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III.

Die Zeit verging, für Gundula schleichend, mit bleiernen Flügeln, für ihren Gatten in wirbelndem Tanz.

Da es der Gräfin in das Herz schnitt, unter so gänzlich veränderten Verhältnissen auf Hohen-Esp zu weilen, so hatte sie eigentlich darauf verzichten wollen, in diesem Jahr zu kurzem Sommeraufenthalt nach dort zu reisen, da trat jählings ein Ereignis ein, das das bleiche Antlitz der müden jungen Frau in Sonnenhelle tauchte.

Anfänglich wagte sie es kaum, an ihr verspätetes Glück zu glauben, ihr Herz zitterte in bangen Zweifeln, ihre Seele jauchzte in Hoffnung, und auf ihren Wangen blühten wieder Rosen auf, ihre Lippen lächelten wie im Traum. Friedrich Carl beobachtete überrascht und erfreut die sichtliche Veränderung seiner sonst so resignierten Frau, und als er sich eines Tages sogleich nach dem Dinner mit scherzenden Worten und einer kleinen Galanterie über ihre leuchtenden Augen und blühenden Wangen zurückziehen wollte, da hielt sie sanft seine Hände fest, führte ihn nach ihrem dämmrig stillen Salon und warf sich voll bebender Erregung an seine Brust.

»Das alles siehst du und bemerkst du, Geliebter, und fragst doch nicht nach der Ursache, die mich neu aufleben läßt in übergroßer Seligkeit?«

Überrascht schaute er sie an, nahm an ihrer Seite auf dem Diwan Platz und murmelte betroffen: »Ich verstehe dich nicht, Gundula ... Hast du etwa das große Los gewonnen?«

Sie lachte unter Tränen. »Nur das große Los? Ach, was bedeutet alles Geld und Gut der Welt gegen unser Glück!«

Seine Hand zuckte unruhig auf ihrem schönen Haupt. »Sprich, Liebling ... Foltere mich nicht!«

Da schmiegte sie sich fest, ganz fest in seinen Arm und flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr.

»Gundula«, schrie er beinahe auf, »Gundula, ist das Wahrheit? Uns sollte ein Erbe geboren werden. Ich sollte noch ein Kind auf den Armen wiegen?«

Er sprang empor, er stürmte im Zimmer auf und nieder, und dann bedeckte er ihre Hände, ihr verklärtes Gesicht mit Küssen.

»Ja, das ist ein unerwartetes Glück, Gundula«, jubelte er, »nun ist ja dein heißester und sehnlichster Wunsch erfüllt!«

»Und der deine nicht auch?«

Wie ein Erbleichen ging es über sein erhitztes Gesicht, er sah sie nicht an, sondern preßte die Wange gegen ihre Hand.

»Wie kannst du da fragen, Liebste? Als ob es mir gleichgültig sei, ob die Hohen-Esps aussterben oder nicht! Neun Jahre lang hatte ich mich freilich an diesen Gedanken gewöhnt. Ich rechnete mit jeder Möglichkeit, nur nicht mehr mit der, einen Erben zu bekommen.«

»Und wenn es eine Bärin ist?«

»Um so kostbareren Schatz hat die Burg zu hüten«, lächelte er galant, und dann küßte er die Lippen seiner Frau und zog die Klingel, um dem Diener zu sagen, daß er heute abend zu Hause bliebe, es solle ein Bote nach dem Klub gesandt werden mit der Meldung, daß der Herr Graf heute verhindert sei, zu kommen.

Gundula aber faltete die bebenden Hände und schloß lächelnd die Augen. Kam es noch einmal zurück, das Glück, das große, märchenhafte Glück von ehemals?

Als sich der Gräfin lächelndes Antlitz zum Schlaf in die Kissen geneigt hatte, wanderte Friedrich Carl ruhe- und rastlos in seinem Zimmer auf und nieder. Er hatte einen Brief per Eilboten abgesandt, einen Brief, der den Administrator anwies, sofort dem Abholzen der Hohen-Esper Waldungen Einhalt zu tun. Er hatte sich in sehr mißlicher Lage befunden und nach kurzem Kampf den Befehl gegeben, die herrlichen Buchenwaldungen um die Burg herum schlagen zu lassen; hatte doch Gundula geäußert, daß sie keinen Aufenthalt wieder in Hohen-Esp nehmen wolle. Sie schämte sich vor all den Ahnherren im Saal, daß sie ihnen noch immer keinen Stammhalter zuführen könne. Das war nun anders geworden. Jetzt, nach neunjähriger Ehe! Wer hätte das gedacht? Nun war Gundulas Liebe für den alten Ahnensitz neu entflammt, und auf keinen Fall durfte sie die Verwüstungen in ihren geliebten Wäldern erblicken. Das war ein recht fataler Zwischenfall! Was sollte er nun beginnen? Seine Lage war von Jahr zu Jahr schlechter geworden, ach, Gundula ahnte es nicht, wie schlecht! Er mußte absolut eine bedeutende Summe flüssig machen, um eine Spielschuld zu bezahlen. Infam! Er hatte während der letzten Zeit so viel Pech gehabt, und wenn er einmal gewann, so rannen die Dukaten wie die Wassertropfen durch die Finger. Es ist seltsam, daß in Spielgewinnen so gar kein Segen steckt.

Walsleben, Mönchhagen und Gottern sind bereits derart belastet, daß er mit diesen Gütern kaum noch rechnen kann, und das Kapital ist lang verbraucht, ebenso das Erbe seiner Frau.

Friedrich Carl stöhnt leise, schlägt die Hände vors Antlitz und sinkt in einen Sessel nieder.

Wie sich Gundula auf das Kind freut! Ihr Antlitz ist wie verklärt, ihr ganzes Wesen atmet jauchzende Glückseligkeit. Kann auch er sich auf einen Erben freuen? Im ersten Rausch der Überraschung tat auch er es, gewiß. Welch eines Mannes Herz schwellt nicht Stolz und Genugtuung, wenn er Vater werden soll! Ja, er freute sich wie ein Trunkener, ohne jede Überlegung, die rührende Ergriffenheit seiner guten Frau steckte auch ihn an. Aber jetzt, in der stillen, einsamen Nacht, bei nüchterner Überlegung, da schleicht sich in dieses Glücksgefühl eine beklemmende Angst, die sorgende Frage, was aus dem Kind werden soll. Wie willst du es ernähren, von was einst standesgemäß unterhalten, was antworten, wenn einst der Sohn den Vater fragt: »Wo blieb das Erbe meiner Väter?« Welch ein bitterer, qualvoller Vorwurf! Graf Friedrich Carl will ihn nie hören, nie! Er will, er muß es wieder einbringen, was er vergeudet hat!

Aber wie?

Je nun, das Glück kann ihm nicht immer den Rücken kehren, einmal muß er doch wieder mit Erfolg spielen, und dann wird er jeden Gewinn anlegen und sein Vermögen ersetzen.

Und er spart und legt an ... Und dann schlägt das Glück einmal wieder um, und er muß alles wieder von der Bank abholen, um die Spielschulden abzutragen. Es ist ein qualvoller Kampf, ein Auf und Nieder, ein Wasserschöpfen mit dem Sieb.

Aber Graf Friedrich Carl kämpft voll zäher Beharrlichkeit, er denkt an seinen Sohn. Und er sorgt und müht sich immer leidenschaftlicher und nervöser, je mehr er es beobachtet, wie in Gundulas Wesen eine wunderbare und auffällige Veränderung vor sich geht. Wie in langem Staunen haftet sein Blick oft verstohlen auf der Gräfin.

Ist dies dieselbe resignierte, müde, sanfte und gleichgültige Frau von ehedem, die auf all seine Wünsche nur ein selbstloses »Wie du willst!« hatte, welche mit gesenktem Haupt einherschritt, interesselos und so matt und scheu wie eine weiße Taube, der ein Sturm die Schwingen brach? Ist dies dieselbe Gundula, die zu ihrem eigenen Schatten geworden war? Jetzt ist es, als ob ein Steinbild endlich zum Leben erwacht sei.

Tante Agathe kam zum ersten Male zu kurzem Besuch und weinte Tränen der Freude über das Glück ihres Lieblings. Als sie Gundula so gänzlich verändert schalten und walten sieht, nickt sie leise vor sich hin. Wie ein Echo ziehen die Worte ihres verstorbenen Bruders durch ihren Sinn: »Wenn aber erst die junge Brut in der Höhle liegt, dann wird aus dem sanften indolenten Weibchen eine gar trotzige, wehrhafte Bärin!« Ja, wahrlich! Auch Gundula wird eine solche Bärin sein!

Auf dringenden Wunsch der Gräfin siedelte die Haushaltung nach Hohen-Esp über und verblieb den ganzen Sommer da, denn wie Gräfin Gundula scherzend sagte, sollte der junge Bär in seiner angestammten Höhle geboren werden. Graf Friedrich Carl leistete seiner Gemahlin tagelang Gesellschaft, dann trieb es ihn wieder voll rastloser Ungeduld in die Residenz zurück; er kam und ging, er schweifte ruhelos zwischen dort und hier, und dabei ward er immer nervöser, immer blasser und elender und sah schließlich so ernstlich krank aus, daß es Gundula auffiel und sie besorgt nach der Ursache fragte. Er lachte und versuchte voll unsicherer Heiterkeit zu scherzen. »Ich werde noch die Ankunft des neuen Herrn und Gebieters abwarten und alsdann ein paar Wochen in ein Bad reisen; der Doktor meint, es sei eine verschleppte Erkältung, dafür ist Luftwechsel gut!«

Früher hatte die Gräfin nie an einem Wort ihres Mannes gezweifelt, jetzt plötzlich hatte ihr Auge etwas so seltsam Forschendes und Durchdringendes, daß Friedrich Carl ihrem Blick auswich.

*

Die Wochen vergingen. Auf der Burg Hohen-Esp wurde ein Sohn geboren. Ein Sohn! Wie ein zitternder Jubelschrei rang es sich von den Lippen der jungen Mutter. Nun lag der heißersehnte kleine Bär in ihrem Arm, und die alten Bilder von der Wand schauten mit wundersam lebendigem Blick auf sie nieder und lächelten ihr zu.

Welch ein Jubel und Glück im ganzen Haus! Nur der Vater des jungen Erben hält seinen Sohn mit zitternden Händen, und die Fieberglut auf seiner Stirn wechselt mit fahler Blässe. Sind es Tränen, oder ist es perlender Schweiß, was langsam über seine fahlen Wangen rinnt? Alles schläft in der Burg mit lächelnden Lippen und wohligem Behagen, nur Graf Friedrich Carl wandelt ruhelos, selber einem Gespenst gleich, durch die weiten, hallenden Räume. Er findet keinen Schlaf.

Vor ihm schweben zwei große blaue Kinderaugen, die schauen ihn ernst und vorwurfsvoll an, als ob sie ihn richten wollten, und ein kleiner Mund fragt wieder und immer wieder: »Wo blieb das Erbe meiner Väter, welches sie dir zu Lehen hinterließen, auf daß du es für deinen Sohn treu und rechtschaffen verwalten solltest?«

O furchtbare Antwort, die er einst seinem Kind geben muß! Wie Folterqualen peinigt sie schon jetzt sein Herz. Er erträgt diese Qual bitterster Selbstanklage nicht. Er muß wieder gewinnen, was er vergeudete, er muß den drohenden Ruin abwenden, er muß es, wenn er noch den Mut haben soll, Weib und Kind in die Augen zu schauen. Seine Hände wühlen aufgeregt in den Papieren auf dem Schreibtisch. Der Administrator hat ihm die Abrechnungen geschickt, es gibt gar nichts mehr abzurechnen, die Gläubiger drängen, und die Termine laufen ab. Was tun?

Die Herren, mit denen er den Winter über spielte, die ihm außerordentliche Summen abgenommen hatten und durch sein Vermögen reich geworden waren, haben sich zurückgezogen. Sie leben auf Reisen, sie haben sich auf ihre Besitzungen begeben. Es bleibt keine andere Möglichkeit, keine andere Hoffnung als Monte Carlo. Er will noch das Letzte zusammenraffen, was er besitzt, und will va banque sagen! Nur warten muß er, bis sein Weib genesen ist, bis sie ... jede Nachricht aus dem Höllenpfuhl jenes Spielernestes ertragen kann.

Er hat seinen Sohn zum Bettler gemacht, aber alles kann und darf er ihm nicht nehmen, die Mutter muß er ihm lassen! Also warten, warten. O welch martervolle Wochen werden das sein! Wenn es ein Fegfeuer gibt, so wird er es in diesen Wochen kennenlernen! Er saß mit hämmernden Pulsen und eiskalten Händen an Gundulas Lager, er sah in ihr Antlitz, das alle Himmelswonnen junger Mutterschaft widerspiegelte, er hörte mit krampfhaftem Lächeln all die seligen Zukunftspläne an, die sie für des Kindes und ihr eigenes Geschick schmiedete. Ja, sie wollten glücklich sein!

Aber leichtsinnig und gewissenlos hat er all das morgenschöne Glück zertrümmert.

Der Tag kommt, an dem der junge Bär von Hohen-Esp getauft werden soll.

Auf Friedrich Carls Wunsch und zum beispiellosen Entzücken der Gräfin hat man von jeder Festlichkeit Abstand genommen. Im allerkleinsten Kreis, nur von den Eltern, Tante Agathe und dem jungen Pastor aus dem nächsten Dorf, bei dem Hohen-Esp eingepfarrt ist, wird das Kind über die heilige Taufe gehalten.

Wie schön sieht Gundula aus!

Guntram Krafft hat man den Knaben getauft, und der Prediger hat über ihm die Hände gefaltet und gebetet, daß dieses Kind dereinst in Wahrheit ein Schirmherr und Schutzvogt für alle sein möge, die unter seine starke Hand gestellt sind.

Nie hatte Gundula geglaubt, daß ihr so sehr lebensfroher, oberflächlicher Gatte von einer heiligen Handlung derart ergriffen sein könne.

Auch der Prediger schaute voll warmherziger Teilnahme auf den Grafen, der kaum imstande war, seine Erregung zu meistern. Und wie bleich, wie leidend, wie nervös er aussah! Kaum, daß er den Knaben halten konnte, so bebten ihm die Hände.

»Du bist krank, Friedrich Carl«, flüsterte ihm Gundula besorgt zu, als sie sich an seine Brust lehnte, »jetzt sehe ich erst, wie schlecht du aussiehst! Fühlst du Schmerzen? Hustest du etwa?«

Er zwang sich zu einem Lachen und scherzte. »Die Geburt eines Sohnes ist ja für den Vater jedesmal sehr angreifend, doch geht es mir, den Umständen nach, immer noch sehr gut. Eine kleine Luftveränderung wird alles wieder gutmachen!«

»Oh, so reise bald! Du siehst, dem Kind und mir geht es so ausgezeichnet, daß du nun um unsertwillen nicht mehr zu zögern brauchst!«

»Ich dachte, übermorgen nach San Remo zu fahren.«

»Und wie lange bleibst du?«

»Das steht bei Gott! Halt mir den Daumen, mein braves Weib, daß ich bald frisch genug sein werde, um heimkehren zu können! Ach, Gundula, du glaubst nicht, wie gern ich wieder bei euch sein möchte!«

Er reiste, und Gundula stand droben auf dem Söller des Turmes und blickte dem entschwindenden Wagen nach.

Zum Abschiednehmen just das rechte Wetter, zog es voll wehmütiger Sehnsucht durch den Sinn der Gräfin, als sie hinaus in die herbstlich stille Gegend blickte, über der ein kühler Seewind brauste und die dunklen Schatten eilenden Gewölks strichen. Regentropfen fielen kalt und schwer hernieder, und Gundula erschauerte. Ein nie gekanntes Gefühl unbeschreiblicher Trauer überkam Gundula, es war ihr plötzlich zu Sinn, als könne es nie wieder licht und hell auf dieser Welt werden, als sei die Sonne für ewige Zeiten für sie untergegangen. Wie in jäher Angst streckte sie die Arme nach der Richtung aus, in welcher der Wagen verschwunden war.


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