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X.

Ein jäher Witterungswechsel hatte die ungewöhnlich großen Massen von Schnee in Berg und Thal zum plötzlichen Tauen gebracht; weit und breit traten die Wasser über ihre Ufer, namentlich aber hatte der Rhein seine Gaue mit verheerenden Überschwemmungen geschädigt.

Um diese Not zu lindern, bildeten sich Sammelstellen im ganzen Vaterland. Alle Arten von Dilettanten zeigten sich mit kleinen Leistungen, aber der guten Sache wegen mit größtem Erfolg. Die hohen Kreise wollten nicht zurückbleiben; man sprach von einem Bazar, als der bequemsten Art, um der Barmherzigkeit willen sich zu unterhalten, aber Frau von Rodenheim wußte die Herren und Damen ihres Regiments für ein Quadrillereiten zu begeistern.

Diese Begeisterung pflanzte sich fort; es war etwas Neues! Die Proben mußten reizend werden! Das Publikum würde nicht fehlen und war doch nur auf das Zuschauen beschränkt: man blieb unter sich!

Der Kommandeur gab gern seine Einwilligung; es paßte grade sehr hübsch, daß man zugleich seinen Geburtstag mit der Aufführung feiern konnte.

Die verschiedenen Regimenter stellten zusammen zwei Quadrillen, von denen die eine in Rokoko, die andere in der Uniform der Kürassiere Friedrichs des Großen geritten werden sollte. Graf Berg engagierte Frau von Rodenheim, die beiden waren ja gute Freunde. Die Gräfin konnte ihrer Gesundheit wegen nicht mitreiten. Kanstedt hatte abgelehnt; er wollte nicht mehr als durchaus notwendig mit Adele zusammenkommen.

Die junge Frau sah sich bitter getäuscht, ließ es sich aber nicht merken, erschien vielmehr heiterer und übermütiger denn je. Klug und geschickt verstand sie es durchzusetzen, daß zum Schluß der Vorstellung ein Schnitzeljagen stattfinden sollte, an dem sich notwendigerweise alle berittenen Offiziere der Garnison beteiligen mußten, zur Feier des Tages und für den guten Zweck.

Es war dann freilich ganz wie im Circus; doch der Mensch liebt ja einmal mit dem zu spielen, was er um die Welt nicht im Ernst thun würde.

So kam der vielersehnte Abend heran. Alles drängte nach dem Circus auf dem großen Platze.

Abwechselnd spielte die Musik der Ulanen und Husaren auf der Estrade; der Raum war reich mit bunten Teppichen, schwarz-weißen, schwarz-weiß-roten und blauen Fahnen, allerhand Helmen, Feldhauben, Schilden, Waffen jeder Art und aller Zeiten geziert.

In der Mitte auf dem bräunlich gelben Sand, wo sonst der Stallmeister und seine Trabanten figurierten, behaupteten heute Major von Neumann und Lieutenant Verbenbill die Leitung des Abends. Soldaten, wie die Offiziere in der Uniform der Kürassiere Friedrichs des Großen gekleidet, vertraten die Stelle der helfenden Clowns und Circusbediensteten. In den Gängen zwischen den hinter den Tribünen gelegenen Ställen bewegten sich vornehme Herren und Damen. Das Treiben in der Manege, das Geschwirr der Stimmen, die Klänge der Musik drangen bis hierher und erhöhten mit der Stimmung eines Raumes, an dem für den Uneingeweihten immer noch etwas Romantik haftet, das eigentümlich Prickelnde der simulierten Kunstreitersituation.

Die Vorstellung begann mit einer Voltige von fünf Offizieren über eine Schimmelstute. Die jungen Leute sahen gut aus in ihrem Turnkostüm, ein dekorierendes Bändchen oder eine Blume im Knopfloch; ihre Leistungen legten glänzendes Zeugnis ab für das Wirken der königlichen Reitschule. Ein Premierlieutenant vom Train, ein Hüne von Kraft und Gestalt, entpuppte sich dann als ein gefährlicher Nebenbuhler der berühmtesten Athleten der Zeit.

Dann kam die Rokoko-Quadrille. Bei deren Kostümierung hatte Adele ihre Hand im Spiele gehabt.

Sie wußte, welch bezaubernden Effekt die eleganten Damen im Bois de Boulogne durch die Übereinstimmung von der Farbe ihres Reitkleides mit der ihres Pferdes zu erzielen verstehen; sie wollte diesen Effekt mit dem des Rokoko vereinen und wußte, was ihr stand!

Es war ein wenig mühsam, doch es ließ sich mit Geld und guten Worten einrichten, daß man zwei Rappen, zwei Goldfüchse, zwei milchweiße Pferde und noch eins fand, welches das seltene Rotbraun ihres Tieres trug. Die Töchter des Kommandeurs ritten nun in weißem Tuch, weißem Atlas und Silberstickereien, zwei Rittmeistersfrauen in schwarzem Sammet und feuerrotem Atlas und Gold, zwei junge Mädchen in goldfarbigem Tuch, altgoldenem Sammet mit bunten Perlen und Steinen, Frau von Rodenheim und ihre Partnerin aber in rotbraunem Samt und mattrosa Atlas; die Herren in den entsprechenden Farben der Damen.

Die Quadrille wurde glänzend geritten. Doch die Inszenierung, die Toiletten, die Schönheit der Damen trugen den Preis über die Reitkunst davon, unter jenen wieder natürlich Frau von Rodenheim.

Unwiderstehlich von ihrem Reiz gefesselt folgten auch Kanstedts Blicke bald nur den Bewegungen dieser anmutigen und kühnen Reiterin. Es war ihm, als dränge alle Kraft seiner Seele in seine Augen; als lösten sich die Muskeln, die dem Herzen so lange Einhalt geboten. Vergessen war mit einem Schlage, was er gelitten und gekämpft für Pflicht und Ehre. Das Entzücken der ersten Liebe war siegreich erstanden; die Leidenschaft seiner Jugend wob wieder ihren unwiderstehlichen Zauber. Er merkte kaum, daß die Quadrille zu Ende ging, eine erschütternde Salve von Beifall das Haus erdröhnen ließ: immer noch sah er die wundervolle Gestalt in dem malerisch drapierten Gewand mit seinem kecken Schnitt, seinen weichen Falten und Puffen von kostbarem Stoff und glitzernden Stickereien – das reizende Gesichtchen, so pikant mit dem Flammenblick der dunkeln Sammetaugen, dem Lächeln um den herrlichen Mund, nicht bleicher und nicht röter als der Atlasrevers auf der Brust; zarter und frischer noch als die duftigen Rosen in den dicken Spitzen der Barbe unter dem Kinn, den Federn des silbern geschnürten Hütchens über dem dunklen Haar, nahe dem kleinen Ohr – das wie eine Knospe zu jenen erschien.

Und er dachte, daß er diese Lippen einst geküßt; daß ihn diese Frau heute heißer liebe als je, daß auch er immer noch – sein Atem stockte; und er fühlte sich wie befreit von einer erstickenden Beengung, als jetzt Evas Stimme neben ihm erklang.

»Bitte, Herr von Kanstedt, begleiten Sie mich einen Augenblick hinaus,« bat die junge Frau. Sie wollte in der Pause einmal nach ihrem Gatten sehen.

Erleichtert, wie jemand, der von einem drückenden Traum erwacht, beugte sich Helwig zu der Gräfin nieder; dankbar, als thue sie ihm wohl, fühlte er ihre Hand auf seinem Arm.

Ein langer breiter Gang lief im Kreis durch den hinter den Logen und Tribünen liegenden Raum, daß man auf glattem Wege von einem Ende bis zum anderen, vom Ausgang bis zum Eingang und zurück gelangen konnte. An den beiden Seiten dieses Ganges, gegen die innere Wand des Zirkus, unter den Tribünen des Zuschauerraumes, sowie gegen die äußere nach der Straße hingekehrt, waren Verschläge, Ställe für die Pferde und Ankleidezimmer für das Personal angebracht, welche voneinander bald durch einen schmalen Nebengang geschieden wurden, bald durch einen leeren Raum, der zur Aufbewahrung von Reitgerätschaften diente.

Langsam nur kamen Eva und Helwig vorwärts. Bekannte kamen, Bekannte gingen. Wer nur über einen Kavalier verfügt, will hinaus, um auch einmal hinter die Coulissen zu gucken.

Selbstverständlich war das heute nur den Gliedern der exklusiven Gesellschaft gestattet. Mrs. Bower aber befand sich darunter, und erhielt so zum ersten Mal Fühlung mit derselben.

Der Graf hatte seinen Freund Baron Welten auf dessen Wunsch, freilich auch nach eigenem besseren Ermessen, länger schon bei der schönen Frau eingeführt, die bis dahin aus der Gesellschaft ferngehalten worden war, von den einen vielleicht nur aus fürsorglicher Weisheit, eine solche Rivalin abzuhalten aus ihren Reihen; von den anderen, weil sie selbst durchaus keine Miene zu machen schien, ihnen ein Nähertreten zu gestatten. Der Baron hatte Mrs. Bower in ihrer Loge besucht, ihr seinen Arm zu einem Gang hinter die Coulissen geboten. Sie hatte denselben sehr vergnügt angenommen, was jedoch nicht ausschloß, daß sie bald, einem kapriziösen Einfall folgend, den Baron fahren ließ, und zwar so geschickt, daß er wirklich glaubte, nur die drängenden Menschen ringsum hätten sie auseinandergebracht.

Man sagte der Gräfin Komplimente über den Grafen.

Mit glühenden Wangen horchte Eva den Worten, die doch nur ein matter Ausdruck schienen für das, was ihre Seele in seligem Stolz erzittern ließ: Ja, er war prächtig, ihr schöner, ritterlicher Gatte, prächtiger als alle – und sie liebte ihn über alles!

Die Seligkeit der eigenen Liebe trug die junge Frau immer wieder von neuem über jeden Kummer ihres ehelichen Lebens hinweg; brachte jede peinliche Ahnung als eine Beleidigung gegen den geliebten Mann zum Schweigen, wob einen verklärenden Schein um all sein Thun. Wie viel Vorwürfe hatte sie sich schon über ihre kleinmütige Verzagtheit gemacht, die an einem so herrlichen Manne zweifeln gewollt!

Endlich am äußersten Ende des Ganges wurde wenigstens des Grafen Rappe gefunden. Die Kandare gelöst, wohlabgerieben und in wollene Decken gehüllt, stand das Tier allein in seinem Verschlag; der Bursche mochte nach erfülltem Amte wohl zu einem Glas Bier gegangen sein.

Leise noch schlugen die Flanken von der gehabten Bewegung, die Nüstern blähten sich stolz und voll quollen unter dem feinen Fell die warmen Adern dahin über den schlanken Hals.

»Ist er nicht schön?« meinte die junge Frau, und klopfte liebkosend des Tieres Hals: »Papa hat ihn Heino zum letzten Geburtstag geschenkt.«

Und während Helwig die Vorzüge des Pferdes bewunderte und sich mit Bedauern erinnerte, daß ihm seine Mittel noch immer nicht gestatteten, solch ein edles Blut zu erstehen, holte Eva etwas Zucker aus ihrem Kleid. Lächelnd zog sie die Halme, welche der Hengst spielend der Streu entnommen, zwischen dessen Zähnen fort und bot ihm die weißen Stücke, was sich das kluge Tier gern gefallen ließ.

»Ich trage immer etwas für meines Mannes Liebling bei mir; ich liebe alles, was zu ihm gehört,« sagte sie dabei. Der Ton klang leise und süß, wie verschämt ob des Liebesglückes in ihrem Herzen.

Eva war nichts weniger als schön in diesem Augenblick. Ein dunkler Mantel umhüllte ihre Gestalt in weiten Falten, daß keine Linie erkenntlich blieb und sie fast formlos erschien. Das feine Näschen schien länger, dicker, der Mund größer als gewöhnlich. – Die junge Frau war in der That leidend.

Obwohl Helwigs Auge für alle diese Mängel empfindlich blieb, meinte er doch, nie in seinem Leben eine so seelenvolle Verkörperung echt weiblichen Empfindens gesehen zu haben als in dem Lächeln, wie es eben das blasse, unter dem Licht der Gaslaterne fast fahle Gesichtchen verklärte. Ein eigentümliches Gemisch wie Rührung und Sehnsucht kam über seine Seele; er hätte in diesem Augenblick alles thun können für das Glück der kleinen Frau!

Sie trat von dem Pferde zurück. Da an der hinteren Wand des ziemlich langen Verschlages hingen alte Teppiche in Form einer geschlossenen Portiere hernieder. Eben hörte man einen klirrenden Tritt, ein Rascheln wie von Kleidern dahinter.

Er wird sich umkleiden, dachte Eva. Heino wollte sie rufen – sie schob den Teppich zur Seite – sie taumelte zurück, ihre Arme hoben sich, fochten durch die Luft, wie suchend nach einem Halt.

Kanstedt sprang herzu; er kam noch gerade recht, um sie zu stützen; fürchtend, dem Grafen sei etwas zugestoßen, hob auch er den wieder heruntergefallenen Teppich –

Da stand der Graf; neben ihm die schöne Witwe, Mrs. Bower.

Er hatte den Arm um ihre feine Taille gelegt und ihre Hände verschlangen sich über seinem Nacken.

Noch einmal sah Eva auf die Gruppe – ein Schauer schüttelte ihre Gestalt, ihre Zähne schlugen aufeinander, sie öffnete den Mund, rang nach Luft.

Ihre erste Bewegung war, daß sie Helwigs Hand den Teppich entriß, um denselben sinken zu lassen; ihr erstes Wort: »Sie werden es niemand sagen; werden es ihn nie wissen, nie empfinden lassen, um – um seinetwillen!«

Alles in Kanstedt bäumte sich auf. Was hätte er diesen angstvoll flehenden Augen, diesem todesblassen Weib, das, in seiner großen, selbstvergessenen Liebe über alles hinaus, instinktiv das Richtige getroffen hatte, versagen können!

»Es soll unser Geheimnis bleiben,« versprach er.

»So ist's gut; danke. Und nun führen Sie mich fort.« Ängstlich schaute sie um.

Er fühlte, wie ihre Hand schwer wurde auf seinem Arm – wie sie sich mit dem Aufgebot aller Kraft und doch so schnell fortschleppte, als fürchte sie, jeden Augenblick zusammenzusinken. Niemand durfte ihnen hier begegnen!

Sie hatten die Loge erreicht. »Endlich!« – Wie ein Hauch nur kam es über Evas Lippen; wie ein Kind, das einschläft, wenn es seine Aufgabe vollendet, sank die todblasse Frau zurück; eine tiefe Ohnmacht nahm sie gefangen; sie braucht ihr nicht länger zu wehren.

Rittmeister Graf Berg wurde benachrichtigt, daß die Gräfin unwohl geworden sei; selbstverständlich eilte er besorgt herbei, bedauerte artig nach allen Seiten und fuhr mit seiner Gemahlin nach Hause.

Nur Kanstedt las die stille Verwünschung zwischen den zusammengezogenen Brauen, daß sich die kleine Frau eine so unpassende Gelegenheit zu diesem Anfalle ausgesucht.

Drüben betrat Mrs. Bower wieder ihre Loge. Sie sah etwas erhitzt aus; trotzdem lag ein kalt entschlossener Ausdruck auf dem schönen südlichen Gesicht. Niemand bemerkte es. Die Musik begann; die Kürassiere Friedrichs II. ritten ein; die Kommandos ertönten, die Pferde stampften und schnoben, Reiter und Reiterinnen flogen in geschickt graziösen Wendungen durcheinander. Man sah, staunte, kritisierte, und vor allem man amüsierte sich; niemand konnte denken, daß soeben eine arme reiche Frau krank geworden und wieder einmal der glänzenden Welt und ihrer rauschenden Lust zuliebe ein Herz in seinem besten Empfinden gebrochen worden war.


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