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IV.

Auf der Veranda einer der schönsten Villen in der Ahorn-Allee wird eben der Kaffeetisch mit allem Komfort ausgelegt, von der Spirituslampe in cuivre poli bis zu den reizend winzigen Täßchen von Meißner Porzellan und den neuesten Löffeln, jeder eine kleine goldene Münze.

Der Kaffee ist stark, nervenbelebend, die Familie und ihr Gast bleiben still. Die Marquisen werden in die Höhe genommen, frisch weht der Wind über die Kronen der Kastanien und Platanen herunter; erquickend steigt der Duft von Geranien, Heliotrop und Reseda, welche die Stufen der Veranda garnieren, herauf; unermüdlich wirft in dem nahen mit Epheu bekränzten Becken ein Triton seine kühlfeuchten Strahlen in die Luft. Dennoch liegt es mit fast drückender Schwüle über dem kleinen Kreis.

Christoph Schulze ist ein angehender Fünfziger von stattlichem, tüchtig mit Fleisch und Fett verpolstertem Körper und lebhaft gerötetem Gesicht, das, von einem weißlich blonden Vollbart umrahmt, einen gutmütigen Ausdruck in den gewöhnlichen Zügen zeigt. Er hat in Knochen und Lumpen »gemacht« wie sein Vater selig; nur daß, was Schulze senior noch auf den Straßen zusammenfinden mußte, sich gewissermaßen schon zum Nährboden gewandelt hatte, auf dem die später in großem Stil eingelieferten Knochen und Lumpen schon ihre goldene Ernte ergaben, als der kleine Christoph unter denselben erschien.

So ist es ihm gut gegangen, so lange er denken kann. Und wenn er nicht klüger dabei geworden ist, was je nachdem kein Unglück sein soll – konnte er doch immer einen Kopf, wie er das zu bezeichnen pflegte, für das Geschäft bezahlen –, so wurde er doch immer reicher dabei, was außer allem Zweifel ein Glück bedeutet. Christoph Schulze wenigstens ist davon überzeugt und bestrebt, es in seiner Villa zu genießen, weit ab von den Knochen und Lumpen und all dem still duftigen Wirken an dem entgegengesetzten Ende der Stadt, von welchem letzteren man überhaupt sagen darf, daß hier all der Humus bereitet wird, der die Villen im Westen so üppig gedeihen läßt.

Da steckt's, sagt Christoph gern, und klopft auf seine Tasche. Wenn er das thut, ist er guter Laune, und seine Frau kann mit ihm machen, was sie will.

Im Augenblick scheint er jedoch an diese Versicherung für das Leben nicht zu denken. Er ist verdrießlich; er meint, der stolze Herr, der seit vier Tagen ein Gast in der Villa Schulze ist, könnte etwas liebenswürdiger sein gegen seine Frau und sein »Aeffchen«, dem zuliebe er doch überhaupt nur den Bruder der Gouvernante und Gesellschafterin des Töchterchens eingeladen hat.

Frau Schulze findet das gleiche; sie ärgert sich ingrimmig, hütet sich aber sorgsam, den Flötenton fallen zu lassen, den sie anzustimmen pflegt, wo es darauf ankommt. Frau Mila ist trotz ihrer vierundvierzig Jahre noch immer eine hübsche Brünette mit rosig rundem Gesicht und fast zierlichem Körperbau. Ihr Vater Gottlieb Wöhrsmann war seiner Zeit Geschäftsführer in einer Zuckerfabrik, stand also durch diese gewissermaßen in Verwandtschaft zu dem Geschäfte des Gatten, nur daß bei ihnen die Raffinade den Ausschlag gab, woher es denn auch wohl kommen mag, daß sie auf eine fortwährende Läuterung oder Verfeinerung ihrer Person und ihrer Verhältnisse bedacht geblieben ist.

Es werden daher viele Zeitungen und Monatsschriften bei den Schulzes gehalten. Christoph studiert davon nur die »Fliegenden Blätter«; außerdem hält er Hühner zu seinem Zeitvertreib.

Frau Mila, wie gesagt, in jeder Weise auf Verfeinerung – Nobilierung ist ihr geläufiger – bedacht, ist eine vielbeschäftigte Dame. Sie geht spazieren – es erhält gesund –, in die Kirche – das gehört zum guten Ton –, und macht Toilette – das versteht sich von selbst; sie besucht auch Theater und Konzerte, Vorlesungen und lebende Bilder. Was soll man denn alles anfangen mit seinem Tag. Außerdem gehört es zur Bildung. Frau Mila sieht nämlich mit ebenso aufrichtiger und begehrlicher Bewunderung zu Kunst und Wissenschaft wie zu der guten Gesellschaft empor; ist doch ihr harmloser Glaube: jene seien für immer unlöslich verbunden, noch niemals in Gefahr gekommen, sich an die Wirklichkeit dieser Dinge zu stoßen. Frau Mila hat aber auch ein Herz; sie würde mit Vergnügen in einem Komitee wohlthätiger Frauen wirken, wollte man sie nur zulassen. Einstweilen beschäftigt sie sich um so mehr mit dem eigenen Hause.

Der Tapezierer hat fleißig zu thun in der schönen Villa vor dem Breiten Thor, denn Frau Mila huldigt dem Fortschritt und kauft gern ein. Dann muß mit einem neuem Stück Möbel auch zugleich alles andere bis zu den Draperien, zuweilen sogar die Fensterscheiben für die Stimmung geändert werden; denn Stimmung und Stil, namentlich aber Stimmung, muß neuester Zeit in allem sein.

Bei alledem bekümmert sich Frau Mila um die Mägde. Diese sind zwar tüchtig, aber man muß sie doch unter den Augen behalten, das steckt ihr einmal im Blut – und ganz besonders sorgt sie um die Kinder – außer Eva ist noch ein Knabe da. Frau Mila ist eine zärtliche Mutter.

Außerdem gilt es zuweilen, kleine Aufmerksamkeiten, Blumen aus dem Treibhaus, Früchte eigener Gartenkunst oder andere kostbare Kleinigkeiten an Leute zu schicken, mit denen man gern bekannt werden möchte, die sich aber ihrerseits um die Bekanntschaft gar keine Mühe geben. Frau Mila ist ebenso leichtherzig gut als sanguinisch in ihrer Stimmung; sie läßt sich auch nicht beirren in ihrem großen Gemüte, das so gern Freude bereitet.

So bleibt höchstens Zeit für einen Guck in die Blätter, das ist auch genug, um mit den Tagesereignissen bekannt zu bleiben, und sie verläßt sich dabei auf den Instinkt!

Seit kurzem hat man bei Schulzens angefangen, ein Haus zu machen. Einige Schauspieler von denen, die weniger beschäftigt an der Bühne als stets bereit sind, ein Bravourstück beim Champagner loszulassen; ein paar Maler, deren Monogramme einstweilen nur ihren Wäscherinnen als Zeichen ihrer Taschentücher bekannt waren, bildeten in der Hauptsache die Schützlinge der geistliebenden Frau Schulze, und waren die belebende Staffage in den stil- und stimmungsvollen Räumen der neuen Villa.

Endlich war mit diesem Gast nun auch ein Herr von Adel erschienen, ein Herr aus der wirklichen Gesellschaft, ein echter Kavalier! Ein großes Ereignis! Denn Eva soll einmal jener »Gesellschaft« angehören; dafür schwärmt die feinfühlige, für alles Höhere empfängliche Mama.

Evy, wie sie nach der einstigen Engländerin von der Mutter, »Aeffchen«, wie sie vom Papa genannt wurde, die einzige Tochter dieser glücklichen Familie, ist kaum siebzehn Jahre alt; klein, und trotz dem väterlichen Vollgewicht, den weichen Formen der Mama und der guten Küche im Haus ein hageres Ding. Ihre Bewegungen sind eckig wie ihre Figur; der Hals scheint lang, sie trägt den Kopf leicht vornüber geneigt – ihr Haar wiegt so schwer! Das schmale Gesichtchen ist unscheinbar, eintönig in seiner Farbe; man weiß darum kaum, was es für Züge hat. Die Augen kommen nicht zur Geltung; seit ein paar Tagen hält Eva die Lider gesenkt; sonst ein munteres Geschöpfchen, fühlt sich das junge Mädchen beengt durch die Anwesenheit des fremden Offiziers.

Ob er hübsch ist, kann sie nicht entscheiden; sie meint nur, es liege ein finsterer Zug auf seiner Stirn.

Dennoch hat sich Eva schon überzeugt, daß der junge Mann lächeln kann; aber dies Lächeln thut ihr weh. Seine Lippen senken sich so spöttisch, verächtlich dabei, auch lächelt er nur, wenn Papa und Mama etwas sagen oder thun, bei dem die kleine Eva, wenn es bei andern passierte, wahrscheinlich gleichfalls recht herzlich gelacht haben würde: Eva hat natürlich guten Unterricht gehabt, sie weiß recht gut, wenn ein Wort nicht richtig ist, eine Reminiscenz nicht am Platze steht; doch das beste ist, bei der Bildung des Verstandes hat das Herz nicht gelitten. Darum nein, es sollte niemand über die Eltern lächeln oder lachen, ob auch Papa seine Schwächen besitzt, im Grund ist er gut, so gut! ob auch Mama in ihrem Streben, gebildet und vornehm zu sein, über einen Schnitzer nach dem andern stolpert. Die Eltern haben ihr alles gegeben, was das Leben angenehm machen kann, und versichern täglich, daß sie einen schönen, vornehmen Mann heiraten solle!

Die ganze Bedeutung dieser Thatsache kannte das Mädchen nicht. Es hatte nur eine unbestimmte Ahnung, daß es etwas gar Herrliches sein müsse, sonst würde sich Mama wohl nicht so sehr darauf gefreut und so viel darüber gesprochen, Papa nicht so vergnügt auf seine Tasche geklopft haben.

Nun, sie freute sich natürlich auch auf den kommenden vornehmen Mann wie auf das Glück, nach dem jedes junge Herz sich sehnt, um so erwartungsvoller, je weniger es den eigentlichen Begriff desselben zu erfassen imstande ist.

Vielleicht erwartete die kleine Eva auch darin eine Genugthuung für das »Lumpenmätzchen« – so war in der Schule das Kind des reichen Schulze oft genannt worden. Es hatte sie das immer entsetzlich gekränkt; doch hatte sie es niemals zu Hause erzählt: denn es würde die Eltern ebenso gekränkt haben. Eva liebte ihre Eltern! Sie sah überall nur Grund, ihnen dankbar zu sein. Sie würde sie aber auch ganz gewiß geliebt haben, wenn sie arm gewesen und ihr nichts, gar nichts hätten geben oder versprechen können; denn sie war ein liebevolles, zärtliches Geschöpfchen.

Und darum war sie dem Fremden gram, sehr gram, wünschte ihn fort, meilenweit –

Auch dieser selbst, Helwig von Kanstedt, fühlte, daß er hier nicht am Platze sei.

Er war fünf Jahre in Berlin, erst auf der Kriegs-Akademie, dann im Generalstab gewesen: eben trat er für kurze Zeit in die Linie zurück.

Sein Weg in die neue Garnison hatte ihn über die Stadt geführt; er wollte einen kleinen Urlaub benutzen, um nach langen Jahren Schwester Elisabeth wiederzusehen, welche mittlerweile von England zurückgekommen war und eine Stelle als Gouvernante und Gesellschafterin zugleich bei den Schulzens angenommen hatte. Die Schulzens hatten nicht geruht mit Bitten und Quälen, daß er mit ihrem bescheidenen Heim fürlieb nehmen möge; sie wurden empfindlich, daß er so unempfindlich für einen Aufenthalt in der komfortabelsten Villa der Stadt blieb. Auch Fräulein Elisabeth von Kanstedt hatte zuletzt den Bruder gebeten, Schulzens den Gefallen zu thun. Vermöge des ihr zuteil gewordenen Loses, sich bei Fremden durchschlagen zu müssen, hatte sie es als ein nicht zu unterschätzendes Glück achten gelernt, wenn man freundlich aufgenommen ist. Bei den Schulzens hatte sie das gefunden. – Und der Schwester zuliebe hatte endlich Helwig nachgegeben und war ein Gast in der Villa vor dem Breiten Thore geworden. Dennoch konnte er sich eines steigenden Reuegefühls nicht erwehren.

Natürlich waren seine Bildung, seine Anschauungen ganz andere als die seiner Gastgeber; er mußte höflich, liebenswürdig mit ihnen sein: es wurde ihm schwer. Wie um dies vor sich selbst zu entschuldigen, ging er um so schärfer mit jenen ins Gericht – was allerdings nicht schwer war, seine Liebenswürdigkeit jedoch durchaus nicht erhöhte, noch ihm seine Aufgabe leichter werden ließ. Noch mehr, Helwig hätte kein Mann sein, jeglicher Menschenkenntnis ermangeln müssen, wäre ihm nicht sehr bald offenbar gewesen, wohin das Morgen- und Abendgebet der Schulzeschen Wünsche ging. Daß diesmal ein Name an die Stelle des Geldes getreten, er mit unter die zum Preis Berufenen gehörte, ließ ihm die Sache selbst nicht in versöhnlicherm Lichte erscheinen. Im Gegenteil, es verstimmte ihn, machte ihn mißtrauisch, ablehnend, schroff, sogar gegen die kleine Eva, die er mit den Eltern im Einverständnis wähnte.

Ja, er war sehr wenig liebenswürdig, der Premier-Lieutenant von Kanstedt; er litt unter dem seiner Natur durch die Verhältnisse aufgezwungenen Wesen; wie die kleine Eva wünschte er sehnlichst, die paar Tage möchten zu Ende sein. Wenn nur wenigstens einmal eine Unterbrechung kommen möchte für die drückende Stille in der Unterhaltung, welche zu heben er als seine ebenso peinliche wie unmögliche Verpflichtung empfand. –

Der Diener trat ein; er überreichte dem Herrn vom Hause eine Karte.

»Graf Heino von Berg, Lieutenant im ...schen Husaren-Regiment« – las Christoph Schulze hochrot vor Vergnügen. Auch Frau Mila errötete bis unter die Haarwurzeln und zupfte unwillkürlich an dem Spitzenbesatz ihres Kleides. Ehe sie sich noch entschieden, ob der Graf in dem blauen Renaissanceboudoir oder dem roten Rococosalon empfangen werden sollte, erschien dieser schon auf der Veranda mit liebenswürdiger Unverfrorenheit, die hier umsomehr am Platze war, da sie als leutselige Noblesse empfunden wurde.

Der Graf beteuerte, daß er lieber gehen, als einen so reizenden Familienkreis bei seiner Beschäftigung mit dem duftig braunen Tranke stören werde – am allerliebsten – freilich – wenn nicht riesig unverschämt – sich daran beteiligen möchte, denn Kaffee, auf Ehre, meine gnädigste Frau, ist mein Lieblingsgetränk, versicherte er.

Dieser mit überzeugender Artigkeit abgegebenen Bitte konnte man natürlich nicht widerstehen. Die Schulzes waren sofort bezaubert; auch die kleine Eva konnte dem Grafen nicht gram sein, der mit einem Wort, einem Blick, einer Verbeugung, ob auch nur einem einzelnen gewidmet, doch zugleich alle anziehend zu beschäftigen, sich selbst allen höflich zu verbinden verstand. Er besaß in der That die elegante Gewandtheit, die bezaubernde Liebenswürdigkeit, von der man der kleinen Eva immer verkündet, daß sie dem Offizier und dessen Kreisen ausschließlich eigen sei.

Kanstedt hatte das Mädchen nicht verwöhnt: Wie befreit hob sich das Herz in der jungen Brust, und schneller schlug es, als ein scheuer Blick die Kleine überzeugt hatte, daß der Graf auch der hübscheste Mann sei, den sie je in ihrem Leben zu sehen bekommen.

Die Kameraden begrüßten sich jetzt. Sie hatten sich lange nicht gesehen; sie freuten sich natürlich; doch die erstaunten Mienen, sich gerade hier zu begegnen, wirkten etwas hemmend.

Kanstedt blieb ernst, zurückhaltend, finster, wie Eva es nannte; der Graf hingegen war schnell gefaßt. Er war gekommen, Herrn Schulze über einen Kutscher, der als Soldat in seiner Schwadron gedient hatte, Bescheid zu bringen: er konnte nicht widerstehen – hatte schon länger Gelegenheit ersehnt, eine der charmantesten Familien der Stadt kennen zu lernen.

Frau Mila schwebte in Glückseligkeit. Zu gütig, zu liebenswürdig, hauchte sie vor Entzücken. Ihre Hand, die übrigens wohlgepflegt, rund und weiß war, legte sich dabei an die hochgeschnürte Brust; ihre Augen blickten auf, als wolle sie dem lieben Gott danken, daß er solche Menschen werden ließ, wie den Grafen und sie!

Christoph Schulze nickte einfach fidel. Er hatte eben ganz vergessen, daß ihm der Wechsler Levi jenen Kutscher und die Erkundigung bei dem Grafen empfohlen, dessen Bekanntschaft zu machen für den Vater eines so reizenden Mädchens wie Fräulein Tochter nur angenehm sein konnte. Noch weniger dachte Christoph Schulze in diesem Augenblicke daran, daß er bereits seit vier Wochen auf Antwort wartete, inzwischen eine kleine Schwenkung in seinen Wünschen und Ansichten gemacht, die Linie anstatt der Kavallerie aufs Korn genommen hatte. Er trommelte mit den Fingern erst auf den Tisch – das war so seine Gewohnheit, wenn es etwas umzudenken gab – dann schlug er auf seine Tasche, machte eine Miene, als ob er etwas sagen wollte.

»Nicht, nicht,« flötete Frau Mila süß, doch energisch dazwischen. Und er stotterte ein »kolossal, fein, riesig fein« in die sich belebende Unterhaltung hinein, durchaus von dem Bewußtsein geleitet, daß diese unumgänglich zum guten Ton gehörigen Eigenschaftswörter immer am Platze sind, wo sie nur gesprochen werden.

Zuletzt gab er sich, wie einer höhern Eingebung gehorchend, mit der flachen Hand erst auf die Stirn, dann aufs Herz einen Klaps: Wenn's nur da steckt, platzte er heraus – das andere hab' ich!

Ob man ihn verstand! – Mama sah etwas indignirt aus. Von einem unklaren Gefühl erschreckt, blickte Eva zuerst nach Kanstedt hin; dessen Mundwinkel senkten sich – in ängstlicher Pein nun blitzten ihre Augen, durch die blonden Wimpern geborgen, noch einmal auf nach dem Grafen. Der lächelte verbindlich – sie war ihm so dankbar dafür! – Und der Graf lächelte ebenso verbindlich, als Christoph Schulze, der nun einmal im Zuge war, anstatt auf seine Tasche ihm, dem Grafen, auf die Schulter schlug, indem er sagte: Na, essen Sie heute Abend mit uns? – Sie wurde ihm noch dankbarer, die kleine Eva; sie hätte ihm um den Hals fallen können, daß er ihren ungeschickten, herzensguten Papa nicht beleidigend abwies, sondern dessen Einladung mit liebenswürdiger Freundlichkeit, als ein ganz besonderes Vergnügen, annahm.

Nur inzwischen, erklärte Heino, habe er noch eine Kleinigkeit zu besorgen, und bat Kanstedt, ihn auf dem kleinen Gange zu begleiten.

Die jungen Männer schritten schon eine Weile unter den Bäumen der Ahorn-Allee entlang; stumm, wie es schien unter dem Druck, den das Wiedersehen mit sich gebracht hatte.

»Wo willst du denn eigentlich hin?« löste Kanstedt endlich dies peinliche Schweigen.

Graf Berg that noch einige Züge an der Cigarre, warf diese dann weg, reckte sich in die Höhe und sagte endlich: »Luft schöpfen.« Die hat es allerdings hier aus erster Hand, meinte Helwig trocken.

In der That fuhr ein Windstoß über die Höhe, daß die beiden Offiziere unwillkürlich eine Bewegung nach ihren Mützen machten.

Als nun aber Kanstedt immer noch still blieb, fuhr der Graf in ernsterm Tone fort: »Ich wollte mit dir sprechen, Helwig. Biegen wir in diesen Tannengang; er führt auf einem kleinen Umweg durch die Anlagen nach dem Eldorado zurück, das wir soeben verlassen haben. Du hast dich gewundert – zum Kuckuck – mich dort – dort unten zu treffen. Na, gestehe, Verwunderung war gegenseitig. Es schien dir fatal ...«

Kanstedts Mienen drückten nicht das Gegenteil aus. Das Zusammentreffen war ihm allerdings peinlich gewesen, doch aus einem ganz andern Grunde, als der Graf vermutete.

»Na, gestehe, habe mich auch grade nicht darüber gefreut,« begann von neuem der Graf. »Pardon! Aber legen wir die Sache klar. Du bist mir zuvor gekommen. Und wenn du – ich stehe zurück – nur kameradschaftlich.«

»Ich verstehe nicht.«

»Na, man poussiert doch solche Leute nur, wenn man sich rangieren muß. Du weißt ja, was Kavallerie kostet. Ich bin nun einmal Soldatenblut. Bitte, ziehe die Haut auf deiner edeln Stirn – wahrhaftig, sie ist noch imposanter geworden – nicht so mentorhaft kraus, lächele lieber, steht dir besser. Wir waren doch immer bon camarade

Helwig gab sich Mühe, den Kameraden zu befriedigen, wiewohl ihn dessen eigentümliche Definition des Soldatenblutes einmal wieder bitter verdroß. Doch eine Auseinandersetzung war hier nicht am Platze.

»Siehst du« – des Grafen Stimme geriet in einen gepreßten Ton – »ich muß mich rangieren. Der Übel größtes – du kennst ja die beliebte Version –. Ich bin alle; da hast du's. Famos übrigens, wie diese Kerls wittern! Hat der alte Schacherer, der Levi, eine ganze Liste von Erbinnen für etwaige Wünsche seiner Klienten zur Hand. Habe mir natürlich Passendstes ausgesucht – freilich ein Häkchen bleibt. Und eine Schönheit ist's auch nicht.«

»Schauderhaft!« entfuhr es Kanstedt.

»Ja, eklig unangenehm,« meinte der Graf, welcher den Ausruf in seiner Weise deutete. »Aber,« er zuckte die Achseln, »Kugel vor den Kopf ist auch nicht angenehm, wenn man noch jung ist und das Leben so schön.«

Es entstand eine Pause, eine längere, sehr unbehagliche Pause, die den Grafen zu dem Entschluß brachte, die Sache jetzt in einem Zug zu Ende zu führen.

»Ich wünsche meine Stellung zu retten, dazu brauche ich nur eins: Geld! Damit komme ich auf unsern Goldfisch zurück. Als ich dich dort so wohnlich installiert sah – deine Schwester Hüterin des Schatzes –, na, der Gedanke lag doch nahe, daß dich die gleiche Absicht hierher geführt habe ...«

»Du irrst!« unterbrach ihn Kanstedt stolz und streng.

»Das ist mir lieb.« Graf Berg bemerkte oder wollte den Ton jener Antwort nicht bemerken. »Also der Weg ist frei? Ehrlich Spiel, Kanstedt!«

»Was mich angeht, vollkommen.«

»Dann wird die Kleine Gräfin.«

Die ganze Auseinandersetzung hatte Kanstedt peinlich berührt; er meinte, der Graf habe sich häßlich verändert. Dieser war freilich immer ein Lebemann gewesen; doch jugendliche Kraft, schäumender Übermut hatten bisher wie den Nerv seiner Handlungen, so auch zugleich eine liebenswürdige Entschuldigung derselben gebildet. Diesmal fand er an dem Vorhaben des Kameraden so gar keine versöhnliche Seite. Fast resigniert klang seine Frage:

»Bist du der Kleinen denn so gewiß?«

Heino sah zuerst den Kameraden groß an; dann an sich herab, zupfte an den goldbraunen Spitzen seines Bartes: »Verlaß dich darauf, die neunzackige Krone ist allein mehr, als die Kleine verlangen kann. Sie macht ein famoses Geschäft!«

»Armes Ding!« Es fiel Helwig ein, daß ihm die Schwester gesagt, Eva habe ein weiches, zärtliches Gemüt. Er fühlte es fast wie eine Erleichterung, daß nunmehr jedes wehrende Mißtrauen in ihm gegen Eva schwand, er erinnerte sich plötzlich mit angenehmem Behagen, daß das junge Mädchen, von dem er kaum wußte, wie es aussah, doch ein liebes, geräuschloses Wesen habe. Es flog ihn an, als sähe er einem Opfer zu. Er schüttelte den Kopf, begann aber trotzdem:

»Ob ein solches Geschäft nun alles umfaßt, was der Mensch von diesem Bunde fürs Leben fordert, der so, denke ich, doch etwas anderes für ihn bedeutet. Ob diese rein wirtschaftliche Grundlage des Vertrags genügt, ob wenigstens eines der Herzen nicht doch mehr verlangt?«

»Herzen?! Bei unsern heutigen heiratslustigen Damen! Helwig, sei nicht antiquarisch; sieh dich doch um! Es wird sich die Schönste keinen Augenblick besinnen. Stellung und Glanz ist auch ihre Losung, die Parole des modernen Menschen überhaupt. Aber zum Donner – was hast du?«

Erdenfahl lehnte Kanstedt an der nächsten Tanne. »Nichts, nichts,« entgegnete er schnell. »Zuweilen überkommt mich ein Schwindel. Ich habe mich doch wohl ein wenig überarbeitet in Berlin.«

»Armer Teufel«, dachte Graf Berg und beglückwünschte sich im stillen, daß er sein lebelang klüger gewesen war.

»Ich meine, du hast recht«, erklärte Helwig jetzt, vor dessen Seele plötzlich das Bild Adelens getreten war. Warum sollte die kleine Eva anders als ihre Schwestern, anders als Adele denken. Nun war ihm, als habe er in Gedanken das junge Mädchen überschätzt, hatte sich doch seine Meinung über dasselbe bislang kaum von der des Kameraden unterschieden. Zugleich erinnerte er sich, daß Graf Berg der erste gewesen, welcher ihm in der schwersten Stunde seines Lebens die warme Hand gereicht hatte. Die Erinnerung dämpfte, was an Empörung in ihm aufsteigen wollte, überbrückte die Kluft, die sich heute Mittag zwischen ihm und dem Freunde aufgethan.

Er bot dem Grafen die Hand. Er schalt sich nun selbst einen Träumer, und war überzeugt, die kleine Eva werde klug genug sein, die neunzackige Krone zu würdigen. Wie zur Bestätigung dafür fiel plötzlich ein Regen von Blumen auf Heinos Schulter herab. Die jungen Männer waren im Gespräche wieder zurück nach der Villa gelangt; Eva hatte Blumen in ein Körbchen gepflückt; sie stand auf dem Hügel nahe der Mauer und hatte es fallen lassen.

Mit seinem gewinnendsten Lächeln sah Graf Berg zu dem jungen Mädchen empor: »Das, mein gnädiges Fräulein, soll mir ein gutes Omen sein.« Er bückte sich schnell, und als die bestürzte Kleine hinauseilend in der Thür mit den Herren zusammentraf, konnte er ihr schon die Rosen überreichen. Eine davon behielt er, schlang sie fest in den Schnüren seiner Uniform, zum Gedenken an den ersten Tag seines Glücks in diesem Hause.

Von nun an wurde der Graf ein täglicher Gast in der Villa Schulze, er brachte fast alle seine freien Stunden hier zu. Die Anwesenheit des Freundes ergab auf die leichteste Weise einen natürlichen Grund, den er, wie alles, auf die liebenswürdigste Art auszunützen verstand.

Graf Berg wußte die Schulzens zu nehmen, wie sie genommen sein wollten. Er lachte so herzlich und liebenswürdig, wenn sich Papa Christoph auf die Tasche klopfte, und freute sich mit ihm, daß er's konnte! – Er lächelte verbindlich zu jeder Prahlerei, behielt seine Fassung bei jedem Schnitzer von Frau Mila. Wenn er dabei einmal die lockigen Enden seines Schnurrbartes strich, geschah das gewiß und allein, weil es ihm gut stand, durchaus nicht, weil Vorsicht die Mutter der Weisheit ist. Alles das wurde ihm nicht schwer. Die ganze Situation war so neu, nur ein kurzes Spiel: er amüsierte sich zuletzt selbst dabei. Gerade das lieh seinem Wesen eine Aufrichtigkeit und Natürlichkeit, die unter den Verhältnissen bezaubern mußten.

Sogar Fräulein von Kanstedt war bald für den Grafen gewonnen, der ihr stets mit der gleichen verbindlichen und hochachtungsvollen Höflichkeit begegnete, wie sie jedermann unwillkürlich einer Dame aus der guten Gesellschaft und einer Frau von Charakter und Bildung erweist. Und wenn auch das ernste, gescheite Mädchen sich allerdings dem nur zu nahe liegenden Bedenken, warum ein Mann wie Premierlieutenant Graf Berg in eine Familie wie die Schulzens zum Werben kommt, nicht erwehren konnte, so trieb sie ihr Herz doch wieder, seinen Vorzügen gerecht zu werden. Ja, sie meinte zuletzt wohl gar, jeden mißtrauischen Einwand von Erfahrung und Verstand als verkappten Egoismus korrigieren zu müssen. Hatte sie doch selbst über der großen Gutmütigkeit der Schulzens deren Schwächen übersehen gelernt, hatte sie doch Eva wirklich lieb und sich darum recht behaglich in ihrer Stellung hier gefühlt. Gewiß, sie würde durchaus keinen Einwand erhoben, nein, sie würde sich gefreut haben, wenn Helwig – der Gedanke kam ihr jetzt zum ersten Mal – das liebe kleine Ding für sich erobern wollte.

Gewiß, es that ihr leid, von Eva und den Schulzens zu scheiden. Und edelmütig nun hütete sie sich vor jeder Regung, die wie eine Dissonanz zu dem Loblied erscheinen konnte, welches die Schulzens von dem Grafen sangen.

Eva war in der That klug und gebildet genug, um all die komischen Prahlereien und Schnitzer der Eltern zu verstehen, – sie thaten ihr selbst weh –, ihre Dankbarkeit gegen den Grafen verwandelte sich in Begeisterung, umsomehr, als sie unter Kanstedts Wesen und seinem ernsten, abweisenden Benehmen gelitten hatte. Daß bei des Grafen verbindlicher Milde noch etwas anderes als angeborene Güte und Edelmut mitwirken mochten, schadete ihm bei dem jungen Mädchen nicht. Sind wir doch alle nur zu gern geneigt, viel schlimmere Dinge als kleine Schwächen zu verzeihen, sofern sie aus Liebe für uns geschehen, wie viel mehr, wenn etwas Gutes aus Liebe für uns geschieht!

Warum Premier-Lieutenant Graf Berg so viel in das Haus kam? – das nicht bald zu begreifen, hätte bei aller Jugend doch die kleine Schulze nicht eine Eva sein müssen.

In jeder ersten Huldigung liegt ein bestrickender Zauber. Kanstedt hatte das junge Mädchen verschüchtert, gekränkt, wie sehr, das fühlte sie erst jetzt. Gleich einer Blume, der das Wasser fehlt, hatte sie das Köpfchen geneigt, matt, ergeben; jetzt lebte sie wieder auf. Und wie die Erde die lebenspendende Wärme der Sonne zurückstrahlt, so gingen auch die Empfindungen des jungen Herzens dahin, von wo ihnen die beseligende Kraft, sich zu regen, gekommen.

Und plötzlich war der kleinen Eva die Welt verwandelt. Sie hatte bis dahin gar nicht gewußt, wie köstlich blau und klar der Himmel sein kann. Die Blumen dufteten süßer, berauschender, und die kleinen Vögel sangen für sie zum ersten Male. Alles, alles machte ihr Vergnügen, sie freute sich an jedem Kleid, das sie erhielt, an jeder schönen Frucht, die auf der Tafel erschien. Jeder Tag war so wonnig, daß sie ihn hätte festhalten mögen – und doch jubelte ihr Herz stets um so höher jedem neuen entgegen. Wo sie ging und stand, ging er mit; was sie unternahm, er war dabei, meist übrigens in Person, immer aber in ihren Gedanken, er, der Zauberer, der mit seiner Persönlichkeit Himmel und Erde für sie verwandelt hatte.

Gott, wie sie schön war, diese hohe Gestalt, der sie lange noch nicht bis an die Schulter reichte – das hatte sie einmal so ganz schnell bemerkt, als sie zusammen auf der Veranda gestanden; der fein gewölbte Kopf mit seinem kurz geschnittenen goldbraunen Haar, dem blendend weißen Scheitel mitten dazwischen, so recht vornehm, so recht wie ein Offizier! Die kleine Eva machte hinsichtlich des Militärs durchaus keine Ausnahme von ihren Schwestern. Wie die blauen Augen blitzten unter den dunklen Brauen, so feurig, so kühn, daß einem ein kleiner Schauer über den Leib rann, aber so köstlich, daß man immer in diese Augen hätte hineinsehen mögen. Nur daß sie das noch nicht fertig gebracht hatte, außer in ihren Träumen. Wie wundervoll die Linie seiner Nase war mit dem leisen Bogen und ihrem markigen, doch feinen Ansatz zwischen den dunklen Brauen! Das konnte die kleine Eva leicht, unbemerkt von ihm, mit einem scheuen Blick durch die blonden Wimpern bewundern. Wie er zu plaudern verstand! Jede drückend peinliche Stille war mit seinem Kommen verschwunden, es wurde immer heiter, sobald er kam, und so unterhaltend. Wen er nicht alles kannte! alle vornehmen Leute – auch das verfehlte seinen Eindruck nicht; was er alles wußte! Der Graf las, was für ein junges Mädchen der Inbegriff alles Wissens scheint, jeden modernen Roman. Und wie die schlanken weißen Finger mit den blank polierten Nägeln bald einen Blick, ein Wort oder ein Lächeln begleitend, leicht über die weichen Locken seines Schnurrbartes strichen! Ja er war reizend, himmlisch, entzückend. Er besaß alle Eigenschaften, welche für diesen Fall das Wörterbuch eines kaum siebenzehnjährigen Mädchens enthält.

Nun hörte sie auch seine Stimme – so weich, so bestrickend – und von berückendem Rausche gefangen, träumte die kleine Eva gar seligen Traum.

Sie hätte sich unter die Hufe seines Pferdes stürzen mögen, damit sie weiter gingen – er hätte sie mißhandeln, töten können, sie würde gelächelt haben, wenn er es so gewollt.

In dem Augenblick, da Eva zum ersten Mal zum vollen Bewußtsein ihrer Liebe kam, setzte Graf Heino in dem roten Rococosalon die Bedingungen auseinander, unter denen es ihm möglich sein würde, standesgemäß mit einer Frau zu leben: nämlich die Bezahlung seiner Schulden, eine Kleinigkeit von 100 000 Mark, und eine Mitgift etwa von 500 000 Mark; ein Toilettezuschuß für Eva solle in Schulzes Ermessen gestellt bleiben.

Eva hatte keine Ahnung, daß sich Papa erschrocken Bedenkzeit ausbat; Mama mit dem stark parfümierten Spitzentuch einen Krampfanfall zurückfächelte, natürlich nur über Schulzes philisterhaftes Bedenken, was sein »Äffchen« etwa in einer solchen Ehe zu erwarten hätte; denn Papa hatte sein »Äffchen« lieb, wollte es geliebt und seine Zukunft sicher sehen. – Als Schulze soweit gekommen war, erhob sich der Graf mit klirrenden Sporen von seinem Sessel. Es war nur eine »Nuance«, auf den »Effekt« berechnet, um die Verhandlung zu beschleunigen.

Als man Eva später herunterrief, war die »Bagatelle« beigelegt, die Stimmung ruhig und heiter wie der Himmel auf dem Rococoplafond. In natürlicher Rührung ob des immensen Glückes führte die Mutter dem gräflichen Schwiegersohn ihren Liebling entgegen. »Seid glücklich, Kinder,« sagte sie, und legte mit gewichtiger Pose die Hände des Paares ineinander.

»Meine Eva!« – der Graf legte wie schicklich seinen Arm um die Braut.

Die aber erglühte in seligem Jubel, schlang die Arme um seinen Nacken: »Heino, ich liebe dich, über alles, alles!« jauchzte sie, wenn auch leise, sodaß nur er es hören konnte.

In dem Augenblick kam eine weiche Stimmung über ihn; seine Hand strich über ihr Haar – strohgelb, doch weich wie Seide war es – das nahm er wahr, dann küßte er seine Braut. Es machte sich ziemlich leicht und unfeierlich.

»Wenn Sie nur 's Äffchen lieb haben, Sie – – lieber Sohn« – der Papa fühlte das Bedürfnis, seinen Empfindungen Luft zu machen. Da er aber jedenfalls etwas gesagt haben würde, was unpassend gewesen, so gehorchte er lieber einem energischen Wink seiner Frau, klopfte auf seine Tasche und verschwand.

Niemand merkte es in der allgemeinen Bewegung, als Kanstedt, der eben ein unfreiwilliger Zeuge der Verlobung geworden war. »Ah, Helwig, du kommst zur guten Stunde;« – mit seiner elegantesten Haltung, Aristokrat vom Scheitel bis zur Sohle, sicher und unentwegt, was auch der Kamerad darüber denken mochte, stellte Heino Fräulein Eva als seine glücklich errungene Braut vor.

Es war gerade kein Flammenkuß gewesen, der die Lippen des jungen Mädchens berührt, aber er hatte doch an dem Feuer geschürt: hell auf lohte die Glut in einem heiligen, alles verklärenden Licht, das nirgends einen Schatten ließ. – Eva dachte nicht mehr daran, daß Kanstedt sie recht kurz gehalten – und sie ihn finster gescholten; – sie sah auch jetzt nicht die Falte auf seiner Stirn, den verächtlichen Zug um seinen Mund.

Zum herzlichen Gruß reichte sie beide Hände dem Freunde des Geliebten: »Ich bin so glücklich, so glücklich!« – weiter fand sie nichts – nur ihre Augen leuchteten wunderbar groß.

Zum ersten mal bemerkte Kanstedt, daß Eva Augen hatte, aus deren Licht eine wahrhaftige, eine große Seele sprach. Unwillkürlich neigte er sich vor dem jungen Mädchen: ihm hatte er doch etwas abzubitten. Ein eigentümlich schneidendes Weh kam plötzlich über ihn: daß wieder einmal ein Herz voll Liebe verraten worden.

Nun meinte er sogar, er hätte sie hüten, schützen sollen in ihrer Unschuld, ihrer Unerfahrenheit und Unkenntnis der Welt, vor der großen Lüge, mit einem Wort, vor dem Kameraden, wie er selbst ihn kannte, anstatt diesem mit seiner Freundschaft den Weg in das Haus zu bahnen. Freilich, er hatte nicht an die Seele der kleinen Eva geglaubt. Er hatte das Mädchen nicht gekannt, auch nicht kennen lernen wollen.

Im Grunde doch aus verbittertem Mißtrauen, weil ihn die eine getäuscht, in strengem Stolz und zorniger Gleichgiltigkeit, auf daß man nicht denken möge, er könnte sein wie die Menge und sich um eine Erbin bewerben.

Unwillkürlich, fast wie ein Trost für seine quälenden Empfindungen und Besorgnisse, regte es sich in ihm, wie ein Wunsch, daß der Kamerad halten möge, was er eben seiner kleinen Braut versprach. Ernst, dringend, wie ein Gelübde, kam es über ihn, daß er, was in seiner Macht stehe, thun wolle, auf daß Eva zuteil werde, was sie ein so großes, heiliges Recht hatte zu empfangen.


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