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Zehntes Kapitel.

Die Türen des Schuppens standen in Johannisthal weit offen und der graziöse, elegante Aeroplan des Grafen von Giöreczy war auf den Flugplatz herausgeschoben, um für einen kurzen Aufstieg gerüstet zu werden.

Sören Hallwege schritt schweigend um den Apparat herum; – er sprach nicht, seine volle Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf dies seltsame Etwas, dieses Gemisch von Holz, Leinen und Stahl, welches gleich einem gebrechlichen Körper den Motor trägt, das ruhelos arbeitende Herz des Wundervogels, welches ihm erst das Leben gibt!

Voll peinlicher Sorgfalt prüfte Sören alles und jedes an dem Flugwerkzeug, welchem sein Chef sich in kurzer Zeit mit Leib und Leben anvertrauen will.

Schweigend betastete er die Tragflächen, die Spanndrähte mit den Schrauben, die Steuerhebel, Höhensteuer und die Verbindungen, sein Blick schärfte sich, – nichts entgeht ihm.

Da Regenschauer nicht ausgeschlossen sind, ließ er den Tragdecken einen Anstrich von wasserdichter Masse geben, welche nicht schwer wiegt, und dennoch gut schützt. –

Ein etwas böiger Wind weht daher, – aber Sören weiß, daß der sich gelegt haben wird, bis der Graf mit seinen Gästen erscheint.

Seine Gäste! –

Die verwachsene Gestalt des Monteurs reckte sich unwillkürlich empor, aber er preßte seine Lippen zusammen und furchte die Brauen, wie ein Mensch, welcher über seine eigenen Gedanken ärgerlich wird.

Es ist jetzt nicht an der Zeit zu sinnen, zu träumen und sich zu freuen, er hat seine Pflicht zu tun.

Es gibt noch eine lange Reihe technischer Einzelheiten zu prüfen.

Tut er es nicht, – wer sonst?

Der Graf wirft kaum einen Blick auf den Apparat. Er fragt: »Sören, ist alles in Ordnung?« und dann springt er sorglos auf und vertraut der Gewissenhaftigkeit des Jugendgespielen. Dies ist eine üble Angewohnheit, ein Leichtsinn, welchen er von seinem Lehrmeister angenommen.

Wie dieser, kennt auch der Graf keine Sorge um die Maschine, – nur die Vorrichtung an derselben, die Zigaretten während der Fahrt mit neuen austauschen und anstecken zu können, prüft er lachend auf ihr gutes Funktionieren. –

Hallwege weiß, wie doppelt wachsam er darum sein muß. –

Alles ist in Ordnung.

Die Monteure haben die Maschine noch einmal auf Stand probiert, sie ziehen sich in den Schuppen zurück, setzen sich auf eine Werkzeugkiste und frühstücken.

Sören wandert unverdrossen, wie ein treuer Wächter um den Aeroplan.

Die Sonne steigt höher und höher. Die grauen Wolkenstreifen zerrinnen und der Wind legt sich mehr und mehr.

Es scheint ein schöner Tag zu werden, wenn nicht vom Westen der Regen herauf getrieben wird.

Wie still, wie feierlich und schön. – Fern her nur das Pfeifen eines Zuges, – das Knattern eines Autos auf der Chaussee. Vereinzelt kommen Menschen.

Sie stellen sich auf um geduldig zu warten, ob und wer von den Fliegern starten wird.

Ein berittener Schutzmann galoppiert, vom neuen Start herkommend, über das Feld. Sein Säbel blitzt im Sonnenlicht.

Sören verschränkte die Hände auf dem Rücken, setzte sich für ein Weilchen auf eine Schiebekarre, welche die Arbeiter unweit der Maschine stehen ließen und blickte nach den Tribünen hinüber.

Er behält dieselbe im Auge. – Alles ist in Ordnung. Er tat seine Pflicht.

Darf er nun wohl seine Gedanken frei geben?

Auch ihnen waren Flügel gewachsen, die tragen den einsamen verkrüppelten Bauernsohn weit, weit hinaus in goldene Fernen.

Grenadina! –

Der Graf hat ihm erzählt, daß er sie kennen lernte, daß sie heute morgen kommen wird, dem Start beizuwohnen.

Grenadina! –

Giöreczy sagte: »Bereite Dich vor, Sören, daß du den Herrschaften den Apparat zeigen und erklären kannst.«

Er sollte neben Grenadina stehen, – mit ihr sprechen, – ihre Stimme hören, – ihr in das Augen schauen. –

Still, still, törichtes Herz! Es ist heut keine Zeit zum Klopfen und Jauchzen, – Sören Hallwege mußte seine Pflicht tun und in erster Linie auf alles und jedes merken, was möglicherweise mit der Maschine vorgeht.

Er wird kaum Zeit finden, sein Glück zu begreifen, geschweige es zu genießen. Das kommt alles nur in der Erinnerung. Aber er hat sich sorgfältig gekleidet, ist tadellos rasiert und die Maschine blinkt, – so rein ist sie.

So sitzt er und lächelt, und träumt vor sich hin und wartet.

Wenn die Gedanken gar zu laut auf ihn eindringen, daß sein Herz in der Brust hämmert, als wolle es zerspringen, drückt er den Kopf in die Hände und hat dieselbe Empfindung, wie ehemals als Kind, wenn er einem überraschenden Schmerz oder Glück hilflos gegenüber stand; er möchte weinen.

Und doch wieder jubeln und die Arme zum Himmel breiten und flüstern: nun steigt sie zu mir nieder und trägt meine Lilien in der Hand! –

Er wartet. Aus den Parkanlagen die nach Berlin führen, streicht würzige Luft herüber. Die Sonne strebt weiter empor, das Leben beginnt auf dem Flugplatz kräftig zu pulsieren.

Junge Flieger steigen auf, zu üben, – in den Werkstätten und den nahen Restaurationen wird es laut. Von fern her knallen Sprengschüsse herüber. Autos sausen heran.

Eins – zwei – drei. Zu gleicher Zeit braust der flinke kleine Renner des Grafen, von ihm selber gesteuert, dem Schuppen entgegen. Sören springt auf, seinen Gebieter zu begrüßen.

Nun dreht die Zeit ihr Rad mit Windeseile. Hallwege ist's, wie ein Traum, er weiß sich später kaum noch zu erinnern, wie alles sich fügte.

Er sieht, daß Giöreczy mit etlichen Damen und Herren nach dem Apparat schreitet. Er hört die Stimme Huberts: »Bitte Fräulein Nirsky, lassen Sie sich von meinem vortrefflichen Monteur Bescheid sagen, er versteht das besser wie ich, dem alle Technik seit jeher ein Greuel war. Hallwege! – Wollen Sie dem gnädigen Fräulein zur Seite bleiben!«

Sören wird es momentan schwarz vor den Augen, es surrt und saust ihm in den Ohren, eine weiche, süße Stimme klingt – wie von ganz weit her und sagt zu ihm: »Sprechen Sie Deutsch, mein Herr? Die ungarischen Fachausdrücke würde ich wohl kaum verstehn!«

Da reißt Sören die Augen auf, verbeugt sich etwas linkisch, obwohl er sich mit aller Energie so hoch wie möglich reißt, und antwortet mit einer Stimme, welche vor Aufregung heiser klingt: »Sehr wohl, gnädiges Fräulein, ich bin Deutscher, ein Haidjer, – ich habe lange Jahre in Hamburg gearbeitet!«

»Oh, in Hamburg! meiner Heimat! Vater ist von dort gebürtig, darum kehrte er von Habanna nach Deutschland zurück!«

»Ich weiß es, gnädiges Fräulein!«

»Sie wissen es?!« Wie erstaunt sie fragt. Hubert steht an ihrer Seite und lächelt: »Sie ahnen nicht, Fräulein Nirsky, was für ein alter Bekannter vor Ihnen steht! Sören wohnte in der Sophie-Charlottenstraße dem Hause Ihres Herrn Vaters gegenüber und hat Sie längst als Sängerin bewundert, ehe die Welt Ihnen Lorbeer streute!«

Der verwachsene Mann fühlt, wie ihr alles Blut siedeheiß zu Kopf steigt, er blickt auf in ihr süßes Gesicht, welches sich zart wie eine Blüte von dem dunklen Pelzkragen abhebt, und als sein Blick sich verlegen vor dem ihren senkt, trifft er den eleganten Muff und auf demselben, mit einer Goldspange befestigt, erblickt er zwei Lilien …

Seine Lilien.

»Unserm Hause gegenüber lag die Villa Favorite« – sagt Grenadina zögernd und sichtlich sehr überrascht –; »wohnten Sie daselbst, Herr Hallwege?«

»Ja, gnädiges Fräulein – in der Mansarde – droben!« Er sagt es leise und bescheiden und seine großen, melancholischen Augen heben sich wie in angstvoller Sorge: Wie stolz wird sie nun wohl auf ihn niedersehn! Aber nein! Das Antlitz lächelt noch viel, viel freundlicher wie zuvor, und sie reicht ihm plötzlich die Hand und sagt: »Es ist so schön, einen vermeintlichen Ausländer plötzlich als Deutschen kennen zu lernen und sogar einem Landsmann zu begegnen! Einem Friesen! Das ist doppelte Freude! Sie sind der gute Schutzgeist des Herrn Grafen, wie er uns vorhin erzählte und dafür danke ich Ihnen im Namen Aller, – die so viel Interesse an den Erfolgen Ihres Chefs haben!« Wie ein Zittern gehts durch Sörens Glieder, er hört ihre Worte … er sieht die Lilien …

»O gnädiges Fräulein!« stammelte er und umkrampft die kleine Hand sekundenlang mit bebendem Druck –: »Ich tu nur meine Pflicht!«

»Na, Verehrtester, dann sind Sie wahrlich ein weißer Rabe!« – lacht die Stimme der Frau von Flammenberg neben ihnen. »Und ich freue mich, daß ich nun schon zwei Männer entdeckt habe, deren Leben und Existenz ich gnädig schonen kann! Hoch zu verehrender Herr Konsul! – Sind Sie schon klug gemacht, oder wollen Sie gleich uns noch Weisheit aus dieser Maschine saugen? – Vorwärts, meine Herrschaft! Der Unsterbliche, Weltberühmte, Himmelstürmer geht, um Toilette für den Mond zu machen!«

»Ah, richtig!« scherzt Steinbach. »Wir wollen ja Alle eine G. m. b. H. für Ankauf neuen Villenterrains auf dem Mond gründen. Idealste Vorstadt von Berlin! Regelmäßige Aeroplanverbindung zur Tag- und Nachtzeit. Kalbfleisch billigst, siehe Mondkalb! Holzbestellungen beim Mann im Mond per Telephon Nr. 10287612.« Lautes Gelächter. »Werden die Aktien schon ausgegeben? – Herr Kommerzienrat! Als Bankier müssen Sie einsehn, daß dieselben schon von Natur derart hoch stehen, daß ein schwindelhaftes noch höher treiben ausgeschlossen scheint! – Bitte silentium –! Hut ab! Sie stehen vor dem König der Industrie, – dem neusten, erstklassigen Flugmotor!« –

Ein junger Student hebt sich hinter Grenadina auf die Fußspitzen, um besser zu sehen und deklamiert voll Pathos:

Erkläre mir, Graf Oerindur –
Diesen Zwiespalt der Natur! – Valeros sagt in II, 5 der Schicksalstragödie »Die Schuld« (1813) von Adolph Müllner: »erklärt mir, Oerindur, / Diesen Zwiespalt der Natur!« Gemeint ist im Dramentext ein innerer Zwiespalt des Sprechers, auf dessen Höhe sich die Romanfigur »voll Pathos« zu erheben versucht.

Fragen werden laut, – die Stimmen schwirren vor Sörens Ohren.

Er antwortet knapp und sachlich. Seine Augen sind plötzlich wieder ganz klar und scharf. Er sieht und beobachtet jede Bewegung der Herrschaften und bittet sehr höflich, aber nachdrücklich, nichts zu berühren.

Es wird Zeit, die Sonne strahlt heißer. Aus dem Schuppen tritt Giöreczy in seinem Fliegeranzug.

Grenadinas Blick haftet auf seinem Antlitz. Wie schön steht ihm der Sturzhelm! Er gibt dem kühnen, stolzen Gesicht, welches wie aus Bronze gegossen unter ihm hervorschaut, etwas altertümlich-ritterliches.

Die Monteure und Mannschaft zur Bedienung des Aeroplans eilen herzu. Hubert prüft noch einmal Kompaß und Karte. Läuft dieselbe richtig von der Rolle ab?

Ja, sie funktioniert tadellos.

Noch einen flüchtigen Blick hier und dort hin. Dann nimmt er unvermittelt schnell Abschied, er reicht den nächststehenden Damen die Hand, Grenadina blickt er momentan in die Augen.

»Lassen Sie Ihre freundlichen Gedanken mit mir fliegen!« sagt er leise.

»Gott behüte Sie!« – Täuscht er sich, oder hat ihre Stimme gebebt?

Wie wundersam ihre großen, weitoffenen Augen ihn ansehen, – ist es Sorge … Angst um ihn? –

»Bitte zurücktreten, meine Herrschaften! Weiter zurück! – seitwärts! – Sie bekommen das aufgewühlte Erdreich ins Gesicht! Weiter zurück! – noch weiter!!« –

Hubert raffte sich empor, springt gewandt auf seinen Eindecker und wirft den Kontakt an. Zischend fliegt die Schraube herum und der Graf streckt den Arm seitwärts aus, – das Zeichen der Abfahrt. –

Der Motor brüllt, – ohrenbetäubend knattert, rast und faucht er, – Feuergarben spritzen auf … und das Flugzeug entgleitet den Händen der Männer, welche es gehalten. Es saust über den Boden dahin, dann hüpft es auf … gleitet plötzlich in die Luft empor, einen graziösen, aufsteigenden Bogen beschreibend, indem es den Erdboden verläßt. Pfeilgeschwind, kaum noch eine Bewegung verratend, schießt es gradeaus, als wolle es in niedrigem Kurs die dunkle Waldlinie des Horizonts erreichen. Dann hebt es sich jäh empor, schwebt in der Luft und zieht seine Kreise höher und immer höher in die tiefe Einsamkeit des Weltenalls hinein.

Wo ist die starre, leblose kleine Maschine, mit den hellen Tragflächen geblieben, welche erst so tot und regungslos hier stand? Sie hat sich wie durch ein Wunder, ein gewaltiges, schöpferisches Werde! verwandelt. Sie ist ein Riesenvogel geworden, welcher sieghaft emporsteigt, seine anmutige Form wie ein Traumgebilde gegen das Firmament abzuzeichnen.

Die Maschine lebt! – arbeitet! Kreist in stolzem Adlerflug hoch über der Welt, welche unter ihr versinkt wie ein Riese, welchen der Götterfunke schaffenden Geistes besiegt, – endlich besiegt unter die Füße getreten! –

Sören hat regungslos gestanden, die Hände in schlichtem Gebet sekundenlang gefaltet und seinem teuren, so sehr bewunderten Herrn nachgeschaut in die blaue Luft, wie die Maschine höher und höher steigt, wie die Bewegungen gleichmäßig und sicher sind gleich einer zuverlässigen Arbeiterin. Es weht ein Hauch süßen Blumendufts zu ihm auf.

Er schrickt zusammen.

Grenadina steht neben ihm.

Ihr holdes Antlitz ist verändert, bleich bis in die Lippen hinein, groß und starr folgt ihr Blick dem Aeroplan.

Mechanisch greift ihre Hand nach seinem Arm und umschließt ihn mit zitterndem Druck.

»Herr Hallwege … es wird ihm kein Unglück geschehen?« – klingt es leise, ganz leise und doch wie ein Schrei der Todesangst zu ihm hin.

Sekundenlang starrt Sören sie an.

So frägt kein Weib, wenn es nur höfliches Interesse an einem Fremden nimmt. So schaut kein Auge einem Manne nach, dessen Leben nicht mehr gilt, wie das all der Andern auch.

»Gott ist mit ihm – was soll ihm geschehn?«? murmelte er und sein Blick trifft die Lilien.

»Sie sind des Flugzeugs sicher?!« klingt es abermals wie ein unterdrücktes Aufschluchzen von ihren Lippen.

»So weit unsere Kenntnisse reichen, ja!«

Da blickt ihn Grenadina an, – ein wehes, herzzzerreißendes Lächeln. »Sie warten hier auf die Rückkehr?«

»Ja, gnädiges Fräulein, – es kann heute lange dauern!«

»Kann ich ein paarmal bei Ihnen antelephonieren, ob der Graf glücklich heimkehrte?« –

Die Sprecherin wendete plötzlich heiß errötend das Antlitz unter dem seltsamen Blick, welcher sie aus den Augen des Verkrüppelten trifft.

»Verschiedene Freunde Ihres Chefs, welche uns heute nicht hierher begleiten konnten, möchten diese Nachricht so gerne durch mich erhalten,« setzt sie stockend hinzu.

Sören verbeugt sich sehr ruhig. »Selbstredend, ich werde dem gnädigen Fräulein sogleich Auskunft geben und auch die Ankunft des Herrn Grafen melden!«

Ihre Augen leuchten auf. »O wie gut und freundlich von Ihnen! Tausend Dank!« Sie sucht einen Augenblick abgewendet in dem Handtäschchen, dann reicht sie zögernd, mit bittendem Blick, die Rechte entgegen. Sören lächelt. – Ein Zehnmarkstück. Einen Augenblick krampft sich seine Hand, als wolle er sie zurückziehen, als sei das Geldstück glühend Eisen, welches ihn schmerzlich zu verwunden drohe, aber er sieht in ihre Augen, in die so freundlich, fast zaghaft bittenden, in welchen nichts, durchaus nichts von kränkendem Hochmut zu lesen ist, – und die Lilien duften so süß und schmeichelnd zu ihm auf als wollten sie sagen: »erschreck sie nicht durch deine Weigerung!«

Da nimmt er die zehn Mark, blickt der Geberin mit wunderlich ernstem Blick in das liebliche Antlitz und sagt schlicht und einfach: »Ich danke sehr herzlich, gnädiges Fräulein!« –


Als Hubert Giöreczy nach einer kurzen Zwischenlandung nachmittags wieder wohlbehalten auf dem Flugplatz eintraf, bat Sören mit auffälliger Wichtigkeit, ihn einen Augenblick zu beurlauben.

»Warum, was ist so eilig, daß die Bergung des Apparates nachstehen soll?« fragte der Aviatiker erstaunt.

Hallwege zuckte die Achseln. »Ich habe Fräulein Grenadina Nirsky versprochen, ihr sofort die glückliche Ankunft des Herrn Grafen per Telephon zu melden!«

Giöreczy hatte sich zu dem Gummireif eines Anlaufrades niedergebeugt. Er schnellte empor und sah den Sprecher starr an …

»Das war ihr direkt ausgesprochener Wunsch?«

»Sehr wohl, Herr Graf! Die junge Dame schien sich entsetzlich zu ängstigen, mir deuchte es, sie hatte Tränen in den Augen, als der Aeroplan in der fernen Höhe entschwand. Es war wohl ganz neu und ungewohnt für sie! Dreimal hat sie schon selber antelephoniert und ihre Stimme klang immer so besorgt, daß ich sie nicht länger warten lassen möchte!«

Hubert nahm den Sturzhelm vom Kopf und schien sehr beschäftigt damit, ihn anzusehen.

»Es wäre mir eigentlich lieber, Sören, du bliebst jetzt bei der Maschine, – mußt sie wohl erst mal ansehn, ob alles intakt geblieben ist! Ich gehe so wie so in die Restauration, um ein Glas Sherry zu trinken, es wurde jetzt zum Schluß doch barbarisch kalt in der Höhe! – Da kann ich mich ja selber bei ihr zur Stelle melden!« –

»Sehr wohl, Herr Graf.«

Sören räusperte sich, als stecke ihm etwas in der Kehle.

Giöreczy hob jach den Kopf und lachte: »Ach, du hättest wohl selber gern mit ihr gesprochen, Hallwege? Pardon … daran dachte ich in dem Augenblick nicht! Aber unbesorgt, ich werde dich entschädigen. Die Herren, welche neulich den Thee bei der Signorina getrunken, schickten ihr als Gegengruß Blumen; ich stehe noch aus damit. Morgen früh sollst du selbst die schönsten roten Rosen zu deinem Ideal in das Hotel tragen!«

»Wie Herr Graf befehlen!«

Giöreczy hörte kaum auf die Antwort, er schritt hastig über die abgetretenen Rasenflächen davon, Sören aber stand und schaute ihm einen Augenblick nach.

Er lächelte.

Und dann klang ein tiefer schwerer Seufzer über seine Lippen.

Er preßte sekundenlang die Hand gegen die Brust, wo in der kleinen Uhrtasche verborgen, das Zehnmarkstück Grenadinas steckte.

Fing es plötzlich an zu brennen? Eine Stimme schreit ihm von dem Schuppen herüber etwas zu, – die breite Schiebetüre desselben weicht quitschend zurück.

Der Monteur zuckt empor und streicht mit der kalten Hand über die Stirn.

Es ist jetzt keine Zeit zum Denken, – er muß seine Pflicht tun. –


Als die Flugmaschine auf das gründlichste und gewissenhafteste nachgesehen und geborgen war, verschloß Sören die Werkstätte und wandte sich zum Gehen.

Langsam, mit tiefgeneigtem Haupt saß er auf dem Trittbrett des kleinen, flinken, dunkelblau gestrichenen Rennwagens und wartete auf seinen ehemaligen Jugendgespielen. Sein Blick flog über die Lackierung des Autos. Er lächelte. – Wie blitzte und blinkte es!

Der Graf hatte eine Vorliebe für tadellose Eleganz, so ganz anders wie ein bekannter Kollege, von welchem gestern der Monteur erzählte, er sei der Meinung gewesen, sein Chef werde etliche Tage nicht nach dem Flugplatz hinaus fahren, darum habe er den Wagen desselben frisch angestrichen. In demselben Augenblick jedoch sei der Franzose erschienen, und habe gewünscht, das Auto zu benutzen. Der feuchte Anstrich irritirte ihn, und wunderlich schnell und unberechenbar, wie in all seinen verdrehten Einfällen, habe er eine Handvoll Putzwolle genommen, und die noch feuchten Stellen abgerieben!

Ihn genierte das Aussehen des Wagens durchaus nicht, aber dem Mechaniker versetzte es einen Stich ins Herz!

Schrecklich! – Wie ein zerschundener Eisenbahnkoffer!

Wie anders, daß er, Sören, nun seinem so peinlich vornehmen Herrn erzählen kann, Fräulein Nirsky habe das Auto mit einem geradezu bewundernden Blick gemustert und dem Herrn Bankier voll Nachdruck gesagt:

»Wie wunderschön neu und glänzend sieht dieser Wagen aus! Ich liebe es so, wenn man den Lack als Toilettenspiegel benutzen kann!« Und damit habe sie sich den Hut vor der Wagentür gerade gerückt!

Bei dem kleinen, kugelrunden, zerschundenen Renner des Ausländers, welcher wie ein zerkratzter Schinken aussieht, wäre das nicht möglich gewesen!!

Ob es Eindruck machen wird?! –

Sören lächelt. Erfreuen tut es ihn sicherlich!

Es dauerte eine ganze Zeit lang mit dem Telephonieren, obwohl um jetzige Zeit stets Anschluß an eine der vielen Nummern der großen Hotels zu haben ist.

Hallwege hat aufgepaßt.

Sicherlich erzählt der Graf noch sehr viel Einzelheiten über seinen Flug.

Sören lächelt noch mehr und dennoch stiehlt sich wieder ein Seufzer aus tiefster Brust.

Wäre ja auch seltsam, wenn zwei so schöne, gottbegnadete Menschen kein Wohlgefallen aneinander finden sollten.

Ach, welch ein Glück muß es sein – so schön, jung, berühmt – vornehm und reich wie Hubert Giöreczy in die Welt gestellt zu sein!

Alle Herzen fliegen ihm zu.

Sören Hallwege würde von all den vielen nur ein Einziges begehren, – aber dieses eine muß das beste und goldenste von allen sein.

Ob der verwöhnte Himmelstürmer, der so gar nichts mehr aus Frauengunst macht und sie als selbstverständliches empfängt, ob Hubert Giöreczy sich wohl so tief und wahr und treu verlieben kann, wie es eine Grenadina verdient? –

Ein Schatten fliegt über die Stirn des Denkers.

Seine blonde, süße Grenadina ist kein Spielzeug! Wehe der Hand, welche mit ihr tändeln und es verständnislos bei Seite werfen würde … wie einen überdrüssigen Tand! –

Die Augen des verkrüppelten Mannes blitzen wie in leidenschaftlicher Drohung auf, – er krampfte die Hände zusammen und stöhnt, als empfände er plötzlich einen Schmerz. – Dann schüttelte er den Kopf, als wollte er gewaltsam solch wahnwitzigen Gedanken wehren.

Er lächelte wieder.

Das Telephonieren dauert so lang – und der Graf schien tatsächlich sehr erfreut und erregt über die Teilnahme der jungen Sängerin.

Da naht er. – Siegesfreudig, lachend, strahlend – glücklich wie ein junger Gott!

Sörens Blick wird weich in der alten, treuen Bewunderung seines Jugendgespielen.

Er springt auf und schnallt den Stoß leichter Stahl-Reserveräder, welche bei den kecken Fahrten des Grafen nötig sind, fester, dann kurbelt er an und klettert an die Seite seines Chefs auf den Renner.

Der Aviatiker sieht so animiert aus, wie seit langem nicht. Er grüßt rechts und links, faßt das Steuerrad und leicht und schnell wie ein verkörperter Gedanke fliegt das kleine Auto dahin, die Straße nach Berlin zurück.


Noch an demselben Abend trat Sören Hallwege in den Laden eines Goldschmieds. Er reichte ein Zehn-Markstück dar.

»Ist es möglich, mein Herr, mir aus diesem Goldstück einen schlichten, glatten Fingerreif zu schmieden?« –

»Gewiß! Muß es absolut dieses Goldstück sein?«

»Absolut und unbedingt, Sie müssen es mir auf Ehrenwort garantieren, denn es ist für mich ein teueres, unersetzliches Vermächtnis!«

»Ich bürge mit meinem Wort für die Echtheit!«

Da zog wieder ein Leuchten über das ernste, melancholische Gesicht des jungen Menschen und verklärte es. –

Und als er nach etlichen Tagen den kleinen Goldring abholte und ihn in seinem Stübchen heimlich und bebend an den Finger steckte, da strahlten die Augen noch tiefinniger und Sören Hallwege war so glücklich und so reich in dieser Stunde, daß er mit keinem Kaiser getauscht haben würde. –



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