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Die Beerdigung von Frau von Rodenheim war vorüber. In dem tiefschwarzen Kleide, welches sie zu der Trauerfeierlichkeit getragen, saß Eva in ihrem Zimmer: Thräne um Thräne tropfte über ihre blassen Wangen.
Wie wunderbar schön hatte die junge Frau ausgesehen, als sie da lag in dem weißen Atlasgewand inmitten der zahllosen Blumen, die Hände unter der Brust gefaltet, ein Lächeln, wahrhaftig ein glückseliges Lächeln auf den Lippen, friedlich und unbeirrt, wie nur Gestorbene lächeln können, die da liegen in dem Schlummer, den kein Leid mehr schreckt und denen das Leben nur noch Blumen bietet. Wie ihr Gatte sie lieben mußte! – Er hatte sich über die Tote geworfen, nicht von ihr lassen wollen; nur mit Mühe war es Kanstedt gelungen, ihn fortzuführen.
Eva sehnte sich plötzlich qualvoll nach solchem Frieden.
Ein Wagen hielt rasselnd vor dem Hause. Der Graf stieg aus in voller Uniform, schön und stattlich wie immer, finster, unmutig, wie meistens in der letzten Zeit. Er kam vom Kirchhof; er liebte dergleichen nicht. Er hatte sich die Zeremonie bei Rodenheims geschenkt, erklärte er seiner Frau. Nur leise wagte Eva einen bedauernden Einwand von Rücksicht auf einen Freund und Kameraden.
Der Graf mußte entschieden durch etwas mehr denn gewöhnlich erregt sein; seine Mienen zuckten nervös; unruhig ging er auf und ab, mehr denn einmal geriet die Locke des Schnurrbarts unter seine Zähne. – »Freunde, Kameraden!« brach er schließlich aus, »das hat ein Ende jetzt wie der bunte Rock!«
Ungeduldig nestelte er an dem Dolman auf der Schulter. Eva sprang gefällig hinzu.
»Sag mir lieber, was dich quält,« bat sie, die eigene Empfindung überwindend.
»Ach, immer die alte Geschichte!« – Hastig, mit großen Schritten maß er jetzt das Zimmer, krampfhaft drehte seine Hand dabei an den Enden des Bartes.
Der Moment war gekommen, den er vorhergesehen, das Schicksal über ihn hereingebrochen, dem er entgegengetrieben.
»Ich muß um die Ecke gehen, ich kann mich nicht länger halten!«
Eva hatte so viel von dem militärischen Jargon begreifen gelernt, daß sie weiß, was das heißt.
»So schlimm kann's doch nicht sein,« meint sie sinnend, »noch haben wir ...«
»Nichts haben wir mehr!« unterbricht er sie erregt.
»Wie ist das möglich, wie ...«
»Frag nicht, Eva.« – Er schämt sich über sich selbst und wird darum immer erregter. – »Das Leben kostet Geld, wenn es anständig sein soll. Wer hätte auch ahnen können, daß dein Papa ...« Er beißt sich auf die Lippen.
Eva hat es doch zuletzt begriffen, warum der Graf ihr Gatte geworden ist; nur daß sie darin allein eine Schuld sieht, daß sie nicht gehalten hat, was sie versprach, eine Schuld, die ihn immer wieder in ihren Augen entschuldigt. Sie neigt den Kopf. –
»Wenn man allein wäre und frei ...« Er bricht ab. Nein, er darf es doch nicht sagen, daß sie ihm nur ein Mittel zum Zweck gewesen ist, jetzt nur noch als ein Hindernis auf dem Weg erscheint.
»Wie meinst du das?« fragt Eva, die mit dem Ohr der Liebe gehört, noch ahnungslos, aber das Schlimmste erwartend.
»Mein Gott«, – er lenkt ein – »wir sind ein Haus, eine Familie – ein Mann allein schlägt sich durch ...«
Eva schüttelt den Kopf. – Und sie ist doch eine andere geworden in der Zeit. »Heino,« bittet sie – man hört es an ihrem Ton, daß sie etwas in sich bezwungen, sich zu etwas hindurchgekämpft hat – »Heino, wenn du etwas weniger Ansprüche machen, sparsamer leben wolltest – ich würde gern entbehren und ...«
»Ums Himmelswillen, auch das noch! Nur keine Sentimentalitäten, Eva! – Jeden Pfennig herumdrehen, ob er nicht zu Gold wird – dünnen Wein trinken, schlechte Zigarren rauchen, einen Klepper im Stall halten, bei allem danken, in der Ecke sitzen, weil einem der Verkehr zu viel oder die Frau leidend ist, während doch jedermann weiß, daß man vor Langeweile an den Nägeln kaut, die Frau aber keine Toiletten und der Mann nichts mehr übrig hat – für seine Kameraden. – Nein, Eva, lieber gleich eine Kugel vor den Kopf!« Rasch entschlossen richtet er sich in die Höhe, als wolle er sein Wort wahr machen auf der Stelle.
»Barmherziger Gott!« – sie fällt ihm in den Arm.
»Ja, ist nicht so ganz leicht das Sterben bei gesundem Leibe! Ja, wenn – doch nein; das thut keine Frau, kann keine Frau.«
»Was?« drängt sie ihn schnell – »was kann keine Frau?«
»Nichts.« – Seine stolze Haltung sinkt zusammen, seine blitzenden Augen werden dunkel. »Nichts, Evy, nichts. Vergiß es.«
»Aber« – nun klammert sie sich an seinen Arm – »Heino, es giebt ein Mittel – Heino, ich kann alles für dich!«
Er senkt die Lider; er schämt, er verachtet sich. Doch seine Leidenschaften sind stärker als er; das bessere Teil in ihm sinkt unter. »Wenn man noch einmal – wenn man sein Glück machen könnte, wenn es sich bietet,« schilt er, alles vergessend.
Langsam sinkt Evas Hand von seinem Arm: »Bin ich das Hindernis?«
Und die alles unterjochende Leidenschaft betäubt den Rest von Ehre, ach nein, von Anstand in seinem Innern.
»Eva,« ruft er unwillig entschlossen, »gieb mich frei!«
»O mein Gott, das – das kann ich nicht!« – Sie liegt wie gefällt am Boden.
»Evy, Evy!« – Nun ist er doch außer sich über sich selbst. Er kniet neben ihr nieder, er streicht ihre Wange, ihr Haar; er nimmt ihre Hände: »Vergiß, was ich gesagt! Ich bin ein elender Mensch, ein Schuft, ein ... So höre doch, Evy, komm zu dir! – Bei Gott, lieber doch gleich die Kugel vor den Kopf!«
Wie elektrisiert von dem Wort zuckt die junge Frau zusammen: sie will sich in die Höhe richten, es wird ihr schwer, sein Arm muß sie stützen. Nun sieht sie ihn an; ein wunderbarer Ausdruck tritt in ihre Züge, liegt in ihrer Stimme:
»Ich danke dir, Heino, danke dir! Heute, heute nur laß mir Zeit – laß mich allein!«
Er versteht nicht, was sie damit meint: sein ganzes Wesen ist dem ihren so entgegengesetzt, daß er gar nicht zu ahnen vermag, was sie eben imstande ist, ihm zu danken.
Und das drückende Gefühl, das ihn so leicht in ihrer Nähe überkommt, beginnt wieder einmal in ihm zu brennen, die peinliche Schrecklichkeit dieser Scene noch peinlicher, unerträglicher zu machen.
Er hält die kleine Frau nicht zurück, da sie ihn verlassend hinausgeht; dazu fehlt ihm im Augenblick der Mut; er blickt sich scheu um, als ob die Wände Augen und Ohren bekommen; dann schreitet er im Zimmer hin und her wie jemand, der etwas sucht, das er verloren hat. Zuletzt steckt er sich eine Zigarre an und greift nach der Mütze: geschehen ist geschehen; besser, man denkt nicht darüber nach.
Die Gewohnheit ist eine so starke Macht – ist ja doch unser eigen Selbst in ihr zur Verkörperung geworden; – er geht fort, wohin, weiß er jetzt selbst noch nicht – wahrscheinlich ins Kasino, den Klub, vielleicht auch dahin, wo sich alles zusammenfindet, dessen er bedarf, und wo er alles Edle seines Charakters niederzudrücken allzuschnell gelernt hat.