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Der Adler und Ganymed

. Das Lokal war sauber. Die Flaschen und Gläser auf den Regalen spiegelten sich in den Spiegelwänden hinter ihnen. Der Gambrinus auf der Tombank war blitzblank. Aus dem Nebenraum leuchtete das grüne Tuch des Billards herüber. Das dicke, unförmliche Möbel stand auf seinen vier kurzen, massigen Beinen sicher und protzig und nahm fast das ganze Zimmer ein.

Um diese Stunde war das Lokal leer. Das Brummen und Summen der Fliegen am Fenster diktierte die Stimmung.

Mechanisch griff Jens Peter zu einer Zeitung. Es war ein Sportblatt. Alle Journale, die hier an den Wänden hingen und auf Stuhl und Tisch lagen, waren dem Renn-, Traber-, Radsport gewidmet. Alle ohne Ausnahme. Auch die mit Maschinenschrift bedruckten kleinen Blätter brachten Totalisator-Depeschen aus Baden-Baden, Wien, Paris, Hannover, von überallher, wo Gäule über den grünen Rasen preschten.

In den Pferdenamen lag eine ganze Portion Phantasie und Humor. Er sah es ein. Nur mußte die alte Gewohnheit, mit einem Namen gleich einen Begriff zu verbinden, einschrumpfen. Aber schließlich waren es ja auch keine Menschen, sondern Vierfüßler: »Sardine«, »Lenore«, »Spaßvogel«, »Kassandra«, »Oculi«, »Rautendelein«, »Hahnepampel«, »Nilbraut«, »Turandot«, Quatschkopf«, »Mikado«, »Erlkönig« –

Als er den Namen »Regina« las, schleuderte er das Blatt zur Verwunderung der Wirtin von sich, zahlte und verließ das Lokal.

Eine halbe Stunde später stieg er am Bahnhof Grunewald aus.

Ziellos wanderte er immer gerade aus – durch den schattenlosen Wald, in den die erbarmungslose Sommersonne hineinbrannte. Der Weg war ausgetreten und staubig. Ringsherum war kein Moosstäudchen, kein grünes Blatt zu sehen. Alles war schmutzig und zertrampelt.

Der Specht klopfte hoch oben ein paar Male und schwieg dann still. Auch ihn überwältigte wohl die Hitze.

Jens Peter merkte nichts davon. Er schritt in schnellem Tempo ruhelos weiter, immer gerade aus, an dem kleinen Selbstmörderfriedhof vorüber, nach Schildhorn zu. Erst als das Wasser der Havel durch die Stämme blitzte, hielt er inne. Die Wäsche klebte ihm am ganzen Körper, der Schweiß rann ihm in Strömen über das Gesicht.

Ging dort nicht – –?

Er warf sich, wo er gerade stand, auf den Waldboden nieder und wühlte das Gesicht in das dürre, gelbe Moos. Nur nichts sehen, nichts fühlen, nichts denken.

Aber es half nichts.

Die Gedanken kamen doch und führten ihn die Kreuz und Quer.

Es kamen die Träume, wo der Himmel grau war und voller Regenwolken hing. Sie würde einen jener Hanseaten heiraten, deren Namen so gut klangen, deren Wohnungen so aristokratisch waren, deren Kleidung und Gebaren jeden Lord ausstach, und die im Grunde doch nur Geldmacher waren, Hausierer, Trödler, wie die vom Mühlendamm. Er haßte diese selbstsichere Sorte, die einst Heine verhungern ließ. Er sah ihren Gatten deutlich vor sich, wie er vor der Börse stand: glattrasierten, feisten Gesichts, ein zuvorkommendes Lächeln um die verkniffenen Lippen. Er sah ihn bei Kempinski am Jungfernstieg, bei Jan Cöllen, bei Deeke – Und immer deutlicher empfand er, wie spottschlecht dieser dicke, prosaische Bursche zu diesem feinen, sensiblen, melancholischem Geschöpf paßte –

Und wenn er, Jens Peter, dort einmal einen Anstandsbesuch machte, würde sie, ihrer Gattenpflicht eingedenk, ihm mit temperierter Freundlichkeit die Hand drücken und nach seinen Werken fragen. Ein Poet ist ja für Bürger immer etwas Interessantes – zumal ein gedruckter! Vielleicht würde er ihr auch leid tun. Und das wäre dann voll schmerzlicher Süße –

Aber nein, dazu kam es nie. Ganz einfach deshalb nicht, weil er nie mehr mit ihr zusammenkam.

Nein. Ihre Stimme würde nie zittern, wenn sie von der Begegnung mit ihm erzählte–… Kein Hauch von Rot würde über ihre blassen Wangen fliegen, wenn man vor ihr von ihm sprach–… Nein. Es war alles vorbei.

Und es war gut so. Ja. Es war gut. Ein dumpfer Zorn packte ihn mit einem Male. Das müßte er ihr noch sagen oder schreiben, damit sie nicht etwa dachte, er bettelte nach ihrer Gunst. »Gnädiges Fräulein, lernen Sie aus dieser Affäre wenigstens dies eine: daß man einem Manne nichts Besseres tun kann, als daß man ihn frei läßt. Frei, bis er sich die Stirne einläuft. Einem Manne, sagte ich. Vergessen Sie das Wort nicht. Es ist im allgemeinen eine Rasse, die ausgestorben ist. Fesseln Sie den – mit den zartesten Fesseln, mit rosaroten Seidenbändern oder moderneren violetten (sehen Sie: so weltentfremdet bin ich doch nicht!) – fesseln Sie den, und er verliert sich selber. Bedenken Sie nur, wie lächerlich ein verliebtes Männchen ist! Wie ein stolzierendes Hähnchen, nicht? Die Augen hervorquellend, unentwegt auf das Hühnchen gerichtet. Es gehört zum Komischsten, was die im allgemeinen sehr ernsthafte Natur bietet. Denken Sie sich Dante in dieser Situation! Shakespeare, Galilei, Kant, Nietzsche! Lassen Sie Ihrer Phantasie freien Lauf. Es hilft nichts, nicht wahr? Der Myrthenstrauß im Frack hat den alten Zauber verloren. Begreifen Sie nun, meine Gnädigste, welchen Dienst eine Frau einem Manne erweist, den sie – frei läßt??«

Aber auch dies ging vorüber.

Zu ihm kamen die goldenen Träume voll Geigensingen und Weinduft und Küssen.

… Er traf sie zu Hause. Allein. Bei einer dieser greulichen Handarbeiten, an denen die Frauen ihre Finger zerbrechen und ihren Geist veröden. Aber – sie verstand, dabei noch Gehaltvolles zu lesen und interessant zu plaudern. Aber an diesem Tage wurde nicht viel aus Plaudern und Lektüre. Quel giorno piu non vi leggemo avante!

… Während die Hände eifrig über die Arbeit hin und her flogen, neigte sie ihren dunklen Kopf tiefer. Er sah aber doch ihr Erröten. Und hob mit zarter Gewalt das Kinn hoch und küßte sie.

… Oder sie saßen beide allein in einem kleinen Gartenpavillon in Övelgönne bei Hamburg. Das Häuschen war weit vorgeschoben, dicht an die steinerne Uferwand der Elbe, gegen die die Elbe bei Flut wütend und zornig anklatschte. Es war wohnlich eingerichtet und seine Hängelampe des Abends eine Art Leuchtturm. Ringsherum waren blühende, sorgsam gepflegte Gärtchen. Und beide träumten unterlangsamen Küssen von der Hochzeitsreise, wenn sie auf die Schiffe draußen blickten, die da unten in die weite, weite Welt fuhren: nach Australien, zu den Wundern Indiens, in die Siedeglut des Suezkanals, nach den blütenumsponnenen Inseln Japans, nach dem eisstarrenden Kap Horn.

… Oder sie war in Gefahr und er befreite sie. Einmal im Dezember, auf dem Hamburger »Dom«, dieser hundertstraßigen Budenstadt, die sich vor Weihnachten auf dem Heiligengeistfelde aufbaut. Sie hatte sich, einer Laune folgend, in das Gewirr dieser grellerleuchteten Budenreihen gewagt, in diese vieltausendköpfige, amüsierlustige Menge, die bisweilen beängstigend auftaute. Und plötzlich wurde ein großer, stämmiger Gesell, dem man den Matrosen auch in seinem Bürgerrock ansah, zudringlich zu ihr. Vielleicht meinte er es gar nicht arg. Aber sie, die an andere Umgangsformen gewöhnt war, erschrak und sah sich hilfesuchend um. Der Fremde wollte sie küssen. Da sprang er dazu, stieß ihn mit einem wohlgezielten Nasenhieb fort und bot ihr den Arm. Sie hing zitternd darin und küßte ihn zum Dank für seine Tat.

… Oder beim Schlittschuhlaufen–…

Allmählich schlief er, von der Hitze und der Aufregung ermattet, ein. Er schlief mehrere Stunden einen dumpfen, bleischweren Schlaf.

Als er erwachte, dunkelte es schon.

Auf dem Rückweg zum Bahnhof fiel ihm ein, daß er sich für heute ja mit Lucy verabredet hatte. Sie wollten in ein Garten-Variété der Hasenheide gehen. Es war schon viel zu spät, um sie noch zu treffen.

Es wäre ja auch unmöglich gewesen. Von Regine konnte er zu ihr doch nicht sprechen, und wovon sollte er sonst reden??

Zu Hause zündete er keine Lampe an, damit nicht ein Freund das Licht sah und ihn aufsuchte. Stundenlang saß er im Dunkeln und spann an seinen Träumen weiter.

Am nächsten Morgen kam eine Karte von Lucy, die voller Entrüstung war. Er überflog sie achselzuckend. Gleichzeitig kam ein Brief von dem Theaterbüro, dem er den »Adler« zum Vertrieb überlassen hatte. Er sei vom »Theater des Nordens« akzeptiert, – »einige kleinere Änderungen vorausgesetzt, über die wir uns in mündlicher Besprechung wohl schnell einig werden dürften.«

Er war »angenommen«!

Aber was ihn sonst mit tobender Freude erfüllt, ihn zu Cancan- und Indianertänzen begeistert hätte, ließ ihn jetzt ganz kalt: es schien ihm etwas ganz Selbstverständliches. Regine Luther brachte ihm Glück! Er würde es ihr aber auch vergelten und ihr das Glück tausendfach zurückgeben. O, er wollte nichts geschenkt.

Dies war der Gesichtspunkt, von dem aus allein ihn der große Erfolg freute. Nun kam auch die Versöhnung mit denen zu Hause zustande. Das mußte sein. Damit erleichterte er auch sein Geschick. Und der Verzicht auf sein Erbe, der ihm jetzt unglaublich leichtsinnig dünkte, würde nun leicht rückgängig zu machen sein.

Was für Augen würde sie machen, wenn er ihr erzählte, daß der »Adler« aufflog und ihn, den »Ganymed« zum Himmel trug? Sie war jedenfalls die erste, die es erfahren mußte.

Sorgsam bürstete er den Gehrockanzug, der so lange im Spind gehangen hatte. Es war doch gut, daß er ihn noch besaß! So recht paßte er nicht mehr – das fühlte er wohl – er war ja vor mehr als zwei Jahren gebaut – aber es war doch immerhin etwas Feiertägliches. Und – es war sonderbar, wie die Hülle den inneren Menschen veränderte! Er war viel sicherer im Auftreten und wies den Friseur, der ihm wieder einmal einen Scheitel zog, mit weltmännischer Arroganz zurecht.

Um die Mittagsstunde stand er im Vestibül des Metropol-Hotels – den Namen hatte er zufällig gestern im Gespräch aufgefangen – und fragte nach den Lutherschen Damen.

Regine war allein im Salon. Er hatte also Glück. Die Mama wurde noch frisiert.

Als er von der Annahme seines Stückes sprach, nickte sie und sagte etwas von der unbequemen Lage der meisten berliner Theater.

Hatte sie nicht gehört?

Er begann nochmals davon und renommierte schließlich mit Erfolgen. In diesem Winter noch würde er aufgeführt werden. Wahrscheinlich an drei Bühnen zugleich. Er übertrieb ungeheuerlich: auch im Ausland sei man auf ihn aufmerksam geworden. Rostand übersetzte sein Stück ins Französische, und sein Freund Georg Brandes besorge die Übersetzung für das Dagmar-Theater in Kopenhagen.

»Nach Kopenhagen wollen wir in diesem Jahr hin, auf der Nacht Ihres Herrn Vaters.«

So so. Mit seinem Vater. Das war das fatalste Thema, das man vor ihm anschlagen konnte. War es mit Absicht geschehen?–… Wie schön sie war! Wie dies Ebenholzhaar auf dem rassigen, aus Elfenbein geschnitzten Kopfe saß, diesen Kopf voll königlicher Hoheit – ach Unsinn! Wann hatte je in Königspalästen solch eine Schönheit gelebt?

Sie schwieg jetzt andauernd und blickte von Zeit zu Zeit nach der kleinen Alabasteruhr vor dem Spiegel.

Er sprach eine Viertelstunde fast ganz allein und suchte verzweifelt aus allen Kästen und Fächern seines Hirns Gedanken zusammen. Idee! Idee! Ein Königreich für eine Unterhaltungsidee!

Mit jeder Minute sah er mehr und mehr das Haltlose seiner Situation ein.

Warum sprach sie nichts? Lud sie ihn nicht wenigstens aus Höflichkeit für den Abend ein, wo sie mit ihrer Mutter in Wannsee sein wollte? Er würde ja doch nicht kommen. Aber sagen konnte sie es doch.

»Mein Stück behandelt eine Szene aus dem Leben Cesare Borgias. Er erbeutet bei der Eroberung einer kleinen Stadt der Romagna ein junges Weib und behält sie bei sich –«

»Dann ist das Stück wohl nicht für junge Mädchen?«

Er war ganz verdutzt über den Einwurf. »Müssen junge Mädchen denn nur fades Zeug lesen?«

Da stand sie auf.

»Meine Mama wird mich wohl schon erwarten.«

Jetzt mußte er auch gehen.

* * *

Als er auf der Treppe war, sich fest an dem kühlen Messinggeländer haltend, glaubte er, von drinnen ihr kurzes, nervöses Lachen zu hören.


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