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XXVII.

Voll jubelnder Hast stürmte es abermals die Düne vom Rettungsschuppen herab.

Neue Fackeln glühten auf, und der Sturm griff in die knisternden Flammen hinein und jagte die funkensprühenden Stückchen des Teerbrandes über den Sand davon.

Das Einlaufen des Bootes an Land erwies sich diesmal noch schwieriger als zuvor, da die Brandung von Minute zu Minute furchtbarer wurde und das nicht allzu schwere Fahrzeug jeden Augenblick beizudrehen drohte.

Jede Welle, die es überholte, warf das Heck empor und drückte den Bug nieder, und der erst so ungestüme Jubel der Harrenden verwandelte sich wieder in angstvolle Stille, als man den schweren Kampf beobachtete, den die kühnen Retter führten.

Das Sturmgewölk war beinahe völlig hinweggefegt, der Mond stand am bleifarbenen Himmel und beleuchtete hell den letzten Akt des aufregenden Schauspiels, das sich in stiller Nacht an dem einsamen, weltfernen Strand abspielte.

Die Brandung rollte unter dem Kiel des Bootes fort, die Kämme der See hüllten es in wahre Schaumwolken, und das ganze Fahrzeug mit den kühn verwegenen Gestalten der so überaus angestrengt arbeitenden Männer erschien wie ein Schattenbild, das sich in wildem Tanz nähert. Und es kam näher und näher, und endlich konnten ihm die zurückgebliebenen Fischer entgegenspringen, um es kraftvoll an Land zu schieben.

Erst im letzten Augenblick hatte sich Guntram Krafft von seinem Sitz erhoben. Sein leidenschaftlich erregtes Antlitz spiegelte noch die Anstrengungen wider, mit denen man in dieser schweren Stunde gerungen hatte, aber seine Lippen lachten, die großen Blauaugen blitzten so siegesfreudig und glückselig wie bei einem Menschen, für den die gute Tat schon allein ihren vollen Lohn in sich trägt.

Gabriele ist Schritt für Schritt herzugewankt. Mit glückzitterndem Herzen und brennendem Blick schaut sie ihm entgegen, und dann schlägt dieses Herz plötzlich so wild, daß sie vor seinem Ungestüm selber erschrickt und angstvoll zurückweicht, weiter und weiter, dahin, wo sie die roten Lichter der Fackeln nicht mehr erreichen, wo keines Menschen Blick erspähen kann, welche Gefühle sich in ihrem Auge verraten.

Voll toller, ausgelassener Freude springt Jöschen als erster über den Bootsrand, watet die letzten Schritte durch das weit ausrollende Wasser und umfängt sein junges Weib, um all das Glück dieses Wiedersehens in innigen Küssen auszudrücken.

»Nu hev' ik mir min leif lüttj Fru erst ganz un gor verdeint!« lacht er mit weithin tönender Stimme. Da gibt es einen hallenden Jubel ringsum.

Der Bär von Hohen-Esp eilt in die ausgebreiteten Arme seiner Mutter und küßt ihr strahlend stolzes Gesicht voll inniger Zärtlichkeit, dann wendet er sich um und führt den barhäuptigen, bis auf die Haut durchnäßten Kapitän des »Bror Thyrssen«, der mit Pitch-pine-Holz nach Pillau unterwegs ist, der Gräfin zu und empfielt ihn deren Gastfreundschaft und Sorge.

Kapitän Björson spricht Deutsch. Er dankt der Gräfin mit warmen, aus dem Herzen quellenden Worten für die edle, opfermutige Tat ihres Sohnes, der gerade zur rechten Zeit gekommen war, sie alle aus der üblen Lage zu befreien. Dann fragt er nach dem Schiffsjungen und seinem Ergehen, und Gundula kann gute Nachricht geben. Sie schreitet dem Kapitän nach dem Rettungsschuppen voran, bleibt aber noch einmal stehen und wendet sich zu dem Grafen. Sie hat gesehen, wie sein Blick umherirrt und unruhig unter den Anwesenden forscht. Sie weiß, wen er sucht.

Lächelnd deutet sie seitlich nach dem Strand, wo ein weißes Kleid aus dem Dunkel schimmert. »Willst du so gut sein, Guntram Krafft, und Gabriele nach dem Wagen führen? Der Kutscher hält am Tannenweg. Das arme Kind scheint von all der ungewohnten Aufregung todesmatt. Sag ihr, daß ich sie bitten lasse, mit dem Herrn Kapitän und dem Herrn Steuermann einstweilen nach der Burg zu fahren und den Wagen gleich zurückzuschicken, wir folgen augenblicklich mit dem Kranken, sowie er sich noch ein wenig mehr erholt hat. Die Mamsell weiß Bescheid und hat alles vorbereitet. Begleitest du uns, oder bringst du, gewohnterweise, erst das Boot und alles andere unter Dach und Fach?«

»Vorerst bin ich hier noch nicht abkömmlich, Mama«, antwortete er schnell. »Aber Fräulein von Sprendlingen werde ich deine Bestellung ausrichten.« Und schon stampft er in den schweren Wasserstiefeln davon. Da sieht er ihre schlanke, lichte Gestalt im Mondesglanz vor sich, und sein Herz, das soeben noch ruhig und furchtlos dem Tod getrotzt hat, bebt plötzlich. Langsam tritt er näher. Er denkt an den Blick, mit dem sie ihm vorhin in die Augen geschaut hat, an den Ausdruck ihres süßen Gesichts, das ihn während seiner Todesfahrt durch Sturm und brandende Flut wie eine glückselige Vision begleitete. Da steht er vor ihr, und sie hat die gefalteten Hände gegen die Brust gedrückt und sieht mit unaussprechlichem Blick zu ihm auf.

Was soll er bestellen? Er weiß es nicht. Alles Blut braust ihm schwindelnd zum Herzen. Er weiß selber nicht, was er tut, er reicht ihr nur im Übermaß seines Empfindens die Hand und sagt leise, wie in banger, sehnender Bitte um ein freundliches Wort: »Gabriele!«

Da geschieht etwas Unfaßliches, Unbegreifliches. Sie nimmt seine Hand mit jäher Bewegung zwischen die ihren, neigt ihr Antlitz und drückt sie an die weichen, zitternden Lippen. Wieder und wieder. Und an ihren Wimpern glänzt es teucht und perlt herab über seine Rechte.

»Gabriele!« schreit er entsetzt auf. »Um alles in der Welt, was tun Sie?«

Sie hebt das erst so demütig geneigte Köpfchen und reckt ihre schlanke Gestalt hoch und stolz empor und schaut ihn an mit den süßen Nixenaugen, aus denen jubelnde Begeisterung und Bewunderung leuchten. »Ich grüße einen Helden!« stößt sie mit halberstickter Stimme hervor, »und danke ihm für all jene Menschenleben dort, die diese kühne, gewaltige Hand gerettet hat.«

Er hat seine Rechte gewaltsam befreit und preßt sie gegen die Stirn, als könne er den Sinn ihrer Worte gar nicht fassen. »Einen Helden«, wiederholt er leise, »und das sagen Sie mir, Gabriele? Sie?«

»Wem anders als Ihnen, Graf! Sie haben mich gelehrt, was es bedeuten will, ein Schirmvogt der Not zu sein. Sie haben es mir bewiesen, daß auch hier in tiefster, weltferner Einsamkeit ein kühner, unerschrockener Mann leuchtende Taten zu Ruhm und Ehre seines Vaterlandes tut. Ach, wie viel ich Ihnen abzubitten habe!«

Sie hatte hastig, aufgeregt, voll fieberischer Leidenschaft gesprochen. Bei den letzten Worten sank ihre Stimme zu leisem Flüstern herab, und ehe sich Guntram Krafft aus seiner Betäubung aufraffen konnte, hatte sich die Sprecherin bereits dem sich eilig nähernden Anton zugewandt.

»Gnädiges Fräulein, der fremde Herr Kapitän sitzt bereits im Wagen«, meldete er atemlos. »Darf ich bitten, sogleich einzusteigen, die Frau Gräfin erwartet die Pferde umgehend zurück.«

»Ich komme«, sagte Gabriele hastig. Der Bär von Hohen-Esp aber schrak empor wie aus einem Traum.

»Krischan Klaaden läßt den Herrn Grafen bitten, bei dem Boot mit Hand anzulegen. Sie quälen sich ab und wollen es auf den Wagen kriegen, aber ohne den Herrn Grafen wird's nichts damit. Und Krischan Klaaden meint, geborgen müsse es auf alle Fälle werden, denn die Flut steigt immer noch, und man könne nicht wissen, wie hoch sie in der Nacht noch käme.«

»Gut, ich komme.«

Drunten am Strand winken die Männer ungeduldig harrend mit den Fackeln, und Guntram Krafft schwenkt ihnen mit jauchzendem »Hojohe!« den Südwester zu und eilt heran, ihnen zu helfen, als flute neues Leben und neue Riesenkraft durch seine Adern.

*

Als Gabriele Hohen-Esp erreicht hatte, bemühte sie sich, der Gräfin in jeder Weise hilfreich zur Seite zu stehen. Gundula aber tat nur einen schnellen Blick in ihr erregtes Antlitz, auf dem Glut und Blässe wechselten, auf die kleinen, eiskalten Hände, die es kaum vermochten, mit festem Griff zuzufassen. Sie schloß das junge Mädchen herzlich in die Arme und küßte den lockigen Scheitel.

»Gehen Sie zur Ruhe, mein Herzenskind, ich wünsche es. Sie sind von all der Aufregung nervös und ermattet und müssen schlafen, damit Sie morgen wieder bei frischen Kräften sind. Ich kenne diese Sturmnächte und lernte es in all den langen Jahren, ruhig Blut zu wahren. Was wollen Sie noch hier? Der Kranke ist gebettet und schläft bereits den köstlichen festen Schlaf der Jugend; den gebrochenen Arm habe ich ihm schon im Schuppen drunten in einen Notverband gelegt; auch darin habe ich Übung. Der Schlag gegen den Kopf scheint durchaus nicht bedenklich, denn der Junge sprach nach seiner kurzen Betäubung völlig klar mit seinen Kameraden. Der Arzt wird morgen kommen und, so Gott will, nicht viel Arbeit bei ihm finden. Der Kapitän und der Steuermann haben ihre nassen Kleider gewechselt und sitzen bei einem steifen Grog in der Halle. Sonst gibt es keine Arbeit mehr, und auch ich gehe sogleich zur Ruhe, sowie ich Guntram Krafft noch einmal die Hand gedrückt habe.«

Gabriele atmete sehr schnell und machte eine Bewegung mit dem Kopf, ihre Augen blickten so leuchtend und verklärt an der Gräfin vorüber, als sähen sie voll schwärmerischen Entzückens in nächtiger Ferne ein liebes, liebes Bild. Sie zog die Hand der Sprecherin stumm an die Lippen, wieder und wieder. Sie wollte sprechen und schwieg dennoch.

»Der Sturm scheint abzuflauen. Morgen wird es gewiß ein ganz besonders sonniger, wonniger Maientag werden«, fuhr Gundula weich und leise fort, und sie strich mit der Hand über das rosa Brautband, das noch immer, in der Hast und Eile vergessen, an Gabrieles Arm hing. Sie lächelte. »Heben Sie diese Schleife auf, sie bringt Glück. Und ehe Sie die Augen schließen, danken auch Sie Gott dem Herrn, daß er in dieser Nacht mit uns war.«

Gabriele war heiß errötet. Sie nickte erregt, ihre Lippen zitterten. Noch einmal neigte sie sich tief über die Hand der Gräfin, und dann trat sie hastig über die Schwelle, ihr einsam-stilles Zimmerchen zu erreichen. Sie preßte die Hände gegen die Schläfen und stand zögernd auf der Treppe still. War es recht, daß sie ging? Gab es doch vielleicht noch Pflichten für sie zu erfüllen? Sie konnte ihnen heute nicht gerecht werden, heute nicht! Welch ein Aufruhr tobt in ihrem Innern. Sie wandelt, handelt und spricht wie im Traum, ihre Gedanken sind weit entfernt von dem, was sie tut. Ihr ganzes Sinnen und Denken weilt bei ihm.


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