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Siebentes Kapitel.

Sören Hallwege hat das Empfinden, noch nie im Leben so glücklich gewesen zu sein, wie heute.

Wenn er die bezaubernde Erscheinung der jungen Sängerin ansieht und ihre Stimme auf sich wirken läßt, rauscht sein Blut durch Hirn und Adern wie bei einem Fieberkranken, und wenn sein Blick auf die Lilien in ihrer Hand fällt – auf seine Lilien, dann deucht es ihm, als sei er gestorben, als stehe sein Engel vor ihm und spräche lächelnd: »Nun ist all Deine Sehnsucht gestillt, – Du bist im Himmel!« – Ach daß diese Stunden nie ein Ende nehmen möchten. Und doch – die letzte Nummer des Programms ist verklungen und Grenadina verneigt sich abschiednehmend vor dem beifallstrunkenem Publikum.

Der Applaus nimmt kein Ende, – stets von neuem bricht der Jubel los und der Blick der Künstlerin trifft den Grafen von Giöreczy. Er hat sich weit vor gelehnt und hebt wie in stürmischer Bitte die klatschenden Hände.

Grenadina lächelt, wendet sich zu dem Flügel zurück und ruft dem Pianisten ein paar Worte zu.

Dieser greift nach den Noten, sucht ein Heft heraus und Signora Nirsky selber schlägt das Lied auf, welches sie zugeben will.

Wie zufällig tritt sie weit auf dem Podium vor, nach der Seite, in welcher die Herrschaften der deutschen Gesandtschaft und der Aviatiker Giöreczy sitzen.

Sie umschließt die Lilien und Orchideen mit beiden Händen, und beginnt wie mit einem Aufseufzen tiefster Sehnsucht das Lassen'sche Lied:

»O wär ich Du – mein Falke Du –
von luft'gen Fittichen getragen – –«

Hubert neigt sich lebhafter vor, sein Auge blitzt auf. – Deutsche Worte! –

Er lauscht atemlos – und ist es ein Zufall – sie blickt zu ihm hinüber …

»von luft'gen Fittichen getragen …«

Kein Zweifel, – die großen, verschleierten Augen haften auf ihm – –

»Ich flög am Tag der Sonne zu« –

Wie ihr Blick aufleuchtend in den Seinen ruht – –

»kehrt abends heim
von Streit und Jagen« –

Und nun so weich und flüsternd wie ein Hauch, wie in süßem, lächelndem Traum …

»Ich wohnt am steilsten Felsgestein -
inmitten dunkler Wälder Rauschen.
mit meinem Lieb so ganz allein –
und könnte keiner uns belauschen.« – Aus dem reaktionären Versepos »Amaranth« (1849) von Oscar von Redwitz (»Walthers Lieder«); dieses spielt auch in dem Roman »Im Spukschloß von Monbijou« (1921) von Nataly von Eschstruth eine wesentliche Rolle: nicht nur die weibliche Hauptfigur heißt ›Amarant‹, Redwitz' Werk ist zugleich das Lieblingsbuch der Mutter der männlichen Hauptfigur: sie schickt es ihm während des Ersten Weltkrieges an die Front (!). – Die betreffenden beiden Strophen sind unter dem Titel »O wär' ich du!« (1869) von Eduard Lassen (1830-1904) vertont worden.

Wieder der Klang heißer, zitternder Sehnsucht – das Piano ist so zart … es zieht wie ein verklingender Seufzer durch den grabesstillen Saal.

Sekundenlang noch tiefe Ruhe, dann ein Sturm des Beifalls.

Grenadina hebt die Lilien, winkt damit grüßend zu den Begeisterten herab – wendet sich noch einmal nach der Loge und lächelt. –

Dann legt sie den Arm auf den ihres Gesanglehrers und schwebt wie eine lichtumflossene Elfengestalt in das Künstlerzimmer zurück.

Sören Hallwege steht regungslos und starrt ihr nach.

Erst, als die Menschen ungeduldig an ihm vorüber drängen, erwacht er wie aus einem tiefen Schlaf, reißt sich mit einem Ruck zusammen und geht.

Vor ihm, festgekeilt in die sich vor der Garderobe stauende Menge, stehen zwei Herren.

»Ich habe sie schon in Monte Carlo und Nizza gehört« sagte der Eine. »Da sang sie auch schon großartig, aber heute Abend hat sie sich schier selber übertroffen!«

»Endlich das gewünschte Feuer! Die seelische Vertiefung im Vortrag,« nickte der Andere.

»Sie hat mich in Monte zu kühl gelassen, es fehlte noch das gewisse Etwas in ihrem Vortrag, welches dem Zuhörer ins Blut geht!« –

»Entweder hat sie noch viel hinzugelernt während dieser Zeit, oder sich verliebt.

»Das Letztere ist wohl wahrscheinlicher. Ihr ganzes Auftreten war lebhafter und die großen Kinderaugen hatten das Sehen gelernt!«

Leises Lachen.

»Wonniges Weib! Wohl nicht Jedermanns Geschmack, aber wer Maeterlinck'sche Gestalten Dabei denkt die Autorin vermutlich an die weiblichen Hauptfiguren der Dramen » La Princesse Maleine« (1889) und » Pelléas et Mélisande« (1892) des belgischen Schriftsteller und Dramatiker Maurice Maeterlinck (1862-1949), beides geheimnisvolle ätherische Märchenfiguren mit einem Hang zum Übersinnlichen. liebt, findet in ihr wohl das geheimnisvolle Rätsel, welches grüblerische Männer so gern zu lösen suchen.«

»Namentlich das letzte Lied, die Zugabe‚ sang sie mit einem Ausdruck, welche die nüchterne kleine Blondine von Nizza gar nicht wieder erkennen ließ.«

Sören drängt ungestüm vorwärts.

Seine Stirne furcht sich. Ihm deucht es wie eine Entweihung, sie kritisieren zu hören.

Luft! frische Luft!

Hochatmend bleibt er vor dem Portal stehen, seinen berühmten Jugendgespielen zu erwarten.

Giöreczy naht im Gespräch mit etlichen Damen und Herrn.

»Befehlen Herr Graf einen Wagen?«

Hubert klopft ihm freundlich im Vorbeischreiten auf die Schulter.

»Danke, nicht nötig!« und einen Schritt hinter den bekannten Herrschaften zurückbleibend flüstert er ihm lächelnd zu: »Das hast Du gut gemacht, mein treuer Sören, daß Du mich heut Abend flott machtest. Habe doch genug geklatscht? Da sieh … die Handschuhe sind geliefert!«

»Hat es dem Herrn Grafen gefallen?«

Der junge Deutsch-Ungar nickt beinah ungestüm. »Es war tatsächlich ein Genuß, – sowohl für Auge wie für Ohr.«

Sörens Blick leuchtet so dankbar zu ihm auf, als habe er nicht der Sängerin, sondern seinem angebeteten Ideal dies Zugeständnis gemacht!

»Wann darf ich morgen früh kommen, Herr Graf?«

»Doch nicht! Schlaf aus, mein Junge und träume von Deinem charmanten Gegenüber aus Hamburg!«

Er lacht und greift nach dem Hut, nickt Hallwege noch einmal heiter zu und eilt hinter den Damen und Herrn her, sie wieder zu erreichen.

Träumen! von Grenadina träumen!!

Sören Hallwege wähnt, er habe zeitlebens von einem süßen, gnadenreichen blonden Weib geträumt, dessen Lippen ihm wie Sphärenklang zuflüstern: »Die Liebe höret nimmer auf!« –


Giöreczy hatte sich mit den bekannten Herrschaften verabredet, noch gemeinschaftlich zu soupieren und das Gespräch drehte sich selbstverständlich im Anfang fast nur um das soeben genossene Konzert und die Sängerin, welche es gegeben.

Huberts Blick ruhte erwartungsvoll auf der Türe des eleganten Restaurants und als dieselbe sich ununterbrochen öffnete, um neuen Gästen Einlaß zu gewähren, aber doch nicht die erscheinen ließ, auf welche der Aviatiker anscheinend wartete, hob er den Kopf und sagte so gelassen wie möglich:

»In der Regel sind alle namhaften Künstler nach ihrem Konzert- oder Theaterdebüts hier, um sich auch als Menschen bei Kaviar und Sekt bewundern zu lassen, Fräulein Nirsky scheint eine Ausnahme von der Regel machen zu, wollen?«

»Signorina Grenadina abends in einem Restaurant, Graf?!« lachte seine Nachbarin hell auf. »Wo denken Sie hin!! Mademoiselle Nirsky ist die verkörperte Tugend, Bescheidenheit und Zurückhaltung! Dazu recht zart und kränklich. Extravaganzen gibt es für sie nicht. In Monte Carlo ist sie sogar sehr selten in dem großen Speisesaal des Hotels, in welchem sie mit der Mutter wohnte, erschienen.«

»Ist sie menschenscheu?!« lachte der Gatte der Sprecherin mit behaglich vorgeschobener Unterlippe eine Auster schlürfend. »Begreiflich wäre es ja, wenn sie selber den Belagerungszustand, in welchen die Anbeter sie versetzen, empfindet und sich als jungfräuliche Festung blockiert!« –

»O nein! – so streitbar ist eine weiße Lilie nicht! Sie vermeidet nur alles, was von der skandalsüchtigen Welt mißverstanden werden könnte, denn sie ist durchaus Dame. Ihre Freunde sieht sie sogar sehr gern bei sich, – empfängt, wie ich von dem Großindustriellen Kommerzienrat Steinbach hörte, auch morgen zum Fünfuhrtee alle die, welche ihr Einladungen schickten oder sonstige Beziehungen zu ihrer Familie haben.«

Der Enkelsohn von Klaus Raßmussen hob interessiert den Kopf. »Ah, das wäre ja interessant! Steinbach beabsichtigt, bei dieser Gelegenheit der jungen Dame selber seinen Respekt zu vermelden?«

»So viel ich weiß, ja. Wie durfte der Musikschwärmer fehlen, wenn ein neuer Stern in Berlin erstrahlt.«

»Die spanische Tänzerin Mercedes Goloma wird bald als Nebensonne aufgehn.«

»Ah richtig! Die schöne Dämonin beabsichtigt ja, ihr Schlachtfeld wieder an die Spree zu verlegen. – Da rette sich wer kann!!«

»Man wird wieder viel Sensation zu hören bekommen.«

Das Gespräch wendete sich der pikanten Akttänzerin zu und Hubert neigte das Haupt über seinen Teller, ohne besonderen Anteil an dem Thema zu nehmen.

Er war überhaupt etwas müde und mit den Gedanken anscheinend mehr bei seinem nächsten Überlandfernflug als wie hier in dem glänzend erleuchteten Saal.

»Sie sollten zur Ruhe gehn, Graf!« sagte seine Nachbarin mit sorgendem Blick. »Wie Sie selber sagen, sind Sie jetzt 14 Tage lang jeden Morgen um 3 Uhr aufgestanden, um günstigen Wind abzupassen, – nun kommt die Müdigkeit nach und die Natur fordert ihr Recht!« –

Hubert lachte und schüttelte den Kopf, aber er sah doch nach der Uhr.

Mitternacht!

Die Baronin an seiner Seite gähnte hinter dem Fächer und seufzte: »Ich merke es heute auch, daß ich in dieser Woche schon viermal bis zum Morgen grauen tanzte!!« –

»Nun gut! So werden wir alle neue Kräfte für das große Wohltätigkeitsfest in der englischen Botschaft sammeln!« –

»Ah richtig! – Übermorgen! – Sie erscheinen doch auch, Graf?«

»Selbstredend, gnädigste Frau! – Ich bin verurteilt von lauter luftigen und schwindelfreien Kollegen Photographien zu verkaufen.«

»Und Ihre eignen?«

»Die sind verschämt darunter gemischt.«

»Das nenne ich raffiniert von dem Komitee ersonnen!«

»Also vor Ihrem Hangar oder im Hotel Metropole! Auf Wiedersehn!«

»Bei dem Gedränge gibts Tote!!«

»Küsse die Hand, Erlaucht!«

Man sagte sich gute Nacht und fuhr nach Hause.

Hubert Giöreczy war nicht müde, im Gegenteil, eine nervöse Unruhe hatte sich seiner bemächtigt und wollte ihn nicht verlassen.

Es war eine schöne, mondhelle Nacht, das Leben und Treiben in den Straßen noch groß. Er schlenderte die Wilhelmstraße hinab, wandte sich und folgte einer sehr lustigen Gesellschaft, welche in die Seitenstraße einbog, die Prinz Albrechtstraße zu erreichen.

Da lag das große Hotel, Prinz Albrecht, die Fenster strahlend erleuchtet.

Hier wohnt Grenadina Nirsky.

Giöreczy hemmt den Schritt und sein Blick überfliegt sinnend die Fensterreihe. Dann tritt er schnell ein. Er möchte noch ein Glas Sekt in dem Speisesaal trinken.

Warum? – Er weiß es selber nicht, aber möglicherweise soupiert die junge Sängerin der Abwechslung halber nicht in ihrem Salon, sondern in den brillanten Verkehrsräumen ihres Hotels.

Er hat sich getäuscht.

Grenadina Nirsky scheint tatsächlich alles zu vermeiden, was mißdeutet werden kann.

Sie ist Dame.

Gedankenverloren starrt Hubert in den perlenden Sekt.

Durch seine Gedanken surrt und summt eine Melodie.

»O wär ich Du, mein Falke Du!«

Warum sah die Sängerin ihn dabei an?

Sie hat ihn angesehn, – darüber kann kein Zweifel herrschen.

»Ich flög am Tag der Sonne zu!« – bei diesen Worten wandte sie das Köpfchen beinah nach ihm hin und die großen, seelenvollen blauen Augen schlugen voll auf.

Blick ruhte in Blick.

Er sieht so scharf, – es entging ihm nicht, daß sie lebhaft errötete.

Ohne Frage, sie wußte, wer er war, und das Lied war eine Ovation für ihn.

Wie kommt sie darauf? –

Der Aviatiker fühlt, wie das Blut in den Adern seiner Schläfen klopft.

Er neigt den Kopf tiefer und blickt in den Champagnerkelch, in welchem die kleinen Perlen auf und niedersteigen.

Seltsam. Er ist doch an Beifall und Auszeichnungen gewöhnt, er hat schon in so manch schönem Auge heiße Bewunderung und süßes Flehen geschaut, – und er hat gelächelt, sich amüsiert und die Rosen gepflückt, welche sich ihm dornenlos geboten.

Aber Grenadina hielt weiße Lilien in der Hand und ihr Blick glühte nicht und warb nicht begehrlich um seine Gunst; nur wie ein Hauch zitternder Sehnsucht wehte es von ihren Lippen: »Mit meinem Lieb so ganz allein … und könnte keiner uns belauschen« – –

Ein reizendes Lied! – Wie viel liegt darin! Und wie noch viel mehr legte die Künstlerin in Wort und Klang hinein! –

»Ja, wär ich Du! mein Falke Du!! – –

Sonst hat ihm Blondhaar nie einen derartigen Eindruck gemacht, wie das, welches er heute Abend geschaut. –

In der Regel ist es gefärbt, und bei der Tochter einer Spanierin wird es ganz Berlin für gefärbt halten, nur er nicht. –

Durch Sören weiß er es ja ganz genau, daß Grenadina abends die Schultern in einen goldenen Mantel hüllte!

Auch ist es unmöglich, diesen wundervollen Glanz künstlich zu erzeugen.

Ebenfalls ist die Zartheit, das Elfenhafte ihrer ganzen Erscheinung keine raffinierte Mache, um originell zu wirken. – Sören hat sie lang genug in Hamburg beobachtet, um genau zu wissen, wie echt ihr Aussehen ist. Sie soll ja leider sehr kränklich sein und den Winter im Süden leben, das erzählte Sören auch bereits, darum ist es Wahrheit. Jammerschade um das herzige Geschöpfchen, man sieht es ihr an, daß sie in keiner festen Haut steckt. –

Je nun, sie ist reich und kann alles für sich tun, was ihr nötig ist, da wird die Anfälligkeit hoffentlich bald gehoben sein.

Das Singen kräftigt bekanntlich die Lunge, und wer weiß, was für einen Brustumfang das zarte Elfchen in ein paar Jahren hat! Morgen hat sie Empfangsabend, und Steinbach wird zugegen sein. Er kennt den so liebenswürdigen, sehr vermögenden Mann auch als Sport-Enthusiast, welcher aus Havanna kam, seine Ferien in der Heimat zu verleben.

Es würde sehr amüsant sein, wenn er durch diesen Herrn bei ihr eingeführt würde.

Warum?

Hubert blickt nachdenklich in sein Sektglas, trinkt es hastig aus und schenkt wieder ein.

Warum? – Ja, wenn er das selber wüßte!

Grenadina ist Dame, – sie scheint das Leben ernst aufzufassen und hält sich in stolzer Höhe über allem, was ihrem Ruf schaden kann. Ein interessanter, kleiner Flirt ist also ausgeschlossen; – ein modernes Kapitel aus dem Tagebuch des Lebens, über welchem das Motto schwebt: »erlaubt ist, was gefällt« – erst recht. – Und ein ernstliches Lieben und Werben?!

Graf Giöreczy furcht die Stirn.

Ausgeschlossen.

Er wird niemals heiraten.

Grenadina ist wohl auch kaum die Persönlichkeit, welche sein Herz in dauernde Fesseln schlagen kann.

Sie scheint ein unbeschriebenes Blatt, – etwas allzu kindlich nüchtern und ausdruckslos.

Er aber ist verwöhnt und sein Geschmack ist vielleicht nicht der allerbeste, denn die Weiber, welche bislang seinen Weg kreuzten und ihre Gefühle so unverholen zum Ausdruck brachten, gehörten nicht zu den Tugendheldinnen. Er hält überhaupt nicht viel von der Liebe.

Was man von ihr faselt, daß sie das Höchste und Heiligste sein solle, deucht ihm ein Märchen. Er hat schon als ganz junger Mensch über dieses Problem gegrübelt.

Damals schon als er in den großen Ferien vom Gymnasium in das Heidehaus kam und wie gewohnt auf dem Grashang unter den Heckenrosen saß. –

So träumte er in den Himmel empor und konnte sich nicht klar werden, über das ungestüme Drängen und Wünschen in seiner Brust.

Sehnsucht war es, – heiße, leidenschaftliche Sehnsucht, welche ihn hinaus trieb.

Sehnsucht nach was? – und wohin sollte er?

Das Glück suchen.

In jedem Menschenherz wohnt eine große, geheimnisvolle Sehnsucht, nach dem, was es am meisten befriedigen und es dem Himmel am nächsten bringen kann.

Das Erreichen der größten Ideale, der höchsten Ziele.

Liebe? Nein. –

Er kannte sie ja garnicht. Die Zärtlichkeit der Großmutter war keine Liebe. – Der Verkehr der beiden alten, wunderlichen Leute sprach in nichts von einer Liebe, wie er sie bei Ehegatten doch finden mußte. –

Kühl, gleichgültig, jedes auf seine Art selbstsüchtig.

Und später im Leben?

Wo er hin sah, unglückliche Ehen, geschiedene Paare, cynische Männer und genußsüchtige Weiber, deren Sinnlichkeit zu häßlich war, um sie Liebe zu nennen, – wenn es eben eine andere und bessere Liebe überhaupt gab.

Nein, die Liebe strich er aus dem Bereich alles dessen, dem seine unverstandene Sehnsucht galt.

Nun glaubte er es gefunden zu haben.

Das Glück bedeutet für den Mann: Erfolg! –

Das stolze, sieghafte Bewußtsein, Du hast erreicht, erzwungen, Dir untertan gemacht, was Du erringen wolltest, – das Höchste.

Es ist geschehen. –

Er ist ein König geworden und hat das Reich erobert, in welchem bisher nur der Adler als Gebieter die Krone trug.

Ist sein Sehnen gestillt? Seines Herzens Sehnen?

Giöreczy streicht mit unsicherer Hand die dunklen Haare aus der Stirn.

Nein. – Es blieb bei all dem Beifall der Menge, bei all dem Reiz tollkühnen Wagens und dem Spiel auf Tod und Leben, bei all den Siegen welche er gewann, bei allen Triumphen, welche er über unerforschtes Gebiet feierte, dennoch etwas ödes, kaltes, unbefriedigtes in seiner Brust. –

Er mußte noch mehr erreichen, noch höhere Ziele anstreben.

Die Sehnsucht treibt ihn, – ohne Rast, ohne Ruh – wie ein Mensch, welcher ständig neue Becher leert und dennoch an Leib und Seele verschmachtet! –

Torheit!

Er ist müde und nervös. – –

Das fällt auf die Nerven. –

Er will schlafen gehen und den heutigen Abend sowohl wie Grenadina Nirsky so bald wie möglich zu vergessen suchen! –

Er trinkt aus, bezahlt und geht.

Auf der Straße ist es still geworden, streckenweise fast einsam.

Der Mond hält sich hinter Wolken versteckt, Wind erhebt sich und streicht durch die knospenden Baumkronen.

Frühlingswind, – weich und kosend.

Klingt es nicht wie eine Melodie?

»Ich flög am Tag der Sonne zu. …«

Hubert's Haupt sinkt wie traumverloren zur Brust.

Ja, gleich dem Falken fliegt auch er der Sonne zu!

»Ich wohnt' am steilsten Felsgestein
inmitten dunkler Wälder Rauschen
mit meinem Lieb so ganz allein
und könnte keiner uns belausche – –«

Frühlingswind! – willst Du mich äffen?

Warum klingst Du ebenso süß und sehnsuchtsvoll wie Grenadina's Stimme?


Hubert Giöreczy blieb stehen und atmete in tiefen Zügen die weiche Luft. – »Und könnte keiner uns belauschen!« – –

Wen belauschen? – Grenadina und mich!?



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