Es war eine moderne Dramaturgie, die vor drei Jahren noch sechs Mark gekostet hatte, jetzt aber bei den »fliegenden Buchhändlern« für zwanzig Pfennig zu haben war. Sie war noch neu und modern genug, daß man aus ihr lernen konnte, was man von modernen Dramen zu wissen brauchte. Er mußte diesen Gelbschnäbeln, die ihm manchmal über den ergrauenden Kopf wuchsen, doch den Kropf stopfen können.

Aus diesem freundlichen Motiv heraus begann er die langweilige Zergliederung des blühenden Anzengruber-Werks zu durchblättern, als ihm einfiel, daß er noch irgendwo eine Zigarre haben mußte.

Aber wo?

Er stand mit einem tiefen Seufzer auf und suchte in seinen Kleidern. Lange war da nicht zu suchen.

In der Brusttasche des Mantels befand sich eine erst halbangerauchte Zigarre, in ein Stück Zeitungspapier gewickelt. Er pustete die Asche fort und steckte sie an.

Er war kein Kenner. Aber er fand, daß sie gut war.

O ja, Pronitz rauchte immer gute Zigarren. Und er war auch anständig und unvorsichtig genug, welche abzugeben.

Wenn man dabei nur nicht immer seine Geistreicheleien in den Kauf nehmen mußte. Was hatte er doch gestern bei der Kneiperei in Melchers Atelier gesagt?

Ja, richtig: Melcher hatte ihn aufgefordert, einen Aphorismus vom Stapel zu lassen, Pronitz hatte sich auf die Sofalehne gesetzt, mit den Beinen gebaumelt, hörbar an der erloschenen Zigarre gesogen und mit Konsistorialratsstimme vorgebracht: »Ein verpfuschtes Leben ist wie eine ausgegangene Zigarre. Man kann sie ja noch mal anstecken. Aber sie schmeckt nicht mehr. Und ein Gentleman tut's nicht.«

Schlecht gebrüllt, Löwe!

Womit kann man das Leben schließlich nicht vergleichen: mit einem Karussell, mit einer Hühnerleiter, einer Eisenbahnstation, einer Farbenpalette – –! Überhaupt diese ganze Unlogik, das Ganze an sich mit einem Teil davon vergleichen zu wollen! Totum pro parte! Das konnte natürlich nur Leuten passieren, die nicht philosophisch geschult waren.

Er lächelte überlegen und wickelte sich wieder in die Diwandecke.

Sollte Pronitz das übrigens auf ihn gemünzt haben?

Er war mißtrauischer Natur und sann eine Weile darüber nach.

Aber nein. So war Pronitz nicht; dazu hatte er zuviel Respekt vor seinem Wissen. Und – lächerlich! – war sein Leben denn etwa verpfuscht?? Dies Proletendasein war doch nur Übergang. Er ruhte seinen Geist doch nur aus. Schließlich pausieren ja auch die Kaninchen beim Kinderkriegen! Und sein Gehirn war kein Karnickel.

Wartet nur ein, zwei Jahre! Dann holt Zacharias Zelewski seines Geistes Schwert hervor. Simson über euch!

Er griff wieder zur Dramaturgie und hatte gerade eine Seite gelesen, als es klingelte. Erst überstürzend, fürchterlich laut. Dann wie um Entschuldigung über die ungewollte Wirkung bittend, schüchtern und zaghaft.

Er fuhr erschreckt auf.

Wer konnte das sein?

Amanda nicht. Die hatte ihren Schlüssel. Und um diese Zeit konnte sie noch garnicht hier sein.

Der Bote vom Abzahlungsgeschäft für die Möbel war erst nächste Woche fällig. Gefahr war also wohl nicht vorhanden.

Er stürzte also mit einem dröhnenden »Jawohl« zur Türe und öffnete.

Der Zeichner Ramdohr, der jetzt eintrat, gehörte zu jenen Schüchternen, die um Entschuldigung bitten, wenn sie uns auf den Schatten treten–…

In sein Gesicht war ein süßes, friedliches, gleichmäßiges Lächeln eingebrannt, das er sicher auch im Schlaf und bei Operationen und Zahnausreißen zeigte.

Ramdohr stieß beim Eintreten an eine Bierflasche, die langsam unter das Sofa rollte. Er errötete vor Schreck.

»Das hat nichts zu sagen, lieber Freund! Aber setzen Sie sich doch!«

Ramdohr setzte sich auf den einzigen freien Stuhl am Bett und blickte sich schweigend um.

»Das Zimmer ist nicht aufgeräumt. Sie müssen es sich nicht so genau ansehen. Meine Frau hat in diesen Tagen keine Zeit gehabt.«

Ramdohr kannte das seltsame Eheleben der beiden und mochte nicht daran rühren. Nur ganz vorsichtig fragte er: »Ihre Gattin ist doch gesund?«

»Kerngesund, lieber Freund. Ich wünschte, sie könnte mir etwas davon abgeben. Denn mit mir hapert es doch bedenklich.«

»O, ich will nicht hoffen.«

Zelewski schnitt plötzlich ein klägliches Gesicht. Es wurde ihm nicht schwer. Er fühlte sich wirklich elend.

»Lange dauert es wohl nicht mehr mit mir.«

»Aber, lieber Meister. Das wäre ja ein unersetzlicher Verlust.«

»Na, wenigstens bekomme ich dann eine hübsche Grabschrift von Euch, nicht wahr? Das seid Ihr mir schuldig. Denn ich habe Euch viel gegeben. Und Sie, lieber Freund, zeichnen mich noch im Tode, nicht wahr? So was zieht immer. Und schließlich habe ich doch einen interessanten Kopf, wie?«

Ramdohr war verlegen. Sollte er trösten? Das glückte ihm schlecht. Auch war er augenblicklich selber stark trostbedürftig. Wenigstens sein Portemonnaie. Und während Zelewski weiter jammerte, überlegte er, wieviel er wohl von ihm pumpen könne –

Er war sehr geniert. Vielleicht genügten fünf Mark? Drei Mark hatte er noch – Nein, Unsinn! Das hatte keinen Zweck. Zehn Mark mußte er mindestens haben. Denn der Rahmenhändler, der ihm seit einem Jahr die kleinen polierten Rahmen für seine – meist unverkauften – Gravüren und Radierungen geliefert hatte, wollte ihn verklagen und würde ohne Abschlagszahlung nicht zufrieden sein.

Es trat eine Pause ein.

Ramdohr stotterte, um doch etwas zur Unterhaltung beizutragen: »Sie haben sich wieder wunderhübsche Sachen in letzter Zeit angeschafft.«

»Gefallen sie Ihnen?« meinte Zelewski gemütlich. »Nehmen Sie mir nicht übel, aber Sie haben gerade solchen Hottentottengeschmack wie meine Frau. Die hat aber wenigstens die Entschuldigung, daß sie Berlinerin ist.«

Diese Möbel konnte er nicht leiden. Denn es war das einzige Mal, daß seine Frau etwas in der Ehe durchgesetzt hatte. Hier hatte sie seiner Hypnose widerstanden, der sie sonst rettungslos unterlag. Das »Weibchen« hatte um sein Heim gekämpft wie eine Tigerin. Es bereitete ihm jedesmal einen direkt körperlichen Schmerz, wenn das schöne Geld an das Abzahlungsgeschäft bezahlt werden mußte.

Außer bei dieser Gelegenheit hatte sich Frau Amanda nur einmal widersetzt. Aber da war sie unterlegen.

Das war, als er eines schönes Tages als neues Hausmitglied einen Igel nach Hause brachte – einen richtigen Erinaceus –, um ihn bei verschiedenen Getränken auf den Namen »Vespasian« zu taufen.

Sie haßte das Tier, das überall da lag, wo man es nicht vermutete, und das nachts wie ein unruhiger Geist im Zimmer umherwanderte, sie regelmäßig aus dem Schlaf weckend.

Zelewski behauptete, daß Vespasian die Inkarnation seines eigenen Wesens sei: friedlich, voll geradezu lächerlicher Gemütlichkeit, aber immer bereit, Vorwitzigen die Stacheln zu weisen.

Jetzt lag die »Inkarnation« im Bett, zwischen Oberbett und dem hölzernen Fußende, – sorglich gebettet wie ein frierendes Kind.

Ramdohr, der wieder mit seinen Brandschatzungsgedanken beschäftigt war, fuhr ahnungslos mit der Hand über Vespasian und zog sie gleich darauf mit einem Schreckensschrei zurück.

»Nanu?« meinte der Hausherr etwas ärgerlich. »Es ist doch nur Vespasian??«

»Ja, natürlich,« flüsterte Ramdohr, und über sein Gesicht glitt wieder das sonnige Lächeln. Als ob er eben die amüsanteste Situation seines jungen Lebens verlebt hätte. Heimlich aber rieb er die verletzte Rechte an seinem Hosenbein.

Zelewski war das Gebaren Ramdohrs längst verdächtig vorgekommen. Was wollte er eigentlich bei ihm? Er wagte sich doch sonst nicht allein hierher und blieb vor Schüchternheit auf der Straße mit dem Hut in der Hand vor ihm stehen, wie ein Portier vor dem Minister.

Plötzlich fielen ihm die Schuppen von den Augen; und er mußte sich zusammennehmen, um nicht laut loszuprusten bei dem Gedanken, daß ihn jemand anpumpen wollte – und noch mehr darüber: daß sich einer dabei genierte. Die Komik der Situation durchschütterte ihn.

Das hinderte ihn aber nicht, der Lage gewachsen zu sein und den Spieß umzudrehen.

»Wieviel Geld haben Sie eigentlich bei sich?« fragte er unvermittelt.

Ramdohr, der sich auf seinen geheimsten Gedankenpfaden wie ein gemeiner Schmuggler ertappt sah, errötete und sagte, froh den Übergang gefunden zu haben: »Ich habe noch knapp drei Mark bei mir.«

»Aber das ist ja ein Vermögen, lieber Freund! Nein im Ernst: Die Hälfte können Sie mir borgen, nicht wahr? Sie bekommen sie übermorgen zurück.«

Ramdohr war über die unerwartete Wendung so verblüfft, daß er gar nicht zu protestieren wagte, sondern schüchtern sein Portemonnaie zog, in dem sich ein Zweimarkstück und zehn Groschen langweilten.

– Als er eine Viertelstunde später mit zärtlichem Lächeln fortging, hatte er richtig nur noch eine Mark in seinem Besitz und er beschloß, die Hälfte davon zu verwenden, um seinen Bruder, der in Bergisch-Gladbach Ingenieur war, telegraphisch um Geld zu bitten. Wozu war man schließlich Zeitgenosse solcher Kultur-Errungenschaften wie die Telegraphie, wenn man daraus nicht für sich selber Nutzen ziehen konnte? Es lebe die Technik! Und mit gerührtem Lächeln schrieb er die Depesche.

Zelewski strich zur selben Zeit seinem Vespasian zärtlich über die schwarze Schnauze.

»Nachher soll der Herr Vespasian süßen Ingwer saugen. Hei, da werden unsere Lebensgeister einen Cancan tanzen, Alterchen! Wir sind ihnen doch über, diesen Halunken, nicht wahr? Und wenn sie uns anöden wollen, zeigen wir ihnen die Stacheln, nicht wahr, mein Junge?«

Der Igel blinzelte aus seinen schwarzen Augenperlen pfiffig seinen Herrn und Meister an.


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