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XIII.

Die Truppen kehrten aus dem Manöver zurück. Die Sonne eines späten Septembertages nahm sich zusammen, um das Schauspiel zu beleuchten. Sie blinkte von den Spitzen der Helme und Bajonette, lachte aus den lustigen Augen, von den gebräunten Wangen der stramm Vorüberziehenden.

Die Musik spielte; die Jungen pfiffen und johlten; die Menschen drängten nebenher.

»Tag Fritz« – ein altes Frauchen mit faltigen Zügen nickt dem stattlichen Soldaten zu, der um die arbeitsharte Hand der Mutter zu drücken, einen Schritt aus der Reihe thut.

»Na Georg, wieder da« – ein Bursch in weißer Schürze und weißer Mütze, den Eiskübel auf dem Kopf, begrüßt seinen Landsmann und sonntäglichen Gefährten. Ein Lachen über dessen breites Gesicht ist die Antwort und verspricht, daß er sich einstellen wird zur gewohnten Stunde. Ungeniert drängt sich ein hübsches, dralles Mädchen an den schmucken 171er heran, schmunzelnd schaut der auf die frischen Wangen und den umfangreichen Marktkorb an dem kräftigen Arm; seine Mine ist ein braver Schatz; sie kauft gut ein und kocht noch besser! Vielleicht daß da, von dem Weidengeflecht verborgen, schon die Kalbskeule steckt, von der er heute Abend das beste Stück bekommt, so gewiß als zwei mal zwei vier ist.

Auch die allerliebsten Backfischchen dort auf dem Trottoir schielen herüber nach einem Vetter oder Bruder der besten Freundin, der gerade seinen Freiwilligen abdient, »Ella,« meint eben sogar eine zierliche Kleine, und ein prächtiger schwarzer Zopf tanzt lustig auf ihrem Rücken, »Kurt hat einen Schnurrbart im Manöver bekommen.« Worauf Ella sich noch einmal umwenden muß, nach dem Rechten zu sehen. Aber auch Kurt wendet sich um; und ihm scheint, was er eigentlich nicht für möglich gehalten, daß seine Flamme noch viel hübscher geworden ist in der Zeit! –

So geht es in buntem Wechsel weiter; eines allein bleibt sich gleich: haben sie auch keine Heldenthaten vollbracht, waren sie auch nur wenige Wochen weg, man ist überall vergnügt, daß die blauen Jungen wieder da sind; es ist doch ein ganz ander Leben in der Stadt mit dem Militär!

Das finden selbst die vornehmen Damen. Es ist wirklich gar nichts gewesen, so lang die Herren im Manöver waren.

Darum hat sich auch eingefunden, wer über eine bekannte Familie in der Prinzenstraße verfügt, durch welche heute zwei Regimenter Linie, die blauen Husaren und eine Abteilung Artillerie ihren Einzug halten.

Adele stand auf dem Balkon an dem Hause des Kommandeurs. Jetzt kamen die Husaren –

Rodenheim ritt neben seinem Zuge; Kanstedt, von der Spitze zurückkehrend, soeben auf ihn zu; es schien, als beabsichtige er dem Kameraden etwas mitzuteilen.

Ein Kleid von crême-farbigen Spitzen schmiegte sich an die schönen Formen der jungen Frau, die zurückgeschlagene hohe Krempe des runden maisfarbenen Strohhutes ließ das dunkle Gelock über der weißen Stirn frei, ein paar rote Blüten leuchteten hinter dem Ohr und ein roter Sonnenschirm übergoß die matt schimmernden Wangen, die obere Hälfte der Gestalt mit rosigem Hauch – Frau von Rodenheim sah wieder einmal entzückend aus! – Helwig hatte Adele lange nicht gesehen. Er konnte es nicht ändern, daß sein Puls einen schnelleren Schlag nahm. Doch schon, indem er den Degen zum Gruße senkte, blickte sein Auge an der jungen Frau vorüber. Es gab ihr einen Stich ins Herz.

Herr Gott, Dela! – Nun winkte Rodenheim mit seiner kurzen breiten, von einem durch den Ritt etwas mitgenommenen Wildleder bekleideten Hand herauf, und lachte über das ganze Gesicht; es war ja seine Frau, sein Herzblatt! –

Schneidend ging es durch ihre Seele, als Adele den Mann, der sie einst geliebt, mit dem andern verglich, dem sie sich zu eigen gegeben.

Wie stolz, wie stattlich seine Haltung, seine Gestalt in der einfachen dunkelen Uniform, deren Abzeichen zugleich eine Auszeichnung ist; wie gut der gebräunte Ton seines Gesichtes zu den großen hellen Augen, dem ernsten Schnitt seiner männlichen Züge steht! Rodenheim dagegen ... war dick geworden, daß die kleinen Augen noch schmäler schienen; was seine Gestalt an Fülle gewonnen, hatte sie an Haltung verloren; recht nachlässig hing er oben auf dem Pferde; – wie schlecht paßte das rote Gesicht zu der hellen Uniform!

Adele wurde auffallend bleich; sie zitterte leicht.

»Gnädige Frau sind doch nicht unwohl?« fragte die Tochter des Hauses.

»I wo,« meinte die jüngste Schletten. »Gnädige Frau sind ja in brillanter Stimmung!«

»Im Gegenteil,« lachte Adele. Es sollte die Antwort auf die erste Frage sein, klang aber mit der letzten Behauptung zusammen, und stimmte, da denn doch hin und wieder jetzt etwas aus dem Rodenheimschen Hause umzugehen anfing, zu derselben so » magnifique«, daß die jungen Damen in ein anscheinend vollständig harmloses Lachen ausbrachen.

Und Thilo war doch eine ehrliche Haut, glücklich sanguinisch veranlagte Natur. Die beiden Gatten hatten ziemlich schlecht miteinander gelebt in der letzten Zeit. In dem Moment hatte er alles vergessen über der Freude, sie wiederzuhaben, die ihm doch nun einmal von Gott und rechtswegen gehörte.

Er hatte seinen Zug begleitet, war dann im Sturm nach Haus geritten. Kaum daß Adele ihr Zimmer betreten, ist er im Hof schon angelangt. Im Nu springt er vom Pferde, eilt hinauf, ohne daß sie es hindern kann, ohne daß sie es merkt, schließt er sie an seine Brust, und küßt, küßt so herzhaft und warm, wie eben Thilo Rodenheim seine Frau lieb hat.

Die junge Frau erstarrt unter diesen Liebkosungen. Langsam, langsam hatte sie den Heimweg eingeschlagen. Das Wiedersehen des so unsagbar Geliebten hatte von neuem an der Glut geschürt, die sich nicht erlöschen ließ. Ihr Herz hatte sich gehoben in seligem Entzücken – dann meinte es wieder brechen zu müssen in Sehnsucht und Leid.–

Angst und Widerwille überkommen die junge Frau. »Abscheulich« – sie stößt den Gatten von sich ab. »Wie rüde! Konntest du dich nicht erst umkleiden, reinigen lassen!«

»Adele, ist das ein Willkommen, wenn man sich vier Wochen nicht gesehen hat?« bricht er empört und heftig aus. »Was liegt denn an dem bißchen Staub, wenn man – sich lieb hat!«

Adele aber reibt mit einer unverkennbaren Geberde von Ekel die Wange und fächelt einen nicht vorhandenen Staub von ihrer Taille.

Da geht eine Veränderung in Thilo Rodenheim vor. Was er dunkel geahnt, was ihn unbewußt peinlich gequält, treibt plötzlich der Klärung entgegen. »Adele, hast du mich« – er tritt ganz dicht zu ihr hin – »hast du mich überhaupt lieb gehabt?«

Aber auch bei der jungen Frau hat die Spannung den höchsten Grad erreicht.

Sie zuckt die Schultern; ein harter, spöttischer Zug tritt in das schöne Gesicht, sie blickt an sich herunter, zu ihm hinüber, dann in den großen Spiegel, der zwischen goldenen Säulen die gegenüberliegende Wand in ihrer ganzen Höhe bekleidet und eben beider Bild wiedergiebt. –

Dieser Blick vollendet die Klärung in Thilos Bewußtsein: freilich, diese duftig schöne Frau, die eben nur das Interesse zu haben scheint, die Spitzen ihres Kleides wieder in Ordnung zu bringen, diese Frau mit der kühlen, tadellosen Haltung, den reinen, marmornen Zügen, sie paßt schlecht zu ihm, wie er dasteht, erhitzt, staubig, sonnverbrannt – häßlich, ja, häßlich – jetzt wird er sich dessen bewußt.

»Gleichwohl, du hast es mehr denn hundertmal gesagt, geschworen am Altar!« – Zornig faßt er ihre Hand.

»Bitte« – Frau von Rodenheim hat ihre Ruhe wieder erlangt – »erhitze dich nicht noch mehr – es steht dir nicht. Du weißt, ich hasse dergleichen Scenen. Kleide dich um, es ist Zeit zu Tisch« – damit wendet sie ihm den Rücken.

Nun ist es ihm klar, warum Adele sein Weib geworden ist. Tief beugt er sein Haupt unter der Schmach, und immer tiefer, denn inmitten des furchtbaren Grimmes, der nun in ihm aufsteigt, bleibt er dennoch ehrlich genug, zu bekennen, daß seine persönlichen Vorzüge allerdings nicht der Art waren, ein Mädchen wie Adele zu fesseln. Noch röter wird die Stirn des unglücklichen Mannes; in großen Perlen tropft der Schweiß daran nieder.

In diesem Moment büßt Thilo jeden Vorzug, den ihm das Geschick mit seinem Reichtum verliehen, einen Vorzug, den er, gutmütig wie er ist, niemals einem andern gegenüber betonte, den er aber hingenommen hat, leicht wie er ihm geworden war, selbstverständlich, als könnte es gar nicht anders sein.


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