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Ein Anlauf

. Diese unruhigen Tage, die das Blut prickeln und die Nerven schneller vibrieren ließen, hatten das Unwahrscheinliche zustande gebracht, in dem Lyriker Tätigkeitsdrang zu entwickeln.

Nicht in dem Sinne, daß er mehr Verse skandierte als im Winter, oder daß er die junge Schauspielerin mit immer billiger werdenden Blumen überschüttete, – nein, er war längst zu mehr entschlossen.

Leo Fresenius, der sich immer mehr zu seinem Mentor herausbildete – natürlich als väterlicher Freund, Berater, »Lanceur« –, war nicht unschuldig an dieser Wendung der Dinge.

»Sie müssen Ihren Verwandten in Tapiau, Labiau, Wehlau beweisen, daß Sie ein Mann des Tages sind, kein Dämmerträumer; so imponieren Sie ihnen und stärken Ihren Kredit. Wie? Und wo? Sie müssen unbedingt einige Stunden am Tage regelmäßig arbeiten. Un–bedingt. Das schadet Ihren Idealen nichts. Im Gegenteil. Auf dieser dunklen Folie heben sie sich noch leuchtender ab.«

Oder war Lenz, den die immer merkwürdigerweise »genialisch« statt »genial« nennen, nicht Hofmeister? War Heine nicht Journalist? War Goethe nicht Staatsbeamter? »Na, sehen Sie wohl!«

So hatte sich langsam, aber sicher dies Samenkorn in dem unfruchtbaren Boden seiner Seele breit gemacht, Wurzel geschlagen und war in dieser Lenzzeit, wie so vieles andere, plötzlich ans Licht geschossen.

Und als ihn eines Morgens solch ein praktischer Gedanke überfiel, ließ er ihn nicht los, sondern er rang mit ihm wie Erzvater Jakob mit dem Engel, bis er ihn segnete.

Sternenklar überkam es ihn: er mußte einen Verdienst haben, der mit militärischer Pünktlichkeit kam, nicht einen, der wie ein Schutzmann immer just dann fehlte, wenn man ihn brauchte. Mit einem Wort: er schämte sich dieses »Luderlebens«, das freundliche Euphemisten »Bohème« nennen, und begehrte danach, den fetten, grünen Weiden der gesicherten Existenz zuzustreben. Mammon ist der alleinige Gott, und Fresenius war der Prophet. Hallelujah.

Und da man alles, was man tun »soll«, schnell tun soll, sprang er jähen Satzes an die Türe, brüllte nach Kaffee, wusch sich, wie ein Seehund dabei schnaufend und spritzend, und stürzte auf die Straße zum nächsten Zeitungskiosk. Dort kaufte er sich sämtliche Morgenblätter, um aus den Rubriken »Vermischtes«, »Unterricht« etwas Passendes herauszusuchen.

Das war nicht einfach.

Aber als aus Morgen und Abend ein Tag geworden war, hatte er einen ganzen Haufen blauumränderter Inserate in der Tasche.

Dies waren die Berufenen. Auserwählt wurden am nächsten Tage nur drei: die übrigen warf er zusammengeknüllt mit wachsender Treffsicherheit nach der verstaubten Gipsbüste in der Ecke.

Drei waren nicht viel. Aber gerade genug, wenn er Glück hatte. In allen dreien handelte es sich um einen akademisch gebildeten Herrn, der einen Schüler der höheren Gymnasialklassen beim Vorwärtskommen behilflich sein sollte.

Er war in diesem Moment zum erstenmal in seinem Leben darüber froh, daß er studiert hatte. So hatte man doch etwas mehr davon als die Erinnerung an langweilige Vorträge von langweiligen, weltabgewandten Dozenten in alten, verstaubten, schlecht ventilierten Räumen. Er malte sich bereits in lebhaften Farben aus, wie er mit geistreicher, origineller Methode Zauberdinge verrichten und dem dümmsten trockensten Pennälerschädel Wunderblüten des Wissens entlocken würde.

Er erlebte einen Triumph: alle drei Inserenten antworteten auf sein eingereichtes Gesuch. Er las die in soliden, umständlichen Sätzen aufgebauten Briefe kritisch mit hochgezogenen Augenbrauen und entschloß sich endlich, der Aufforderung des Herrn Rentier Schwandtke zu folgen.

Erstens: »Rentier« ist so etwas Insich-Gefestetes, behaftet mit unverkennbarem Metallgeruch. Zweitens: Schwandtke klang dumm, jovial, behaglich, umgänglich. Drittens: Rentier Schwandtke wollte ihn heute abend im Welfenlokal, Ritterstraße 100, kennen lernen. Dies entschied: mit einem Manne, der einen solchen Treffpunkt wählte, würde es sich auskommen lassen.

Die Diagnose erwies sich zunächst als richtig. Der Rentier gehörte zu denen, die Julius Cäsar gerne um sich hatte: er wog gern und gut zweieinhalb Zentner.

Neben ihm saß Katharina, seine Tochter, die in dem Alter war, wo man noch immer nicht dreißig Jahre zählt. Willi, der Sekundaner, war nicht da, sondern leistete zu Hause Muttern Gesellschaft. Er, der Alte, wollte ihn mal erst so ganz ohne Umstände zwanglos kennen lernen.

Der Lyriker bezeichnete dies als »fabelhaft vorurteilsfrei und modern« und erntete für diese Worte einen dankbaren Blick des alten Herrn.

»Der taugt etwas!« dachte der Rentier Schwandtke, beschloß aber doch, ihm noch etwas auf den Zahn zu fühlen – mit aller Menschenkenntnis, die ihm zu Gebote stand. Viel war das nicht.

Er plauderte mit ostentativer Harmlosigkeit über politische Zustände, berlinische Kommunalfragen und allgemeine Bildung und streckte hie und da seine dicken Fühlhörner aus. Der Lyriker merkte das mit einer leise wachsenden Gereiztheit, die er nach seinem Rezept mit einem sehr tiefen Zug aus dem Glase herunterspülte.

Der Rentier fand dies Trinken bei einem so jungen Manne bedauerlich, er bemerkte es fast mit etwas Entrüstung. »Er taugt doch nichts!«

Als der Geprüfte versehentlich seiner schriftstellerischen Tätigkeiten gedachte, die er eigentlich hatte verschweigen wollen, sahen Vater und Tochter erst einander, dann ihn ernst an.

»Was schreiben Sie denn? Mich interessiert so etwas sehr.«

Ihm stand der Angstschweiß auf der Stirn. Sollte er seine Gedichte in der »Glocke« erwähnen und sich dadurch alle Sympathie entziehen? Oder seine gewiß geistreichen, aber doch hier nicht recht angebrachten Epigramme auf Philister, Hofkunst, Zensur, Wildenbruch, Polizei, Moral, Skat – kurz, alles was dem Durchschnittsdeutschen heilig ist und das Herz weit macht? So sprach er die größte Lüge seines Lebens und stotterte von »gelegentlichen Skizzen in Familienblättern – nicht immer unter meinem Namen – dja.«

Wieder blickten sich Vater und Tochter an. Seine Chancen stiegen offenbar.

Das fleischige Gesicht des alten Herrn schnitt plötzlich seltsame Grimassen, die man als Ausdrucksmittel von Verlegenheit und Rührung deuten konnte.

»Ich bin nämlich –,« sagte er endlich mit verschämtem Lächeln. »Ich habe nämlich – auch hin und wieder literarisch sozusagen geschafft.«

»Ach nee?« entfuhr es dem verdutzten Lyriker.

»Ja, das heißt, natürlich nicht als Beruf, sondern in meinen Mußestunden. So gewissermaßen zum Privatvergnügen.«

»Es würde mich sehr interessieren, etwas davon zu hören.«

Rentier Schwandtke dachte: »Sieh, er taugt doch was!« und zog aus seiner Brieftasche einen stark zerknitterten Zeitungsausschnitt hervor.

»Ich habe nämlich ein Buch geschrieben. ›Militaria, Geschichten vom Exerzierplatz und aus der Kaserne‹. Hm. Ich kann wohl sagen, es ist nicht schlecht. Es ist wohl besser, als die meisten ähnlichen. Das bestätigt auch diese Rezension, die ich zufällig, ganz zufällig bei mir habe. Sie stammt aus dem ›Greifenhagener Tageblatt‹. Ich wohnte damals vor fünf Jahren dort.«

In des Lyrikers Innerem drehte sich etwas herum.

Rentier Schwandtke strich das Blättchen glatt und las, jedes Wort so energisch betonend, als stünde dahinter je ein Ausrufungszeichen: »Das Buch unseres allverehrten Mitbürgers bringt viel Nachdenkliches, dazu in liebenswürdiger, fesselnder Form und gedankenreich auch nach manch anderer Seite des Lebens. Des Lebens! Ja, völlig aus ihm geschöpft und darum so packend, daß man es immer wieder und wieder liest. Glücklich vermeidet der Verfasser die Klippen auf der Fahrt, sperrt sich wacker gegen Übertreibungen und ist darum gesund von Anfang bis zu Ende. Die Poesie kommt dabei nicht zu kurz, eher im Gegenteil –«

Hier prustete der Zuhörer in sein schon längst hervorgeholtes Taschentuch und tauchte aus dessen Falten erst nach einer Weile mit blaurotem Gesicht auf, sich mit seinem Katarrh entschuldigend.

»Also:–… eher im Gegenteil. Selten hat uns die Behandlung eines ernsten Gegenstandes trotz heiterer Partieen so gefallen wie hier, zumal auch das Neckische gut vertreten ist. Wir wünschen dem Buch die denkbar größte und verdiente Verbreitung.«

Der Lyriker neigte wortlos sein Glas seinem Visavis zu, was dieser als Ergriffenheit deutete und mit gerührtem »Prost, mein Lieber!« beantwortete.

»Ich sehe schon: Sie passen in unser Haus. Meine Menschenkenntnis täuscht mich nicht. Sie werden unserem Willi ein guter Berater sein und diesen Lümmel bald nach Prima bringen – – er soll nach Mutters Willen durchaus das Abiturium machen, trotzdem er Leutnant werden soll – Leutnant, so'n Unsinn, nicht? – na, ich bin schon still, Katharinchen! Ich meine: über das Honorar werden wir uns schon einigen. Und der ganzen Familie sollen Sie ein wackerer Freund sein, und Sie dürfen uns auch mal was von sich vorlesen. Na, nur nicht schüchtern, mein Lieber! Das Dichten des menschlichen Herzens – haha. Wir wissen doch–… Wir wissen doch, wir, was? Prosit!–… Solch einen Menschen wie Sie habe ich schon lange gesucht. Einen, mit dem ich über meine literarischen Pläne – ich habe noch 'ne Masse – ordentlich und fachmännisch reden kann. Vielleicht helfen Sie mir ab und zu, hm? Sie verstehen schon?«

Ob der Lyriker ihn verstand!

Er verstand so gut, daß er beinahe den Humor verloren hätte und von wütendem Ingrimm gegen diesen Spießer gepackt worden wäre, der seines Geistes Feuer brauchte, um seine dumme Mehlsuppe daran zu kochen. Freiheit, du meine wilde Vogelfreiheit, dich soll ich dafür opfern?? Er wurde vor Wut ganz freundlich.

»Ich habe auch bereits eine Anzahl Gedichte geschrieben,« gestand Fräulein Katharina mit frecher Bescheidenheit. »Und meine Freundinnen meinen alle, daß sie schön sind und Vergleiche nicht zu scheuen brauchen.«

»Ja, Freundinnen sind so!«

Sie stutzte, fuhr dann aber doch fort: »Einmal, im Kriegerverein, wo Papa im Vorstand sitzt, wollte ich schon mal welche vortragen. Aber –«

»Ich verstehe,« vollendete er furchtbar gemütlich. »Das Herz fiel Ihnen aber in die Hosen, nicht wahr?«

Sie sah ihn erblassend an, schrie »Papa« und wandte sich errötend ab.

Rentier Schwandtke sah ihn mit bitterem Vorwurf an. »Nein, er taugt doch nichts!« dachte er. Und diesmal blieb er dabei–…

Der Lyriker empfahl sich lächelnd, mit einem Hinweis auf die »Glocke«.

Dies konnte er sich nicht verkneifen.

Dann setzte er sich auf die Elektrische und fuhr zu Grau, wo die Freunde sicher über sein tagelanges Fernbleiben grübelten.


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