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Hubert hatte ein Notenheft von dem Flügel genommen und blätterte darin ohne Worte oder Musik anzusehn.
»Ein Urteil von mir über diesen lyrischen Punkt einzufordern, ist sehr schmeichelhaft, meine Herrschaften, aber ich gestehe offen, daß ich urteilen würde, wie der Blinde von der Farbe! Ich habe nie die Ansichten verheirateter Kollegen zu Protokoll genommen!«
Der Konsul kniff die Augen zusammen und da er Grenadinas Antlitz scharf beobachtete, beharrte er bei seinem Wunsch.
»Keine Ausflüchte, Verehrtester, die Wonne- oder Stoßseufzer anderer Ehekrüppel sind uns nicht kompetent. Gerade Ihre total unparteiische Ansicht über »Sein oder nicht sein« – selbst »freien oder nicht freien« – wollen wir hören!
»Sehr recht, wir unterschreiben!« lachte es im Kreise.
Giöreczy warf das Buch auf das Instrument zurück und holte mit humorvollem Seufzer tief Atem. – »Ehrlich gestanden habe ich noch sehr wenig über solch ernste Dinge nachgedacht, nur einmal als die Behauptung aufgestellt ward ›jeder gute Aeropilot muß zuvor Führer eines Freiballons gewesen sein‹ – da machte ich den schlechten Witz.«
»Das bedeutet so viel wie ein Junggeselle, welcher seine Freiheit schranken- und fessellos genossen hat!« –
»Bravo! – Das läßt tief blicken!« –
»Hubert zuckte lächelnd die Achseln: »Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe äußere ich mich zur Sache!« –
»Nicht unterbrechen! bitte weiter, Graf!«
Der berühmte Flieger lehnte den Kopf etwas schief und blinzelte schalkhaft von der Seite zu Frau von Flaumberg hinüber, was dieselbe mit »geradezu koketten Eckaugen!« quittirte.
»Was ich in dem Ballon als Ballast erachtete, ahnen Sie vielleicht, – Gnädige Frau? –«
»Gewiß, all die schwerwiegenden Erinnerungen an jene Poesie, welche die Realistik der Ehe unnötig macht! – Autopartieen, Ballnächte – Mondscheinpromenaden –«
»Frau Finanzrätin! – Diskretion ist zwar ein veralteter Begriff, – ebenso Treue und Beständigkeit eine Überfracht!« –
»Totaler Ballast im modernen Luftschiff!!«
Lautes Gelächter, – nur der Konsul hob sehr energisch die Hand.
»Der Diplomat Giöreczy will die Gegner ermüden und die Klippen geschickt umschiffen! Nichts da! Wir müssen ihn festnageln, meine Damen!« –
»Gut! Ich stelle ihn! –« Die lustige Gattin eines reichen Bankiers, welche neben Hubert saß, hielt ihm übermütig den Fächer auf die Brust: »Monsieur! Soll ein Aviatiker heiraten oder nicht?!« –
»Nein!« – Der Konsul rief es plötzlich sehr laut und ernst. »Ich hatte einen Freund, welcher tödlich abstürzte. Seine junge, reizende Braut erschoß sich an seinem Grabe.«
Tiefe Stille. »Ganz recht, ich entsinne mich. Es geschah, nachdem auch sein bester Freund wenige Tage später in der Nähe des Unglücklichen beerdigt war!«
»Ich lernte auch einen anderen namhaften Pilot kennen, kurz zuvor, ehe ihn unglückliche Liebe in den Tod trieb!« –
»Entsinnen Sie sich des jungen italienischen Offiziers, welcher sich vor den Augen seiner Frau totstürzte? Sie ward infolgedessen geisteskrank!« –
»Schrecklich! Sie haben recht, bester Kommerzienrat, das heiraten der Aviatiker ist gewiß nicht zu befürworten!«
»Sie geben es zu, Graf?«
Einen Augenblick schaute Hubert zu Grenadina hinüber. Ihr Antlitz schien ihm noch blasser als wie zuvor, wie in großer, brennender Frage haftete ihr Blick sekundenlang in dem Seinen.
Langsam hob er das schöne Haupt, sehr ernst und nachdenklich antwortete er: »Ich habe eine Liebe, welche mit dem Trauring rechnet, bislang noch nicht kennen gelernt, aber ich nehme zu ihrer Ehre an, daß sie so groß, so stark, so selbstlos ist, daß äußere Umstände wie zum Beispiel der Beruf des Mannes, gar nicht bei ihr mitsprechen. – Liebt ein Weib so, wie wahre Liebe sein soll, so sagt sie: ›Ich will den Erwählten lieber kurze – selbst sehr kurze Zeit besitzen, als wie gar nicht!‹ – Nun, und wenn der Mann liebt, so ist er stets egoistisch genug, in erster Linie an sein Glück und den zu genießenden Augenblick, als wie an eine Zukunft zu denken, an deren Dunkel er nicht glaubt. So möchte ich also das lyrische Motiv von vorn herein aus dieser Frage ausscheiden, – es ist so individuell wie die Menschen, welche es aufstellen. – Von dem rein sachlichen Standpunkt aber betrachtet, kann ich es allerdings niemals richtig finden, wenn ein Pilot heiratet. –«
»Also doch!« –
»Ich fasse meinen Beruf vielleicht außergewöhnlich ideal auf!« fuhr Hubert sehr ruhig fort: »und rede durchaus nicht im Sinn meiner Kollegen, aber Sie versicherten mir, meine Herrschaften, daß Ihnen an meinem persönlichen Urteil gelegen sei. Nun gut! In erster Linie soll ein Aviatiker um der edlen und schönen Sache selber willen, fliegen, – nicht um eine der wichtigsten Errungenschaften der Neuzeit zum Geschäft zu erniedrigen. Die Flugpreise sind gewiß schön, aber meiner Ansicht nach sollen sie nur dasselbe sein wie ein Glas Sekt, welches man einem Pfadfinder in Feindesland nach keckem Patrouillenritt zur Stärkung reicht. – Es erfrischt und feuert in gewisser Beziehung an, auch ermöglicht es den weniger gutsituierten Lustkämpen, sich auf eigne Kosten mit treuem Flügelroß beritten zu machen! – Unsere Aviatik steckt noch in den Kinderschuhen, – es müssen starke Arme sein, welche sie halten und stützen, vor allen Dingen soll sich der Flieger für den hohen Zweck und die weltbedeutenden Ziele begeistern, welche der Flugsport anstrebt. Er soll sich seinem Beruf nicht nur halb, sondern ganz und gar, – mit Leib und Seele hingeben! Herz und Sinn gehören zusammen. – Schenkt er das Herz einem Weib, so zerreißt er eine Zusammengehörigkeit, ohne welche er nicht mehr vollwertig der guten Sache allein dient. Wir Aviatiker haben uns den Himmel als Ziel der Sehnsucht erkoren, – da ist es nur selbstverständlich, ja unerläßlich, daß uns nichts an diese Erde fesselt, am allerwenigsten die Sorge um Weib und Kind. Wie wollen wir die Sonne erreichen, wenn wir am Staub kleben? – Schon allein der Gedanke: ›Du darfst kein Unglück haben! Du mußt mit heiler Haut wieder herunter zu denen kommen, von Dir ernährt, erzogen, geliebt sein wollen‹ – schon dieser Gedanke allein macht unsicher und stiehlt uns die beste Kraft! – Wer den Himmel erringen und bezwingen will, muß die Erde überwunden haben, das heißt, er muß sich frei gemacht haben von allem auf ihr, was in Ketten legt, ob es nun solche von Gold, Eisen oder Rosen sind, ist gleichwertig! Sie wollten meine persönliche Ansicht hören, meine Herrschaften, ich äußerte sie! – Ob sie ein zweiter meiner Kameraden unterschreibt, weiß ich nicht, jedenfalls haben es schon genug bewiesen, daß sie total anderer Meinung waren! – Und da diese andern den Damen besser gefallen dürften wie ich, sage ich: An die Theetassen!! – sie sollen leben!!!« – –
Man erhob sich, stieß an, lachte und scherzte. »Halten Sie noch Ihre Meinung, welche Sie vorhin äußerten: ›Die Männer hätten keine Ideale‹ – aufrecht, Fräulein Nirsky?« – fragte der Konsul mit tiefem vorwurfsvollem Blick. Die junge Sängerin schaute zerstreut an ihm vorüber in das Leere.
»Nein, ich bin eines besseren belehrt!«
»Es war sehr interessant, Giöreczy reden zu hören, – wer sich derart für hohe Ziele begeistern kann, muß in der Tat ein sehr edler Mensch sein!« –
»Davon bin ich überzeugt.«
Steinbach blickte die Sprecherin mit seinen freundlichen braunen Augen nachdenklich an. Sie sah plötzlich müde und abgespannt aus, und dennoch öffnete sich die Salontüre und ließ neue Gäste ein.
Grenadina war wieder in Anspruch genommen und Hubert wartete vergeblich auf einen Augenblick, wo er sich ihr nähern konnte. Die Unterhaltung war und blieb allgemein, nur wenn sich zufällig einmal die Blicke begegneten, deuchte es dem Piloten, daß die junge Sängerin gleich ihm den Wunsch habe, das angeregte Thema noch weiter auszuspinnen.
Der Konsul hatte sich einen kleinen Hocker hinter Grenadinas Sessel geschoben und ließ es sich angelegen sein, la signorina zu unterhalten, – zeitweise auch über ihn, das sah Hubert an dem schnellen, wundersamen Aufblick, welcher ihn dann aus den verschleierten Blauaugen traf.
Die neu angekommenen Damen hatten sich des berühmten Mannes sofort versichert und verwickelten ihn in eine sehr lebhafte, amüsant kokette Unterhaltung, welche stets pointiert, alle Aufmerksamkeit beanspruchte.
»O Graf! Ich habe es mir schon solange gewünscht, einmal eine Flugmaschine in nächster Nähe anzusehn, aber leider kannten wir keinen der Herrn Aviatiker, um ihm eine solche Bitte vorzutragen! Wenn fliegen Sie wieder, Graf? – Ist es entsetzlich unbescheiden, wenn wir uns in Johannisthal einfinden und uns an Ihren Hangar heranpürschen?« –
Die letzten Worte waren gehört worden, allgemeine Aufmerksamkeit, man hob die Köpfe und lauschte auf die Antwort.
Giöreczy stellte sich und seine Zeit den Damen in liebenswürdigster Weise zur Verfügung.
Freudige Aufregung in dem ganzen Kreise. Alle Stimmen klangen in lebhaften Zurufen durcheinander.
»Dürfen wir auch kommen, Graf.«
»Ich auch? –
»Ich ebenfalls?« –
»Selbstverständlich, meine Herrschaften! Es wird mir eine besondere Freude und Ehre sein, Sie auf dem modernen Feld der Ehre, dem Flugplatz, willkommen zu heißen!«
»Tag und Stunde können wir nicht sogleich feststellen?«
»Gewiß! – Verabreden wir uns sofort!«
»Würde es den Herrschaften am Donnerstag passen?«
»Übermorgen!« –
»Vortrefflich! –
»Ich komme jederzeit!« –
»Ich auch! –«
»Haben Sie etwas anders vor, liebe Grenadina?
»Durchaus nicht! Wenn ich mich anschließen darf …«
Hubert sah die Sprecherin an: »Ich bitte darum, es würde mir eine Auszeichnung sein!« – Das klang nur höflich und formell und die junge Künstlerin, welche flüchtig aufschaute, hörte auch nichts anderes aus den Worten, als wie eine liebenswürdige Einladung.
»Sie werden fliegen, Graf? –«
»Wenn irgend möglich, gewiß! –«
»Großartig! – Ganz allein für uns! –«
»Ich hatte in diesem Fall nie vor erwünschterem Publikum einen Aufstieg gemacht!«
»Sehr schmeichelhaft! –«
»Notieren Sie es, Frau von Flammenberg, für Ihre nächste Rede, wenn Sie gegen die barbarischen Männer hetzen!! –«
»Ich bin jetzt für lange Zeit entwaffnet! –«
»Herr Graf! Dann müssen Ihnen die Vertreter des starken Geschlechts einen Fackelzug bringen, zum Dank dafür, daß die Ärmsten noch ein Weilchen leben dürfen, ohne zu Klops gehackt zu werden!«
»Pfui, bester Konsul, das ist Verleumdung! Gnädige Frau will die Männer nicht umbringen, sondern nur ihren unterdrückten Schwestern zu Hilfe kommen! –«
»Wehe! – welch ein Thema wollen Sie da anschneiden!! Rette sich, wer kann!«
Der Bankier sprang auf und bot seiner Gattin mit humorvollem Zeichen höchster Angst den Arm er –:
»Fräulein Nirsky – ich küsse die Hand, und wenn Sie Ihrem Herrn Vater schreiben, grüßen Sie mir den guten alten Jungen tausendmal! –
Die Gemahlin des Sprechers umarmte die Sängerin: »Sollen wir Sie am Donnerstag mit dem Auto abholen, Herzchen? –«
»Tausend Dank, es ist mir ein behagliches Gefühl nicht allzu gebunden zu sein, – ich stelle mich an Ort und Stelle unter Ihren Schutz!« –
Es gab allgemeinen Aufbruch.
Steinbach – – und Giöreczy warteten bis zuletzt.
»Wir hatten so wenig Gelegenheit, mit Ihnen zu plaudern, gnädiges Fräulein,« – sagte der Kommerzienrat leise, mit leichtem Seufzer. »Es waren zu viele Menschen da, – und doch hätte ich mir so gern recht viel von meiner Freundin Virginia erzählen lassen!« – Über Grenadinas Antlitz flog ein Schatten.
»Sie haben nichts versäumt, – es ist nicht viel Gutes zu berichten! Ein andermal sollen Sie das Nähere hören.«
Das klang sehr ruhig und bestimmt, die Herren waren entlassen.
Hubert neigte sich nicht über die Hand der Sängerin, sondern hob die schlanken Finger an seine Lippen empor und küßte sie.
»Auf Wiedersehen« – lächelte er. »Wenn Sie gleich mir Sehnsucht nach der Sonne haben, so fliegen Sie am Donnerstag als meine Passagierin mit mir zu ihr empor!« –
Einen Moment starrten ihn die großen Augen überrascht an, dann leuchtete es wie eine Verklärung über ihr bleiches Gesichtchen.
»Wenn Sie garantieren, daß wir den Himmel erreichen, möchte ich wohl gern diesen schönen und schnellen Weg wählen!« –
Steinbachs Brauen zogen sich unwillig zusammen.
»Haben Sie immer noch die Angewohnheit, den harmlosesten Dingen einen mehr wie ernsten Sinn unterzuschieben?« – fragte er tadelnd.
Grenadina lächelte und machte eine schnelle, verneinende Bewegung mit dem Köpfchen.
»Wenn der Wunsch der Vater des Gedankens ist, drängt er uns oft Worte auf die Lippen, welche von harmlosen Zuhörern falsch gedeutet werden. – Graf Giöreczy nimmt seine Passagiere ja nur auf Retourbillet mit!« –
Steinbach lacht und hebt drohend den Finger, Hubert aber küßt die kleine Hand zum zweitenmal und sagt: »Der Himmel ist ja so reich an Engeln, welche Lilien tragen, die Erde aber so arm daran – ich bringe Sie sicher zurück!«
Des Kommerzienrates Gesicht wird plötzlich sehr starr. Beinah erschreckt blickt er vom Einen zum Andern.
»Sprechen die Herrschaften etwa im Ernst? Ich bitte Sie, Graf! Fräulein Nirsky ist sehr zart, bei jetziger, noch immer etwas kühler Witterung würde sie sich bei dem scharfen Luftzug im Aeroplan rettungslos erkälten, und bedenken Sie, was das für eine Sängerin für Folgen haben kann!«
Hubert hält bereits die Türklinke in der Hand. »Unbesorgt, Verehrtester – auch im Scherz liegt oft ein tiefer Sinn! Bisher lehnten die Damen meine Einladung meist voll Entsetzen ab, da es wenige gibt, welche Sehnsucht nach droben haben! Fräulein Grenadina aber bewies es mir soeben, daß die Blumen welche sie gestern Abend in der Hand trug, nicht gedankenlos gewählt waren!«
Er verneigte sich kurz und ritterlich und war hinter den Portieren verschwunden. –
Einen Augenblick stand Grenadina und schaute ihm schweratmend und ein wenig betroffen nach.
Zweimal erwähnte er die Lilien in ihrer Hand.
Fraglos, sie waren von ihm.
Erwartete er ihren Dank? –
Wie taktlos wäre das von ihr gewesen; – für anonyme Sendungen dankt man nicht.
Langsam schritt sie über den weichen Teppich nach dem Tischchen, welches neben dem Ruhebett stand.
In hoher Vase dufteten die Lilien und Orchideen auf demselben, – so frisch und schön, als wären sie eben gepflückt.
Eine Seltenheit.
Ein lieblicher Aberglaube behauptet, je länger sich Blumen frisch erhalten, desto treuer meinte es der Geber! –
Soll sie daran glauben? –
Lilien!
Er nannte sie selber die Blumen der Engel und deutete damit am besten an, daß es nur die reinsten, weihevollsten Gedanken waren, welche er daran geknüpft. –
Ein Aviatiker muß frei sein, um sich seinem Berufe mit Leib und Seele widmen zu können! Nichts darf ihn, der zur Sonne strebt, an diese Erde fesseln, am wenigsten die Sorge um Weib und Kind!
Das war seine Überzeugung, nach welcher er handeln wird, – und die Worte waren für sie gesprochen!
Grenadina ist auf den Divan niedergesunken, sie neigt das farblose Antlitz gegen die weißen Blätter der Lilie – wie kühl … wie kühl …
Ein Schauer weht durch sie hin und das Herz tut ihr plötzlich weh. –
Warum?
Muß sie sich nicht freuen, daß ein Mann wenigstens auf dieser Erde ihren Weg kreuzt, welcher viel zu stolz, edel und aufrichtig ist, um zu lügen: ich liebe dich? –
Der Brief ihrer Mutter hat die Männer geschmäht, an den Grafen von Giöreczy aber wagt sich eine derartige Verdächtigung nicht heran. Er lügt nicht, – – er liebt wohl auch nicht.
Er strebt zur Sonne.
Auch sie, Grenadina, trägt ein heißes, wehes Sehnen in der Brust. –
Hinauf! – hinauf! –
Der Himmel, den sie bisher erstrebte, war derjenige der Kunst gewesen, an welchem sie als heller Stern einsam und hoch über allem irdischen Leid und irdischer Lust schweben wollte. –
Hat diese Sehnsucht sie getrogen?
Gibt es doch vielleicht noch etwas anderes als wie die Kunst, welches dem wahren Himmel näher bringt? –
Was ist es? –
Wie ein süßes, geheimnisvolles Evangelium duften die weißen Lilien zu ihr nieder.
Sören Hallwege steht vor dem Blumenladen.
Er starrt die roten Rosen an, welche hinter den Scheiben duften, und schüttelt wehmütig den Kopf.
Nur die Liebe darf der Geliebten solche Blüten schicken, – eine Liebe, welche mit der einen Hand gibt, und mit der andern fordert. –
Er hat kein Recht dazu.
Wer nicht selber als Stern am Himmel steht, streckt vergeblich die Hände nach dem hohen, Unerreichbaren aus. –
Und doch möchte er so gern – ach für sein Leben gern der herrlichsten von Allen wieder einen duftenden Gruß in die Hände legen, in die gütigen, erbarmungsvollen Hände, welche seinen Strauß am vorgestrigen Abend getragen.
Ob sie die Lilien ebenso liebt, wie er? – Dort in der chinesischen Vase stehen noch ein paar dieser hohen, priesterlichen Blumen. Was wollen die hier?
Sie gehören zu dem engelgleichsten Wesen, welches er je geschaut.
Die Lilien sind ja nicht teuer, – und Sören Hallwege hat so lange Jahre gespart. – Schnell entschlossen tritt er ein, – bestimmt kurz und eilig, um seine Verlegenheit zu verbergen, die Lilien an Fräulein Nirsky, Hotel Prinz Albrecht, zu senden.
»Diesmal mit Karte?«
»Nein, nicht nötig – die Dame weiß Bescheid.«
Er bezahlt, grüßt und schreitet zur Türe.
– – – Seine Lippen zittern, als wolle er jauchzend einen Namen rufen. –
Grenadina! –
Fräulein Nirsky will soeben den Hut aufsetzen, um sich zu der Fahrt nach dem Friedhof zu rüsten, wo Lilienthal, der heldenhafte Pionier der Aviatik, welcher ihre schwärmerische Bewunderung in so hohem Maße erregte, zur letzten Ruhe gebettet ist.
Sie will ihm den Lorbeer und die duftenden Tuberosen bringen, mit welchen man ihrer Kunst gehuldigt.
An der Türe klopft es, – der Kellner steht auf der Schwelle und überreicht Frau Hammer einen Strauß, verbeugt sich sehr höflich und verschwindet. Grenadina ist näher getreten, sie zuckt zusammen, als die Seidenpapierhüllen unter den geschäftigen Händen der Kammerfrau fallen.
»Ach … wieder Lilien! Das ist ja reizend! Wie sie duften! Sehen Sie doch, gnädiges Fräulein! Und abermals ohne Karte!«
Lilien. Grenadina preßt unwillkürlich die Hand gegen das Herz, – sie empfindet die Erregung desselben wie einen physischen Schmerz.
Von Giöreczy.
Die Blumen der Engel. –
Deutlicher kann er es ihr allerdings nicht sagen, daß er lediglich den Himmel und nicht die Erde voll glühender, blühender Rosen und Myrten im Sinne hat. –
Lilien.
Mechanisch streckte sie die Hand danach aus.
Ihre langen Wimpern zittern, als wollten sie gewaltsam den Tränen wehren.
»Ja, sie sind schön, diese Blumen, ernst und feierlich!« sagte sie; »und wohl der schönste Schmuck für ein Grab. Ich werde sie dem armen Lilienthal mitnehmen.«
Frau Hammer schüttelte sehr heftig den Kopf.
»War das neulich Ihr Ernst, gnädiges Fräulein, daß Sie dem Toten Ihre Blumen bringen wollen?«
»Gewiß! Ich rüste mich soeben für die Fahrt zum Friedhof.«
»Niemals! Ich beschwöre Sie!« Die Kammerfrau breitete die Arme aus, als wolle sie die Tür versperren. »Bei mir zu Hause gibt es einen Aberglauben! Danach darf ein junges Mädchen niemals Blumen, die ihr geschenkt wurden, einem Toten opfern!«
»Und warum nicht?«
»Sie legt damit ihr Glück zu Grab! Ich dachte, dies sei nur daheim in unserem Städtchen ein Gerede, aber gestern Abend, als ich mit der Zofe der schwedischen Exzellenz sprach, kannte die es auch, und sagte, in ihrer nordischen Heimat schwöre man darauf, daß es Unglück bringe!«
Grenadina lächelte weh und resigniert.
»Sie sprechen selber von einem Aberglauben, Frau Hammer, und wollen solchen Torheiten Gewicht beimessen? Ich möchte das Gegenteil glauben. Blumen, welche wir unsern verklärten Freunden schicken, blühen im Paradies, unsrer harrend, weiter. Geben Sie mir bitte den Mantel, das Auto wird gleich gemeldet werden!«
»Gnädiges Fräulein! lassen Sie doch den Unsinn!« grollt die Getreue ärgerlich. »Sie haben ja den Herrn gar nicht gekannt! Kein Mensch denkt doch nach so langer Zeit daran, einem Wildfremden das Grab zu schmücken!«
Grenadina nickt voll Wehmut. »Das ist es eben, die Welt vergißt so schnell, – selbst ihre Besten! Sie fanden doch neulich das Lied, welches ich sang, so schön:
›Wenn Alle untreu werden,
so bleibe ich doch treu, –
Damit die Treu auf Erden
nicht ausgestorben sei!‹ –
Nun wohl! so lassen Sie uns die Worte heute wahr machen!«
Frau Hammer trat seufzend zur Seite, sie wußte, daß in diesem Falle kein Reden und Warnen helfen werde. –
Grenadina Nirsky aber fuhr durch die sonnige, duftende Frühlingsluft ihrem Ziele entgegen, um das Grab des ersten deutschen Konstrukteurs und Fliegers Lilienthal mit linder Hand zu schmücken. –