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XII.

Zum Sommer starb der Gräfin Vater, ganz plötzlich und unerwartet. Christoph Schulze hatte zum letzten Mal Glück gehabt: der Tod nahm ihn hinweg, ohne daß er den Wandel alles Irdischen an sich selbst erfahren gemußt.

Wie viele in der letzten Zeit, hatte auch er in Zucker spekuliert, und gleich ihnen verloren. Diesen Verlust wieder einzubringen, steckte er den größten Teil seines Vermögens in amerikanische Bergwerke. Sein Gold wurde mit vielem anderen in die Erde begraben, ohne wieder hervorzukommen.

Was eben noch von den Schulzeschen Millionen vorhanden war, gehörte zum Teil Frau Mila. Christoph hatte dieser, eigentlich, um sich in seinen Unternehmungen den Rücken zu decken, eine bedeutende Summe als Eigentum verschrieben, wie das so manchmal geschieht; er war um so großmütiger in seiner Schenkung an die eheliche Hälfte gewesen, als auch sein Wohl, das Wohl des ganzen Hauses – so dachte er – in dieser Großmut mit einbegriffen war.

Frau Mila hielt sich an den Buchstaben des Gesetzes. Auf den Rest der Schulzeschen Hinterlassenschaft legte der Vormund des unmündigen Sohnes Wilhelm Beschlag.

Der Mann übte nur Pflicht und Recht. Daß er es mit Vergnügen that, war ihm nicht allzusehr übel zu nehmen. Er war ein alter Freund von Christoph Schulze, aus der Zeit, wo dieser noch in einem kleinen Häuschen in der Schmalen Gasse wohnte, und hatte sich oft genug über die wachsende Eitelkeit und Hoffart namentlich von Frau Mila geärgert; desgleichen später über die Husarenheirat, weil alle dergleichen Partieen viel Geld kosten und wenig Glück bringen. Er hatte alles vorausgesagt – es war ihm also nicht zu verdenken, wenn er, von einer gewissen Genugthuung beseelt, jetzt frisch und fest auftrat.

Die Verhandlungen zogen sich in die Länge. Der Rittmeister reiste zum Schluß noch einmal in Evas Heimat, um seine Persönlichkeit, seinen Namen, seine Ansprüche wie Bedürfnisse geltend zu machen; es siegte jedoch schließlich das brutale Gesetz, das auch für Husaren keine Ausnahmen kennt.

Es blieben wenige Tausend Mark für Eva aus der Masse übrig. Der Graf erklärte, damit könne man nichts anfangen; Frau Mila dagegen, von ihr sei kein Zuschuß länger zu erwarten.

Frau Mila war ja längst nicht mehr von ihrem gräflichen Schwiegersohn entzückt; er hatte ihre Erwartung in jeder Hinsicht getäuscht. Seitdem er es verstanden hatte, sich und die neunzackige Krone in eine solche Entfernung von den Schulzens zu bringen, daß auch nicht einmal so etwas wie ein Schimmer davon zu erhaschen war, die »Gesellschaft« für Frau Mila verschlossen blieb, hielt sich diese wieder an die Kunst, das will sagen, die Künstler. Schauspieler und Sänger dritter Größe bevölkerten von neuem die stilvollen Räume der Villa, wo zu der Renaissance und dem Rokoko auch noch chinesische und japanische Schnörkeleien in dem Boudoir der Frau vom Hause gekommen waren, seitdem diese die chinesischen Zimmer auf der Berliner Ausstellung entzückend gefunden hatte. Auch die Maler mit getrübter Wäsche stellten sich wieder ein und tranken ohne jedwedes Vorurteil mit den Kollegen von der dramatischen Kunst den Schulzeschen Champagner.

Und ein lyrischer Tenor von der königlichen Bühne mit einer winzigen Stimme und riesigen Statur, einem weichen Schnurrbart und einer großen Zukunft, für welche er sich allerdings ein wenig lange schon mit Jäger-, Fischer-, Hirten-, die Handlung zur rechten Zeit aufhaltenden Marquis- und anderen Rollen vorbereitet, hatte sich an den Reizen von Frau Mila entzündet und ward zum Gatten ausersehen. Warum sollte sie auch, ein hübsches molliges Weibchen mitten in den besten vierziger Jahren, so glühender Tenoristenliebe gegenüber unempfindlich bleiben, nicht noch einmal heiraten. Freilich brauchte sie dazu Geld. In diesem Punkt denkt oft ein dritter Tenor nicht weniger bestimmt als ein erster Rittmeister.

Für den Grafen waren das herbe Wahrnehmungen: Er kam in übelster Laune nach Hause, und da Eva tröstend meinte, sie kämen ja wohl doch durch, da lachte er bitter auf.

Um des Verdrusses Herr zu werden, ging er in den Klub, wo er an dem Tage, da er ernstlich mit Sparen hätte beginnen müssen, einen größeren Spielverlust hatte als seit Jahren.

Gewiß, Eva war wohl nicht die Frau, um einen Mann wie den Grafen zu fesseln. Er selbst hatte sich aber darüber nie Illusionen gemacht, und es durchaus nicht für notwendig gefunden, sondern sie einfach von anfang an als einen Faktor angesehen, ohne welchen das wirtschaftliche Arrangement, dessen er für seine Stellung bedurfte, nicht zu stande kommen konnte.

War dem Grafen seine Frau bisher gleichgültig oder langweilig gewesen, hatte ihn ihre Art zu empfinden peinlich bedrückt, ja, hatte er sich geärgert über sich selbst – denn ob er sich auch in souveräner Ironie darüber wegzusetzen versuchte: es gab immer doch noch Augenblicke, wo er den schmählichen Handel dieser Ehe empfand wie einen Flecken auf dem Ehrenschild – so hatte er alles das doch immer wieder über den damit verbundenen Vorteilen vergessen; er hatte sogar Stunden gehabt, wo es ihm sein Temperament im allgemeinen, seine Stimmung im besonderen ziemlich leicht gemacht, einen liebenswürdigen Ehemann abzugeben; jetzt aber sah er das Hindernis seines Glückes in seiner Frau. Er war mit ihr betrogen worden.

Fortan gab es keine Sonnenblicke mehr in Evas Leben: sie hatte nicht gehalten, was sie versprach, und so war es ihre Schuld, daß das gemeinsame Unternehmen bankerott geworden war.

Der Rittmeister fuhr nach Baden-Baden zum Rennen; er hatte abermals Pech. Der »Flink« stürzte – vielleicht durch die nervöse Führung seines Herrn – und brach den rechten Schenkelknochen; der Rittmeister schoß ihn tot und kam mit einem Renner zurück, der noch viel teurer war. Er ritt mehr, kühner denn je; der Sport ging ihm jetzt über den Dienst. Außerdem war er täglich im Klub. Er veranlaßte das Spiel und trieb es in die Höhe. Er lud die Kameraden ein zu den kostspieligsten Weinen: er hatte immer gern generösen Brauch geübt; jetzt übertrieb er denselben in fast unangenehmer Weise. Er kaufte eine Menge von Luxus, wie es ihm einfiel, seltene Waffen, kostbare weidmännische Trophäen, auch Bilder. Kurz, sein Gemütszustand glich dem eines Menschen, dem das Haus über dem Kopf brennt, der gern noch alles retten möchte, dabei nervös und unruhig nach den verkehrtesten Dingen greift; er lebte wie jemand, der weiß, daß das Ende kommt, aber sich selber darüber täuschen möchte.

Darum ging der Graf auch immer häufiger zu Mrs. Bower, mit welcher er immer noch auf interessant gespanntem Fuße stand.

Die exotische Witwe verstand ihre Leute zu behandeln. Solch kleine Extravaganz, wie damals im Zirkus, war eine Ausnahme auf ihrem Programm, von dem sie im ganzen nicht zu weichen pflegte. Vielleicht, wenn ihr dergleichen passiert, betrachtete sie das als eine momentane Auffrischung auf dem öden Wege zum Ziel, benutzte sie gar als eine dazu gehörige vorteilhafte Etappe, so geschickt, daß der Mitspielende es gar nicht einmal bemerkte.

Kittys, ihres Töchterchens, Gouvernante, ein Fräulein, dessen Alter sich über jeden Vorwurf erhob, erschien stets im Salon, wenn Mrs. Bower ihre Freunde zum Thee empfing. Auch Baron Welten war ein oft und gern gesehener Gast in ihrem Hause geworden.

Miß Lewis, die Gouvernante, sprach und verstand angeblich kein Wort deutsch; doch ihr Gesicht allein schien schon die Verkörperung des guten Tones; ebenso wenig klebte sie ihrer Herrschaft, wie man sagte, an; wohl aber blieb stets irgendwo in der Ferne die Schleppe ihres grauen Seidenkleides schillernd auf dem Boden sichtbar: mehr bedurfte es nicht. Es war wirklich reizend, man konnte plaudern, sich gehen lassen, und die rigoroseste Oberzeremonienmeisterin hätte sich nicht über die Verletzung des geheiligten Gesetzbuchs des feinen Tones beklagen können.

Mrs. Bower selbst war nicht eigentlich unterhaltend; aber sie verstand zuzuhören, was oft noch mehr bedeutet; dies wieder stand ihr gut, was immer bei dem starken Geschlecht ins Gewicht fällt. Sie hatte eine Art, die schlanken, weichen Glieder auf dem Tigerfell der Chaiselongue zu dehnen, oder sich graziös üppig in dem Schaukelstuhl unter den Palmen oder den Camelien zu wiegen, welche unwillkürlich ihren Partner in Stimmung brachte.

Der Graf wurde regelmäßig munter bei der Unterhaltung, die ihn auf die denkbar angenehmste Weise von seiner eigenen Liebenswürdigkeit und seinem nie versagenden Geschick, das Leben zu handhaben, überzeugte. Er schwur, Mrs. Bower sei das verführerischste Weib, das ihm je zu Gesicht gekommen.

Er fühlte sich immer wohl, war immer liebenswürdig, launig und witzig, sobald er die Villa der exotischen Witwe betrat.

Es genierte ihn durchaus nicht, wenn über seinem Haupte die Papageien in den Zweigen der hier überall frei umherstehenden südländischen Bäume kletterten oder kreischten. Im Gegenteil, er fand es amüsant und es sah sehr hübsch aus, wenn der schimmernde Arm der schönen Frau nach den bunten Vögeln reichte, ihre eigentümlich spitzen doch weichen Finger über das farbenreiche Gefieder strichen und der krumme Schnabel Kokos nach den feinen, glatt polierten Nägeln hackte. Selbstverständlich suchte man solch reizende Hand zu schützen; man hielt sie fest – und küßte dafür ihre weichen Grübchen. Ebenso amüsierte es ihn, wenn die kleinen Seidenäffchen ihre Purzelbäume schlugen über den Tisch hinab bis auf seinen Schoß; ja er spielte zuweilen selbst mit diesen dunkelhaarigen Geschöpfen Joko und Dama.

Ein andermal erzählte er Kitty, wenn sie mit Dolly herein gesprungen kam, eine Schnurre. Kitty mit ihren langen, schlanken Gliedern, dem schwarzen Krauskopf und den schmalen, pechschwarzen Augen zugleich so wild und so scheu, so entschieden und bestimmt, und doch auch wieder so viel kindlich unbefangener als andere Kinder, die mit ihresgleichen zusammenkommen, war ein apartes Geschöpfchen; Dolly, der von dem kleinen Mädchen unzertrennliche Gefährte, ein Windspiel mit seidenweichem, silberglänzendem Haar, ein Rasseexemplar. Beide gefielen dem Grafen wie alles, was mit Mrs. Bower und ihrem Heim hier zusammenhing. Er freute sich an den großen Pfauen, die auf vergoldeten Ständern den Spiegel flankierten, indem die buntgeäugten Federn aus dem Riesenrad an ihrem metallnen Leib noch einen malerischen Rahmen mehr um das geschliffene Glas mit den eingelegten Blumen ergaben, die in die Höhe reichten, bis dicht unter den Plafond. Er meinte, die stolzen Vögel der Juno seien ein recht passendes environ für das Spiegelbild einer so prächtigen Frau.

Mit wahrhaft waidmännischer Lust konnte er die Felle inspizieren, welche in allen Farben, zottig, lockig, glatt und glänzend, wollig und stumpf, wie sie Panther, Tiger, Löwen, Bären, Ziegen, Opossum u. a. hatten lassen müssen, bald den Boden, bald einen weiten Sessel, einen Trubadurstuhl, einen Puff, oder auch nur ein seidenes Kissen an der Erde deckten; hier und da an den Wänden unter irgend einem blinkenden Gefäß, hinter einer blinkenden Figur, inmitten von Zweigen glänzender, fremdartiger Früchte, den Meisterstücken japanischer Technik hervorsehen, so daß man vermeinen dürfte in einem Märchen zu sein. Ein andermal wieder fesselten ihn die Erzeugnisse der japanischen Kunst. Deren Bilder, mit ihrer eigentümlichen Umrahmung, von farbig seidenen Behängen, hoben sich gar grotesk von den bemalten Wänden ab und bildeten einen ebensolchen Gegensatz zu den Werken unserer modernen Meister; mochten diese mit einem träumerischen deutschen Waldidyll, einer farbenglühenden südlichen Landschaft hier vertreten sein – oder das Neueste von dem Neuen bieten, ein Genrebild von Riesendimensionen: ein unbedeutender Vorgang; häßliche Menschen in armseliger Tracht, eine kleine elende Hütte, die Fenster aber wie die Mauer hoch und weit; flutendes Licht über weißen Wänden, weißem Tisch und weißem Boden, wenn möglich irgendwo noch ein weißes Handtuch in der Ecke. – Ab und zu dabei wanderte des Grafen Blick durch die zwischen zierlichen Säulen von Stuck und Gold in die Mauer gelassene Spiegelwand über den Kamin in den Wintergarten hinein. Es war dies ein Arrangement, welches Mrs. Bower eigens für sich hatte herrichten lassen und welches für das Raffinement ihres Geschmackes sprach. Das Glas war so köstlich klar, man merkte es gar nicht; die reiche Vegetation aber, die ganze Pracht und Fülle der südlichen Natur von Blüten und Grün so unmittelbar mit vergoldeten und geschnitzten Möbeln, Plüsch, Atlas, Gobelins und Guipüren, getriebenen Bronzen, gemaltem Glas, Terrakotten und Porzellan auf diese Weise fast zusammengerückt, machte geradezu einen bezaubernden Effekt. –

Immer häufiger kehrte der Graf hier ein, wo so gar nichts an die Fatalitäten des Lebens gemahnte. Wenn er dann den Luxus überschaute, dessen verwirrende Pracht, obwohl sie auf gutem Fuß mit der heutigen Mode stand, doch auch ein fremdländisches Gepräge trug, ein Reiz mehr für den verwöhnten Mann, dann kam stets eine wohlige Stimmung über ihn und er gelangte in und mit dieser zu eigentümlichen Gedanken und Vergleichen. Die Wahrheit war ja nicht abzuwehren, daß er bei dem »Arrangement«, das er mit den Schulzens getroffen, doch nur eine erbärmliche Bagatelle erwischt, im Grunde einen dummen Streich gemacht und sich um sein Leben betrogen hatte, weil eben nichts zu ändern, nichts wieder gut zu machen blieb.

Finster oft runzelten sich seine Brauen, eine Falte legte sich um seinen Mund, schweigend saß er da – die Worte des Barons, das schäkernde Lachen der exotischen Witwe aber trafen sein Ohr und riefen sein Denken zur Gegenwart zurück. Er blickte auf die schöne Frau, deren Erscheinung sich in nichts von einer Dame der guten Gesellschaft unterschied, als daß allenfalls ihre Toilette von pfauenblauem Plüsch mit goldenen Stickereien, daß der Schmuck von kostbaren Steinen in dem schwarzen Haar ein wenig zu reich war für das Diner en petit comité und überdies der Ausschnitt ihrer Robe ein wenig zu tief geraten schien, was letzteres der Graf jedoch jeder Frau verzieh, deren Wuchs dem von Mrs. Bower glich.

In seinen Augen begann es zu flammen: Zum Teufel, daß er sich sein Leben verdorben. –

Er hätte es hinwegblasen mögen wie ein nichts, womit er sich eigentlich – so meinte er jetzt – doch nur um alles gebracht – ja, wenn da nicht immer noch in seiner Brust ein Rest von dem gelebt hätte, was einst einen Helwig Kanstedt zu seinem Freunde gemacht; was ihm mit Recht den Ruf eines der vorzüglichsten Offiziere eintrug, ihn mit Leidenschaft an dem bunten Rock hangen, vor jeder unehrenhaften That als etwas Unmöglichem zurückbeben ließ.

Und so stellte er sich immer wieder bei Mrs. Bower ein, nur um wenigstens die Miseren des Lebens zu vergessen, da, wo es am leichtesten schien.


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