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Eines Morgens, ganz in aller Herrgottsfrühe, um elf Uhr, klopfte es sehr stark bei dem Lyriker, und auf sein hervorgeräuspertes »Herein« stürmte Fresenius mit dröhnendem Lachen in die Stube.
Er hatte sein biedermännlichstes Gesicht aufgesetzt, in dem nur die etwas scheuen, forschenden Augen störten. Das bemerkte der Lyriker aber nicht. Er war kein Menschenkenner.
»Wollen Sie sich setzen? Ich glaube, auf dem Sofa ist noch ein Platz frei.«
»Was denken Sie, Verehrtester! Ich – und sitzen? Jetzt um diese Zeit, wo ich nicht einen Augenblick Muße habe? Ich kam nur zu Ihnen, um Ihnen zu danken. Verstehen Sie mich?« Seine Stimme war bewegt.
»Zu danken?«
»Ja, zu danken. Für den Genuß, den mir Ihre Gedichte bereitet haben.«
»Meine Gedichte?«
Der Lyriker saß plötzlich aufrecht, setzte sich den Kneifer auf und sah seinen Besucher scharf an: »Sie haben meine Gedichte gelesen?«
»Ja. Ihr Verleger ließ mich einsehen.«
»Das ist eigentlich. Das ist –«
»– 'ne Gemeinheit, wollen Sie sagen? 'ne Taktlosigkeit? Ein Vertrauensbruch? Sprechen Sie's nicht aus. Medem wußte, weshalb er sie mir gab.«
»Nun?«
Fresenius nahm eine überlegene Miene an und sagte mit jener Stimme, mit der Napoleon der Große die Meldung von der Kapitulation Danzigs entgegennahm: »Er fragte mich um Rat, und ich habe geantwortet.«
Der Lyriker bot ihm nochmals einen Platz an.
»Wo denken Sie hin? Dazu fehlt mir die Zeit.« Dabei schob er des Lyrikers Anzug beiseite und setzte sich in den Sofawinkel, daß das alte Möbel quietschte.
»Haben Sie ein Sofa mit Musik?« fragte er vergnügt, besann sich dann aber auf den Ernst der Situation und sagte groß und feierlich: »Ich habe geantwortet: Lassen Sie die Hände davon, Herr Medem. Und – hier habe ich Ihre Gedichte.«
»Sie haben nein gesagt?? Ja, aber bester Herr, Sie sagten doch, daß sie Ihnen gefallen hätten?«
»Machen Sie kein Jeremiasgesicht. Jetzt kommt der Haupttrick! Ihr jungen Dachse fallt doch auf alles rein. Seien Sie froh, daß ich Ihnen mit meiner Erfahrung helfe.«
Der Bettlägerige war auch froh, wollte aber gerne wissen, wieso.
Leo Fresenius nahm aus einer auf dem Tisch liegenden Zigarrentasche eine Zigarre. »Sie gestatten?«
»Aber bitte! Entschuldigen Sie, daß ich nicht selber –«
»– selber mitrauche? Geht nicht mehr. Ist keine mehr drin–… Ja, sagen Sie mal, was dachten Sie bloß mit Medem für Geschäfte zu machen? Meinen Sie, Sie hätten da je einen Pfennig bekommen? Nicht in die Hand. Von dem nimmt ja nicht mal das Buchhändler-Börsenblatt was auf. Das ist ein Ignorant, ein Schwindler, ein Ausbeuter. Übrigens auch ein vorbestraftes Individuum.«
»Was Sie sagen? Und weswegen?«
»Weswegen? Wegen Bigamie.«
»Potztausend!«
»Ja: seine Frau war nämlich so dick, daß man sie auch vor Gericht doppelt zählte.«
Der Lyriker war aber nicht in der Stimmung, zu lachen, und sagte nur erleichtert: »Ach so!«
»Aber nun Scherz beiseite! Sie müssen jemand haben, der Sie zu Verlegern bringt, die Ihre Prachtverse auf anständigem Papier drucken, in prima Einband mit Buchschmuck bringen und sie dem Publikum vorlegen. Sehen Sie: Das ist das Entscheidende: das Vorlegen! Was das Publikum vorgesetzt kriegt, frißt es auch. Es ist wie ein gutes Schweinchen: es frißt alles. Soll ich Ihnen Beispiele anführen? Ist nicht nötig, wie? – Bedingung ist eben nur: man muß es ihm in die Krippe schütten. Man muß es mit der Schnauze darauf stoßen. Dann schmeckt ihm jeder Dreck. Dann schmeckt ihm sogar Gutes.«
»Und wissen Sie so einen?«
»Einen Lanceur? Sehen Sie mich an. Hier sitzt er sich eben auf Ihrem Sofa wund und raucht Ihre wunderbare Habana.«
»Sie, Herr Fresenius?«
»Jawohl, ich!«
»Sie wollen wirklich?«
»Ich hab' schon einen Verleger – ich sage Ihnen: einfach Zucker! Tipptopp! Sie zahlen da 'ne Kleinigkeit für den Druck. Das müssen Sie als Anfänger überall. Bei Ihrem Verbrecher Medem natürlich auch.«
»Wieviel ungefähr?«
»Richtet sich nach der Ausstattung. Gott, dafür könnten Sie doch Leute interessieren, nicht wahr?«
Der Lyriker dachte nach.
»Meine Tante in Labiau würde sicher was geben. Ja, sicher.«
»Nun also! Die Tante aus Labiau! – Mit Ihrem Verleger habe ich schon gesprochen und ihn begeistert. Das ist ein Mann, sage ich Ihnen! Ein Kenner bis in die Fingerspitzen, Weltmann durch und durch und als Buchhändler direkt vorbildlich. Aufopfern tut sich der Mann für seine Kunden. Nicht so wie Ihr Medem, der faule Kopf, der nach der Drucklegung die weiteren Schicksale ruhig den Sortimentern überläßt.«
Wer denn dieser Musterverleger sei?
Hier zog Leo Fresenius eine bedruckte Postkarte vor und fragte: »Meyers Konversationslexikon haben Sie noch nicht, wie ich sehe?«
»Nein,« bekannte der Lyriker verdutzt.
»Sehen Sie: man ist doch auch Geschäftsmann, und ich kann Ihnen mein Klostergeheimnis doch nicht so ohne weiteres preisgeben. Wie wäre es denn, lieber Dichter, wenn Sie sich, um mir die bescheidene Provisionsgebühr zu verschaffen, Meyers Lexikon in Ratenzahlungen anschafften? Z. B. für monatlich zehn bis fünfzehn Mark. Es sind siebzehn Bände und vier Supplementbände und das Werk ist für Sie doch unentbehrlich.«
»Einundzwanzig Bände? Da müßte ich mir ja ein zweites Zimmer mieten.«
Leo Fresenius antwortete auf einen ganz anderen – nicht gemachten – Einwurf: »Sie können ja zum nächsten Ersten anfangen zu zahlen, und ich lasse Ihnen gleich liefern, alle einundzwanzig Bände. Gehen Sie auf meine Bitte ein, so gebe ich ein fürstliches Abendessen, ich weise Ihnen den Verleger an und leite den gesamten Vertrieb Ihrer Gedichte für Deutschland und Österreich ohne irgend welche pekuniären Ansprüche. Na? Sagen Sie: topp. Anständiger als ich kann keiner sein.«
Während der Lyriker seinen momentanen Geldmangel beklagte, prüfte Fresenius genau die Gegenstände, die dem jungen Mann gehörten. Alles, bis auf die Wäsche. Und er sah, daß es gut war. Und daß diese Existenz auf einem soliden Fundament basierte, auf Wohlstand oder gar Reichtum.
»Wissen Sie, Friedrich Haase sagte mal zu mir: Fresenius, sagte er, Sie werden durch ihre Gutmütigkeit noch mal Ihr letztes Hemd verlieren. Er hat nicht unrecht gehabt. Aber wer kann was gegen seine Natur??–… Sie sollen sich nicht über mich zu beklagen haben. Kommen Sie, ziehen Sie sich an! Wir gehen zum Verleger, zum Tempeldiener des Ruhms. Ihr Buch wird gedruckt, zu Tausenden verkauft und Ihre Labiauer Tante macht Sie aus Stolz zu ihrem Universalerben. Und mit Ihren Liebesgaben für mich hat es keine Eile.«
»Sie sind wirklich zu liebenswürdig, Herr Fresenius.«
»Ich habe Ihnen zu danken. Für Ihre Verse.«
Tränen traten in seine Augen. Tränen der Ergriffenheit und Begeisterung. Richtige Tränen.
Der Lyriker zog sich schleunigst an. Den mußte man sich warm halten.
»Wir trinken erst noch in dem neuen Lokal an der Ecke einen Schoppen, wie? Ein Bier sage ich Ihnen – mhmhm!« Er sah während der Ankleideprozedur interessiert zum Fenster hinaus. Er war wohlerzogen und hatte Formen–…
»Was meinen Sie wohl, was die Brüder von der Glocke sagen werden, wenn Sie gebunden im Fenster stehen? Sie steigen im Kurs, Verehrtester! Natürlich brauchen sie über das Wie – ich meine: über Ihren Zuschuß – nicht zu sehr orientiert zu werden.«
»Nein. Darum wollte ich Sie auch schon bitten,« sagte der Lyriker schüchtern. Er schämte sich doch etwas–…
»Ich schweige wie ein Erbbegräbnis. Aber nun kommen Sie.«
* * *
Als der Lyriker nach Hause kam, war es erst sechs Uhr abends.
Bis dahin hatten sie eine Viertelstunde bei dem Verleger zugebracht, wo er einen Vertrag unterschrieben hatte, nach dem er für den Druck seines Gedichtbandes einen Beitrag von 550 Mark und für das Klischee der Bestellpostkarten 75 Mark zuzuschießen habe. Die übrige Zeit hatten sie in dem neuen Lokal zugebracht, und als ihm das Bier allmählich doch zu Kopf gestiegen war, hatte er einen unbeachteten Moment benützt, um zu entweichen.
Es war ein schöner, lauer Berliner Maiabend. Der Staub hing in der Luft, und der Sonnenuntergang war golden und violett.
Der Lyriker genoß alles mit halboffener Seele und klimperte an einigen Versen herum, die aber nicht vollendet wurden. Er war auch viel zu sehr abgelenkt durch die Freude darüber, daß er in wenigen Monaten ein gedruckter Autor war und – daß er trotz des achtstündigen Trink-Arbeitstages noch immer so kerzengerade ging.
Es war schwer zu sagen, worüber er sich mehr freute–…
In den Vorgärten der Häuser am Elisabethufer saßen die Familien und schluckten die schöne Luft.
Im Vorgarten von Nr. 70, wo er wohnte, saß die ganze heilige Familie des Hauswirts, voran »die gnädige Frau« mit der Mopsnase.
Er grüßte freundlich und herablassend und wollte noch etwas sagen. Aber er hatte das dumpfe Gefühl, daß die Zunge nicht ganz gehorchen würde, und ließ es darum lieber.
Er begnügte sich mit einem vielsagenden Lächeln und zog den Hausschlüssel hervor. Denn er war noch nie zu einer Zeit nach Hause gekommen, wo er ihn nicht gebraucht hatte. Daß die Haustüre offen stand, hielt er einen kurzen, aber bedeutungsvollen Moment lang für die Bummelei eines Nachtschwärmers und beeilte sich, sie dadurch gutzumachen, daß er selber von innen zuschloß. Und zwar zweimal.
Ein Schreckensschrei von draußen traf sein Ohr, drang aber nicht tiefer.
Trällernd und brummend kletterte er die Treppen empor.
In seinem Zimmer stellte er sich zunächst vor den Spiegel und machte ein bedeutendes Gesicht. Er war zufrieden. Besser wirkte es freilich noch, wenn er die Hand an die Schläfe klebte, da, wo die blonden Kotelettes ansetzten, oder wenn er mit der Rechten das Kinn festhielt wie der müde Heine über seinem Bett – – –
Beim Ausziehen fiel ihm eine gedruckte Karte heraus. Es war Fresenius' Bestellkarte:
»Unterzeichneter bestellt hiermit bei der Buchhandlung des Südostens, Oranienstraße 120, durch Vermittelung des Herrn Leo Fresenius:
1 Meyer, Konversationslexikon, letzte Auflage, 17 Bde. und 4 Supplementbd. (Originaleinband) zum Gesamtpreise von 210, – M.
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Stand und Name
Der Lyriker hatte nur noch eine dunkle Ahnung von der ganzen Angelegenheit. Er wußte nur, daß Fresenius riesig nobel gewesen war und ihn seiner Freundschaft versichert hatte.
Um ihm nichts schuldig zu bleiben, unterschrieb er die Karte. Und er tat es so energisch, daß statt des Schlußpunktes ein Klecks dastand.